Abbey Lincoln – That's Her! (1930–2010)

Startseite Foren Über Bands, Solokünstler und Genres Eine Frage des Stils Blue Note – das Jazzforum Abbey Lincoln – That's Her! (1930–2010)

Ansicht von 15 Beiträgen - 16 bis 30 (von insgesamt 56)
  • Autor
    Beiträge
  • #11955743  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    Ja zu allem ‐ und danke für die Foto-Recherche!

    Tango dachte ich auch als erstes, aber stimmt das wirklich? Ist ja nicht so wichtig, aber das Stück finde ich wirklich schön!

    Und ja, die zwei g-vib-b Stücke machen schon Lust auf mehr!

    Und Benny Carter hat später ja auch zwei Alben für Sarah Vaughan arrangiert – die funktionieren schon deutlich besser. Seine vier Bonustracks mit „normaler“ Big Band sind auf jeden Fall auch schon eine interessante Ergänzung zum Album mit seinem „hushed“ und „sophisticated“ Sound. Im Kopfkino stelle ich mit auch das Album mit Marty Paichs Oktett/Tentett/Dektett vor, so à la „Ella Swings Lightly“ (das ich total mag).

    Bin unterwegs und suche nicht am Handy danach, aber die erste Begegnung mit Roach war doch noch früher, 1954 schon, als er in Kalifornien gerade seine Gruppe mit Clifford Brown gegründet hatte? Da gehörten ja zunächst Kalifornier wie Teddy Edwards und Carl Perkins dazu. Ich glaub, Roach war auch in Honolulu in der Zeit? Lincoln sagt auch noch was über Browns schöne Hände? Vermutlich alles im Gespräch von 1996.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    Highlights von Rolling-Stone.de
    Werbung
    #11956003  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    vorgarten
    das ciro’s in los angeles (sunset boulevard) war allerdings einer der glamourösesten nightclubs der 50er, wie es aussieht. da könnte marilyn monroe abbey lincoln live gesehen haben, in welchem kleid auch immer.

    Verbürgt ist ja, dass Monroe ein paar Jahre später im Crescendo bei Ella im Publikum sass (als eine von Ellas tollsten Live-Aufnahmen entstanden ist, wie eigentlich erst das 4-CD-Set zeigte … das damalige Album packt mich im Vergleich deutlich weniger).

    Das ist aber deutlich kleiner und sieht zumindest von aussen auch weniger glamourös aus. Im Interview mit Lincoln wird es nicht erwähnt:
    https://waterandpower.org/museum/Early_Views_of_Hollywood_%281920_+%29_8_of_12.html

    Die Seite ist eh klasse, etwas weiter unten sieht man William Holden und Brenda Marshall mit Ronald Reagan und einer Frau Nancy im Crescendo (passt hier grad wegen der Vegas-Story von Lincoln, wo eine Tochter der Reagans auftaucht).

    Und vom Brown Derby, in dem Lincoln auftrat, gibt es eine ganze Menge Fotos:
    https://www.waterandpower.org/Museum2/Brown_Derby_Hollywood.html

    Hier gibt es einen hilfreichen Index:
    https://www.waterandpower.org/museum/A_INDEX.html

    Off-Topic-PS, aber guckt mal diese Wahnsinnsfotos von der Hollywood Bowl an!
    https://www.waterandpower.org/museum/Early_Views_of_the_Hollywood_Bowl.html

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11956071  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,714

    gypsy-tail-wind
    Tango dachte ich auch als erstes, aber stimmt das wirklich? Ist ja nicht so wichtig, aber das Stück finde ich wirklich schön!

    ich bin auch nicht sicher ;-)

    gypsy-tail-wind
    Bin unterwegs und suche nicht am Handy danach, aber die erste Begegnung mit Roach war doch noch früher, 1954 schon, als er in Kalifornien gerade seine Gruppe mit Clifford Brown gegründet hatte? Da gehörten ja zunächst Kalifornier wie Teddy Edwards und Carl Perkins dazu. Ich glaub, Roach war auch in Honolulu in der Zeit? Lincoln sagt auch noch was über Browns schöne Hände? Vermutlich alles im Gespräch von 1996.

    kurz nach honolulu, noch als gaby lee:

    I had met Max Roach before, after I came from Honolulu, before I changed my name, when I was just singing songs at the LeMadeline in Hollywood.

    welchen club sie damit meint, habe ich noch nicht herausgefunden. plaxson hat das womöglich falsch transkribiert.

    --

    #11956105  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    Beim „LeMadeline“ (ich hätte auf „La Madeleine“ getippt, aber da gibt’s auch v.a. Treffer für Paris und Brüssel) komme ich auch nicht weiter.

    Und danke wegen Roach – immerhin steht da Honolulu im selben Satz ;-)

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11956139  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,714

    manchmal gibt es ja tolle zeitliche koinzidenzen. am 3.1. und am 8.1. läuft im berliner kino arsenal, in der jährlichen reihe „unknown pleasures“ über das us-independent-kino, und hier speziell in einem schwerpunkt über den vergessenen regisseur michael roemer, NOTHING BUT A MAN, einer der zwei filme, mit denen abbey lincoln sich als darstellerin ins us-kino einschrieb. kenne ich nicht, deshalb freut es mich sehr.

    https://www.arsenal-berlin.de/kino/filmvorfuehrung/nothing-but-a-man-1285/

    --

    #11956471  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    Da bin ich schon grad etwas neidisch!

    https://lareviewofbooks.org/article/a-circle-of-love-remembering-abbey-lincoln-in-nothing-but-a-man-1964/

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11956483  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,714

    gypsy-tail-windDa bin ich schon grad etwas neidisch!
    https://lareviewofbooks.org/article/a-circle-of-love-remembering-abbey-lincoln-in-nothing-but-a-man-1964/

    wie toll, danke!

    und soll ich der leiterin des kommunalen kinos in deiner stadt mal einen tipp geben? die war vor drei tagen noch bei uns zu besuch ;-)

    --

    #11958043  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339


    Foto: Abbey Lincoln 1958 in London in ihrem Hotelzimmer

    I think everybody suffers from stage fright at first. Some people, when they get to be older and elderly, still have it. I don’t know how. Yeah. I suffered from stage fright when I began to be presented as a star. Until then, I don’t remember ever suffering from stage fright. I worked at Ceros in Hollywood when I was named Abbey Lincoln. Sammy Davis had worked there. Many great stars, but the club was on the decline, and I auditioned for it. He didn’t really — he wasn’t impressed with me. I knew that because he said, „I’ve had it.“ But my manager talked to him and I opened that night and I trembled, I was so frightened at being at Ceros and I wasn’t anybody yet and I knew it and it was hard to sing.

    So, I finally said to the audience, „I’m scared to death,“ and as soon as I said that, it relieved all the tension and I could do the performance, and I remember saying to Max a couple of years later, I said, „You don’t suffer from stage fright when you go to the stage.“ I said, „Why is that?“ He said, „Because I’m too busy preparing to be afraid.“ And I heard that, too.

    I haven’t suffered from stage fright, I guess, since then. I’m not afraid anymore and I don’t come to impress anybody, but it is a preparation that you make when you come to the stage.

    Als Abbey Lincoln Ende 1956 oder 1957 nach New York geht, ist sie eine Club-Sängerin mit einem eigenen Touch aber ohne grosse Originalität – und sie hat den Auftritt in „The Girl Can’t Help It“ im Gepäck, der ihr zusätzliche Aufmerksamkeit gab. Sie ist allerdings neugierig und intelligent und verkehrt bald mit einigen der interessantesten Jazzmusiker der Zeit, darunter die Pianisten Thelonious Monk und Mal Waldron (er war der letzte Pianist von Billie Holiday) und der Drummer Max Roach.

    In Kalifornien hatte Lincoln ihre Manager und Agenten entlassen: „Because by now I had a manager who owned 50% of me. I overheard Bob Russell telling some people, ‚You don’t understand, I own this woman.‘ I fired everybody, agents, manager. I’ve not had a manager since. I’ve got business associates. But I manage myself!“. Auf Hawaii und in Kalifornien hat Lincoln sich einen Namen gemacht und keine Sorge mehr, dass sie nicht genügend Engagements kriegen würde. Max Roach hatte sie 1954 nach ihrer Rückkehr aus Honolulu kennengerlernt: „Friends had told him about me, that I was a singer he needed to hear. He was working with Clifford Brown at Hermosa Beach. I remember how beautiful his hands were. He encouraged me. I met Clifford that one time.“

    I was working supper clubs and wearing this dress and bouncing on the stage, so my breasts would jiggle a little, but when you’re young, you know what I mean, you’re really naive and this is what my — I was — people who were helping me, my choreography and like that.

    It wasn’t funny to me, though. I mean, I didn’t feel — I’ve always taken it seriously. So, it wasn’t easy to make light of my life like that. It was Max that told me „you don’t have to do that.“ He saved me, really, from myself. He helped to save me from myself, from all this that I was involved in.

    I was learning. The first album I made with Max — well, my first album was with Benny Carter, Jack Montrose, and Marty Page, standards, that some of them — most of them Bob Russell had written. He was helping me and I was helping him.

    Da waren wir ja bereits – doch es ist interessant, dass Lincoln ihr erstes Album bei Riverside als das erste empfindet, sich korrigieren muss, weil sie den eigentlichen Erstling vergisst. Und: die Parallelen der zwei Alben sind ebenfalls schwer zu übersehen: noch einmal erzählt „That’s Him!“ die Geschichte einer verliebten Frau. Allerdings wird sie jetzt von einem hervorragenden Jazz-Quintett begleitet, alles ist perfekt abgestimmt, als Album funktioniert das alles prächtig. Doch dazu kommen wir gleich.

