Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Zürich, Tonhalle-Maag – 14.04.2018
 
Kammerorchester Basel
Giovanni Antonini Leitung (Mozart, Beethoven)
William Blank Leitung (Blank)
Sabine Meyer Bassettklarinette

William Blank „Morphosis“ pour 42 instruments (Auftragswerk)
Wolfgang Amadeus Mozart Klarinettenkonzert A-Dur KV 622 (Rekonstruktion für Bassettklarinette)

Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
 
Gestern wieder einmal in die Tonhalle-Maag – auf dem Heimweg gab es Scherben und Polizei in Panzern mit Gewehren*, ob da der Tross vom Fussballspiel zurück zum Bahnhof eskaliert war, jedenfalls ein seltsames Gefühl, direkt nach dem Konzert … mancher mag denken: ha ha, reality check, aber das sind die Realitäten, die ich lieber auf anderem Weg gelöst hätte (die Ultras gerne nach Sibirien z.B., wo sie sich kloppen können, bis nur noch einer übrig ist).

Los ging es mit einer neuen Komposition von William Blank, der das Stück auch selbst dirigierte. Der 1957 in Montreux geborene, in Genf ausgebildete und in Lausanne lebende Komponist stellt in „Morphosis“ die Frage, „wie ein Komponist im 21. Jahrhundert Bezug nehmen kann auf Beethovens fünfte Sinfonie, ein Werk, das für Blank für eine ‚reine Schreibweise‘ steht, eine Schreibweise, die noch nicht die unterschiedlichen Farben und das Schimmern der Moderne kennt. Wie also liesse sich auf diese Sinfonie antworten mit zeitgenössischen Streichinstrumenten oder mit Harfe, Klavier und Schlagzeug?“ – Blank wählte eine kleine Orchesterbesetzung, in der er von der Instrumentierung her quasi zu Beethoven zurück geht, die Rollen aber etwas anders verteilt, so werden die Holzbläser fast schon zu Solisten im Ensemble und auch an den ersten Pulten der Streicher gibt es immer wieder Ausflüge, Dialoge, Solo-Gruppen. Das war ordentlich interessant anzuhören und vom Basler Kammerorchester ziemlich fein gespielt, fand ich.

Dann trat Sabine Meyer mit ihrer Bassettklarinette auf, der Star des Abends, und spielte das traurig-schöne Konzert von Mozart, eins der schönsten Solokonzerte überhaupt, wenn es nach mir geht. Antonini und die Basler waren ganz bei ihr, die Dynamik wurde (so es das Bassettding denn zulässt, sehr laut kann es nicht) ausgeschöpft, auch in Sachen Agogik ging einiges, da wurde wirklich kammermusikalisch aufeinander gehört und reagiert, Meyer bewegte sich beim Spielen so sehr, wie das selten ist im klassischen Betrieb, wirkte manchmal fast wie eine Schlangenbeschwörerin, wenn sie dem Konzertmeister die nächste Phrase entlockte. Sehr schlank kam die Sichtweise daher und passend schnörkellos und ohne Gefühligkeit – denn die unglaubliche Trauer, die dem Werk wie so vielem gerade beim späten Mozart eingeschrieben ist, kommt am schönsten zur Geltung, wenn man sie nicht noch übermässig betont.

Nach der Pause gab es dann – für mich eine Première – die Fünfte von Beethoven. Beim Herausgehen hörte man dann die üblichen komischen Sätze wie „also er darf das“ oder „wenn man das so macht, dann darf man das“ … das Publikum also immer noch skeptisch. Dabei kamen gestern soweit ich das sehen kann nur moderne Instrumente zum Einsatz (von der Bassettklarinette mal abgesehen), aber Antonini fährt natürlich seinen Kurs, auch da: schlank (die Streicher in 8-8-4-4-3 Besetzung, soweit ich erkennen konnte), zupackend, sehr dynamisch … ein Höllenritt und dadurch eben gerade eine Möglichkeit, Beethoven heute noch zu spielen – was auch den Faden von William Blank wieder aufgreift. Jedenfalls war man auch als Zuhörer am Schluss fast ausser Puste, denn das war wirklich mitreissend!

Als Zugabe spielte das BKO dann noch eine Ouvertüre von Mozart – ich glaube die zu „Le nozze di Figaro“ war’s. Da wurde dann die „reine“ Schreibweise, von der Blank spricht, nochmal viel deutlicher als bei Beethovens Fünfter, die ja schon ordentlich modern ist in ihrer Asymmetrie. Ein beschwingter Ausklang jedenfalls und grosser Applaus für das Orchester, das mir gestern so gut wie noch nie gefiel (Venzago/Buniatishvili, Schröder/Lezhneva und natürlich daneben auf diversen CD, von denen einige – zuletzt „Bologna 1666“, DHM, mir allerdings schon sehr, sehr gut gefallen). Antonini ist jedenfalls für das Orchester der passende Mann, mehr als Venzago kitzelt er aus ihnen das Potential heraus, das bei Konzerten ohne Dirigent wie mir scheint nicht so gut zur Geltung kommt (neben dem erwähnten Konzert mit Lezhneva beziehe ich mich auf ein Weihnachtskonzert u.a. mit Nuria Rial, das ich im Fernsehen sah – keine breite Basis, aber you only get one chance at a first impression). Dem Spiel fehlt manchmal ein wenig die Schärfe, die Pointiertheit – ich glaube, da geht es wirklich nur noch um Nuancen, aber die sind es dann halt, die ein Konzert wie jenes mit Antonini und seinem eigenen Il giardino armonico sowie Sandrine Piau halt herausheben. Vielleicht ist das auch der kleine Unterschied zwischen den Haydn-CDs mit dem Garten und den Baslern, doch deren bisher ersten Eintrag in die Diskographie (Vol. 5) höre ich mir demnächst mit frischen Ohren und mehr Nachsicht wieder an, so gut war das Konzert gestern dann nämlich auf jeden Fall!

*) Gummischrot? Tränengas? Kenne mich mit sowas nicht aus, richtige Gewehre sieht man hier nur wenn Soldaten unterwegs in den Dienst sind … und ja, auf dem Hinweg sah ich einige, die wohl von irgendeinem Anlass kamen, auch Tattergreise Uniformen aus der Zeit des 2. Weltkrieges oder kurz danach, Sturmgewehr inklusive … seltsame Sitten.

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