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hal-croves
אור

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Immaculate Fools – Dumb Poet (1987)

Es gibt Platten, für deren schiere Existenz man dankbar sein muss. Und legt man sie auf, weitet sich augenblicklich das Herz, das Gesicht beginnt zu strahlen, man breitet die Arme aus, und fängt man nicht gerade an, das Lied mitzuschmettern, so möchte man doch wenigstens mit aller gebotenen Emphase ausrufen: Das Leben ist schön! Die Rede ist von „Dumb Poet“, dem zweiten Album der Immaculate Fools, und es beginnt ganz programmatisch mit dem Titel „Never Give Less Than Everything“, einem makellosen Pop-Rock-Song für die Ewigkeit. (Es braucht niemand zu glauben, dass diese Besprechung an Euphorie nachlässt; dazu besteht kein Anlass.)

Pop-Rock ist tatsächlich die angemessene Klassifikation für dieses Album, und das ist eines der vielen Wunder, die es bewirkt: dass es dennoch nicht nur nicht abgeschmackt tönt, sondern das genaue Gegenteil hervorbringt: ein grandioses Musikerlebnis, wie es sonst im populären Musikbereich nur das bereits besprochene „Daughter of Time“ von Colosseum bietet. Genauso wie jenes atmet „Dumb Poet“ ein solches Maß von Leidenschaft und ebenso emotionaler wie profunder Musikalität, dass man als Hörer sich in vielfacher Weise geradezu geschmeichelt fühlen darf: nämlich auf den Ebenen von Geschmack, Gefühl und Intellekt sowie auf allen Subebenen, die sich davon ableiten.

Gerade ertönt mit geradezu schüchterner Zartheit eine Melodica in dem großartigen „Wish You Were Here“, einem der herausragendsten Höhepunkte von „Dumb Poet“. Kurz darauf höre ich Kevin Weatherills flehende Stimme, wie er „Don’t Drive The Hope From My Heart“ singt, und der einzige Grund, dabei nicht in Tränen auszubrechen, ist die gehobene Stimmung, die die erste Hälfte des Albums erzeugt hat. Dass er ein äußerst fähiger und gefühlvoller Gitarrist ist, hilft ebenfalls.

Ich kenne dieses Album nun seit mittlerweile 24 Jahren, und ich staune, dass ich es viele Jahre lang nicht angerührt habe. Vielleicht liegt es daran, dass es sich schnell sehr tief in mich eingegraben hat mit seiner makellosen Mischung aus Forschheit, Zartheit, Sehnsucht und Kentischer Schiefmäuligkeit. Und wo eben noch das Herz in flammender Emotion zerfloss, versetzt jetzt „Pretty Prize Now“ den Oberkörper in rockendes Rollen. Diese Platte ist eine wunderschöne Partnerin, die einen nie verlässt.

Ich erinnere mich, wie ich zum Ende meines vorletzten Schuljahres mit einem Freund „Dumb Poet“ in der Schallplattenabteilung des örtlichen Elektronikmarktes entdeckte. Ich sollte das Album mal wieder mit ihm gemeinsam hören.

Tracklist:
1 Never Give Less Than Everything 4:19
2 Tragic Comedy 4:17
3 One Minute 3:24
4 Dumb Poet 6:05
5 So Much Here 2:57
6 Wish You Were Here 4:51
7 Don’t Drive The Hope From My Heart 4:55
8 She Fools Everyone 4:18
9 Pretty Prize Now 5:17
10 Stay Away 6:52

*****

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=