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hal-croves
אור

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Kimya Dawson – Hidden Vagenda (2004)

Hidden Vagenda ist eines von drei Alben, die Kimya Dawson in einem wahren Produktivitätsrausch 2004 innerhalb von zwei Monaten veröffentlichte. Sie gehört zu den Gründern der New Yorker Anti-Folk-Bewegung und hat diese Musikrichtung vielleicht am konsequentesten auf den Punkt gebracht. Ihr Stil und ihr Auftreten sind von absoluter Aufrichtigkeit und Verletzlichkeit geprägt; der geradezu ostentative Dilettantismus ihres Vortrags steht dabei in einem hochinteressanten Gegensatz zu der beeindruckenden Qualität ihres Songwritings, das sie bereits auf dem legendären selbstbetitelten Album der Moldy Peaches unter Beweis gestellt hatte, ihrem leider schon nach dem Debüt abgebrochenen Bandprojekt mit Adam Green.

Die Songs auf dem vorliegenden Album sind einerseits von anrührender Zartheit, die in ihrem betont naiven Gestus ein wenig das Sinnbild eines verträumten und leicht weltfremden Punkmädchens evoziert, das der Ratte seines Herzens ein Liebeslied vorträgt. Andererseits aber spart Dawson trotz des etwas primitiv-ungeschlachten Lo-Fi-Appeals der Produktion nicht mit Gimmicks und Widerhaken wie in wildem Feedback quietschenden Gitarren, so dass Langeweile zu keinem Zeitpunkt aufkommen kann. Und die fröhliche Demonstrations-Hymne „Parade“ ist beinahe zu schön, um wahr zu sein; mit diesem hinreißenden Song im Ohr möchte man augenblicklich die Aussteuerbettwäsche der Urgroßeltern mit flammenden Parolen gegen das Schlechte in aller Welt vollpinseln und sich einreihen bei denen, die guten Willens und reinen Herzens sind.

Sehr anrührend und durchaus angenehm an Hidden Vagenda ist übrigens auch die offenkundige Abwesenheit alles Ambitiösen. Dieses Album will nichts als ein wenig geneigte Aufmerksamkeit, dass man der Künstlerin und ihrem Vortrag zuhöre, und angesichts des entwaffnenden Charmes, den es bei aller hintergründigen Widerborstigkeit im musikalischen Ausdruck offenbart, wäre ja ein unsensibler Klotz, wer sich dazu nicht verstünde. Ich jedenfalls bin jedes Mal, wenn ich es zu Ende gehört habe, gerne bereit, an das Gute im Menschen zu glauben.

Tracklist:
1 It’s Been Raining 3:04
2 Fire 3:20
3 Viva La Persistance 3:47
4 Lullaby For The Taken 3:46
5 I Will Never Forget 5:19
6 Singing Machine 3:48
7 Moving On 3:08
8 Blue Like Nevermind 3:03
9 My Heroes 3:13
10 Parade 3:58
11 5 Years 3:03
12 Anthrax (Powerballad Version) 5:45
13 You Love Me 2:39
14 Angels And Seagulls 3:06

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=