    Wie war es, in der Zeit nach New York zu kommen?

    Nat King Cole and Frank Sinatra were working at the Copacabana and the Village Vanguard was the space for developed unknown artists, like Enid Mosier, Abbey Lincoln, Mae Barnes, a chic little room, and Max Gordon also was a part-owner of Blue Angel, a nightclub that also presented people of this type, and it was the first time I saw Lena Horne […] and it was a changing point in my life. I’d never seen her in person, and I’d been compared to her. They compared everybody to Lena then. Barbara McNair, Diahann Carroll. I saw this absolutely original woman on stage who sang „Evil Spelled Backwards means Live.“ She was brilliant. Changed my life. I knew that I was never going to be anything like Lena. I was just going to be myself, like she was herself.

    Lincoln verbringt ihre Zeit mit Max Roach, Maya Angelou und anderen. Cab Calloway bietet ihr einen Job im Central Park an, wo sie Sammy Davis und Frank Sinatra wieder antrifft, „the Rat Pack they called them. Wonderful men.“ Auch Ellington und Armstrong, die sie in Honolulu traf, sind in New York. Sie tritt im Village Vanguard auf – und äussert sich im Gespräch 1996 sehr deutlich und vielleicht etwas überraschend über diesen legendären Jazzclub

    They had a kitchen then and they also had a dressing room right off the stage […]. When they decided to bring jazz into the room, they eliminated the dressing room and they finally closed the kitchen and they never scrubbed the floor. I hate jazz rooms.

    I heard Sarah Vaughan say that once and I knew a lot of people didn’t understand what she was talking about. I hate being treated second class in the name of pretending to be romantic. That’s supposed to be sexy, that I’m in the corner in the dark. It’s part of the grief of being a part of this music.

    Für Riverside entstehen drei Alben, je eines in den Jahren 1957 bis 1959. Max Roach agiert, wie Lincoln es ausdrückt, als ihr „A&R man“: Er stellt die Kontakte her, wählt die Musiker aus usw. Das Material selbst trägt wieder ihre eigene Handschrift.

    Das erste Album heisst That’s Him! und präsentiert Lincoln erneut im tief ausgeschnittenen Kleid und mit geglättetem Haar – auch in der Hinsicht gar nicht weit vom Debut auf Liberty entfernt. Die Musik wird am 28. Oktober 1957 eingespielt: Eine Session, 10 Stücke (später kommen noch zwei Alternate Takes heraus), von denen aber eines nur auf einem japanischen LP-Reissue von 1976 erscheint.

    Eine Phrase von Sonny Rollins, dann: „I’m in love with a strong man / And he tells me he’s wild about me. / I’m in love with a guy who’s everything grand /Any man can be“. Die Versuchung ist natürlich sofort da, das Album als biographisches Narrativ zu lesen. Doch passender scheint es, „That’s Him“ als zweiten Anlauf der Story zu deuten, die Lincoln für „Affair“ entwickelt hat (siehe oben): Eine verliebte Frau singt über ihren Mann, ihre Gefühle, ihren Mann, stellt auch ein paar Fragen, singt über ihren Mann – so in etwa. Und dann singt sie noch über ihren Mann. Es gibt durchaus ein paar Fragezeichen, und die eigene (vielleicht etwas später einsetzende?) Gewaltgeschichte mit Roach ausblenden fällt auch schwer bei dem Programm, selbst wenn Lincoln im Gespräch von 1996 zum Song „Happiness is just a thing called Joe“ betont: da gehe es ja um ein Ding: „When I was in trouble when I was looking for myself, I sang these other songs. ‚Happiness is Just a Thing Called Joe,‘ not a man, a thing.“

    Manche Songs werden zu Minidramen, in denen die Musik den Text gleich umsetzt. Rollins klingt wahnsinnig schön, oft wie durch einen Samtvorhang – und dennoch wie in Stein gemeisselt. Inwiefern das alles nun noch von der Naivität beherrscht ist, die Lincoln im Rückblick ihrem damaligen Selbst attestiert, ist schwer zu beurteilen. Ich halte auch die Lesart eines lustvollen Spiels mit Rollen und Konventionen durchaus für möglich. „He’s not an angel / But I don’t care“ singt sie in „I Must Have That Man“ – in dem die Band im rasenden Tempo ihre Bebop-Chops unter Beweis stellen und auch Roach mächtig aufdrehen kann.

    Und dann ist da – einst an zweitletzter Stelle der A-Seite der LP, vor dem Titelstück – das unbegleitete „Tender as a Rose“, das dann je nachdem auch wieder unterschiedlich gelesen werden kann. Joe kommt da auch wieder vor – quasi als der düstere, böse Gegenpol zum Ich, das eben zart wie eine Rose sei. Die Ambivalenzen, die sich hier auftun – direkt im Material, in Lincolns Interpretation und besonders im Rückblick und nach Lektüre von Lincolns eigenen rückblickenden Aussagen – sind jedenfalls mannigfaltig und nicht ganz leicht auszuhalten. „She came back walking all alone. / She wasn’t gone for very long. / She came back with a heart of stone. / We knew that everything gone wrong. / And when you we ask her why she’s out each night. / She’ll say ‚Brother, once I tried to be right / Once all of my lovin‘ was Joe’s. / I was as tender as a rose.‘ / She was as tender as a rose.“

    Musikalisch markiert Sonny Rollins nicht nur im Opener den „strong man“ des Albums, Kenny Dorham mit seinem lyrischen verschatteten Trompetenspiel den sanften Gegenpart – die beiden waren davor Kollegen in Roachs Band. Dieser spielt natürlich das Schlagzeug. Paul Chambers von Miles Davis‘ Band ist am Bass dabei, und ein künftiger Davis-Sideman sitzt am Klavier: Wynton Kelly – bereits ein gestandener Begleiter von Sängerinnen. Bei ihm laufen die musikalischen Fäden zusammen: „I worked with Wynton Kelly for awhile after he left Dinah [Washington]. Dinah cried about it, too. She really loved Wynton. She really complained when he left.“

    Hier ist das auf der LP (und auch allen herkömmlichen Reissues) fehlende Stück, „Can’t Help Lovin‘ That Man“ – präsentiert als Rubato-Ballade mit blumigem Klavier von Wynton Kelly und Arco-Bass von Paul Chambers:

    Billie Holiday ist im Album immer wieder präsent. In vielen kurzen Momenten, was Lincolns Gesang angeht, aber auch im Repertoire mit „My Man“, „I Must Have That Man“ und besonders dem Closer, ihrem eigenen „Don’t Explain“. Wie auf dem Debut verkörpert Lincoln hier eine Opferrolle, wie sie sie später ablehnen sollte – und ist dem in manchen Kreisen wohl gerade deshalb so berühmt gewordenen Vorbild deshalb sehr nah. Im Gesang bleibt da und dort eine Härte – oft im Vibrato am Ende von Phrasen oder auch mal zwischendurch in langen gehaltenen Tönen. Doch selbst wenn man das Album als zweite Runde der „Affair“ lesen wollte: Es ist dennoch ein paar grosse Schritte davon entfernt. Ein gutes Jazzalbum mit einer hervorragenden Band, die sich auf die Sängerin einlässt, sie kongenial begleitet – und das funktioniert für meine Ohren wirklich nahezu perfekt. Auch die Abfolge der Songs, die Tempi usw.: das ist ein perfekt programmiertes und arrangiertes Album. Ein kleines Detail: Auf „Don’t Explain“ ist Chambers nicht dabei und Kelly wechselt vom Klavier an den Kontrabass. Und wenn Kelly im Stück davor, „When a Man Loves a Woman“, einsetzt, klingt er im ersten Moment exakt wie Oscar Peterson.

    Roach gegenüber hat Lincoln sich stets sehr dankbar gezeigt. In Amiri Barakas „Digging“ sagt sie:

    „Influences? Billie Holiday, Duke Ellington-I had a lot of influences. But Max Roach was the main influence. I was still wearing that Marilyn Monroe dress, and one time in Canada, Max says, ‚Abbey, I don’t like that dress.‘ I thought about it then put it in the incinerator so I wouldn’t wear it again.

    Max and the great musicians he introduced me to knew everything about theory. He introduced me to the cycle of fifths in B-flat. What I love about this music is the promise of individuality. Variations on a theme. If you can get past the idea of jazz,“ Abbey hisses the word into a chuckle. The dismissal of the term as a loose straightjacket of commerce and cultural patronization is one she shares with Roach, who told me he got it from Duke Ellington.

    […]

    „But when I met Max I understood what I was involved in. He asked me, ‚Abbey, why do you sing everything legato? This is a rhythm music. On the beat!‘ He’d say that even on the stage.

    How would I have gotten a chance to meet these great musicians-Rollins, Dorham? Max asked me, ‚Abbey, would you like to make a jazz album?‘ I told him I wasn’t a jazz singer. He said, ‚You’re black aren’t you?‘ The Riverside dates came out of that [That’s Him, Abbey Is Blue].“

    With another smiling irony, Abbey remembers, „That’s when the jealousy started.“ And to my interrogator’s incredulousness, she adds, „Uh huh, people were jealous. I wasn’t supposed to be taken seriously,“ her tone stiffening. „I would get this from singers. They’d be talking to Max, ‚Why don’t you let Abbey go make some money, she’s not a singer!‘

    But Max and the other great musicians he introduced me to carried me through all that.

    Zum Thema der „jealousy“ mehr im folgenden umfassenden Post.

