Alva Noto

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  • #67215  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    Gestern Abend, am 01.06.2011, traten Alva Noto und Ryuchi Sakamoto gemeinsam im Berliner Admiralspalast auf. Ich nehme den Auftritt mal als Anlass einen Thread über Alva Noto zu eröffnen.

    Alva Noto ist das Pseudonym von Carsten Nicolai. Unter diesem Namen veröffentlicht er Musik und tritt auf. Unter seinem bürgerlichen Namen ist er auch als bildender Künstler tätig. Die Grenzen zwischen bildender Kunst, darstellender Kunst und Musik sind bei ihm allerdings durchlässig. Einerseits gehören zu seinen Auftritten immer auch visuelle Darbietungen, andererseits baut er auch klingende Skulpturen.

    Das älteste Stück, das ich von Alva Noto kenne, befindet sich auf dem CLICKS & CUTS-Sampler auf Mille Plateaux aus dem Jahr 2000. Auf den C&C-Sequels ist er ebenfalls vertreten. Außerdem kenne ich von ihm die Trilogie TRANSRAPID/TRANSVISION/TRANSSPRAY von 2004 und die Zusammenarbeit INSEN mit Ryuichi Sakamoto von 2005. Mit Olaf Bender und Frank Bretschneider bildet er das Trio SIGNAL, das u.a. 2007 die CD ROBOTRON veröffentlicht hat. Dieses Jahr hat er eine Zusammenarbeit mit Blixa Bargeld veröffentlicht, die ich aber noch nicht kenne. Ich habe ihn vor einigen Jahren mal solo live gesehen und – damit kommen wir zum Ausgangspunkt zurück – gestern zusammen mit Ryuchi Sakamoto.

    Das audiovisuelle Werk von AN changiert zwischen Artifiziellem und Organischem, Planung und Zufall, Ratio und Emotion, digital und analog, kann schön sein oder furchtbar auf die Nerven gehen. Auf jeden Fall ist es interessant.

    Zum gestrigen Auftritt schreibe ich gerne später noch etwas.

    http://www.youtube.com/watch?v=gjMvQHgAgjg&feature=related

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #8012683  | PERMALINK

    flint-holloway

    Registriert seit: 05.10.2007

    Beiträge: 9,981

    Friedrich

    Zum gestrigen Auftritt schreibe ich gerne später noch etwas.

    Gute Idee!

    Hab grad wenig Zeit. Deswegen kurz: Xerrox Vol. 2! Kaufen, kaufen, kaufen! Das beste Stück Ambient der letzten Jahre.

    Demnächst vielleicht ausführlicheres.

    --

    #8012685  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    Flint Holloway Hab grad wenig Zeit. Deswegen kurz: Xerrox Vol. 2! Kaufen, kaufen, kaufen! Das beste Stück Ambient der letzten Jahre.

    Demnächst vielleicht ausführlicheres.

    Hoffentlich!

    Dann erstmal ich:

    Der Admiralspalast ist ein altes Revue-und Operettentheater aus der Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert am Bahnhof Berlin-Friedrichstraße. Zwei Weltkriege, mehrere Deutsche Staaten, Mauerbau und –öffnung hat es überlebt, bis es letztes Jahr Pleite machte. Jetzt wird der Saal für verschiedene Veranstaltungen von Kabarett bis Popmusik genutzt. Am 08.06. spielt z.B. Emmylou Harris im großen Saal, dessen Charme zwischen gründerzeitlichem Zuckerbäckerstil und DDR-Ostalgie changiert.

    Alva Noto und Ryuichi Sakamoto hatten den 1.400 Leute fassenden Saal fast ausverkauft. Publikum von der Altersstruktur sehr breit gestreut, der Akademikeranteil dürfte überdurchschnittlich gewesen sein, die japanische Gemeinde war zahlreich vertreten. Wir hatten knapp € 35 für passable Plätze ausgegeben. Die besten Plätze gingen in Richtung € 60.

    Links auf der Bühne sitzt RS an einem schwarzen Flügel, rechts steht Carsten Nicolai an einem kantigen, weißen Pult und bedient allerlei elektronisches Gerät. Auf beiden je ein Spot. Im Bühnenhintergrund über die gesamte Breite eine Projektionsfläche in extremem Breitformat. Kein Wort und kaum eine Bewegung von AN und RS.

