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sandmanSind dir ihre Motive wirklich klar geworden? Ich hatte nach dem Lesen keinerlei Gefühl was für ein Mensch sie wohl gewesen war.
Nein, nicht eindeutig. Sie bleibt rätselhaft. Der (bessere) Originaltitel des Buches, den ich auch aus gutem Grund im Anfangspost erwähnt habe, lautet ja auch The Search For Nica. Ob Hannah Rothschild Pannonica so ganz gefunden hat, bleibt damit offen. Ich meine: Hat sie nicht. Hannah R. schreibt das aber auch und bietet verschiedene Lesarten der von ihr gesammelten Fakten an, ohne sich auf eine bestimmte festzulegen.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)Highlights von Rolling-Stone.deDiese 24 Songs retten jedes Weihnachten
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WerbungPannonica kommt als wohlhabende weiße Frau, die die Sicherheit ihrer Herkunft nicht wirklich aufgegeben hat, in eine Gesellschaft, die weder Geld noch Einfluß noch Sicherheit hat und macht sich unentbehrlich.
Bin ich jetzt die einzige die das komisch findet?
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vorgartensonny rollins‘ hochpreisungen von pannonica fand ich dagegen immer schon sehr beachtenswert.
Kannst Du hierzu einen Link posten. Das interessiert mich sehr.
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z.b. hier:
„she never put the spotlight on herself. I try not to talk publicly about people I knew in jazz. But I have to say something about the baroness. She really loved our music.”
„She was monetarily helpful to a lot who were struggling. But more than that, she was with us. By being with the baroness, we could go places and feel like human beings. It certainly made us feel good. I don’t know how you could measure it. But it was a palpable thing. I think she was a heroic woman.”
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gypsy tail wind (…) Persönlich sicherlich nicht leicht, aber wenn man sich sein ganzes Leben nie um Kohle einen Gedanken machen muss, nie auf eigenen Füssen stehen, sein eigenes Leben verdienen muss, ist man zugleich von 99% oder noch mehr aller normalen Menschen sehr, sehr weit weg. Ohne eine mögliche persönliche Tragödie ausblenden zu wollen (der „Verrat“ an den eigenen Kindern – aber für diese war das wohl nochmal sehr viel schwieriger als für die Mutter, denn die Kinder hatten ja keine Wahl), ist das doch eine sehr komfortable Ausgangslage.
Volle Zustimmung. Wobei ich das Emotionale dabei auch nicht unterschätzen würde. Es geht ja auch um sowas wie Identität. Und das kann keiner abschütteln, egal wie reich er ist. Es gehen selbst Millionäre und Millionäre daran zugrunde, wenn sich ihre Familie von ihnen trennt – obwohl sie aufgrund ihrer finanziellen Ausstattung angeblich alle Freiheiten der Welt haben. „Verrat an den eigenen Kindern“ ist hart formuliert. Ob man es so nennen kann weiß ich nicht. Für Nica war es der Preis ihres Lebenswandels und kein Anwalt der Welt hätte ihr das Sorgerecht für ihre Kinder zugesprochen. Übrigens berichtet Hannah R. auch von zwar wohl nicht offenem, aber doch manchmal nicht zu verbergenden übermäßigen Alkoholkonsum durch Nica, möglicherweise nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie auch vieles zu vergessen hatte. Und vergiss die Katzen nicht. Jemand nannte mir gegenüber Katzen mal „Ersatzkinder“.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)sandmanPannonica kommt als wohlhabende weiße Frau, die die Sicherheit ihrer Herkunft nicht wirklich aufgegeben hat, in eine Gesellschaft, die weder Geld noch Einfluß noch Sicherheit hat und macht sich unentbehrlich.
Bin ich jetzt die einzige die das komisch findet?
