Startseite › Foren › Die Tonträger: Aktuell und Antiquariat › Replays: Neuauflagen, Deluxe- und erweiterte Editionen › Wiederhören im Forum… › Re: Wiederhören im Forum…
Echo & The Bunnymen – Porcupine (1983)
Ein Album, das mit gleich zwei überlebensgroßen Songs beginnt wie das vorliegende mit „The Cutter“ und „The Back of Love“, birgt normalerweise zwei Gefahren: entweder man wird verrückt daran, baut ihm einen Schrein und betet es fortan stündlich an, oder es fällt zur Enttäuschung des Hörers ab und hinterlässt das betrübliche Gefühl eines coitus interruptus. Doch glücklicherweise ist der Band um den charismatischen Sänger Ian McCulloch das Kunststück gelungen, diese Zwickmühle zu vermeiden, indem sie Porcupine behutsam in eine Art versponnene Düsternis entführt. „My White Devil“ und „Clay“ bilden dabei den noch recht lebhaft gestalteten Einstieg; mit dem Titelsong beginnt dann die Zone erhabener Verzweiflung. Gleich einer Prozession der Gemarterten, wie sie dem zweiten Höllenkreis aus Dantes Inferno entlehnt sein könnte, schleppt sich „Porcupine“ durch tiefste Finsternis, bis „Heads Will Roll“ im Refrain einen hellen Sonnenstrahl durchbrechen lässt.
Hackende Gitarren, gellend klagender Gesang, kalt ratternde und hämmernde Drums sowie ein traurig summender und knackender Bass prägen das Klangbild von Porcupine, einer streckenweise maßlos genialen Platte, bis sie ab „Higher Hell“ leider doch noch zu schwächeln beginnt. „Gods Will Be Gods“ beginnt sehr vielversprechend, verliert sich dann aber leider in etwas monotoner Klang-Esoterik, während „In Bluer Skies“ sehr schön zwischen eingängiger Gefälligkeit und abweisender Widerspenstigkeit schillert, dabei aber die musikalische Substanz der ersten Albumhälfte vermissen lässt. Die gelungene Produktion ist sehr volltönend und mit vielen wohlgesetzten Gimmicks angereichert, die dem spinnerten Charakter des Albums gut entsprechen.
Es ist sehr schade, dass dies das letzte wirklich gute Album der Liverpudlians geblieben ist. Echo & The Bunnymen hatten bereits mit den Vorgängeralben Crocodiles und Heaven Up Here fulminant vorgelegt, konnten nach Porcupine aber ihr Niveau nicht mehr halten. Wenn man Livemitschnitte aus ihrer besten Zeit sieht wie z.B. ihren grandiosen Rockpalast-Auftritt in der Zeche Bochum im März 1983, wird deutlich, wie komplett und mit allen Talenten gesegnet diese Band war, die gerade auch angesichts der gewaltigen Bühnenpräsenz Ian McCullochs zu einer der größten des Pop-Universums hätte werden können. So reiht sie sich in die Riege derjenigen ein, die es fast geschafft hätten; aber die genannten ersten drei Alben – mit dem vorliegenden als Höhepunkt – werden für immer bleiben.
Tracklist:
1) „The Cutter“ – 3:56
2) „The Back of Love“ – 3:14
3) „My White Devil“ – 4:41
4) „Clay“ – 4:15
5) „Porcupine“ – 6:01
6) „Heads Will Roll“ – 3:33
7) „Ripeness“ – 4:50
8) „Higher Hell“ – 5:01
9) „Gods Will Be Gods“ – 5:25
10) „In Bluer Skies“ – 4:33
2003 bonus tracks
11) „Fuel“ – 4:09
12) „The Cutter“ (Alternate Version) – 4:10
13) „My White Devil“ (Alternate Version) – 5:02
14) „Porcupine“ (Alternate Version) – 4:04
15) „Ripeness“ (Alternate Version) – 4:43
16) „Gods Will Be Gods“ (Alternate Version) – 5:31
17) „Never Stop (Discotheque)“ – 4:45
****1/2
--
"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=