Antwort auf: bft#21 – wahr

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wahr

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vorgartennoch nichts gelesen, sehr schöner mix.
1. kenne ich natürlich. kurze muskelübung im swing, während der meister kurz verschnauft vor dem nächsten 20-minuten-solo, und der gaststar kommt erst gar nicht raus. ungewöhnliche nummer für diese band. aber von anfang an nichts zum cocktailschlürfen, dafür intensiviert das klavier zu sehr. rampensauiger einstieg des leiters und der zug fährt ab. nix mit softly. und die sonne kommt noch lange nicht raus.
2. hier kenne ich mich nicht aus. für django klingt es zu aktuell. die bongos sind ungewöhnlich, deutet für mich auf einen postmodernen pastiche-zugang hin (manches ist sehr europäisch, dann gibt es aber auch so country&western-floskeln von der zweiten gitarre, dazu latin in der percussion). swingt natürlich alles sehr, ist mir aber zu lauschig, das solospiel überrascht nicht, sondern genügt sich im skalen-rauf-und-runter. die abwechslung liegt in der struktur, aber die ist mir zu augenzwinkernd. würde ich bei aller hübschheit privat nicht hören.
3. das ist wirklich hübsch. bass & drums in verschiedenen metren, dazu geraspel, e-piano, frauenchor, streicher, bläser, space-orgel. ¾-takt. könnte aus einem film sein. akkordeon auch noch, oder mundharmonika. wer macht sowas? hip shit à la lalo schifrin vielleicht?
4. einer der vielen magischen anfänge dieses albums. es gibt erstmal einen puls, dann kommt der druck, dann die verzierung. und dann die stimme, die allem einen sinn gibt. ich mag jeden einzelnen akzent, die fantastische rhythmusgitarre, das modernistische e-piano, die weltraumklarinette. und die darauf sich räkelnde hauptfigur. und dann wird ausgefaded, lange bevor mein eigentlicher held seinen senf abgeben darf…
5. toller übergang, wieder zwei schlagzeuger, wieder ein leicht verschleppter groove, ein darübersegelnder hauptdarsteller. hier hält es aber der e-bass zusammen, auf ziemlich unnachahmliche art. auf die gitarristen könnte ich verzichten, aber das dichte durcheinander ist konzept. ich weiß natürlich, wer das ist, aber ich kenne das stück nicht. ich wundere mich immer noch, dass und wie solch ein groove funktioniert, so knapp vorm auseinanderfliegen.
6. meine einzige banderfahrung war in einem solchen trio, gleiche besetzung, es klang auch so. der gitarrist ist allerdings besser als ich. klingt trotzdem nach probenraum. ich mag das dreckige und nicht-perfekte, vor allem des drummers, nur die stop&go-struktur nervt mich auf dauer etwas. der gitarrist müsste etwas cooler oder wenigstens schlechter sein, dann wäre das ein richtig tolles stück. der übergang ist insofern etwas gemein, die band aus #5 kriegt so eine schöne unregelmäßigkeit im schlaf hin, weil sie perfektion langweilt.
7. das klingt auch nach probenkeller. der war nicht zufällig vor 1961 in chicago oder nach 1961 in new york? obwohl – dann müsste ich das kennen. moondog wäre auch noch eine idee. sehr schön auf jeden fall die bariton- (und bass-?)saxes.