Nein, aber auf genau dieses Paradoxon weise ich ja wiederholt hin.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)vorgartenich finde es sehr auffällig, dass man weder bei der baronin noch bei nellie wirklich etwas über ihre beweggründe und ihr selbstverständnis weiß und dass sie auch in solchen berichten nicht als menschen plastisch werden („embodiment of true black love“…??). die wenigsten hat es wahrscheinlich über die vorurteile und klischees hinaus interessiert. sonny rollins‘ hochpreisungen von pannonica fand ich dagegen immer schon sehr beachtenswert.
es gibt ja noch weitere faktische erfahrungen, die einfache lesarten sehr schwierig machen – dass der großteil ihrer familie von den nazis ermordet wurde (wie golden mag einem der käfig da noch erscheinen?) und dass ihr vater depressiv war und sie das leben nahm, als sie 10 war. aber auch das lässt keine erklärungen darüber zu, warum sie protagonistin einer jazzszene wurde und sich jahreland um monk gekümmert hat. mich beschleicht ein bisschen der verdacht: so richtig gefragt hat sie zu lebzeiten niemand. und das, was nellie gemacht hat, wurde eben als true black love ohnehin vorausgesetzt.
True black love, auf solchen klischeehaften Schwachsinn gehe ich gar nicht erst ein. Grauenhaft, und (nicht nur) als afro-amerikanischer Autor sollte man sich besser überlegen, was man schreibt.
Die Depressionen und den Suizid von Pannonicas Vater habe ich unterschlagen, aber mein Text war sowieso schon viel zu lang. Man kann bei Hannah R. aber auch herauslesen, dass in der Familie über vieles nicht gesprochen und unter den Tisch gekehrt wurde. Die Rothschilds waren eine verschworene Gemeinschaft, für die das Bild der heilen Welt nach außen sehr wichtig war. Nicht verwunderlich, wenn man Bankier ist und auch noch jüdisch. Es gab bei den Rothschilds auch mehr oder weniger arrangierten Heiraten unter Verwandten, was Hannah R. als eine mögliche Ursache für das häufige Auftreten für diese oder jene Krankheit auszumachen meint. Darin unterscheiden sie sich aber auch nicht vom normalen europäischen Adel.
Zu Lebzeiten hat wohl tatsächlich niemand Pannonica zu ihren Beweggründen gefragt. Hannah R. versucht nachträglich, ein Bild zu entwerfen, aber dieses Bild bleibt unscharf und voller Widersprüche. Ich frage mich, ob Pannonica selbst präzisere Auskunft hätte geben können.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)noch ein schneller fund. kennt jemand eigentlich das buch von kastin über pannonica?:
In the spring of 1955, when Charlie Parker died in her lavishly appointed apartment, Nica’s photo was splashed across the pages of local newspapers, accompanied by lurid, racially tinged stories that cast her as an evil seductress in exotic furs and designer frocks. “Blinded and bedazzled by this luscious, slinky, black-haired, jet-eyed Circe of high society, the Yardbird was a fallen sparrow,” was how the tawdry gossip rag Expose described her role in Parker’s death. This toxic blend of race and sex would continue to stain Nica’s reputation for most of her life.
But the memoirs of an array of jazz greats (two dozen of whom wrote compositions in her honor), and interviews with musicians, journalists and jazz-world insiders who she befriended over three-plus decades, tell a very different story. For example, in 2008, when I sat down with the great singer and songwriter Jon Hendricks, who wrote a heartfelt tribute to her, titled “Little Butterfly” (set to the melody of Thelonious Monk’s “Pannonica”), he described Nica as a heroic figure who was not only an unstinting benefactor to the jazz community, but someone who was able to see past the era’s pervasive racial stereotypes. “To her, Thelonious and Bird were not just ‘hip jazz musicians,’” Hendricks told me, “they were great cultural artists. And she treated them that way.” Monk was even more succinct. In a conversation with a fellow musician late in his life, he simply called Nica “the best friend I ever had.”
von hier.
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vorgartenz.b. hier:
„she never put the spotlight on herself. I try not to talk publicly about people I knew in jazz. But I have to say something about the baroness. She really loved our music.”
„She was monetarily helpful to a lot who were struggling. But more than that, she was with us. By being with the baroness, we could go places and feel like human beings. It certainly made us feel good. I don’t know how you could measure it. But it was a palpable thing. I think she was a heroic woman.”
Spricht er hier von einem Menschen oder von der Besitzerin eines Adelstitels? Sie fühlten sich aufgewertet. Wahrscheinlich ist es komplexer.
