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masterplan & kurzzeiteffekt – pharoah in den 90ern
es sah zunächst danach aus, dass sanders ende der 80er im ewigen coltrane-gedenkgottesdienst stecken bleibt. der schlussteil der trilogie für timeless markiert ein balladen-album (WELCOME TO LOVE, 1990), kurz danach stellt er ein ähnliches programm für zwei venus-alben vor (BALLADS WITH LOVE, CRESCENT WITH LOVE, beide 1992), mit der new york unit (hicks, davis, nakamura) spielt er „naima“ und „greensleeves“ ein (OVER THE RAINBOW, 1992). mit coltrane assoziierte balladen, die vor der zeit mit sanders aufgenommen wurden, finden zwar auch ihren weg in sein live-repertoire (ich denke nicht, dass man ihn dazu zwingen musste, sie zu spielen), aber dort gibt es eben auch „olé“, „welcome“ und „mr. pc“ zu hören.
die erste gegenläufige entwicklung in den 90ern ist, dass sanders plötzlich auch bei aktualisierungen der coltrane-spätphase dabei ist. das fängt direkt mit sonny sharrocks fusion-meisterwerk ASK THE AGES (1991) an, das bill laswell produziert und bei dem elvin jones und charnett moffett den entsprechend schwergewichtigen groove legen. 1994 entsteht in kanada das hochenergetische album SOLOMON’S DAUGHTER von franklin kiermyer, auf dem sanders mühelos an seine soli bei coltrane anschließen kann. 1996 teilt er sich dann mit john zorn die gastauftritte auf james ‚blood‘ ulmers letztem music-revelation-album CROSS FIRE, wo der ekstatische ansatz sich mit einem colemanschen polyrhythmusgeflecht verzahnt. etwas weniger erfolgreich fallen 1997 mehrere aufnahmen mit tisziji muñoz (vor allem SPIRIT WORLD) aus, bei denen sanders wieder auf rashied ali trifft. mit sharrock, ulmer und muñoz ist sanders auch live unterwegs.
die zweite verjüngung der sanders-karriere setzt durch bill laswell ein, der die aufnahmen aus essaouira, die während eines staatlichen kulturausstauches im haus von maleem mahmood ghania und seiner erweiterten familie entstehen, zu einem in sich stimmigen gesamtkunstwerk zusammenbaut (THE TRANCE OF THE SEVEN COLORS, 1994). kurz danach produziert laswell dann MESSAGE FROM HOME für verve (1995), das einerseits eine aktualisierung der hybriden meisterwerke für theresa aus den frühen 80ern hinbekommt (spritual jazz mit weltmusik-anleihen über infektiösen grooves), andererseits als laswellsches ambient-schichtwerk auf eine in den 90ern völlig neue zielgruppe trifft. plötzlich ist sanders wieder da, verfolgt einerseits weitere sonorische recherchen mit weltmusik-stars (hussain, gurtu, muso susa, rudolph), u.a. im verve-nachfolger SAVE OUR CHILDREN (1998), lässt sich andererseits als lebender spezialeffekt auf den weniger erfolgreichen laswell-projekten unterbringen (jah wobble, ayib dieng, arcanas ARC OF TESTIMONY mit tony williams, WITH A HEARTBEAT mit gurtu und graham haynes).
mit dem major verve läuft es zwischenteitlich ziemlich gut, sanders taucht auf sessions von mseleku, turre, randy weston und terry callier auf, er lässt sich allerdings zu lange zeit, um einen exklusivvertrag zu unterschreiben. 1994 kommt tommy li puma, der mit sanders nichts anfangen kann, 1998 fusioniert verve mit polygram/grp, damit ist er draußen.
