Antwort auf: Die wunderbare Welt der Oper

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Giuseppe Verdi: La Traviata
Theater Basel – 04.02.2018

Musikalische Leitung Ansi Verwey
Inszenierung Daniel Kramer
Choreografie Teresa Rotemberg
Bühne Lizzie Clachan
Kostüme Esther Bialas
Licht Charles Balfour
Chor Michael Clark
Dramaturgie Juliane Luster

Violetta Valéry Corinne Winters
Flora Bervoix Kristina Stanek
Annina Anastasia Bickel
Alfredo Germont Pavel Valuzhyn
Giorgio Germont Ivan Inverardi
Gastone Karl-Heinz Brandt
Barone Doupholl Domen Križaj
Marchese d’Obigny José Coca Loza
Dottore Grenvil Andrew Murphy
Giuseppe Matthew Swensen
Domestico di Flora Marco Pobuda
Commissionario Vladimir Vassilev
Chor des Theater Basel
Sinfonieorchester Basel

Gestern zog es mich nach Basel, um die Produktion von „La Traviata“ zu sehen, die im Herbst Premiere hatte und deren Vorstellungen allesamt praktisch ausverkauft sind. Am Pult stand nicht wie angekündigt Titus Engel sondern Ansi Verwey, die in Basel als Studienleiterin waltet und insgesamt vier der Traviata-Aufführungen leitet(e). Ihr Dirigat gefiel mir sehr gut, ich hatte meine kleines Fernglas mit (hierzulande heisst das Ding Feldstecher, klingt etwas martialisch) und konnte von meinem seitlichen Platz ganz oben schön in den Graben blicken – ganz, wie ich es mag. Mit dem Gesichtslosen Saal werde ich wohl nicht warm, ich war da zuletzt vor vielen Jahren in einer Theateraufführung (Basel ist ein Dreispartenhaus, wie es auch andere mittelgrosse Häuser der Schweiz sind, Luzern etwa) und als Teenager einst in Rossinis „Barbiere“ (da erinnere ich mich aber eigentlich nur noch daran, dass mir die Ouvertüre unglaublich gut gefallen hat). Klanglich ist so eine leere, ziemlich breite Halle jedenfalls etwas völlig anderes als die traditionellen Häuser aus dem 19. Jahrhundert … viele kenne ich ja nicht, aber die Brillianz in München oder in der Scala ist schon unschlagbar, im kleineren Haus in Zürich kann dagegen eine Intensität erreicht werden, die ihrerseits schwer beeindrucken kann, wenn sie sich denn nicht in reiner Lautstärke erschöpft.

Aber gut, die Intensität, da sind wir schon mitten in der Basler „Traviata“. Ich ging ja in hin, weil ich Corinne Winters, die Violetta, als Einspringerin hörte in der einen Aufführung, die Gardiner hier in Zürich von Verdis Requiem leitete. Sie beeindruckte mich auch als Violetta sehr, ihre Stimme hat eine dunkle Färbung, ihre Rollengestaltung überzeugte mich sehr – was aber für die Inszenierung als ganzes gilt, in der die Geschichte aus der Sicht Violettas erzählt wird. Auch da, wo der Chor sich in dekadenten Parties mit (Sex-)Spielchen übt und entsprechend kostümiert auf der Glitterbühne auftritt, verleiht Winters der Figur eine Tiefe und Ernsthaftigkeit, die durchaus dazu führt, dass man mit ihr leidet, wenn sie sich ihrem Schicksal stellt.

Nicht nur Winters, nein die ganze Aufführung, beeindruckte mit einer ausgezeichneten Piano-Kultur. Wie das wiederkehrende (Todes-)Motiv des Vorspiels zum ersten Akt aus den Nichts heranschwebte und zu vibririen begann war schon beeindruckend, und das zog sich durch die ganze Aufführung hindurch. Winters, das war auch im Requiem zu hören, beherrscht die Kunst des ganz leisen Singens, ohne dass dabei die Intensität verloren geht. Sie schafft es aber auch, in lauten Passagen über dem Chor oder dem Orchester gehört zu werden, sie weiss offensichtlich, wie sie ihre Stimme einsetzen muss, um Projektionskraft zu bewirken, im Leisen ebenso wie im Fortissimo. Pavel Valuzhyn sang einen Alfredo, der im Lyrischen bleibt, was im famosen Trinklied im ersten Akt nicht gänzlich überzeugte, auch wenn es nicht mit der Qualität seines Gesanges zu tun hatte. Ivan Inverardi als Vater Giorgio Germont fand ich ebenfalls ziemlich gut, die Mängel, die die NZZ bei der Premiere hörte, wurden wohl in der Zwischenzeit etwas verbessert.

Chor und Orchester waren toll, im Orchester gab es ein oder zweimal kleine Unstimmigkeiten, was vielleicht an Verweys Dirigat gelegen haben könnte (sie kam ohne Stab aus und machte nicht andauernd die ausladenden operntypischen Gesten). Doch klanglich und die allermeiste Zeit auch hinsichtlich der Präzision war das eine tadellose Aufführung. Mit dem Saal versöhnte ich mich dann auch, denn die Steigerungen in der Dynamik, die mit der Zeit – aber nicht im ersten Akt, der doch eigentlich ordentlich laut sein könnte – stattfanden, brachten den Raum plötzlich hart an seine Grenzen und es wurde umso deutlicher, wie bewusst hier mit leisen Tönen gearbeitet wird.

Sehr gut gefiel mir auch die Bühne, stets auf rundem Untergrund gebaut gab es im ersten Akt und im zweiten Bild des zweiten eine spielgende Glitterszenerie, in der die Halbwelt ihre sinnleeren Feste zelebriert, im ersten Bild des zweiten Aktes war das rund eine Gartenfläche, in der Mitte ein von der Decke gehängtes Bett, das zum Auftakt als eine Art Hollywood-Schaukel diente – hier war dann die Intimität von Winters‘ Gesang ein erstes Mal so richtig beeindruckend (und Inverardi fand ich da alles in allem schon ziemlich überzeugend). Sie war es erneut im Schlussakt, in dem Violetta ihr eigenes Grab schaufelte, während das Rund mit mehreren Reihen von Mattrazen belegt war, die an Grabfelder oder liegende Grabsteine erinnerten.

Für Corinne Winters jedenfalls die Maximalpunktzahl – und die Hoffnung, dass sie dereinst (ich hörte sie ja bereits als Mélisande in Zürich) wieder in der Nähe zu sehen sein wird!

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