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hal-croves
אור

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Chico Hamilton – The Dealer (1966)

Heute hier, morgen da: Schaut man sich die Biographie des musikalischen Tausendsassas Chico Hamilton an, der auch im Alter von 91 Jahren noch aktiv ist, fühlt man sich von der Fülle seines Schaffens schnell erschlagen. Welchen Stellenwert The Dealer in diesem fast unüberschaubaren Oeuvre einnimmt, ist schwer einzuschätzen, aber es kann kein geringer sein angesichts der großartigen Mitstreiter, die er u.a. in dem 23-jährigen Larry Coryell und dem ehrfurchtgebietenden Archie Shepp fand. Letzterer komponierte für das Album allerdings ganz gegen sein einschüchterndes Image als überernster Black-Consciousness-Überintellektueller mit „For Mods Only“ ein herrlich leichtes und unwiderstehlich eingängiges Pop-Jazz-Tune, das meine Wahrnehmung vom vorliegenden Album immer, seitdem ich es besitze, geprägt hat: nämlich als eine der sympathischsten und mir am meisten ans Herz gewachsenen Jazzplatten, die ich kenne.

Denn dieses Stück ist trotz Shepps Autorschaft Hamiltons Schlagzeugstil so exakt angemessen, dass es naheliegt zu vermuten, dass letzterer direkt dazu inspiriert haben mag. Chico Hamilton war nämlich als gebürtiger Angeleno und ebenso eifriger wie neugieriger Jungmusiker am Aufstieg und Glanz der Traumfabrik Hollywood unmittelbar beteiligt, u.a. als Drummer für Fred Astaire in You’ll Never Get Rich (1941). Diese Nähe zu Tanz und Glamour prägte auch sein Schlagzeugspiel, zumal er ursprünglich (in einer Schulcombo, u.a. mit Dexter Gordon und Charles Mingus) Klarinettist gewesen war. Es ist sehr lebhaft, mit ebenso reichlichem wie subtil abgestuftem Beckeneinsatz sowie einer fröhlich hüpfenden Bassdrum, was gerade auch im Titelstück, das er mit Jimmy Cheatham gemeinsam komponierte, sehr schön zu hören ist.

Aber auch ernste Töne kommen nicht zu kurz. „Thoughts“ beginnt mit einem kantoresken Klagegesang, der unisono von Richard Davis‘ gestrichenem Kontrabass begleitet und von Arnie Lawrence‘ lebhaftem Tenorsaxophon kontrastiert wird, um schließlich in klassischen Hardbop im Stile Art Blakeys zu münden. „Larry of Arabia“ ist ein schöner, wenngleich nicht sehr ambitionierter Blues aus der Feder Larry Coryells, der von „Baby, You Know“, einer weiteren Hamilton-Cheatham-Kollaboration, klar in den Schatten gestellt wird. Das Album endet schließlich mit „Jim-Jeannie“, einem rasend-überschäumenden finale furioso, einem wütenden Rundumschlag aller beteiligten Musiker, die dabei allerdings eine geradezu erschreckende Präzision an den Tag legen; so fühlt sich wahrscheinlich ein Afri-Cola-Rausch in zehnter Potenz an. Star dieses Finales ist ganz klar der Bandleader, der möglicherweise Keith Moon mal zeigen wollte, wo der Hammer wirklich hängt. Die irren Urschreie, die dabei zu hören sind, tun ihr übriges; nach diesem Abschluss braucht man erst mal einen Schnaps.

Tracklist:
1) „The Dealer“ – 6:21
2) „For Mods Only“ – 4:25
3) „A Trip“ – 6:35
4) „Baby, You Know“ – 3:56
5) „Larry of Arabia“ – 5:09
6) „Thoughts“ – 9:20
7) „Jim-Jeannie“ – 5:48

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=