beim weiteren großen trend der frühen 90er, acid jazz, partizipiert sanders als auratischer fremdkörper, beim von laswell eingestielten auftritt mit den last poets für den RED HOT + COOL sampler STOLEN MOMENTS (1994), an den sich das gemeinsame album TIME HAS COME (1996) anschließt, damit bleibt er allerdings dem improsegment des proto-rap verpflichtet. interessant allerdings, dass sanders zum coverboy der bewegung wird:
wie sanders sich überhaupt im umfeld des ende der 80er entfachten neuen marktinteresses am jazz bewegt, ist durchaus interessant. bis auf einen schönen auftritt mit wallace roney und geri allen (VILLAGE, 1996) gibt es wenig berührungspunkte mit jungen löw*innen. in einem sehr ehrlichen interview beklagt er sich über die eigenart junger musiker, schon alles zu wissen, auf kleine schöne abgezirkelte soli aus zu sein, nicht an der gesamtenergie der band interessiert (etwas, was er nochmal mehr für die westküste diagnostiziert, wo er hauptsächlich auftritt). die spannenden leute, die mit ihm wie in den 60ern und 70ern über lange bögen die stücke aufbauen, bei denen ein bass-solo (wie von stanley clarke) der musik eine völlig neue richtung geben kann, verlangen allerdings in den 90ern zu hohe gagen.
unter sanders‘ weggefährten aus den 60ern und 70ern, mit denen er z.t. in den 90ern noch spielt, gibt es in dem jahrzehnt einige traurige verlustanzeigen (ganz abgesehen von der lücke, die der tod von miles 1991 im jazzrock und -funk reißt): blackwell stirbt 1992, sun ra 1993, sonny sharrock 1994, cherry und gilmore 1995, tony williams 1997.
sanders hält dagegen an seinem pianisten william henderson fest, tatsächlich in den 90ern ohne alternative – und der wiederum liefert zuverlässlich jedes mal wieder beseelte, überschuss-verliebte spiritualjazzige soli ab. bassisten und schlagzeuger rotieren: jeffrey littleton, steve neil, für kurze zeit moffett, auch mal debriano, vor allem aber alex blake sind gefragt – unter den drummern machen ralph penland, cindy blackman, winard harper, victor jones, yoron israel und hin und wieder hamid drake auf sich aufmerksam. mit letzterem gelingt z.b. 1999 in leverkusen, wo „shukuru“ am ende des bass-solos von alex blake plötzlich in einen reggae übergeht, was sanders ansonsten vermisst:If you build the intensity up to where I can come in on that energy, that is what I want. Then you would see me playing for a long time. If I have to do it all by myself, then it is not working right. I look at it that the whole band is like one big solo. I like to build. If nobody is building with me, then there is no sense in me trying to play because that is not creative. You never get a lot of creativity out of me because I am not pushed to do it. Nobody is looking at the energy. They are all looking at the piece of music and this guy is soloing and they already have it all figured out. I could play the whole set by myself and I am giving them a chance to play and be heard and they don’t take advantage of that and do something with it, then it is not going anywhere. That is why I am not getting enough work because I would like to work all the time. Nobody really calls me. Ever since I have been playing, I never worked every month. I will work this month and then I am off two months. That is the way it has been going. I don’t know why, but I guess that is just the way it is.
sanders lebt von tantiemen und permanenten auftritten im quartett (manchmal plus indischer percussion), feste usa-engagements finden jährlich im yoshi’s in oakland und in der new yorker knitting factory statt. die 90er jahre enden mit AFRICA N’DA BLUES (1999), einer zusammenarbeit mit kahil el’zabars ritual trio. coltrane-wolken, ethno-klangforschung, vibration, alte tricks, klappengeräusche, gesang, geraune, schreie durch das metall, schwarze erfahrung, tradition und ritual, langer aufbau der sounds, verschmitzter altherrenclub – alles dabei.
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Werbungdanke fuer den schoenen Text! Das Jazz Thing Heft oben duerfte die erste oder zweite Musikzeitschrift gewesen sein, die ich mir gekauft hab, ich fand es damals sehr gut…
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.redbeansandriceDas Jazz Thing Heft oben duerfte die erste oder zweite Musikzeitschrift gewesen sein, die ich mir gekauft hab, ich fand es damals sehr gut…
das originalporträt ist auch ganz schön (von alice arnold):
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in der Tat!