    Im Gespräch mit Sally Plaxson 1996 erinnert Lincoln sich auch nochmal an den „Circuit“, auf dem sie bis dahin unterwegs gewesen war – und den sie mit dem Gang nach New York und der Zusammenarbeit mit Roach verlassen hat (aus der Passage stammt auch das oben schon verwendete Zitat zu Dinah Washington und Wynton Kelly):

    SALLY PLAXSON: Maybe we can, for just a minute, jump back to talking about venues. You talked yesterday about Salt Lake City and the whole Northern Pacific. Was it a circuit? What was the –

    ABBEY LINCOLN: Yeah. It was a circuit.

    SALLY PLAXSON: How did you travel?

    ABBEY LINCOLN: Denita Joe [Damita Jo, eigentlich Damita Jo DeBlanc] and Vivian Dandridge, Dorothy’s sister, people who were not names. There was a circuit. Salt Lake City, Roseburg, Oregon, and finally Honolulu, some places in Japan. I never went to Japan, but those were the places I went.

    […]

    SALLY PLAXSON: So, how would you travel? How would it — how long would you have?

    ABBEY LINCOLN: The best we could. By bus, by car. The least expensive way. When I started to make a $100 a week in Honolulu, I thought wow, I didn’t know there was all this money in the music, you know. I worked as a maid and I had made like $30 a week which was pretty good for a maid in that time.

    But I was making a $100 a week, finally a $150 a week. It’s a privileged lifestyle, really, even though I complained about it. We are honored, the ones who come to the stage and have the courage to stay there. The people come and they bring you their money and they give it to the producer and the producer gives it to us and some of us live wonderful lifestyles. It’s because of the people. The producers give us nothing. It’s an advance on what the people bring.

    It’s the people who make us rich. I think they deserve a lot more than they get. The people. I don’t know why they pay for this garbage. A lot of it’s garbage. They could do better themselves in the living room.

    SALLY PLAXSON: Did this network go into Canada, too?

    ABBEY LINCOLN: No. When I became more famous, when I became Abbey Lincoln, and I had this movie, „The Girl Can’t Help It,“ they started to send me to Canada, to England, to Sweden, places like that, and to Miami Beach.

    SALLY PLAXSON: Did you travel with your own group? How did that work?

    ABBEY LINCOLN: No. That was one of the disadvantages. I started to travel with my own band when I became a jazz singer. When I recorded the first album I made with Max and Kenny Dorham and Sonny Rollins and Wynton Kelly and Paul Chambers, I knew I was never going back to doing what I had been doing. I was going to work with these kind of musicians.

    SALLY PLAXSON: Why did you know that? What about it made you know that?

    ABBEY LINCOLN: It wasn’t anything hard to figure out. They were great musicians and they enhanced my abilities on the stage. Yeah. I thought okay, this is what it is. Somebody who knows how to interpret a song, who knows the difference between A flat and C sharp. Yeah. Sophisticated man at the piano or on whatever. Mm-hmm. Yeah.

    SALLY PLAXSON: So, when you were on the circuit before you got to the point you
    were, it was the bands at the clubs or whoever?

    ABBEY LINCOLN: I would be sometimes the only black person in the room. They didn’t want black people to come and visit, like in Miami. A black man would frighten them. You’d see somebody sweeping the floors sometimes. I was surrounded by whites and they were the band leaders and they were the band, the piano player, but they didn’t think of themselves as great musicians. It was just a job, you know, and sometimes it was really difficult and sometimes it wasn’t too bad, but usually it was a drag, and I started traveling with just a piano player.

    I worked with Wynton Kelly for awhile after he left Dinah. Dinah cried about it, too. She really loved Wynton. She really complained when he left.

    Anyway, I worked with Wynton in Brooklyn and a few places. Big, Big Nicholas, big Nick Nicholas.

    SALLY PLAXSON: Big Nicholas? [Big Nick Nicholas, eigentlich George Walker Nicholas, Widmungsträger von Coltranes „Big Nick“]

    ABBEY LINCOLN: I shared the bill with him in Brooklyn and I started working with Phil Wright, Junior Manson [Junior Mance], and Phil and I would go out on the road, just him and me, but I started carrying a band when I was with Roach. I worked with him as his girl singer, but every once in awhile, I mean, I had a band.

    Für das zweite Riverside-Album, It’s Magic (1958), wurde auf das Sexy-Cover verzichtet, das Haar ist weiterhin geglättet. Zwei Sessions Ende Juli und Ende August werden abgehalten, die Band ist etwas grösser, Benny Golson zeichnet für die Arrangements verantwortlich und spielt auch gleich mit. Wynton Kelly sitzt wieder am Klavier, Philly Joe Jones übernimmt am Schlagzeug. Bei der ersten Session sind auch Kenny Dorham und Paul Chambers wieder dabei, die bei der zweiten von Art Farmer und Sam Jones abgelöst werden. Bei beiden Sessions entstehen Stücke mit Quintett (wie für „That’s Him!“) und welche im Septett, wofür Curtis Fuller an der Posaune und Jerome Richardson bzw. Sahib Shihab an Flöte und Baritonsaxophon dazustossen.

    Zehn Stücke, fünf mit kleiner, fünf mit grosser Band sind das Ergebnis. Es geht natürlich auch hier wieder um die Liebe – aber nicht nur. Cole Porters „I Am in Love“ ist der Opener der Albums, gefolgt vom Titelstück. Lincoln klingt souveräner, entspannter, zum Beispiel in „Just for Me“ (ein „novelty tune“ gemäss Produzent Orrin Keepnews in den Liner Notes). Das hat auch mit dem so anderen „feel“ von Philly Joe Jones zu tun, dessen Time deutlich flexibler ist als die von Roach. Die Arrangements sind viel enger gehalten als auf dem Vorgänger, manches wirkt etwas süss und gepflegt – den Eindruck verstärkt auch Golsons weicheres Tenorsaxophon. Dennoch: Lincoln wirkt anders, nicht nur souveräner, auch stärker, selbstsicherer – zum Beispiel in „An Occasional Man“, einem der Höhepunkte des Albums (Jeri Southern lässt grüssen). Die Bläser sind klasse arrangiert, die Rhythmusgruppe deutet im langsamen Tempo wieder eine Art Tango an – und Lincoln phrasiert darüber wahnsinnig gekonnt. Auch ihr Vibrato kragt hier nicht mehr so weit aus, klingt kontrollierter und klangschöner.

    Wynton Kellys Rolle ist in dem Kontext weniger bedeutsam – Golson hat das alles im Griff und weist Kelly halt auch seine Parts im Gefüge zu. Für Jazzfans mag das auch etwas frustrierend sein, denn die Stücke sind meist wieder kurz gehalten und die hervorragenden Begleiter sind nur selten und meistens auch nur kurz zu hören. Ein Intro da, ein Obbligato dort … in der Hinsicht ist das vielleicht näher am ersten Album für Liberty – doch kommt hier das beste aus beidem zusammen: die Arrangements sind dieses Mal auf Lincoln abgestimmt, gespielt werden sie von exzellenten Jazzern, die eine ganz andere Souveränität im Umgang mit dem Material an den Tag legen als die anonymen Studiobands (sicherlich auch voller Jazzer) in Kalifornien. Und dann ist da eben eine hörbar reifer gewordene Lincoln. Auch schon zu hören ist „Ain’t Nobody’s Business“, das Lincoln gut zwei Jahre später erneut einspielen sollte, dann als ihr Beitrag zum Album der „Newport Rebels“ auf Candid – doch das ist dann das nächste Kapitel der Geschichte. Sehr locker wirken alle in „Exactly Like You“ im Quintett – mit hervorragenden kurzen Soli von Golson und Dorham, und einem funky aufspielenden Kelly.

    Die beiden bemerkenswertesten Songs des Albums sind von Jon Hendricks getextet: „Out of the Past“ (Musik von Benny Golson) am Anfang und „Little Niles“ (Randy Weston) am Ende der zweiten Seite des Albums. Laut Keepnews hat Lincoln „Out of the Past“ ins Studio mitgebracht, ohne dass Golson im Vorfeld davon wusste. Vielleicht darf man das als leisen Vorboten der bald folgenden eigenen Songs deuten. Zu den Highlights der zweiten Seite des Albums gehört neben dem bezaubernden Closer „Little Niles“ auch Lincolns Version von „Music, Maestro, Please“.

    Im September ist Lincoln dann wohl wieder mal in Hollywood, jedenfalls werden auf den 29. (das mag das Datum der Ausstrahlung sein, nicht der Aufzeichnung) zwei Stücke datiert, die auf der LP „Sessions, Live“ (Calliope 3009) erscheinen: „Out of the Past“ und „When a Woman Loves a Man“ mit der Band von Buddy Collette: Buddy Collette (fl, as), Gerald Wilson (t), Al Viola (g), Red Callender (b), Earl Palmer (d). Leider kann ich die zwei Stücke in der Tube nicht finden.

    Für das dritte und letzte Riverside-Album sind mehrere Sessions nötig, die sich von März bis November 1959 hinziehen. Abbey Is Blue heisst es, auf dem Cover ein Close-Up der singenden Lincoln – ein starkes Bild. Und passend dazu geht es mit „Afro Blue“ unglaublich stark los. „Brown-Mann“ steht auf der LP, aber nicht Herbie Mann hat das Stück komponiert sondern natürlich Mongo Santamaria. Brown, das ist Oscar Brown Jr., dessen Zusammenarbeit mit Max Roach und Abbey Lincoln in dieser Zeit beginnt. Dieser Auftakt ist eine Ansage, ein Statement. „Dream of a land my soul is from / I hear a handstroke on a drum. / Shades of delight / Cocoa hue. / Rich as the night / Afro blue.“ Die Bläser punktieren und legen lange Linien, der Kontrabass trägt das Stück praktisch allein, während Roach ausschmückt und dann beim Trompetensolo für etwas Drama sorgt. Sehr catchy, sehr eigen, sehr stark.

