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hal-croves
אור

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Monks – Black Monk Time (1966)

Dieser Beitrag handelt von einem der dreistesten Täuschungsmanöver der Popgeschichte und könnte mit der Schlagzeile The Great Rock’n’Roll Swindle Reloaded überschrieben sein. Jedoch ist weder von den wilden Zeiten des UK-Punk Mitte bis Ende der Siebziger Jahre noch vom Payola-Skandal 1959 die Rede, sondern von einer grotesken künstlerischen Überschätzung einer Gruppe totaler Dilettanten, die ohne weiteres als realsatirische Illustration z.B. des vielfach angefeindeten Dire-Straits-Songs „In the Gallery“ und ähnlicher Kritiken an einem vollkommen überzüchteten l’art-pour-l’art-Verständnis dienen könnte. Der Schreiber dieser Zeilen gehörte allerdings selber zu den willigen Opfern dieses in seiner Lachhaftigkeit nahezu unglaublichen Bluffs, daher will ich mich vor Gehässigkeit hüten und der Versuchung einer Abrechnung widerstehen; hinter einem ausgestreckten Zeigefinger verbergen sich bekanntlich drei weitere Finger, die auf einen selbst zurückweisen.

Schauen wir zunächst, welche Meriten dem vorliegenden Album vonseiten seiner Liebhaber zugerechnet werden. Im deutschsprachigen Wikipedia-Artikel heißt es dazu: „1961 kamen die fünf zukünftigen Mitglieder der Monks als US-Soldaten in die hessische Garnisonsstadt Gelnhausen. Sie begannen schon bald in der örtlichen Militärkapelle miteinander Musik zu machen. In ihrer Freizeit entstand die Coverband The Five Torquays, zunächst noch in verschiedenen Besetzungen, aber ab 1964 mit den fünf Musikern, die später als Monks die erste Avantgarde-Popband der Musikgeschichte bilden sollten. Nach der Entlassung aus der US-Armee spielten die Five Torquays 1964 für ein Jahr in süddeutschen Clubs. Bei einem dieser Auftritte in der Stuttgarter Rio-Bar wurden sie von Walther Niemann (ehemaliger Folkwangschüler, u. a. bei Max Burchartz) und Karl-H. Remy (ehemaliger Schüler der Hochschule für Gestaltung Ulm) angesprochen. Niemann und Remy waren seit geraumer Zeit auf der Suche nach einer Band, die sie nach ihren Vorstellungen modellieren konnten. […]
Niemann und Remy arbeiteten an der weiteren Entwicklung ihres Gesamtkonzepts. Die noch recht zahmen Texte der Probeaufnahmen (2007 als monks demo tapes 1965 veröffentlicht) wurden zu scharfen dadaesken Anklagen gegen den Vietnam-Krieg. Ästhetisch ging man neue Wege, indem man statt der weichen, langhaarigen, blumenkinderhaften Popaufmachung die schwarzweißen Kontraste des Kalten Krieges wählte. Obendrein steckten die beiden Produzenten die fünf Musiker in Mönchskutten, statt eines Schlips trug man Galgenstricke um den Hals.[…]
Die Musik, die später auf Black Monk Time zu hören ist, ist in jeglicher Hinsicht wilder, härter, schneller als die 7 Monate zuvor aufgenommenen Probeaufnahmen. Black Monk Time, ähnlich wie das erste Album von Velvet Underground, bedeutete einen tiefen Einschnitt in die Geschichte der doch eher süßlichen und vom R&B und Blues beeinflussten Popmusik. Erstmals werden diese Einflüsse bewusst negiert und es entsteht eine Art von Artrock, die dem Rolling Stone zufolge im Glauben an ihre populäre Wirkung eingespielt wurde: Sie setzte den Maßstab für den nachfolgenden Garagenrock und sogar Punk- und Grungemusik. Julian Cope meinte in seinem Krautrocksampler sogar, dass die Platte das Zwischenstück zwischen der Beatmusik und dem Krautrock von bundesrepublikanischen Gruppen wie Can, Faust und Kraftwerk darstellte. Filmemacher Dietmar Post behauptet, dass die Monks keineswegs Garagenrock darstellten, da dieser Begriff nur auf amerikanische Bands in den USA zutraf. Für ihn verweist das musikalische Experiment eher auf die zukünftigen Genres Heavy Metal, Punk, Industrial und Techno.
Als im Zusammenhang mit dem Dokumentarfilm Monks – The Transatlantic Feedback das Tribut-Album Silver Monk Time vorgestellt wurde, wurde deutlich, wie sehr sich Bands wie The Fall, Jon Spencer, Faust oder auch Mouse on Mars auf die Monks beziehen. Mouse on Mars gingen sogar soweit zu behaupten, dass ihre Hommage ‚Momks Time‘ den Versuch darstellte, die Wichtigkeit und den Sound der Monks ins 21. Jahrhundert zu transportieren.“