8. das kenne ich auch. hat mich mal sehr interessiert, dann sehr schnell nicht mehr. seine technoproduktionen sind ähnlich unswingend und halsstarrig, aber oft auch toll. die sounds sind schön, die dekonstruktionen irgendwie frech, aber die sängerin ist für alle interessanten ansätze zu blass (ihre eigenen sachen mag ich ganz gerne), und goodbye swingtime lässt die frage offen, was dann von sowas übrig bleibt. nichts zum neuverlieben, aber nach wie vor interessant.
9. wieder eine orgie des nichtperfekten. gefällt mir gut, kenne ich nicht. weiße downtownszene, 80er? jemand wie james chance vielleicht? kenne mich da nicht wirklich aus. effekt und aufwand stehen jedenfalls im guten verhältnis.
10. konzeptioneller freier jazz, mit thema. klingt sehr vertraut & europäisch, drummer könnte hemingway sein. oder lovens? tenorsax auch schön, aber ich weiß nicht, ob ich den spieler (die spielerin?) kenne. altsax klingt vertrauter, nach skandinavischer loftmusik-übernahme. ja, tippe auf skandinavien, aus den letzten 5 jahren. mag ich ganz gerne, aber davon gibt es sehr, sehr viel, vor dessen folie ich nicht wüsste, was so besonders hieran sein könnte. die coda verstehe ich nicht.
11. das mag ich sehr. wie heißt der filter, durch den die stimme da durchgeht, so dass sie resonanzen wie eine orgel bekommt? toll. es ist aber auch allgemein toll gesungen. die sounds liebe ich alle, auch das verhuschte, kanalwandernde e-piano mit den ringmodulator-effekten. würde ich jetzt original in die frühen 70er platzieren, und wenn ich jetzt nach textbausteinen wie „silver starlight“ googeln würde (bin gerade im zug ohne w-lan), hätte ich es wohl auch ganz schnell. extralob für das gitarrensolo, das nirgendwohin prescht, sondern sehr der trance einiger weniger figuren vertraut.
12. elektronische drums, sprung in die 80er. ist mir fremd, nullachtfünfzehn-abwärtsbasslauf, unironisch dräuend, aber der gesang dazu ist echt speziell. ein vibrafonsolo hätte ich danach erst mal nicht erwartet. ist auch nicht so gut gelungen, zu lang vor allem. aber deswegen ist das stück wahrscheinlich im bft gelandet. ich warte die ganze zeit, dass wieder gesungen wird. oder was auch immer der da macht. akzent ist – deutsch? französisch? sis is oll häppening?
13. huch, attack from outer space. das trompeten-thema kenne ich, aber ich komme nicht drauf. sehr merkwürdige effekte auf einem atomabfallhaufen – ein mechanisches klavier? naheliegenderweise denke ich wieder an filmsoundtracks, aber vielleicht kenne ich nur deine plattensammlung nicht. tolles ding, könnte natürlich auch so in arkestra-repertoire wandern. aber was ist das gefrickel am ende? einer von mehreren bedeutungsschwangeren codi, die es eigentlich nicht braucht.
hat großen spaß gemacht, ist mir irgendwie zu schnell vorbei, bin sehr auf die auflösung gespannt. #5 ist wohl mein höhepunkt, neben den beiden klassikern. hat auf jeden fall einen schönen flow, der mix, obwohl es ganz verschiedene sachen sind. der jazzanteil ist schon hoch, aber aus ziemlich origineller perpektive eingespielt. danke!

