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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Nachdem ich seit ziemlich genau einem Jahr immer wieder einen ihrer Tracks in den Ring werfe, möchte ich bei dieser Gelegenheit gleich auch einmal das zugehörige Album vorstellen – dann verschwindet das Stück auch nicht immer wieder so schnell in den Untiefen des Forums. Bin zwar aufgrund des wechselhaften Wetters der letzten zwei Monate heuer nie so richtig in Sommerstimmung angekommen, aber wenn mir dies gelungen ist, dann nicht selten unter dem Einfluss von gutem City Pop. :)
Anri ist eine Sängerin aus Kanagawa, der Präfektur, die für alle Zeit mit dem berühmten Hokusai-Farbholzschnitt „Die große Welle vor Kanagawa“ verbunden sein wird (nicht unbedingt meine Lieblingspräfektur, aber das ist eine andere Geschichte). Mit siebzehn Jahren erschien ihre erste Platte Apricot Jam, bis heute hat Anri, die Kawashima Eiko heißt, wohl über 30 Studioalben veröffentlicht.
Über Timely!! bin ich nicht in Japan, sondern im Internet gestolpert, als ich zum ersten Mal nach schönen City-Pop-Alben mit stimmigen Artworks Ausschau hielt. Ich finde es immer noch sehr witzig, dass sich mein Interesse an dem Genre nur eine kurze Zeit vor dem weltweiten „Mini-Boom“ entwickelt hat – habe auch Plastic Love dann erst hier im Forum dank Rossi kennengelernt, auch wenn mir der Name Takeuchi Mariya zu dem Zeitpunkt bereits geläufig war. Ich liebe solche Zufälle.
Zurück zu Anri und dem 1983 erschienenen Timely!!: Ein wahres Sommer-Album, das mit sonnigen Melodien, funky Synths und eingängigen Hooks dieses Gefühl von „dem einen Sommer“ vermitteln will, an große Gefühle zwischen Euphorie und Einsamkeit sowie die Vergänglichkeit dieser gar nicht so zeitlosen Lebensabschnitte erinnert. So haben die Stücke auf der sechsten LP in ebenso vielen Jahren sehnsüchtig melancholische Titel wie A Hope from Sad Street, Lost Love in the Rain oder Remember Sunny Days.
Woran die meisten so erbärmlich gescheitert sind, darunter leidet auch dieses Album. Auf der Mission, beim Hörer das oben genannte, sommerliche Lebensgefühl einzufangen und beim Hörer zu evozieren, kommt es naturgemäß zu Kollateralschäden und eine nostalgische Ballade übertritt rasch einmal den schmalen Grat zum Kitsch. Timely!! umgeht dieses Schicksal eigentlich ganz gut (dürfte den meisten natürlich auch helfen, dass sie die Sprache nicht verstehen; wer weiß, wie Andreas Bouranis „Auf uns“ auf Japanisch klingen würde, ohne da jetzt in irgendeiner Weise Vergleiche ziehen zu wollen – geht nur um das besagte Lebensgefühl), kann die Spannung und vor allem die ENTspannt lockere und natürliche Pop-Grandezza von Windy Summer (mittlerweile wirklich ein Lieblingssong aus den 80s, sollte ich mir irgendwann Spotify zulegen, muss ich mir unbedingt eine Playlist mit Tracks wie diesen für unbeschwerte Sommerabende machen) und den besseren der übrigen zehn Tunes leider nicht ganz halten.
Timely!! ist sicher ein Album, das seinem Titel entspricht und mehr timely als timeless ist, aber dafür auch immer wieder die schönen Seiten seiner Entstehungszeit ins Licht rückt. Anri bringt zwar nicht die vermeintlich unverfälschte Integrität einer frühen Ōnuki Taeko mit, bei der jede Zeile wirkt, als wäre sie von den eigenen Erfahrungen gefärbt, aber als Sängerin macht sie einen guten Job, genau wie die begleitenden Musiker. Generell habe ich das Gefühl, dass in Japan das Lebensgefühl und das Selbstverständnis in der Kunst der 80er noch einmal eine andere war als in den USA oder dann bei uns. Habe die Zeit selbst bekanntlich nicht erlebt, aber vom Gefühl her – wundert mich z.B. auch nicht, dass Walter Hills „Streets of Fire“ so ein Hit in Japan war.
Oh und was ich an der LP auch mag, sind selbstverständlich auch die bildmalerischen Schilderungen wie in Windy Summer: 永遠の波が/ 黄昏の光をいざなう/ 遥かな想い出さえ/ 心に一つの/ きらめきを 感じたらすぐに/ 海へとかけだす/ あのころの夢と変わらない. „Ewige Wellen laden das Licht der Dämmerung ein / Selbst ferne Erinnerungen in deinem Herzen, wenn du nur einziges Funkeln empfindest / Lauf sofort los zum Strand, die Träume aus jenen Tagen ändern sich nicht“
Was auf Deutsch etwas sehr bedeutungsschwer und ungelenk daherkommt, klingt auf Japanisch in diesem Fall schön poetisch und nur auf erträgliche Weise cheesy. Wie auch immer, Timely!! ist ein hübsches, wenn auch nicht durchgehend starkes Album für gemütliche und sonnige Sommertage. Mehr muss es ja auch gar nicht sein.
