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Mein jüngster Blog auf „Tokyo – On The Record“ beschäftigt sich mit der Plattenladenkette disk union — und manchem mehr. Habe den Text hier auch einkopiert. Auch der Seite selbst gibt es aber auch ein paar Bildchen.
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In Tokio lebt man eher senkrecht. Mal abgesehen von den zahlreichen Hochhäusern: Auch viele normalhohe Gebäude – sagen wir mal: vier- bis achtstöckige – sind grotesk schmal. Diese Streichholzbauten finden sich hier allerorts, besonders häufig an spitzen Straßenecken oder eingezwängt zwischen breiteren Gebäuden. Jeder Meter Straßenfront muss hier genutzt, sprich: versilbert werden.
Da sich in Tokio bekanntlich in oberen Etagen auch köstliche Gastronomie und ansprechender Einzelhandel niederlässt, muss ich mitunter enge Treppen in diesen Spargelgebäuden erklimmen, um meiner Plattensammelleidenschaft frönen zu können. Der Himalaya meiner Vinylsammelwut ist diskunion. Nun hat man dessen Gipfel über Tokio verteilt. Vor allem in einem Block unweit des Bahnhofs Shinjuku, des meistgenutzten Bahnhofs der Welt – auf den Plätzen 2, 3, 6, 8, 9 und 10: andere Tokioter Bahnhöfe; auf den weiteren Top-10-Plätzen: andere japanische Bahnhöfe; unter den Top 50 sind überhaupt nur fünf nicht-japanische Bahnhöfe – finden sich entscheidende Filialen, mindestens fünf an der Zahl. Die meisten davon sind auf mehrere Stockwerke solcher anorexischen Funktionsbauten verteilt. In diesen nehmen schmalste Treppenhäuser und hoch betagte Fahrstühle geschätzt bereits ein knappes Drittel der Grundfläche ein. Die darob knappe Ladenfläche ist rappelvollgestellt. Das Publikum muss sich daher nicht selten wetten-dass-tauglich artistisch verrenken, um aneinander vorbei und an die ersehnte Ware zu gelangen. Wer überdies die altersschwachen Lifte meidet und die Treppen bis in die oberen Stockwerke erklimmt, beendet seine Exkursionen nicht selten schweißgebadet – und ob der Funde doch selig lächelnd.
Nun ist nicht nur der Aufstieg zu diesen Hochalmen des Vinylisten mühsam. Es fällt auch schwer zu ermitteln, auf welcher Alm welches goldene Kalb verborgen ist. Denn wo schwarzes Gold welchen Genres angeboten wird, will sich mir bei allem guten Willen und trotz zahlreicher selbstloser Erkundungen des Terrains nicht erschließen. Es gibt mindestens zwei Bereiche für japanische Musik in den Basements zweier verschiedener und doch dicht beieinander gelegener Gebäude. Es gibt in einem Gebäude eine Etage für Progressive Rock und eine für Independent und Alternative. In einem anderen, unweit gelegenen finden sich aus beiden Genres wiederum zahlreiche Exponate. Es gibt irgendwo eine Abteilung für Heavy Metal und Hard Rock und im Gebäude gleich gegenüber – verborgen im nur über einen versteckten Fahrstuhl erreichbaren fünften und sechsten Stock – Rock und dergleichen mit Fächern für Bands, die auch in der Heavy-Metal-Etage vertreten sind. Kurz: Es ist verwirrend. Ich nehme an, frisch eingekaufte Gebrauchtware wird auf die Filialen schlicht nach freier Stellfläche verteilt. Das ist nur vordergründig unpraktisch, liefert es doch eine willkommene Rechtfertigung, jede Filiale in geringen Abständen aufzusuchen, um sich nichts Kostbares entgehen zu lassen.