Ja … ich glaube ich beginne das alles zu verstehen. Formulieren kann ich es noch nicht.
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Friedrich
Zu Lebzeiten hat wohl tatsächlich niemand Pannonica zu ihren Beweggründen gefragt. Hannah R. versucht nachträglich, ein Bild zu entwerfen, aber dieses Bild bleibt unscharf und voller Widersprüche. Ich frage mich, ob Pannonica selbst präzisere Auskunft hätte geben können.naja, vielleicht mag man ihr hier wenigstens zugestehen, dass sie wusste, was sie tat. ich finde es, ohne wahrheitsgehalt oder plausibilität als kriterien ins spiel bringen zu wollen, einfach sehr bezeichnend, dass sich zu lebzeiten wohl niemand wirklich für pannonica oder nellie so sehr interessiert hat, dass man heute, in zeiten größeren interesses für interessante weibliche biografien (so verstehe ich auch hannahs fragen), ein schärferes bild zeichnen könnte. chance vertan. ich lese allerdings nur geringschätziges über pannonica aus der perspektive von presse und familie, nicht aus jener der musiker. und das finde ich nicht komisch, sondern bezeichnend. (wenn man unterstellt, dass sich jemand unentbehrlich gemacht hat, macht man ja auch diejenigen klein, die entbehren – und das mag ich in fällen wie mingus, rollins und baraka nicht so recht übernehmen.)
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sandmanSie fühlten sich aufgewertet. Wahrscheinlich ist es komplexer.
oder einfacher: sie fühlten sich gewertschätzt.
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das find ich jedenfalls sehr gute Fragen… diesen Impuls „warum hat damals eigentlich nie einer dran gedacht, mal zu fragen, was diese Leute sich dabei denken“ hab ich oft… that said: dieses Foto wo Monk in die Leere starrt, während Nica aus dem Bentley nach seiner Schulter greift, hängt hier als constant reminder woran auch immer neben meinem Schreibtisch… (daneben ist das Foto von Coleman Hawkins und Sonny Clark in Nicas Pelzbademänteln, und darunter der Stich, auf dem mich angeblich mit vier Jahren die Darstellung des „Priesters der Kalmücken“ immer so erfreut hat)
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.vorgarten (wenn man unterstellt, dass sich jemand unentbehrlich gemacht hat, macht man ja auch diejenigen klein, die entbehren – und das mag ich in fällen wie mingus, rollins und baraka nicht so recht übernehmen.)
Das habe ich nicht so gemeint, wie du es unterstellst. Für Monk war sie unentbehrlich. Und für andere vielleicht auch. Das ist eine Tatsache und hat nichts mit „klein machen“ zu tun.
Und es besteht immer die Möglichkeit dass sie einfach ein netter Mensch war, dem es Freude gemacht hat anderen zu helfen.
Dass sie ihre Sicherheiten nicht aufgibt ist verständlich. Und dass die Musiker sich freuen eine solcher Förderin und Freundin zu haben ist auch verständlich. Dass sie die Musik liebt ist die Voraussetzung für alles.
Ich versuche mich an ein Verständnis der Situation heranzutasten.
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vorgartenoder einfacher: sie fühlten sich gewertschätzt.
Stimmt – das ist ein besserer Ausdruck.
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sandmanDas habe ich nicht so gemeint, wie du es unterstellst. Für Monk war sie unentbehrlich. Und für andere vielleicht auch. Das ist eine Tatsache und hat nichts mit „klein machen“ zu tun.
Und es besteht immer die Möglichkeit dass sie einfach ein netter Mensch war, dem es Freude gemacht hat anderen zu helfen.
Dass sie ihre Sicherheiten nicht aufgibt ist verständlich. Und dass die Musiker sich freuen eine solcher Förderin und Freundin zu haben ist auch verständlich. Dass sie die Musik liebt ist die Voraussetzung für alles.
Ich versuche mich an ein Verständnis der Situation heranzutasten.
ich wollte nichts unterstellen, nur klären. z.b. den unterschied von „unentbehrlich sein“ und „sich unentbehrlich machen“. du ja offensichtlich auch.
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Schlagwörter: Jazz, Jazz Books, Jazzbücher, Literatur, Music Books, Musikbücher
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