    Wie bei den anderen drei Stücken vom November 1959 wird Lincoln hier von der damaligen Band von Max Roach begleitet. Seit dem Tod von Clifford Brown und Richie Powell leitete dieser klavierlose Combos, zog aber hie und da für Plattensessions Gastpianisten bei. Hier ist das Cedar Walton, der das Quintett ergänzt, das aus den Turrentine Brüdern (Tommy an der Trompete, Stanley am Tenorsaxophon), dem Posaunisten Julian Priester und Bob Boswell am Kontrabass besteht.

    Das zweite Stück des Albums – das einzige von einer Session im Mai mit Dorham, Kelly, Les Spann (g), Sam Jones und Philly Joe Jones – ist eine langsame Nummer von Kurt Weill mit einem Text von Langston Hughes, „Lonely House“. Auch hier gibt es ein tolles Arrangement, der Kontrabass spielt einen Orgelton auf den ersten Schlag jedes Takts, Roach schlägt auf der kleinen Trommel die Viertel durch, erst nach über einer Minute steigt das Klavier ein, der Bass deutet jetzt alle zwei Schläge die Changes an, die Bläser kommen im Hintergrund dazu. Das ist ein exquisites Mood Piece („even stray dogs find a friend … the night for me is not romantic …“) – mit der „Affair“ hat das erstmal gar nichts mehr zu tun – der Neuanfang bestätigt sich. Und das bleibt so, denn an dritter Stelle folgt mit „Let Up“ das erste eigene Stück, das Lincoln aufgenommen hat. Walton und das Roach Quintett sind auch hier zur Stelle, der neu gefundene Tonfall bleibt, selbst wenn es wieder einmal um das Unglück geht: „Let up! Let up! Let Up! When will trouble let up. / This heartache is dragging me down“ – und Tommy Turrentine ist auch hier im Hintergrund wieder umwerfend, während erneut Boswell das Stück trägt.

    Bei zwei Sessions im März 1959 entstand die erste Hälfte des Albums, Dorham, Spann (Flöte und Gitarre), Sam Jones und Philly Joe Jones waren auch da schon mit dabei, am Klavier bei der ersten Session Phil Wright, bei der zweiten wieder Kelly. Auch hier gibt es ganz viele wunderbare Details in der Musik zu hören, zum Beispiel die Gitarren-Verzierungen von Les Spann in „Thursday’s Child“, dem ersten der fünf Stücke vom März, das bei der zweiten Session entstand, zusammen mit dem die erste Albumhälfte beschliessenden „Brother, Where Are You?“, für das Oscar Brown Jr. nicht nur den Text sondern auch gleich die Musik beigesteuert hat. Sein „Hum Drum Blues“ und Henry Glovers „I’ll Drown In My Own Tears“ blieben leider unveröffentlicht (seltsam und bei Fantasy-Reissues sonst unüblich: statt dem fehlenden Master “ Can’t Help Lovin‘ That Man“ gab’s für die OJCCD von „That’s Him!“ zwei Alternate Takes – „I Must Have That Man“ und „I Loves You Porgy“ – und auch hier wurde mögliches Bonusmaterial verschmäht).

    Das einzige, was man dem Album vielleicht vorwerfen kann, ist eine gewisse Gleichförmigkeit: auch in Browns „Brother“ gibt es Pedal Points vom Bass, feine four-to-the-bar-Drums von Roach – doch das Klavier von Kelly und die Flöte von Spann im Hintergrund bringen wieder einen anderen Touch rein als die drei Bläser bei der Session vom Herbst. So wirkt das Album für meine Ohren im relativ engen Rahmen, den es sich steckt, eben doch sehr abwechslungsreich: und wirklich voller wunderbarer Details, die ein genaues und wiederholtes Hören lohnenswert machen.

    Die zweite Albumhälfte besteht aus einem Opener und Closer vom November und dazwischen den drei Stücken von der ersten März-Session mit Phil Wright am Klavier. „Laugh, Clown, Laugh“ ist ein mittelschnelles Stück, das ohne Orgelpunkt-Bass auskommt – Tommy Turrentine ist auch hier wieder toll! Wie bedauerlich, dass er nicht bekannter wurde und mehr eigene Aufnahmen machen konnte. Dem traurigen Clown hatte Mingus auf „The Clown“ ein langes Stück mit Rezitation gewidmet, Lincoln singt das hier sehr gradlinig – und fällt für meine Ohren etwas zu sehr in ihr altes Vibrato zurück. Dennoch: die Sängerin hier ist auf dem Weg, sich neues Territorium zu erschliessen – das wird wirklich auf jedem Stück des Albums deutlich.

    Das Segment vom März besteht aus „Come Sunday“ aus Ellingtons „Black Brown & Beige“-Suite, dem Standard „Softly, as in a Morning Sunrise“, und „Lost in the Stars“, dem zweiten Beitrag von Kurt Weill (Text von Maxwell Anderson). Spann spielt hier nur Gitarre – und seine Verzierungen, Arpeggi und Melodien im Hintergrund sind klasse.

    Nach diesem eher konventionellen und nichtsdestotrotz starken Segment endet das Album dann mit einem weiteren Original, „Long As You’re Living“, geschrieben von Julian Priester und Tommy Turrentine im 5/4-Takt, mit Lyrics von Oscar Brown Jr. Hier ist das Schema wieder: Boswells Bass trägt den Groove, Roach füllt, die Bläser riffen ein wenig – Walton setzt aus (wie schon im Opener „Afro-Blue“, was dem Album eine weitere Symmetrie gibt). Ein kurzer Abschluss in einem tollen Groove – und ein echt starkes Album, das die Tür zum nächsten Kapitel öffnet: der engen Zusammenarbeit mit Max Roach.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11958261  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,714

    wunderbar, danke, es ist wirklich sehr toll, das alles mal chronologisch aufbereitet zu haben, solch einen text gibt es bisher nicht. habe erst in der 2. januarwoche wieder zeit, ein wenig mitzuschwimmen (die SESSIONS, LIVE habe ich auf vinyl), aber ich höre gerade wieder THAT’S HIM und das ist schon ein super album.

    mit brown jr. und angelou tauchen sehr interessante leute in lincolns new yorker peer group auf, vor allem angelou ist ja fast eine spiegelfigur, mit ihrer performance-karriere (porgy & bess, später als schauspielerin in „roots“), dem calypso-album und ihrem bruch hin zu einer laufbahn als schriftstellerin, bürgerrechtlerin, kulturwissenschaftlerin, alles fast zeitgleich zu „abbey lincoln becoming social“.

    --

    #11964059  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    gypsy-tail-wind
    Das erste Album heisst That’s Him! […] Eine Phrase von Sonny Rollins, dann: „I’m in love with a strong man / And he tells me he’s wild about me. / I’m in love with a guy who’s everything grand / Any man can be“. Die Versuchung ist natürlich sofort da, das Album als biographisches Narrativ zu lesen.

    Dazu ein kleiner Nachtrag, weil ich erst grad begreife, dass die bemerkenswerten Lyrics (sie sind anders, als was man von Songs aus der Zeit kennt) zu „Strong Man“ auch schon von Oscar Brown Jr. stammen. Ben Young schreibt 1999 in seinen Liner Notes zur Mosaic-Box „The Complete Mercury Max Roach Plus Four Sessions“:

    Chicago songwriter/singer Oscar Brown, Jr. had written words about Max Roach before he met or collaborated with him. His 1957 STRONG MAN, a musical portrait of Roach, was premiered on Abbey Lincoln’s Riverside Record THAT’S HIM! Brown first met the strong man face to face at that record date, and he was also on hand two years later as she sang his words to LONG AS YOU’RE LIVING, with support from Max Roach + 4.

    Das als kleine Überbrückung zum nächsten Kapitel, das inzwischen in Arbeit ist – da wird Brown natürlich auch eine Rolle spielen.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11965027  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,714

    bevor es hier weitergeht, noch ein kurzer nachtrag:

    gypsy-tail-wind
    Im September ist Lincoln dann wohl wieder mal in Hollywood, jedenfalls werden auf den 29. (das mag das Datum der Ausstrahlung sein, nicht der Aufzeichnung) zwei Stücke datiert, die auf der LP „Sessions, Live“ (Calliope 3009) erscheinen: „Out of the Past“ und „When a Woman Loves a Man“ mit der Band von Buddy Collette: Buddy Collette (fl, as), Gerald Wilson (t), Al Viola (g), Red Callender (b), Earl Palmer (d). Leider kann ich die zwei Stücke in der Tube nicht finden.

    beide stücke aus der tv-sendung „stars of jazz“ (auf kabc), „out of the past“ (das golson-stück mit hendricks-text, das sie für IT’S MAGIC aufgenommen haben) und „when a woman loves a man“ (von IT’S HIM). die besetzung haben wir mal gemeinsam herausbekommen, es ist nämlich nicht die band von buddy collette, die lincoln hier begleitet (wie es überall steht), sondern:


    (steht so bei jim harrod.)

    phil wright, der auch bei einigen stücken auf ABBEY IS BLUE zu hören ist, ist dann 1980 im keystone korner wieder lincolns begleiter.

    musikalisch sind die beiden stücke jedenfalls ziemlich toll, die stimme ist gut in die band integriert, phil wrights soli sind knackig und gut.

