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Maldita Vecindad y los hijos del Quinto Patio – El Circo (1991)
Mariachi meets Postpunk – auf diese Kurzformel könnte man hilfsweise dieses originelle und abwechslungsreiche, für mitteleuropäische Ohren zunächst schwer einzuordnende Album bringen. Die mexikanische Band war mir in den frühen Neunziger Jahren durch einen Konzertmitschnitt im damaligen 1Plus aufgefallen; sie bot einen extrem physischen und energischen Auftritt, für den der Fernsehschirm viel zu klein war und der unmittelbar zum Tanzen aufforderte. Besonders ist mir der Saxophonist, in den Credits sinnigerweise „Sax“ genannt, erinnerlich geblieben: ein riesenhafter Indianer, der als einer von ganz wenigen imstande war, zwei Saxophone gleichzeitig zu spielen. Auch Sänger Roco glänzte durch enorme physische Präsenz sowie enorme Mengen Schweiß.
Das Album, El Circo genannt, enthält viel von dieser gewaltigen physischen Energie, die die Band auf der Bühne verströmt, ist zudem aber auch stilistisch und konzeptuell interessant. Zwischen dem punkig-aggressiven „Pachuco“, dem romantisch-sanften „Kumbala“, dem funkigen „Crudelia“ und dem fröhlich-poppigen Ska-Brüller „Querida“ ist noch reichlich Platz für viele Gimmicks, Poesie und Experimente. Und das alles ist wirklich außerordentlich gewitzt und stimmig arrangiert und von der Abfolge der Tracks in einen tollen Flow gefügt, so dass es großen Spaß macht, das Album von Anfang bis Ende durchzuhören. Wenn man will, kann man da und dort einen etwas konventionellen Gitarreneinsatz bemerken, aber um das kritikabel zu finden, müsste man schon ein reichlich teutonischer Oberlehrer sein.
Eher schon mag man es bedauerlich finden, dass die einzelnen Songs nicht allzu sehr hervorzustechen vermögen. So prima das Album als ganzes funktioniert, fließt es doch trotz der vielen lobenswerten musikalischen Widerhaken recht gleichmäßig ab. Irgendwie fehlen den einzelnen Songs hervorstechende individuelle Eigenheiten, die sie aus dem Album herausheben, und lassen es durchaus zu meinem Bedauern ein wenig zu sehr als Genrewerk erscheinen. Vielleicht zeigt sich hieran, dass Maldita Vecindad… doch in erster Linie eine Liveband ist, die mit ihrer bemerkenswerten Qualität verdientermaßen zu einem Plattenvertrag gekommen ist, im Studio aber (zumindest mit diesem, ihrem zweiten Album) noch keine eigene Sprache gefunden hat. Diese Einschränkung ist aber vergleichsweise geringfügig gegenüber den vielen positiven Merkmalen, die „El Circo“ aufweist. Alles in allem kann ich auch nach 20 Jahren, die es mittlerweile in meinem CD-Regal verbringt, immer noch erfreut „Bravo“ dazu sagen.
Tracklist:
1. „Pachuco“ 3:14
2. „Un Poco de Sangre“ 4:00
3. „Toño“ 3:30
4. „Solín“ 3:11
5. „Kumbala“ 4:27
6. „Un Gran Circo“ 4:11
7. „Pata de Perro“ 3:29
8. „Crudelia“ 2:42
9. „Mare“ 3:38
10. „Otra“ 0:17
11. „Querida“ 3:29
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=