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friedrichDann mal los: # 01 Also ich kenne das nicht! Hört sich zunächst nach einem gepflegtem Einstieg mit Piano Trio an, ganz gefällige und hübsch sprudelnde Sache bis das Sopransax reinplatzt und für richtig Wirbel sorgt. Auf dem Sopran gibt‘s ja nicht so viele übliche Verdächtige und bei den Tonkaskaden, die hier herausströmen, kann es eigentlich nur der Eine sein. Schön, wie sich das hier nach gelassenem Start mit dem Einstieg des Saxes (und mit dem Einsatz der Becken bei den drums!) auf einmal öffnet und die Intensität angezogen wird. Als hätte jemand einen Springbrunnen angestellt. #02 Gipsy Jazz? Aber dann kommt mit der Perkussion so ein latin touch rein. Aber in diesem Genre gibt es sicher reichlich Kulturmigration. Zwei Gitarren, Bass, die Perkussion ist etwas unterstated, bekommt aber auch ihr kleines charmantes Solo, ebenso wie der Bass. Das sprudelt sehr lebhaft, ist eine tolles Zusammenspiel, wechselt öfter mal den Fokus und schließt in sofern sehr schön an #01 an. #03 Understatete percussion auch hier, Bass, Mundharmonika, Gitarre, E-Piano: Da kommt ein weiteres kulturelles Amalgam auf mich zu. Damenchor, Orgel, Bläser, hier wird nichts ausgelassen. Ich möchte das in Brasilien verorten, irgendwo zwischen Jazz, Samba, Easy Listening und Exotica, aber sehr schön und raffiniert. Die Leichtigkeit ist hier nur eine scheinbare und man hat das Gefühl, dass die Musiker nach dem Schlussakkord erleichtert auflachen, weil ihnen dieses Kabinettstückchen so gut gelungen ist. #04 Das ist in meinen Ohren ein großartiger Schnitt auf ihr-wisst-schon-wen mit ihr-wisst-schon-was, den man ja eher nicht irgendwo zwischen Jazz, Easy Listening und Exotica verorten würde sondern im ernsten Fach, der hier aber mit einer kleinen Akzentverschiebung ebenso überraschend wie passend anschließt. Auch hier wieder ein buntes musikalisches Amalgam aus verschiedensten Einflüssen und verschiedensten Stimmen. Ich höre das in diesem Zusammenhang auf einmal ganz anders. Danke! Nur ein kurzer Edit, der etwas knistert? Ich habe davon eine uralte CD, die aber irgendwie dumpf klingt. Muss ich wohl ggf. mal austauschen. #05 Ein post-Bitches Brew Fusion Stück, das hier zwar gut anschließt, in meinen Ohren aber bemüht raffiniert klingen will und nicht wirklich funktioniert. Das will funky sein, traut sich aber nicht, mal ganz einfach geradeaus zu spielen, verzwirbelt die verschiedenen Stimmen unnötig kompliziert und ist für mich am Ende weniger als die Summe seiner Teile. #06 Das klingt wie aus dem Probenraum, ist noch nicht ganz fertig und holpert noch heftig. Wieder so eine Fusion-Sache mit funky bass‘n‘drums und Rockgitarre. Der groove klingt manchmal fast wie Sly Stone. Ist der Gitarrist der gleiche wie bei #04? Ich verorte das in jener Zeit und an jenem Ort. Muss man noch etwas dran arbeiten, aber kann sehr schön werden.
#07 Wow, hier höre ich eine Brass Band, ein Voodoo Ritual, eine Blaskonzert und Sun Ra (oder so) gleichzeitig, aber ohne Sun Ra. Toller groove und auch der Klang der Bläser ist sehr schön. Straßenkapelle oder Konzerthaus? Ah, ich hab‘s: Das ist der Normanne, der gegenüber dem Hilton Hotel stand. Was hat dieser Mann nicht alles gehört, was andere nicht gehört haben? Wunderbar! #08 Es bleibt volleklektizistisch, hier wird der Jazz sogar durch die elektronische Mühle gedreht und anders wieder zusammengesetzt als vom Hersteller vorgesehen. Der Urheber ist ein Brite, der gerne auch mal unter wechselnden Pseudonymen eigenartige Konzeptalben aufnimmt, in denen z.B. ein Schwein die Hauptrolle spielt. Hier verwurstet er aber Swing und man sollte das sicher nicht zu sehr unter dem Gesichtspunkt eines musikalischen Reinheitsgebots hören. Dieser Brite ist ein wandelnder Eklektizismus. Ich mag das sehr, hatte auch mal eine Kopie des Albums, von dem dieses Stück stammt, die mir aber kaputt gegangen ist.