    ABBEY IS BLUE habe ich gerade auch nochmal gehört und war von der atmosphäre ziemlich beeindruckt. ich kenne das album gar nicht so gut, obwohl ich es schon ganz lange habe, aber das wird an meiner grauenhaften cd-ausgabe liegen, bei der der transfer völlig daneben gegangen ist. hat jemand einen tipp für eine bessere version?

    --

    #11965055  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    Danke! Gemäss dem obigen Statements von Lincoln aus dem Interview 1996 über Wright denke ich, dass der sowas wie ihr regulärer Pianist in der Zeit war? Dass sie mit Pianist aber ohne b/d unterwegs war, war wohl auch nicht untypisch, da fanden sich dann jeweils zwei vor Ort, die einspringen konnten.

    Was die CD-Reissues angeht, diese deutsche 20-Bit-Remasters-Reihe hat ganz allgemeinen einen schlechten Ruf. Ich habe so gut es ging versucht, die zu vermeiden und da und dort auch mal ältere OJCCD-Ausgaben nachgekauft.

    Von „Abbey Is Blue“ habe ich diese Ausgabe:
    https://www.discogs.com/release/5505219-Abbey-Lincoln-Abbey-Is-Blue
    Diese hier von 2006 müsste identisch sein:
    https://www.discogs.com/release/2462196-Abbey-Lincoln-Abbey-Is-Blue

    Und das hier wäre die Ausgabe für Audiophile (ich kenne aus der Reihe gar nichts, kann mich aber aus den 90ern noch an sie erinnern, damals standen die vereinzelt in den Läden hier):
    https://www.discogs.com/release/11081371-Abbey-Lincoln-Abbey-Is-Blue

    In Japan ist das Album nur selten herausgekommen, aber ich würde davon ausgehen, dass auch das eine ordentliche Ausgabe sein müsste:
    https://www.discogs.com/release/11907533-Abbey-Lincoln-Abbey-Is-Blue

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11965253  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    My life was progressing, and I was being introduced to a social philosophy that I hadn’t had a chance to investigate before. It was full of holes. It’s not really, you know, — it could use a lot of reworking as a philosophy, but it opened me to another — to other things to be concerned for, not how old you’re getting and if you got wrinkles and you need a face life, but, I mean, what can you do to help to illuminate an approach to life that will help the children to live and that will help you to live, to live and not be burdened and tortured and miserable, all these things which I think I am not. I don’t live a tortured life. I don’t live a life of jealousy and envy.

    There’s nothing here that I can think of that I really would like to have. As far as I can see, I got everything. I did.

    ~ Abbey Lincoln (1996)

    In den späten Fünfzigern in New Work war Abbey Lincoln „an OK supper singer, but no particular individuality, none of the thrust that a jazz singer has to have“ (Nat Hentoff, via hier). Doch im Jahr 1960 hört Hentoff sie mit Max Roach im Village Gate in New York, wo sie zusammen mit Max Roach die „Freedom Now Suite“ aufführt: „It was just extraordinary, the power of it.“

    Die Musik von Max Roach und von Abbey Lincoln spricht eine neue Sprache: Zorn, Wut – eine neue Haltung, die in jedem Ton zu spüren ist. Lincoln schreit, klagt an, fleht, fordert, oft in wortlosem Gesang, wie es ihn im Jazz bis dahin nicht zu hören gab. Das ist auch auf ihrem eigenen nächsten Album zu spüren, „Straight Ahead“, das 1961 für Nat Hentoffs Label Candid Records entsteht – dasselbe Label, für das Roach und Lincoln auch die „Freedom Now Suite“ einspielen können.

    Die ersten Jahre des neuen Jahrzehnts waren eine der wichtigsten Phasen im Werk von Roach wie von Lincoln – doch während Roachs Karriere danach relativ beständig weiter läuft, ist bei Lincoln in Sachen Aufnahmen erst mal Pause. 1962 heiraten Roach und sie. Lincoln kehrt im Sommer 1963 für Michael Roemers Film „Nothing But a Man“ vor die Kamera zurück, übernimmt im 1964 erschienenen Film eine Hauptrolle, verkörpert die Tochter eines Priesters aus Alabama, die sich in einen armen Taglöhner verliebt. 1968 übernimmt sie neben Sidney Poitier in der romantischen Komödie „For Love of Ivy“ erneut eine grosse Rolle, dieses Mal spielt sie die Magd einer weissen Familie. Zudem hat Lincoln in den Sechzigern und Siebzigern Gastauftritte in TV-Produktionen.

    Doch von vorn: Das dritte Riverside-Album hatte schon einen Wechsel im Ton angedeutet. Roach und seine Combo wurden stärker in die Musik von Abbey Lincoln eingebunden, Oscar Brown Jr. steuerte ein paar Texte bei. Noch bevor im November 1960 die letzte Session für „Abbey Is Blue“, Lincolns letzte für Riverside Records, stattfindet, geht Lincoln am 9. und 10. Oktober mit dem Quintett von Max Roach in die Universal Studios in Chicago und wirkt beim Roach-Album „Moon Faced and Starry Eyed“ mit – auf dem diese neueren Entwicklungen gerade eher nicht zu hören sind.

    Die Roach-Combo besteht aus den Turrentine-Brüdern aus Pittsburgh, Trompeter Tommy Turrentine und Tenorsaxophonist Stanley Turrentine, der um dieselbe Zeit eine lange Serie von Blue-Note-Alben aufzunehmen beginnt. Zudem Julian Priester an der Posaune und Bob Boswell am Kontrabass. Ein Klavier gehörte nicht mehr zur Band von Max Roach – nicht mehr seit dem Tod von Richie Powell beim selben Autounfall, der auch Clifford Brown das Leben kostete und Roachs damaliges Quintett über Nacht zum Trio werden liess. Für die Aufnahmen von „Moon Faced“ stiess aber im Studio, wie bei anderen Plattensessions, ein Gast am Klavier zum Quintett. Dieses Mal fiel die Wahl auf Ray Bryant, der zwischen 1956 und 1961 mehrmals mit Roach spielte: „I was just thrilled to be with these guys“, erinnerte er sich 1999, als Ben Young mit Sidemen von Max Roach Gespräche für das Booklet der Mosaic-Box „The Complete Mercury Max Roach Plus Four Sessions“ führte: „I’d catch myself once in a while and say, ‚Is it really me here with Max Roach and Sonny Rollins?'“

    Bis 1958 gehen Roach und Lincoln künstlerisch mehrheitlich getrennten Weges, treten zum Beispiel in unterschiedlichen Episoden von Bobby Troups Fernseh-Show „Stars of Jazz“ auf. Oben „Minor Mode Blues“ von Max Roachs Band (Booker Little, Ray Draper, George Coleman und Art Davis). Erst 1959 stösst Lincoln gelegentlich dazu, wenn Roach mit seinem Quintett auftritt – das war dann eben die Gruppe mit den Turrentines und Priester, der kurz davor Ray Draper (Tuba) abgelöst hatte. Bei einem Gig in Pittsburgh war es zu einem Streit gekommen, nach dem Roach seine anderen drei Sidemen feuerte (Litte, Coleman und Davis) und die Turrentines sowie Boswell, der in den frühen Fünfzigern mit einer nie aufgenommenen Band von Billie Holiday getourt ist, führten mit Roach im mittleren Westen die Tour zu Ende, bevor sie ihn nach New York begleiteten. Kaum angekommen, fanden sie sich im Studio wieder, um das Battle of Bands-Album mit Buddy Rich aufzunehmen.

    Turrentine und Priester komponierten zusammen auch das 5/4-Stück „Long As You’re Living“, das Lincoln auch für ihr letztes Riverside-Album einspielt – und im Publikum sass zufällig das gesamte Dave Brubeck Quartet, das wenig später mit „Take Five“ einen grossen Hit landete. Komponiert hatte das Stück der Saxophonist Paul Desmond als Feature für den Schlagzeuger der Gruppe, Joe Morello.

    Dave Brubeck erinnerte sich 1999 im Gespräch mit Ben Young so: „I do remember that festival in Detroit Max’s group. My recollection is that both groups played some things in different time signatures and that Max and I had a discussion about polyrhythms, odd time signatures, and new directions to explore. Because we were playing thousands of miles apart, different working groups only got a chance to hear each other at festivals like these. […] I have always admired Max Roach and consider him a good friend. Max was developing the concepts of polyrhythms early in his career, as was I. My experiments in odd time signatures go back to the Dave Brubeck Octet in the late ’40s.“

    Lincoln äussert sich 1996 im Gespräch mit Sally Plaxson auch dazu und erzählt auch noch einmal die Geschichte der neuen Band mit Julian Priester und den drei Musikern aus Pittsburgh:

    Max was the one who introduced the odd meters on an album called – he did jazz in three-quarter time. He’s the one. Max Roach is the greatest drummer the country ever produced and they tried to drive him crazy because he went social. That was the reason. Thelonious. He was the only one of that crowd, just like I was, who went social. What were we talking about, though? Yeah. Odd meter. He introduced five four into the music. Roach and Tommy Turrentine and Stanley Turrentine, Max had fired Julian — no, he hadn’t fired Julian. He fired the trumpet player, Booker Little, and he fired the band in Pittsburgh and he brought Stanley Turrentine and Tommy Turrentine and Bobby Boswell to New York for his band, and I remember they were working in Chicago at the Sutherland Lounge and they were experimenting with five four time. I sang the song that came from that „Long As You’re Living,“ and Dave Brubeck’s band came in one night and heard it. Well, Roach and Tommy — I mean Stanley were having a drunken brawling good time. You know what I mean? Every night, they’d go and get it off, but Dave’s band came and they heard it and they went to the studio and recorded it, but nobody could say that Max Roach or anybody else made up five four time. It comes from all kinds of places.