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Werbunggrievousangel
Wie auch immer, Timely!! ist ein hübsches, wenn auch nicht durchgehend starkes Album für gemütliche und sonnige Sommertage. Mehr muss es ja auch gar nicht sein.Danke für den schönen Tipp, habe eben mal reingehört und gefällt sehr gut, besonders wie du schon schriebst, bei diesem Wetter. Hättest du noch ein paar feine Platten, die in diese Richtung gehen?
Werde es bei dem Faden Covergestalltung mit der Farbe Blau posten, da passt es hin.--
Meine nächste Sendung bei Radio StoneFM am Donnerstag den 16.01.2025 um 22:00: On the Decks Vol. 31: Money Talks #01
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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kinkster
Hättest du noch ein paar feine Platten, die in diese Richtung gehen?Gibt es sicher, vielleicht stelle ich hier auch noch die eine oder andere vor.
Deine Versprechen bzgl. der Seaside Lovers kannst du meinethalben übrigens ad acta legen, nach einem Jahr ist diese Angelegenheit von meiner Seite aus vom Tisch.
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Threads wie dieser erinnern einen vor allem daran, wie schnell die Zeit vergeht …
Danke fürs Vorstellen von „Timely!!“ @grievousangel. Einem 80s-Kind geht das Album wirklich sehr leicht ins Ohr – der Synth Funk, Slap Bass, Earth, Wind & Fire-Bläser, die Vokal-Arrangements, das konnte man auch hier allenthalben hören. In Europa hätte man es wahrscheinlich unter einer Genrebezeichnung wie „Sophisto Pop“ geführt. Dank der hübschen Melodien und Anris sympathischer Stimme ist das immer noch sehr eingängig. Vor allem Stay By Me ist ein Ohrwurm.
Neulich stieß ich auch Judy & Mary – weiß gar nicht mehr, wie und wo, hoffe nicht hier im Thread. Die Band um Sängerin Yuki Isoya und Bassist Yoshihito Onda war von 1993 bis zu ihrer Auflösung 2001 eine Hitmaschine. Klassischer 90er Jahre-Gitarrenpop, der nie um eingängige Melodien verlegen war:
Hello! Orange Sunshine (1994)
Ihr größter Hit: Sobakasu (1996)
Schwanengesang: Peace (2001)
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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herr-rossi
Threads wie dieser erinnern einen vor allem daran, wie schnell die Zeit vergeht …Habe mich auch darüber gewundert… Sogar jetzt, wo man eigentlich das Gefühl hat, die Zeit würde überall stillstehen, rast die Zeit unaufhaltsam vorwärts.
Danke fürs Vorstellen von „Timely!!“ grievousangel.
Sehr gerne. :)
Einem 80s-Kind geht das Album wirklich sehr leicht ins Ohr – der Synth Funk, Slap Bass, Earth, Wind & Fire-Bläser, die Vokal-Arrangements, das konnte man auch hier allenthalben hören. In Europa hätte man es wahrscheinlich unter einer Genrebezeichnung wie „Sophisto Pop“ geführt. Dank der hübschen Melodien und Anris sympathischer Stimme ist das immer noch sehr eingängig. Vor allem Stay By Me ist ein Ohrwurm.
Danke für deine Rückmeldung, hatte gehofft, dass ich damit bei dir auf offene Ohren stoßen würde.
Neulich stieß ich auch Judy & Mary – weiß gar nicht mehr, wie und wo, hoffe nicht hier im Thread. Die Band um Sängerin Yuki Isoya und Bassist Yoshihito Onda war von 1993 bis zu ihrer Auflösung 2001 eine Hitmaschine. Klassischer 90er Jahre-Gitarrenpop, der nie um eingängige Melodien verlegen war
Insgesamt nicht ganz mein Sound (die 90s und ich…), aber der große Hit gefällt mir gut, vor allem weil er mittendrin immer so zerschreddert wird. 雀斑 („Sobakasu“) heißt übersetzt, sofern ich da nicht einer Doppeldeutigkeit aufliege, übrigens „Sommersprossen“. Danke auch dir jedenfalls fürs Vorstellen.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Wollen wir eigentlich auf der ersten Seite die besprochenen Interpreten oder Alben auf irgendeine Art verlinken? Sollte dieser Thread wider Erwarten doch noch zwanzig Seiten oder mehr erreichen, müsste man sich nämlich schon etwas durchwühlen, um z.B. Judy & Mary oder Togawa Jun zu finden. Gibt es eine praktikable Möglichkeit? Was denkst du?