Es fällt dem Edeka-sozialisierten Provinzler freilich ohnehin schwer, sich im hiesigen Warenangebot zu orientieren. Da ist zunächst mal die Sprache, vor allem aber natürlich der Wirrwarr der Zeichen. Als ich das erste Mal einen japanischen Supermarkt mit dem gebotenen Optimismus aufsuchte, wurde mir schnell bewusst, dass man zwar eine Banane auch in Japan unkompliziert als solche erkennt, es aber schon bei der Butter schwierig wird. Denn auf den Packungen steht natürlich nicht Butter, jedenfalls nicht auf Deutsch – sondern eher auf Englisch, aber dargestellt mit Katakana-Zeichen. Die werden für ausländische oder aus Fremdsprachen entliehene Wörter verwendet. Butter steht da also so: バター, sprich: Bataa. Ich empfehle allen Japanreisenden, sich die 45 Katakana-Zeichen drauf zu schaufeln. Denn mit ihrer Beherrschung kann man vor allem die hiesigen Speisekarten sehr viel einfacher durchdringen. Geht man etwa in ein italienisches Restaurant (das im Zweifel nicht von Italienern, sondern von Italien-affinen Japanern betrieben wird), werden auf der Speisekarte zwar nur italienische Gerichte zu finden sein, allerdings kein einziges in lateinischer Schrift, sondern ausnahmslos alle in Katakana. Man könnte zum Bespiel statt ラザーニェ, ボロネーゼ・スパゲッティ, ピザ・ナポリ auch Lasagne, Spaghetti Bolognese und Pizza Napoli schreiben. Macht man aber nicht. Wir sind ja nicht in Italien!
Zurück in den Supermarkt: Beherrscht man keinerlei japanische Schriftzeichen, muss man nach Optik kaufen und darauf vertrauen, dass man Butter erwischt und nicht Tofu oder Schafskäse oder Kleistermasse für die häusliche Renovierung. Denn nicht immer erschließt sich dem Westler (bewusst nicht gegendert, meine Frau findet alles, immer und überall) die Platzierung der Waren im Supermarkt. In unserem Stammsupermarkt Precce (Katakana: プレッセ, sprich: puresse, nun ja) stehen Butter, Milch und Joghurt ohne ersichtlichen Grund weit voneinander entfernt, ebenso Käse und Frischkäse. Ich hatte schon den Verdacht, dass die Ware chronologisch platziert wird, also nach Wareneingang. Oder vielleicht im Sinne des Fengshui? Oder alphabetisch? Nein, das kann nicht sein, das Alphabet nutzt man hier nicht. Hier würde sortiert nach dem AIUEO, bei dem die fünf Vokale der Reihe nach mit einzelnen Konsonanten kombiniert werden, dies aber durchaus nicht in der uns vertrauten Sortierung. Das wäre zu einfach für uns Gaijin. Hier geht das dann so, natürlich auch wieder mit Varianzen: ka, ki, ku, ke, ko, dann sa, shi (wir erinnern uns: „si“ kann und/oder will man hier nicht aussprechen), su, se, so, ta, chi (fragt nicht!), tsu (fragt nicht!, hab‘ ich gesagt), te, to usw. Wäre das Warenangebot tatsächlich danach sortiert, müsste man sich erst mühsam eindenken. Bis man sich orientiert hätte, wäre die Butter wohl ranzig.
Der Einfachheit halber zuckt man also das Handy und nutzt die Google-Übersetzer-App. Das dauernde Abscannen der Auslage sieht bescheuert aus, weist einen als sprachunkundigen Besucher aus, obwohl man doch so gerne dazugehörte, und führt zu chronischen Fehlhaltungen. Es ist aber letztlich die einzige Möglichkeit, in überschaubarer Zeit einen allerdings ebenso überschaubaren Warenbestand zusammenzutragen oder im Restaurant nicht nur die Beilagen zu bestellen.
Noch weiter zurück, nämlich wieder in den Plattenladen. Hier ist westliche Musik innerhalb der fragwürdigen Genrezuordnungen nach dem Alphabet, japanische Musik indes nach dem AIUEO und damit migränefördernd sortiert. Man sollte aber sowieso nicht zu disk union gehen, wenn man etwas Konkretes sucht, zumal Neuware nur in geringem Umfang angeboten wird. Man läuft halt hin und stöbert, bis der Arzt kommt oder die Kreditkarte einbehalten wird. Die Menge der angebotenen Ware ist – vor allem in der Gesamtschau der Filialen – unüberschaubar. Preislich findet sich alles zwischen 100 Yen (etwa 72 Ct) und 1000 Euro, und in letzterer Preislage gar nicht mal wenig. Echte Schnäppchen macht man heute zwar ob der Preistransparenz, die vor allem Discogs schafft, nicht mehr. Aber die Vielfalt des Angebots begeistert, ach was: euphorisiert und verführt zu manchem Impulskauf. Wer mich mal richtig heiter erleben will, lauere mir vor einer disk-union-Filiale auf.