    Doch Moon Faced and Starry Eyed will gar nicht so richtig passen zu solchen Diskussionen darüber, wer nun der erste war, der ein richtig gutes 5/4-Stück spielte (Boswell argumentiert 1999 recht schlüssig, dass das Stück der Roach-Combo viel „integrierter“ sei, bei Brubeck habe man nach dem „head“ ja bloss etwas gerifft, während „Long As You’re Living“ ein richtiges Blues-Stück sei, nicht nur zwei, drei Akkorde, über die dann gerifft wird). Dass nun ausgerechnet Max Roach, der immer „cutting edge“ war, auf der Suche nach Innovationen, ein Balladenalbum herausbringt, konnte wirklich niemand erwarten. So ist „Moon Faced“ quasi eine erweiterte Form des üblichen allabendlichen Balladenfeatures für die ganze Band, wie man es auch von Live-Mitschnitten von Art Blakeys Jazz Messengers kennt oder von unzähligen Jazz at the Philharmonic-Konzerten. Auch Roachs Quintett pflegte diese Balladenfeatures bei ihren Live-Auftritten zu spielen.

    Los geht es mit „You’re Mine You“, einem starken Feature für Stanley Turrentine. „Come Rain Or Come Shine“ gehört dann Tommy Turrentine und ist wirklich bezaubernd. In „Wild Is the Wind“ folgt Julian Priester – und was alle drei verbindet, ist eine Art „vokale“ Delivery. In Priesters Features wird das besonders deutlich, er scheint den Ton zu biegen, zu dehnen, scheint buchstäblich zu sprechen, zu singen, zu klagen. „Speak Low“ gehört dann dem Gastpianisten Ray Bryant. Roach spielt auf dem ganzen Album kein einziges Solo und die drei Bläser sind nur auf zwei Stücken gemeinsam zu hören: den Features für den zweiten Gast, Abbey Lincoln.

    Auf der B-Seite ist der Ablauf etwas anders: Zum Einstieg spielt Bryant das Titelstück des Albums, dann folgen Priester mit „Never Let Me Go“ und Stanley Turrentine mit „Namely You“, bevor an vierter Stelle Lincolns zweites Stück erklingt, „Never Leave Me“. Den Ausklang macht dann das zweite Feature für Tommy Turrentine, der in „You’re My Thrill“ erneut mit Dämpfer spielt und zum Abschluss einen weiteren Glanzpunkt setzt.

    Für die erwähnte Mosaic-Box (erschienen 2000) wurden von dieser Session ganze zwölf Alternate Takes ausgegraben und veröffentlicht (zusammen mit fünf von der Battle mit Buddy Rich füllen sie eine eigene CD), darunter auch je ein früherer Take der Lincoln-Features. Von „I Concentrate on You“ wurde Take 4 zum Master, Take 2 erschein als Bonustrack, bei „Never Leave Me“ wurde Take 6 zum Master, Take 4 als Bonustrack nachgereicht. Der Ablauf der beiden Stücke mit Lincoln erinnert an die typischen Sessions, wie Billie Holiday sie in den Fünfzigern mit kleinen Combos machte: Gesang zum Einstieg und zum Ausklang, dazwischen ein paar instrumentale Soli. Unprätentiös, direkt. Dass Holiday ein wichtiger Einfluss von Lincoln war, ist bekannt. Max Roach hatte nicht nur Holiday sondern auch ihr musikalisches Alter Ego, den Tenorsaxophonisten Lester Young, bewundert. Diesen besuchte er noch in den letzten Tagen vor seinem Tod am 15. März 1959 im Alvin Hotel in New York. Holiday starb am 17. Juli 1959 und vier Tage später nahm Roach für sein nächstes Album, „Quiet as It’s Kept“, Leon Mitchells Holiday-Tribute „To Lady“ auf (das Album entstand mit demselben Quintett, ohne Bryant und Lincoln).

    I really noticed a difference in Abbey, the way she changed her things around when she met Max. When I first met her, she was doing the supper-club circuit. You know, with the sleek gowns and the long hair and stuff. Then, when she got with Max, she got the Afro and a different sort of dress completely, you know.

    ~ Ray Bryant, 1999

    Diese Lincoln ist auf „Moon Faced“ nicht direct zu hören – die Stücke wirken vordergründig gar nicht weit weg von ihren früheren Aufnahmen oder gar den Supper Clubs. Doch als Widmungen an Holiday und überhaupt bei genauerem Hinhören zeigen sie schon, dass Lincoln an einem anderen Ort angelangt war. „Never Leave Me“ ist mit fast sieben Minuten das längste, „I Concentrate on You“ das zweitlängste Stück des Albums und als die einzigen mit der ganzen Band bilden sie auch den Kern des Albums, zu dessen Höhepunkten sie unbedingt gehören.

    In New York trifft Lincoln auch auf Oscar Brown Jr. Brown hatte Lincoln in Chicago gehört, als sie im Black Orchid auftrat (über das gemäss Wikipedia im Juli 1959 ein Konkursverfahren eröffnet wurde: „Roach came to Chicago to work and also met Oscar and they decided to write this piece, ‚The Freedom Now Suite.'“

    The daunting aesthetic departure of the great We Insist! Freedom Now Suite (Candid, 1960) and It’s Time (Impulse!, 1962) were clearly inspired by the whole context of the real world in which everyone lives-even though it pays to claim it doesn’t even exist.

    ~ Amiri Baraka (aus: „Digging“)

    Im Spätsommer 1960 entsteht daraus eins der wichtigsten Alben des Jazz. Das Trio aus Max Roach, Abbey Lincoln und Oscar Brown Jr. legt mit We Insist! Max Roach’s – Freedom Now Suite ein Meisterwerk vor, das nur auf dem kleinen Label Candid Records, gegründet vom Kritiker Nat Hentoff, erscheinen konnte. Hier kommt so viel zusammen, dass es nicht leicht, die passenden Worte zu finden. Über dem Album schwebt der Geist der Sit-Ins (vgl. das Cover) und der Bürgerrechtsbewegung, für die Roach, Brown und Lincoln sich engagierten. Work Songs; Percussion-Ensembles mit afrikanischen Trommeln und Rhythmen, über die Lincoln die Namen von afrikanischen Stämmen chantet; im Opener das in Solo des Veteranen und „Erfinders“ des Tenorsaxophon Coleman Hawkins, von einer mitreissenden Stringenz; die quecksilbrige und dennoch sehr lyrische Bebop-Trompete des Rückkehrers Booker Little; die rhythmischen Experimente von Roach in Sachen Jazz (der Opener mit Hawkins ist ein 5/4-Stück) und afrikanische Rhythmen; und über allem die unglaubliche Stimme von Abbey Lincoln, die klagt, anklagt, fordert, fleht, zürnt, aus der Trauer und Wut gleichermassen zu sprechen scheinen. „We Insist!“ ist nichts weniger als ein Meilenstein der Jazzgeschichte.

    Im Interview mit Sally Plaxson aus dem Jahr 1996 (die seltsame Schreibweise von Hentoffs Name habe ich korrigiert):

    … well, we had been performing the „Freedom Now Suite.“ We hadn’t recorded it yet, and we were getting a reputation for being loony. They said we were both crazy. I had written a lyric called „In the Red“. „No account, bank account, can’t raise a dime, can’t pay the bills I got on time,“ and Roach set it to music. He said it was the blues, but it was abstract, you know. All this material and Nat Hentoff came for us and offered Max the chance to record „Freedom Now Suite“

    Irgendwann bei der Arbeit an der Musik trennen sich die Wege von Roach und Brown:

    They got to a certain point and they couldn’t agree on how to proceed with it. So, Max wrote „Prayer, Protest, and Peace,“ and I didn’t have any trouble with „Prayer,“ but I had a hard time with „Protest“ because I had never screamed before in my life. I never heard my mother scream or any of my sisters scream. If anybody came for your life, you’d take something to defend yourself and you didn’t scream. You were too busy trying to knock somebody out, right? So, Roach knew I didn’t know how to scream. So, we were on our way to a job and my little nephew was in the car. He was only eight, and he loved Max and Max loved him, too. „Darryl, scream for Abby because she can’t scream“ and Darryl screamed and Max was about to say something and Darryl said, „But wait a minute, Uncle Maxie, the reason I can scream louder than Aunt Abby is because I’m a little boy and babies can scream louder than me and Aunt Abby can scream louder than you,“ and for the first time I understood what screaming was. It’s for a woman’s protection, and I started screaming. Mm-hmm. Sometimes really brilliant insights come from a child’s mouth. They’re innocent and they know things, too. Yeah. He explained it very simply.

    Julian Priester an der Posaune ist das einzige Bandmitglied, das vom letzten Line-Up noch übrig ist. Booker Little an der Trompete kehrt zurück. Neu dabei sind Walter Benton am Tenorsaxophon und James Schenk am Kontrabass. Zusätzlich wirkt auf dem Opener Coleman Hawkins mit, auf der B-Seite dann die Percussionisten Michael Babatunde Olatunji, Raymond Mantilla und Tomas du Vall.