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grievousangel@ herr-rossi
Wollen wir eigentlich auf der ersten Seite die besprochenen Interpreten oder Alben auf irgendeine Art verlinken? Sollte dieser Thread wider Erwarten doch noch zwanzig Seiten oder mehr erreichen, müsste man sich nämlich schon etwas durchwühlen, um z.B. Judy & Mary oder Togawa Jun zu finden. Gibt es eine praktikable Möglichkeit? Was denkst du?Sorry, Deine Frage war mir entgangen. Das lässt sich machen, ich könnte die Links im ersten Post ergänzen.
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Ein japanischer Hit aus dem Frühjahr:
Polkadot Stingray – Jet
Loungy/funky.
Chai – Donuts Mind If I Do
Nach dem United Girls Rock’n’Roll Club mit Hinds hat Chais neuer Streich City Pop-Vibes.
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Die perfekte Mischung aus dem seichten Italopop, den ich sonst so höre, Herb Alpert und Kool & The Gang. Die Künstlerin läuft im Moment rauf und runter.
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Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the blockgrievousangel Wie auch immer, Timely!! ist ein hübsches, wenn auch nicht durchgehend starkes Album für gemütliche und sonnige Sommertage. Mehr muss es ja auch gar nicht sein.
Dazu passend eine relativ frische Live-Version von „Cat’s Eye“. Meine Frau wendet nicht ganz zu unrecht ein, dass man Material aus Waschstraßen auch sinnvoller recyclen könnte, aber im Übrigen hat das Schmiss und Klasse — und Anri sieht unverändert fantastisch aus.
zuletzt geändert von peterjoshua
Ich lebe seit etwa einem Jahr in Tokio und bin dem City Pop — und auch den zahlreichen Plattenläden hier — hoffnungslos verfallen.--
rock 'n' roll..., deal with it!ICHIKO AOBA – Adan no kaze / Windswept Adan (hermine, 2020)
Dieses am 2.12. erschienene Album darf hier nicht fehlen, bei Rateyourmusic liegt es bereits auf #2 des Jahresrankings, The Needle Drop vergab 9/10 Punkten („stunningly serene“). Ichiko Aoba ist schon lange aktiv, @grievousangel hat sie hier im Thread vor einiger Zeit schon mal vorgestellt und @napoleon-dynamite neulich ihr Gesamtwerk besternt. Ich habe das Album noch nicht gehört, nur einzelne Tracks, wer kann mehr dazu sagen?
Ichiko Aoba – bouquet (10th anniversary concert at Sogetsu Hall Concert)
Seabed Eden (live at Ginza Sony Park)
Porcelain
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Ich sage zugreifen! Wieder ein sehr schönes Album geworden, womöglich sogar ihr schönstes. Ich kann zwar nicht einschätzen, ob Aoba als Künstlerin nicht doch immer ein bisschen zu reduziert auftritt, sie insgesamt zu wenig Pop Pleasure ist, empfehlen würde ich sie dir aber nichtsdestoweniger. Ihre Stimme allein gibt mir schon so viel. Für eine ausführliche Analyse bräuchte ich noch ein paar Durchgänge, aber Napo kann da sicher aushelfen. Immerhin ist das Album bei ihm ja das viertbeste des Jahres.
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grievousangel Ich sage zugreifen!
Dem kann ich nur beipflichten. Napo war so lieb, mir das Album nochmal gesondert ans Herz zu legen und was soll ich sagen: Ich bin nicht nur angetan, sondern sprachlos, so schön ist „Adan no Kaze“. Eigentlich hatte mich das Album schon nach dem „Prologue“ und dabei steht einem hier noch eine lange und verzaubernde Reise bevor. Es gibt Choräle, die mich mitunter an frühe Julia Holter oder auch Ramona Lisa Aufnahmen erinnern, es gibt allerlei faszinierende Arrangements, die sinnlich und zart zwischen etwas Pop, Folk, Elektronik und Kammermusik eine sonderbar intime Form erschaffen, die mir in dieser Intensität vielleicht zuletzt bei Björks „Vespertine“ begegnet ist. Das Album klingt auch ganz und gar so, wie das Cover vorwegnimmt – mystisch, stripped und dabei ganz warm und vertraut. Man hört manche Sequenzen und ist von schützendem Fruchtwasser umgeben.
Mir wird hier auch bewusst, dass es vermutlich kaum eine passendere Sprache für Pop und Folk gibt, als japanisch.
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Hold on Magnolia to that great highway moon
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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irrlicht
Man hört manche Sequenzen und ist von schützendem Fruchtwasser umgeben.Schön, dass du jetzt endgültig eingestiegen bist, nachdem du ja schon länger um Aoba gekreist und in einige Sachen reingehört hast!
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Ja, das war allerhöchste Zeit
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Hold on Magnolia to that great highway moon -
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