Vor allem kann man bei disk union natürlich fantastisch japanische Musik kaufen, die man in Deutschland gar nicht oder nur zu prekarisierenden Importpreisen bekommt. Ich kaufe hier, wenn ich so ehrlich sein darf, oft nach optischen Kriterien, zumal aus den Fächern für japanischen City Pop (gesprochen: „Shitty Pop“, siehe oben). Ich habe dabei noch kaum einen Fehlkauf getätigt. Blind kaufen kann man vor allem Platten mit Covern von Hiroshi Nagai (永井博), von dem auch die Cover der schönen Pacific-Breeze-Reihe sind, die in Deutschland unproblematisch erhältlich ist (vor allem natürlich bei https://www.michelle-records.de). Nun ja, blind sollte man sie eben nicht kaufen, es geht ja gerade um die Cover – selten war eine Metapher schiefer. Aber auch im Übrigen lohnt es, sich verführen zu lassen von coolen City-Landschaften, schulterpolstrig gekleideten Herren, Frauenfrisuren nach Art einer explodierten Ananas und überhaupt allem, was nach den hedonistischen 80ern aussieht. Belohnt wird man mit der ganzen Vielfalt erstklassiger Popmusik, gleichsam das Beste aus den 70ern, 80ern und von heute. Aber eben „in gut“. Darüber hinaus gibt es erstklassigen japanischen Jazz, Hiphop, R&B, Techno und und und. Also alles, was Ihr auch bei Michelle bekommt, nur japanisch.
Der Vollständigkeit halber und als Service für Geneigte (im Zweifel alkoholbedingt) sei erwähnt, dass in oberen Stockwerken oft auch eher horizontal geneigte Dienstleistungen angeboten werden, die durchaus auch für Kurzatmigkeit sorgen können – hat man mir gesagt. Ob Begeisterung dort akustisch nach unserem AEIOU oder eher dem hiesigen AIUEO zum Ausdruck gebracht wird, möge jemand anderes ermitteln. Ich habe dort nichts verloren und auch nichts zu suchen.
zuletzt geändert von peterjoshua--
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Takashi Kokubo (…) Zu seinen bekanntesten Werken gehören der Erdbebenalarm-Warnton auf japanischen Handys, sowie der Bestätigungston bei Kreditkartenzahlung. https://de.wikipedia.org/wiki/Takashi_Kokubo
Bei dem Wiki-Eintrag musste ich lachen.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Neues von HAZE
今余計なその一言
きみがどんな気持ちで言ったのか
わたしには想像出来ないけど--
Nach einer Weile mal wieder ein Blog von mir zum Plattenleben in Tokio:
On Track – Keanu Reeves, der Martin, der junge Takeda, Martha und ich
Und wenn es sonst keinen Grund gäbe, nach Tokio zu ziehen: Ich täte es wieder wegen Keanu Reeves, dem Martin, dem jungen Takeda und Martha. Und vor allem wegen Wataru Fukuyama. Der betreibt nämlich in Tokio drei sogenannte Listening Bars: Bar Track, Bar Martha und Bar Nica. Track und Martha sind zu meinen weiteren Wohnzimmern geworden, so gerne und häufig verbringe ich dort Zeit.
Listening Bars gibt es zahlreiche in Tokio. Sie etablierten sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Möglichkeit, Musik in ansprechendem Ambiente und guter Qualität zu hören. Denn Schallplatten waren für breite Bevölkerungsschichten in den entbehrungsreichen Nachkriegsjahren ebenso unerschwinglich wie Musikanlagen. Das Phänomen dieser auch Jazz Kissa genannten Lokale hat sich bis in die Gegenwart erhalten, wenn auch über die Jahre modifiziert. Sie haben ohnehin nie ausschließlich Jazz gespielt, sind aber heute in ihrer musikalischen Ausrichtung noch weiter ausdifferenziert. Ihnen allen gemein ist, dass die Musik nicht nur akustische Kulisse ist, sondern im Mittelpunkt steht und aktiv genossen werden soll — und mancherorts: muss.