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.Danke auch von meiner Seite! Gerade nachgeschaut, ausser den Ballads-Alben von 1992 habe ich da nur noch ein einziges Album, „Divine Radiance“ von Tisziji Muñoz (das ich allerdings als nicht sooo super abgespeichert habe). Die Alben von Kahil El’Zabar mit Shepp bzw. Sanders habe ich beide nicht. Hmmmm.
(Und korrigier* doch noch den Tippfehler, „Backwell“ )
*) ich weiss, sowas darf grad ich nicht verlangen
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soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
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Guader Text …. btw die „Jazzthing Ausgabe der Herzen“ fand damals auch zu mir nach Hause ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)soulpopeGuader Text …. btw die „Jazzthing Ausgabe der Herzen“ fand damals auch zu mir nach Hause ….
Zu mir leider nicht, aber alle diese Zeitschriften waren auch furchtbar teuer – wenn ich für den Kaufpreis eine OJCCD kaufen konnte, war der Fall für mich halt immer klar
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(Und korrigier* doch noch den Tippfehler, „Backwell“ )
*) ich weiss, sowas darf grad ich nicht verlangendoch, klar, danke für den hinweis.
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Pharoah Sanders ist gestorben: https://www.sueddeutsche.de/kultur/pharoah-sanders-gestorben-saxofonist-free-jazz-1.5663193
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How does it feel to be one of the beautiful people?
soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
Beiträge: 56,509
Pharoah Sanders ….nun geht diese leuchtende Reise „drüben“ weiter …. diesseits für mich viel Freude und sein Schaffen immer auch eine mögliche Teilantwort auf die Frage „Was wäre wenn John Coltrane nicht so früh gegangen wäre aus ihm über Jahre geworden“ …. es gilt „the creator has a master plan“ – sichere Überfahrt und R.I.P ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)oje, ich hatte es befürchtet, sein sohn machte gestern schon auf facebook andeutungen. aber es passiert selten genug, dass man mit einem karrierehöhepunkt nach so viele höhepunkten abtreten kann. es wird noch einiges kommen, denke ich, das aufwändig organisierte konzert zum 80. ist noch nicht raus. und mir fällt gerade auf, dass ich noch die letzten zwanzig jahre nachholen muss.
großes glück, ihn zweimal live gesehen zu haben, einmal mit seiner vielleicht besten späteren bands (orrin evans, matthew garrison, will calhoum), die ihn nochmal richtig herausfordern konnte, in den nullern, in einem recht intimen rahmen… tolle, enigmatische figur. ich glaube, ich bin überhaupt erst hier ins forum eingestiegen, weil ich über AFRICA schwärmen wollte…
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Warum müssen Menschen sterben?
sanders im juli 1980 als gast im pullen/adams-quartet, hier in nîmes, die waren aber auch zusammen laut programm beim northsea festival. fliegt an mitschnitten davon irgendwas im netz herum?
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Even as Sanders is reaching dizzying heights of rapture and dissonance—even, perhaps, as he is most closely apprehending the elusive something he sought—it is still possible to hear his roots as an R&B player and a guy who saw music as a means to keep food on the table, as well as a route toward holiness.
alan cush demystifiziert sanders in seinem sehr lesenswerten nachruf für pitchfork ein wenig, kriegt aber trotzdem zu fassen, was man das besondere nennen könnte.
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Im Guardian ist ebenfalls ein guter Nachruf erschienen:
https://www.theguardian.com/music/2022/sep/26/a-church-with-open-doors-the-ecstatic-power-of-pharoah-sandersDas erwähnte New Yorker-Interview, im Januar 2020 publiziert, das Gespräch fand im Herbst 2019 statt:
https://www.newyorker.com/culture/the-new-yorker-interview/if-youre-in-the-song-keep-on-playing-pharoah-sanders-interview--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
Schlagwörter: Freejazz, Jazz, Pharoah Sanders
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