    Sobald RS aber den ersten Ton anschlägt tut sich etwas auf der Projektionsfläche: Einfache geometrische, meist schwarz-weiße Muster und Formen bewegen und verändern sich korrespondierend zur Musik. Manchmal wirkt das wie eine animierte, grafische Notation, nur umgekehrt. Es werden also nicht Klänge auf Grundlage einer grafischen Anweisung erzeugt, sondern genau andersrum, die Klänge erzeugen grafische Muster. Spielt RS ein paar Töne auf dem Klavier, erscheinen auf und abschwellende Punkte, lässt AN sein Laptop brummen oder fiepen, fängt eine Linie an zu oszillieren oder ein Punkt mit Leuchtspur über die Leinwand zu zischen.

    Alles seeehr langsam und schwebend, jeder einzelne Ton hat alle Zeit der Welt sich auszubreiten und zur verklingen oder in der Luft hängen zu bleiben. RS tupft bloß einzelne Töne oder Akkorde hin, AN strukturiert das mit zurückhaltenden elektronischen Sounds, meist bloß ein repetetives Knacken oder Klicken, ein Rauschen, manchmal ein Loop, der festzuhängen scheint. Das wie mit Samtpfoten angeschlagene Klavier von RS kontrastiert mit den kühlen, programmierten digitalen Sounds von Alva Noto.

    Das klingt sehr harmonisch und meditativ. Wenn es nicht solch eine zurückhaltende und nüchternde Kühle hätte, könnte man fast sagen: kuschelig. Kaum mal ein Spitze, und selbst wenn, wird sofort wieder in den Entspannungsmodus runtergefahren.

    Richtig interessant wird es, wenn keine allzu leicht erkennbare Analogie von Musik und Visuals besteht. Einmal sieht man eine einfache Struktur vertikaler Linien, deren Ausrichtung von der Musik wie durch ein Kraftfeld beeinflusst wird. Ein Spannungsverhältnis, das zu einem irritierenden Moiré-Effekt führt.

    Ich kenne von RS und AN nur die Platte INSEN, die aktuelle Aufnahme ist mir also unbekannt. Dem Konzert nach zu urteilen, dürfte da aber kein allzu großer stilistischer Unterschied bestehen. RS + AN bauen mit ihrer Musik ein Szenario der Entschleunigung auf. Man könnte das als Meditationsmusik verstehen, oder als Ambient Music. Die Ähnlichkeit von RSs Klavierspiel und Brian Enos AMBIENT 1: MUSIC FOR AIRPORTS scheint mir auch offensichtlich. Die visuelle Umsetzung reizt neben dem Hören noch einen weiteren Sinn, man wird also noch auf einer weiteren Ebene in dieses Szenario hineingezogen. Gesamtkunstwerk oder so. So ganz vollständig gelingt das dann aber leider doch nicht. Zum einen war die Musik schicht zu leise (wirklich wahr! Von welchen Popkonzert konnte man das je sagen?), zum anderen kann selbst eine bühnenbreite Projektionsfläche nicht den gesamten Raum beherrschen. Genau das habe ich mir aber im Nachhinein gewünscht. Vielleicht wäre der ideale Auftrittsort für RS und AN eigentlich ein Planetarium. Kleine Mängel? Vielleicht würde ich lieber sagen: Gedanken, auf die mich dieser Auftritt gebracht hat. Insofern war es sehr inspirierend.

    Etwas enttäuscht war ich von Teilen des Publikums, das nicht nur im Auditorium Cola und andere Erfrischiungsgetränke schlürfte, sondern es offenbar auch nicht abwarten konnte, noch in den letzten Ton jedes Stückes möglichst hastig hineinzuklatschen, wie nach einem gelungen Ballwechsel beim Tennis. Das passt nicht! Diese Musik verträgt keine Hast. dazu ist sie zu spröde und Stille ist ein Teil von ihr. Das muss man auch mal auskosten können.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #8012687  | PERMALINK

    lovely_creature

    Registriert seit: 29.10.2010

    Beiträge: 2,119

    Leider habe ich das Konzert in meiner Stadt verpaßt. Das wäre ein absolute Must-be gewesen. Schade.
    Danke für den Thread.

    --

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    #8012689  | PERMALINK

    lovely_creature

    Registriert seit: 29.10.2010

    Beiträge: 2,119

    Flint HollowayGute Idee!

    Hab grad wenig Zeit. Deswegen kurz: Xerrox Vol. 2! Kaufen, kaufen, kaufen! Das beste Stück Ambient der letzten Jahre.

    Demnächst vielleicht ausführlicheres.

    Aha. Schreib mal, ich freue mich.

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