    „Driva Man“ beginnt als eine Art Work Song im Rubato mit Tamburin und Abbey Lincoln. Dann steigt die Band ein, eine klagende Bläserlinie über einen rollenden 5/4-Groove. Und dann: Coleman Hawkins. Er spielt ein grossartiges Solo, das vollkommen stringent wirkt, jede Phrase wirkt wie eine vollkommen logische, ja zwingende Fortschreibung der vorhergehenden – vielleicht holt er sich hier von Sonny Rollins etwas zurück, zwei Jahre bevor die beiden aufeinandertreffen sollten. Mit dem 5/4-Takt nicht vertraut, markiert der zurückhaltend agierende Roach ihm die Eins stets mit einem harten Schlag auf den Rahmen der kleinen Trommel. Lincoln erzählt 1996: „I remember Coleman Hawkins saying when we did ‚Driva‘ Man‘ in five four time, he said to me, ‚You hear that, don’t you?‘ I said, ‚Yeah.‘ He didn’t hear it. , Max would accent the first one …“ Der trocken gespielte Bass von Schenk ist zunächst die einzige Begleitung, dann stossen die drei Bläser des Quintetts dazu. Hawkins schaltet einen Gang höher gerade, als die Bläser ihren ersten Einsatz beenden. Dann quietsch ein Ton, doch das macht nichts – besser als dieses Solo geht nicht, da macht man keinen neuen Take! Gerade vor die Bläser wieder einsteigen, schaltet Hawkins in den nächsten Gang, verdichtet noch einmal, während er die Spannung hält, aber die Intensität eher schon etwas herunterschraubt. Und dann wieder Lincoln, jetzt im festen Tempo mit Tambourin und Schenks walkendem Bass. Wow! Ich finde diesen Einstieg so stark, dass ich das Album meistens gar nicht gleich am Stück hören sondern erstmal den Opener ein paar Male wiederholen muss.

    Ein kurzes Motiv auf den Becken öffnet „Freedom Day“: und kaum steigen die Bläser ein, wird klar, dass Roach hier bereits das einfach Stotterthema aus zwei Tönen vorgestellt hat. Lincoln übernimmt, der Bass walkt in rasendem Tempo, während Walter Benton hinter Lincoln leise verschnörkelte Linien spielt, als gäbe es nichts einfacheres. Ein Intermezzo im halben oder eher Vierteltempo folgt, dann kriegen Booker Litte, Benton und zuletzt Julian Priester nacheinander die Chance, ihr Können zu zeigen. Das Trompetensolo hat etwas von einer Klage, während Benton etwas robuster wirkt, ein wenig an einen seiner Vorgänger in der Gruppe von Roach erinnert, Harold Land. Priester lässt seine Posaune dann wieder sehr stimmhaft erklingen, wagt ein paar Doppelzungenschläge, klingt auch in den Dissonanzen mit dem Bass und den anderen Bläsern sehr frei. Dann trommelt Roach eins seiner Soli – ohne Kontrabass, mit durchgedrücktem Rücken, eine Mischung als Marschieren und Tanzen: ein Schlagzeugsolo mit Haltung. Die Bläser führen die Themenrekapitulation ein.

    Am Ende von Seite 1 steht „Trypich: Prayer / Protest / Peace“ – hier fehlt Browns Name, Roach hat das Stück als Duo für Lincolns Stimme, die wortlos zum Einsatz kommt kommt, und sein Schlagzeug konzipiert. Was Lincoln hier bietet, stellt so ziemlich alles im Jazzgesang bis dahin gehörte in den Schatten. Lincoln schafft in „Prayer“ eine berührend intime Stimmung, die ich im Jazz nur selten höre – mich erinnert sie an „Come Sunday“ aus Duke Ellingtons „Black, Brown & Beige“. Dann folgt „Protest“, und hier schreit Lincoln sich die Seele aus dem Leib: die Intimität bleibt, doch die Stimmung ist eine vollkommen andere – und Roach explodiert mit ihr. In „Peace“, dem dritten Teil, spielt Roach dann einen seiner für die Zeit so typischen sparsamen Grooves, den er aber ständig anders ausschmückt. Hier findet gewissermassen eine Synthese statt. Die Melodien sind nicht unähnlich denen in „Prayer“, aber das Wissen, dass da eben nicht nur ein Gebet ist, sondern auch ein Aufbegehren, ein Ausbrechen, verändert alles. Dieser Satz könnte vielleicht auch als Zwischenfazit für den Stand von Lincolns Karriere als Sängerin wenig später stehen, als sie und Roach heiraten und die Zeit als Sängerin für Abbey Lincoln erst einmal zu Ende zu gehen scheint.

    Auf der zweiten Seite des Albums finden sich zwei längere Stücke. „All Africa“ ist das dritte, das Roach zusammen mit Oscar Brown Jr. komponiert hat. Es ist eine Ode an den „Beat“, den afrikanischen Beat, den ersten Beat: „They say it began with a chant and a hum / And a Black hand laid on a native drum“. Lincoln chantet den Text nur über sparsame Percussionbegleitung – ich vermute Olatunji, der eine Trommel namens „Apesi“ spielt, die aus einem Baumstamm geschnitzt sei, so die Liner Notes. Dann setzt die Band ein, Littles klagende Trompete schwebt hinter und über dem Gesang: jetzt zählt Lincoln die Namen von Tribes aus verschiedenen Regionen des afrikanischen Kontinents auf, Olatunji antwortet, gemäss den Liner Notes mit „a saying of each tribe concerning freedom – generally in his own Yoruba dialect“. Die Band setzt dann in der zweiten Hälfte wieder aus, jetzt ist ein Percussion-Dialog zu hören zwischen Roach am Drumkit, und den drei Gästen an diversen Trommeln und weiteren Percussion-Instrumenten. Da kündet sich bereits die Trommelband M’Boom an, die Max Roach ein paar Jahre später gründen sollte. Und natürlich werden auch Erinnerungen an die Drum-Sessions von Art Blakey wach, doch wirkt das hier deutlich fokussierter und auch viel kompakter als die ausufernden Jams, die Blakey aufgenommen hat.

    Als Closer erklingt dann das mit fast zehn Minuten Dauer längste Stück des Albums, „Tears for Johannesburg“ von Roach. Hentoff in den Liner Notes: „TEARS FOR JOHANNESBURG sums up, in large sense, what the players and singers on this album are trying to communicate. There is still incredible and bloody cruelty against Africans, as in the Sharpeville massacre of South Africa. But, as the soloists indicate after Abbey’s wounding threnody, there will be no stopping the grasp for freedom everywhere.“ Lincoln singt wieder ohne Worte über ein 5/4-Riff von Jimmy Schenks Bass, ihre Stimme klingt auf dem ganzen Album völlig offen, stark und klar. Die Percussionisten setzen ein, eine allmähliche Verdichtung ergibt sich, dann übernehmen die Little und Benton, leicht dissonant und wie Lincoln davor in klagendem Ton. Dann setzt Little zu einem weiteren seiner so traurig-jubilierenden Soli an – ein Tonfall, der ihm völlig eigen ist und zu Roachs Musik dieser Zeit hervorragend passt. Ein Glück, dass er noch einmal zu Roach fand, bevor sein Leben viel zu früh zu Ende war. Benton spielt dann ebenfalls ein starkes Solo, während Priester hinter ihm vokale Riffs spielt, die ein wenig an die Musik von Charles Mingus erinnern – und gesellt sich zu den vielen Jazzmusikern aus dieser goldenen Ära, bei denen wir uns heute wundern können, warum sie nicht viel bekannter wurden, nicht viel mehr Aufnahmen hinterlassen haben. Priester folgt, ebenfalls nachdenklich, mit offenen Phrasen, die stellenweise fast so logisch wirken wie die von Coleman Hawkins in der ersten Improvisation des Albums. Die letzten paar Minuten gehören dann einmal mehr den Drummern, deren Rhythmen sich ineinander verzahnen. Schenk setzt dann wieder ein, während sich ein unglaublicher Groove etabliert, über den die Bläser dann das Thema wiederholen, die Bläser scheren noch etwas auch, auch sie im Kollektiv über den weiter improvisierenden Trommeln. So endet dieses Album in einem versöhnlichen Groove, in dem für alle Platz ist – nur die Sängerin taucht nicht noch einmal auf.

    Driva‘ Man
    (Oscar Brown, Jr.)

    Driva‘ Man he made a life
    But the Mamie ain’t his wife
    Choppin‘ cotton don’t be slow
    Better finish out your row
    Keep a movin‘ with that plow
    Driva‘ man’ll show ya how
    Git to work and root that stump
    Driva‘ man’ll make ya jump

    Better make your hammer ring
    Driva‘ man’ll start to swing
    Ain’t but two things on my mind
    Driva‘ man an‘ quittin‘ time

    Driva‘ man de kind of boss
    Ride a man and lead a horse
    When his cat ‚o nine tail fly
    You’d be happy just to die
    Runaway and you’ll be found
    By his big old red bone hound
    Pater oller bring your back
    Make you sorry you is black

    Freedom Day
    (Oscar Brown, Jr.)

    Whisper, listen, whisper, listen
    Whisper, say we’re free
    Rumors flyin‘, must be lyin‘
    Can it really be?
    Can’t conceive it, can’t believe it
    But that’s what they say
    Slave no longer, slave no longer
    This is Freedom Day

    Freedom Day, it’s Freedom Day
    Throw those shackle n‘ chains away
    Everybody that I see
    Says it’s really true, we’re free

    Freedom Day, it’s Freedom Day
    Free to vote and earn my pay
    Dim my path and hide the way
    But we’ve made it Freedom Day

    All Africa
    (Oscar Brown Jr.