Ich erinnere mich vage, dass ich das sogar mal im Ich-höre-gerade-Jazz-Thread gepostet hatte, jedoch ohne eine Reaktion zu bekommen. #09 Ein harter Schnitt, Jazz-Noise, oder so. Irgendwo aus der 80er No Wave Szene, die ja vieles lustvoll zerlegte? Oder sind‘s die Halben Japaner? Ja, sie sind‘s! Oh no, meine Konzentration!
#10 Verglichen mit #09 klingt das ja gefällig, aber für meine Ohren ist das auch sehr aus den Fugen geraten. Ich bin etwas besorgt, in welche Richtung dieser Blind Fold Test abdriftet.
#11 Spät 60er / Früh 70er Rock, irgendwie progressiv, psychedelisch. Der elektronisch verzerrte Gesang zieht in meinen Ohren etwas zu viel Aufmerksamkeit auf sich und lässt das etwas dated klingen aber dieser understatete groove, oder eher flow gefällt mir sehr. Vielleicht ist das näher an In A Silent Way als an Led Zeppelin. #12 Etwa gleiche Ära. Sicher ist der Sänger mit dieser Stimme nicht die Idealbesetzung und offensichtlich ist Englisch nicht seine Muttersprache – das scheint eher Deutsch zu sein. Insofern finde ich die Instrumentalbegleitung besser als den „song“. Aha, ein Vibraphonsolo im Rockbereich? Hört man eher selten. Klingt interessant, aber auch noch nicht so ganz fertig und etwas steif. „While the recording engineer sleeps“: LOL! #13 Großes Kino (Spaghetti Western? Könnte passen, wäre da nicht der Gong …), das durch elektronisches Fiepen sabotiert wird. Und dann noch 30 Sekunden Nachhall … Es liegt der Verdacht nahe, dass hier ein Elektroniktüftler am Werk war, der dieses Stückchen Filmmusik als Sample benutzt. Ich denke, das muss man im Kontext hören, so bleibt es etwas fremd – es sei denn es steht in Zusammenhang mit anderen Stücken dieses Blind Fold Tests, den ich aber leider nicht erkennen kann. Einige Stücke, die mir sehr gefallen, interessanter Stilmix, der sich bis in die einzelnen Stücke hineinzieht und die Genregrenzen überspringt. Sehr reizvoll finde ich in einigen Fällen die Art, wie die Stücke aneinandergereiht sind, das verändert die Perspektive des Hörens völlig. Manches irritiert mich und manches geht mir auch völlig an den Ohren vorbei. Ich glaube ich habe 5 Interpreten erkannt: Für meine Verhältnisse ein respektables Ergebnis. Vermutlich einer der ganz wenigen Blind Fold Tests bislang, die ohne ein einziges Hard Bop Stück auskommen. THX!
erstmal vielen dank für deine ausführlichen kommentare. mich freut besonders, dass es dir ähnlich ergeht wie mir: tracks, die in bestimmte andere tracks eingebunden sind, klingen plötzlich anders, weil sie einen anderen fokus bekommen. das ging mir beim zusammenstellen auch so.
2: ja, man merkt da schon stark den django-reinhardt-einfluss.
3: brasilien ist es nicht, aber der kontinent stimmt. super erkannt, dass der leichtigkeit hier etwas entgegensteht. ich denke, es ist die genauigkeit, mit der alles sitzt. eine gewisse strenge.
4: ich war auch überrascht, wie gut das nach 3 passt.
5: ich mag hier komischerweise das steife und kühle gerne, der eindruck, hier würde auf den theoretischen teil eine praktische prüfung folgen. aber ich fürchte, der kandidat hat bei dir und lotterlotta die prüfung nicht bestanden.
6: der gitarrist ist nicht der gleiche wie auf 4. die aufnahme ist auch später entstanden.
10: moderat und trotzdem frei um einen rahmen spielend. ich mag die verschiedenen stimmungen, verdichtungen und lockerungen in dem stück sehr gerne. ich hatte noch ein anderes stück ausgewählt von einem anderen projekt von einem der mitwirkenden hier, und das war dann aber straight durchgezogner in-die-fresse-free-jazz mit untergehobenem rockfeeling. fand ich dann aber nur halb so interessant.
11. „Vielleicht ist das näher an In A Silent Way als an Led Zeppelin“. das gefällt mir. weil es stimmt und sowieso die bessere wahl ist.
12. das vibraphonsolo ist auch von einem amtlichen nichtrocker eingespielt.
Klasse Kommentare von dir, in vielem kann ich mich wiederfinden, wir haben ja eh so unsere musikalischen gemeinsamkeiten, ich denke da spontan an das feld zwischen dub/reggae und jan jelinek. ich schätze auch den humor, den du immer einbringst in die texte.
eine bemerkung noch: ist es beim bft nicht eigentlich usus, nicht gleich zuviel zu verraten, wenn man einen track erkannt hat? ich hätte mir gewünscht, wenn du mit der – noch dazu verlinkten – enträtselung etwas gewartet hättest.