Diese Ausführungen sind ein Paradebeispiel für die von maßlosen Übertreibungen geprägten Eulogien, die den Monks zuteil geworden sind. Dazu gehört ganz wesentlich die vollkommen deplazierte Kontrastierung mit „der doch eher süßlichen und vom R&B und Blues beeinflussten Popmusik“, die mit den Monks genauso wenig zu tun hat wie jene mit ihr. Dieser Vergleich soll offenkundig die angeblichen Verdienste der Band um einen „härteren Sound“ im Pop hervorheben, was aber angesichts der dabei völlig verschwiegenen The Who, Pretty Things, Yardbirds (Roger the Engineer) sowie der Rolling Stones um so lachhafter ist, als die Autoren sich nicht entblöden, dieser im Jahr 1966 mit ihrer naiven Einfalt sogar schon etwas rückständigen Platte „einen tiefen Einschnitt in die Geschichte“ der so vollkommen einseitig skizzierten Popmusik zuzuschreiben. Die Nennung der Platte als gleichrangig mit dem Debütalbum von The Velvet Underground setzt der Groteske natürlich endgültig die Narrenkappe auf. Dass eine solche Überschätzung von aktiven und prominenten Musikern geteilt wird, macht sie weder wahrer noch besser.

Wenn man sich allerdings von dieser kompletten Fehleinschätzung abwendet, kann man immerhin sagen, dass „Black Monk Time“ als naives und primitives Beat-Entertainment halbwegs funktioniert. Erstaunlicherweise konnte ich mir die Platte zweimal hintereinander anhören, ohne mir damit größere Schmerzen zuzufügen; sie ist relativ eingängig, hat ein paar hübsche Riffs und Hooks (v.a. – wenn auch offenkundig geklaut – in „We Do Wie Du“) und mit „I Hate You“ sogar fast einen richtigen Song, der zudem auch noch eine tragende Idee besitzt. Hingegen wäre es aber unangebracht zu verschweigen, dass so etwas wie Songwriting auf diesem Album fast inexistent ist; zumindest ist zu konstatieren, dass die Songs in nahezu jeder Hinsicht vollkommen unterentwickelt sind. Letzten Endes bleibt davon nur der eine oder andere Soundeffekt in Erinnerung (v.a. bei den Gitarren), den man vor „Black Monk Time“ tatsächlich noch nicht gehört haben dürfte, sowie ein mokantes Schmunzeln über die eigene Verführbarkeit, sobald etwas vermeintlich Besonderes und Seltenes, das der ungebildete Pöbel nicht kenne, die geistige Eitelkeit zu kitzeln verspricht.

Tracklist:
1) Monk Time 2:47
2) Shut Up 3:16
3) Boys Are Boys and Girls Are Choice 1:26
4) Higgle-Dy – Piggle-Dy 2:31
5) I Hate You 3:36
6) Oh, How to Do Now 3:16
7) Complication 2:23
8) We Do Wie Du 2:12
9) Drunken Maria 1:46
10) Love Came Tumblin‘ Down 2:30
11) Blast Off! 2:15
12) That’s My Girl 2:27

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=