    The beat has a rich and magnificent history
    Full of adventure, excitement, and mystery
    Some of it bitter, and some of it sweet
    But all of it part of the beat, the beat, the beat
    They say it began with a chant and a hum
    And a Black hand laid on a native drum

    Bantu, Zulu, Watusi, Ashanti, Herero, Grebo, Ibo, Masuto, Nyasa, Ndumbo, Umunda, Bobo, Kongo, Hobo, Kikuyu, Bahutu, Mossi, Kisii (Kissi/Kisi), Mbangi, Jahomi, Fongo, Bandjoun, Bassa, Yoruba, Gola, Ila, Mandingo, Mangbetu, Yosee, Bali, Angoli, Biombii, Mbole, Malinke, Mende, Masai, Masai, Masai

    Zur Vorgeschichte von Roach und Lincoln auf Candid gehören auch die Newport Rebels. Im Sommer 1960 stellte Charles Mingus mit Gleichgesinnten eine Art Gegenfestival zum Grossanlass statt, zu dem George Wein jeden Sommer die New Yorker Jazz-Schickeria lud. Mingus trommelte Gleichgesinnte wie Max Roach oder Eric Dolphy zusammen, konnte aber auch ein paar ältere Musiker wie Roy Eldridge oder Jo Jones gewinnen. Das Gegenfestival fand unter dem Banner der „Jazz Artists Guild“ in Cliff Walk Manor statt und wurde nicht wiederholt – der Erfolg hielt sich in Grenzen.

    Doch im Herbst des Jahres, als Mingus wie auch Roach für Nat Hentoffs neues (ebenfalls kurzlebiges) Label Candid Aufnahmen machten, wurden auch die Newport Rebels im Studio dokumentiert. Das faszinierendste Ergebnis war eine Session von Roy Eldridge mit Tommy Flanagan, Mingus und Jones, zu der für einzelne Stücke auch Mingus‘ Sidemen Jimmy Knepper und Eric Dolphy stiessen. Drei Stücke dieser Formation (zwei davon im Quartett) machen den grösseren Teil der LP aus, die 1961 herauskam. Für meine Ohren zählen diese Aufnahmen zu den Höhepunkten der Diskographie von Roy Eldridge (auf der anderen Various Artists-Scheibe von Candid, „Jazz Life“, und später auf den Mingus-CDs „Reincarnation of a Love Bird“ und „Mysterious Blues“ sind noch ein paar weitere Stücke und Alternate Takes erschienen).

    Jones und Roach sind in „Cliff Walk“ zusammen zu hören, in einer Combo mit Roachs damaliger Band zu der noch immer Booker Little (t), Julian Priester (tb) und Walter Benton (ts) gehörten, sowie ein neuer Bassist, Peck Morrison.

    Das letzte Stück – auf Seite B zwischen den zwei Eldridge/Mingus-Quartetten programmiert, steuerte Abbey Lincoln bei, zusammen mit Benny Bailey (t), Dolphy (as), Kenny Dorham (p), Morrison (b) und Jones (d): „Ain’t Nobody’s Business If I Do“. Lincoln hatte das Stück schon 1958 für ihr zweites Album in einem raffinierten Arrangement von Benny Golson eingespielt, doch auf dieser neuen Version ist sie an einem ganz anderen Ort, weiss ihre Stimme viel souveräner einzusetzen. Hentoff in den Liner Notes: „Also at Cliff Walk was Abbey Lincoln, who in the past year has broken completely free of her former image as a sultry supper club puppet and is now bitingly, boldly herself. Her pungent, proudly self-assertive TAIN’T NOBODY’S BIZNESS here is one of her freest performances on record“. Dolphy spielt ein lockeres Intro, dann steigt Lincoln ein und wird dabei zunächst von Benny Bailey und dann wieder von Dolphy begleitet. Dorhams Klavierbegleitung ist etwas seltsam, die Band wirkt von Dolphy abgesehen etwas steif, Bailey spielt dann aber ein ganz schönes Solo, gefolgt von Dolphy, dem zu der Zeit sowieso alles zu gelingen scheint. Lincolns neu gefundene Selbstsicherheit ist auf dem Stück sehr schön zu hören – das ist nicht annähernd so anspruchsvoll wie die Musik, die sie bei der „Freedom Now Suite“ zu singen hatte oder dem Material, das sie im Januar 1961 für ihr eigenes Candid-Album zusammenstellte – und dennoch ist das eine feine Aufnahme, die gerade im Vergleich mit der früheren Version ihren Aufbruch, ihre Entwicklung deutlich macht.

    Auf der CD Candid Dolphy, die 1989 erstmals herauskam und ein paar Alternate Takes von Sessions mit Dolphy (neben dem grandiosen „Stormy Weather“ vom Album „Mingus“ und einem von „Out Front“, dem Candid-Album des Trompeters) versammelt, ist ein zweiter Take von „Ain’t Nobody’s Business“ zu finden, der eine halbe Minute länger dauert. (Für mich beim direkten Nacheinanderhören gerade eine krasse Demonstration dafür, wie viel besser die aktuellen japanischen Mono-CDs im Vergleich mit älteren Ausgaben klingen, wie sie mir von „Candid Dolphy“ vorliegt, eine CD von da Music aus dem Jahr 1989 um genau zu sein). Die CD enthält auch einen Alternate Take von „African Lady“, dem Randy Weston/Langston Hughes-Stück, das Lincoln ein paar Monate später für ihr Candid-Album einspielte.

    Lincoln hat sich im Gespräch von 1996 auch über das alternative Festival in Cliff Walk Manor geäussert und gibt da ein paar Einblicke, wie man sie nicht oft kriegen kann, darum auch wieder ein längerer Auszug (ein paar Schreibweisen von Namen habe ich bereinigt):

    SALLY PLAXSON: When you talked about your manager not – well, not – telling you there was a dressing room when there wasn’t, what about all these layers of management and representation? I was also going to touch on something in the ’60s. Was part of that move of civil rights in terms of the music – I read something about some of the musicians, like Max ad Papa Joe and Mingus, were trying to, especially around one of the Newport Festivals – are you – do you know what –

    ABBEY LINCOLN: Yeah. I was there.

    SALLY PLAXSON: You were there? Yeah. What was that? They were – the pay wasn’t good enough and they were –

    ABBEY LINCOLN: They were fussing at George Wein.

    SALLY PLAXSON: They were what?

    ABBEY LINCOLN: They were fussing at George Wein.

    SALLY PLAXSON: They were trying to start an argument?

    ABBEY LINCOLN: Well, George is only human. He’s got a certain group of people he likes. He doesn’t like everybody. They didn’t care that much for George either, but they wanted him to give them a job. Anyway, we have it on tape. We were all a bunch of bandits then, Roach and Charles Mingus and –

    SALLY PLAXSON: Papa Jo?

    ABBEY LINCOLN: Yeah. Well, he was – he loved Max. There were a bunch of people. That’s the first time I sang „Triptic“ was at this festival, and we were all sick and crazy. That’s true. We were in and out of the hospital. Mingus was bonkers, so was Roach. Philly Joe Jones. Papa Jo Jones was incensed because of his behavior. So, it was like that, you know.

    A bunch of folks, but Roach was the – Max was the hub or the wheel, you know. We had done something at the East 74th Street Theater, but we didn’t have enough peace amongst us. You have to really have peace and understanding to do something original, to bring something new. We were all crazy. I mean, we were too crazy to change things. Frail, you know. We all had our problems. So, we would go from the theater to the hospital and come and get Roach in a straitjacket. You know what I mean? Mingus.

    A lot of folks. Monk. It wasn’t easy because they make things difficult for us, so that we will abandon the music. People in other forms don’t have to go through all this stress and strain. It’s knowing that they’re being discriminated against and somebody else isn’t.

    Do you know what it did to us when they sent the Beatles over here and told us they were paying them a $100,000 a night?

    SALLY PLAXSON: I was just going to ask that.

    ABBEY LINCOLN: And here we were working for – Miles was making $5,000 a week and he was supposed to be one of the privileged ones. $3,000 a week was good money. This is what they dumped on us, and then after awhile, folks started crossing the barriers and using electricity. People who really knew how to bring this musical form, who were selling out, so they could make some money.

    But I think if you are born to the arts, you’re not supposed to be influenced by such things. If I wanted some money, I wouldn’t have come to this musical form. I’ve have kept right on doing what I was doing if I wanted some money. I’d have sold my booty like everybody else. You know what I mean? But I took another position. I don’t miss money. What are you going to do with it anyway? If I had a pile of money, there would be a center in Harlem for the music. Mm-hmm.

    I don’t want none of that garbage around me. I didn’t ask God for any money. I’d like the world. I really would. I’d like it for all of us, a place where we could be happy and nobody has to worry about not having anything and people don’t hurt each other. I would, but I’d never made a world, so what would I know? It probably wouldn’t work out anyway.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11965357  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    Entschuldigt den Monsterpost! Und ich hatte noch gedacht, alles bis zu „It’s Time“ in einem Post abzuhandeln, aber diese Zeit, 1960-62, ist quasi der Brennpunkt von Lincolns erster Phase als Sängerin, da kommt so viel zusammen, sie hat sich auch so ausführlich dazu geäussert … der nächste Post geht dann um „Straight Ahead“, und „going social“ ist dann wohl noch ein Post, vielleicht zusammen mit den letzten Aufnahmen mit Max Roach, die dann bei Impulse! erscheinen, „Percussion Bitter Sweet“ und „It’s Time“.

    Und dann fiel mir gestern das hier wieder in die Hände, da wollte ich schon länger mal reingucken:

    Ingrid Monson: Freedom Sounds. Civil Rights Call out to Jazz and Africa: Civil Rights Call out to Jazz and Africa (Oxford University Press, 2010)

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11965363  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,509

    Bravo …. und ich freue mich über weitere „Monsterposts“ 🤓 ….

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
Ansicht von 15 Beiträgen - 16 bis 30 (von insgesamt 56)

Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.