Exzellente Kommentare, @vorgarten! Man merkt, dass du ein sehr, sehr feines Gespür für Musikstrukturen hast und extrem gut Jazz „lesen“ kannst, selbst bei unbekannten Stücken fast schon beängstigend gut liegst. Du solltest professionell über Musik schreiben. Ich würde es kaufen. Mich freut natürlich, dass dir der Mix gefällt. Die „originelle Perspektive“ des Mixes ist eben dem Umstand geschuldet, dass ich mich im Jazz nur sehr sehr wenig auskenne und schon deswegen ganz automatisch anders herangehe und nur begrenzte Quellen zur Verfügung habe.

Ein paar Kommentare zu den Tracks:

2: Der Country & Western- Einschlag, den du spürst, bringt dich auf die richtige Spur: Es sind Amerikaner, die hier spielen. „Postmoderner Pastiche-Zugang“ ist nachvollziehbar, da die Musik eben verschiedene Elemente verbindet und in postmodernen Zeiten Anfang der 1990er aufgenommen wurde. Der Gitarrist (und auch der Mandolinist) hat seine Roots aber eigentlich in der Old Time Music, wurde aber in einer anderen Band bekannt, die ich aber nicht so schätze.

3: „wer macht sowas? hip shit à la lalo schifrin vielleicht?“ Vielleicht. Aber nee, doch nicht. : )

4. Ich denke, da sind sich bisher alle Beteiligten einig: Fantastisches Stück, enorm spannend auf Makro- und Mikroebene. Von dir absolut großartig beschrieben! Der Track wird übrigens nicht von mir ausgeblendet, falls das jemand vermutet, sondern fadet „offiziell“ nach 2:50 min aus. Es ist ein Single-Edit. Wobei Edit übertrieben ist: Es ist nichts verändert worden und wird einfach nur ausgeblendet. Auf der anderen Seite der Single ist ebenfalls ein Track vom gleichen Album enthalten. Auch der wird nach 2:50 min ausgeblendet. Total stumpfe Herangehensweise. Wahrscheinlich wurde 2:50 als die radiokompatibelste Länge von irgendwelchen CBS/Columbia-Statistikern ausgerechnet. Trotzdem verändert sich die Wahrnehmung der Musik, wenn man sie kürzt. Ich habe vorher nie so intensiv und konzentriert auf den Groove gehört. Wahrscheinlich, weil ich mich unbewusst bei den originalen 17 Minuten auf eine längere Reise mit anderen Entwicklungsverläufen einstelle.

5. Genau: Das hält irgendwie nur knapp zusammen und ist trotzdem in einer kaum nachzuvollziehenden Balance.

6. „Recorded Live to Cassette … in magnificent MONO Sound (November/December 1984 Phoenix Arizona“). Probenraum stimmt. Wie ich schon an anderer Stelle schrieb, besteht der Track aus lauter typischen Endsequenzen. Den Anfang macht immer der Bass, dann gehen Drums und Gitare drauf, alle improvisieren ein bisschen, dann geht’s wieder dem Ende zu. Ich finde, sie machen das sehr unterhaltsam. Vor der finalen Endsequenz merkt man dem Gitarristen an, dass er eigentlich schon Schluss machen will, der Bassist aber entlässt ihn nicht und läutet nochmal eine Runde ein, die der Gitarrist dann nach kurzem Schweigen etwas lustlos zuende spielt, dann aber zum echten Ende hin – vielleicht als er merkt, dass nun wirklich Schluss ist – spielt er erleichtert nochmal ganz kurz inspiriert auf und bringt eine klitzekleine arabische Notenfolge ein. Die ist vielleicht auch der Reisefreudigkeit des Gitarristen geschuldet, mit späteren längeren Aufenthalten in Ägypten, Marokko oder Indonesien …

7. Absolut richtige Fährte. Sogar die Jahreszahl könnte hinkommen. Muss ich mal recherchieren.

9. 80er? Ja. James Chance? Nein. Dafür klingt es auch zu euphorisch und zu unkaputt. Aber beim Nachlesen wird ja eh klar, um wen es sich hier handelt. NoFi-Helden.

10. Was ist „ skandinavische loftmusik-übernahme“? Klingt großartig! Ansonsten absolut auf der richtigen Spur: Skandinavien. Coda (mir) unbekannt. Reine Frauenband, die die Attacke im Namen führt. Ich finde die Musik aber gar nicht attackierend, sondern sehr abwechslungsreich und lyrisch. Sie hat zwar einen festgelegten Rahmen, sitzt darin aber ganz locker. Wieder so ein Track, der ein guter Schlüssel sein kann, diesmal um freieren Jazz zu mögen, ihn eben nicht als ein chaotisches Durcheinander der Gleichzeitigkeit zu begreifen (und auszuführen). Das extrem ruhige Ende finde ich ebenfalls klasse. Ruhiger Freejazz, der so ähnlich klingt wie die letzten anderhalb Minuten: An weiteren Beispielen wäre ich sehr interessiert.

11. Sehe ich alles genau so wie du: Stimme, Effekte, Solo sind sehr toll. Anfang der 70er stimmt.

12. Deutscher Akzent. Lieblingsplatte. Eine Niedersachsen-Platte, siehe auch die Ausführungen von lotterlotta.

13. Absolut richtig, das Gefrickel hät’s nicht gebraucht. Wäre aber sonst auch nicht auf der Platte der Frickler gelandet. Soundtrack stimmt auch.