Wenn man etwa in Bar Track oder Bar Martha zu laut redet, wird man erst höflich ermahnt und im Wiederholungsfall rausgeschmissen. Und womit? Mit Recht. Denn Listening Bars sind eben keine Speak Easies und schon gar nicht analoges Tinder. Hier geht es um die Musik, die über edles McIntosh-Equipment von sonderangefertigten Plattenspielern auf hochwertigen Tannoy-Lautsprechern zu Gehör gebracht wird.
Fukuyama-sans Konzept gemäß lauscht man den einzelnen Stücken, die von ihm oder seinen Vertreterinnen und Vertreten im Amte sehr autonom ausgewählt und erfreulicherweise nicht übergeblendet oder gar gemixt abgespielt werden. Musikwünsche äußert man tunlichst nicht, man fordert ja auch Gerhard Richter nicht auf, bitteschön das dunklere Grün zu verwenden. Sämtliche Musik ist gefällig im schönsten Sinne: Ob westliche Klassiker oder japanischer Pop, Jazz oder Independent, ob bekannt oder obskur: Dem Ohr wird geschmeichelt. Die schönsten Momente sind jene, wenn ein Stück begeistert, das man noch nie gehört hat, von Künstlern, die einem noch unbekannt waren. Entweder liest man den Namen vom Cover ab, das vor dem ausufernden Plattenschrank für die Dauer des Stücks ausgestellt ist, oder sucht verschämt mit Shazam nach Titel und Künstler. Und bestellt dann im akustischen Rausch den Tonträger hopplahopp über Discogs – wenn es sich nicht um absurd teures, weil rares Vinyl handelt, von dem Fukuyama-san so manches vorhält.
In der kleineren Bar Track stehen nahezu immer die drei selben Herren hinter dem Tresen und wechseln sich abendweise beim Auflegen der Platten und dem Mixen und Servieren der übrigens erstaunlich moderat bepreisten Getränke ab: Keanu Reeves, der (sic!) Martin und der junge Takeda. So heißen sie natürlich nicht wirklich. So habe ich sie getauft. Der größte der dreien sieht ein wenig aus wie der japanische Keanu Reeves und ist ähnlich ruhig und rätselhaft. Der Martin heißt bei mir so, weil er einen recht großen Mund hat und mich (nur) deshalb an „Maddin“ Schneider erinnert – Nachgeborene googlen bitte, oder ist der in Deutschland noch präsent?
Und dann ist da noch der junge Takeda. Ich nenne ihn so, weil ich mir Inspektor Takeda wie seinen älteren Bruder vorstelle. Takeda der Ältere ist ein japanischer Polizist, der als Gast bei der Hamburger Polizei ermittelt. Nicht im wirklichen Leben, sondern in den Büchern von Henrik Siebold (der eigentlich Daniel Bielenstein heißt, aber Henrik Siebold klingt natürlich viel verruchter und charismatischer). In Tokio lebt er – also Kommissar Takeda, wo Siebold absteigt und unter welchem Pseudonym, weiß ich nicht – in Meguro. Das ist der Stadtteil, in dem auch wir wohnen. Wenn Siebold seinen Takeda über Hamburg, Tokio, deutsche und japanische Lebensart und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede sinnieren lässt, erkennen wir uns und unsere Lebenswirklichkeiten wieder. Tolle Bücher! Worüber der junge Takeda sinniert, weiß ich nicht. Ich spreche mit den Track-Jungs nur das Nötigste, eben weil man zum Musikhören da ist – und weil, auch das, mein Kneipenjapanisch nicht gut genug ist.
Man kennt mich trotz oder vielleicht auch ob meiner Schweigsamkeit. Gerade Fukuyama-san, der Boss, der freitags in Bar Martha auflegt, scheint zu schätzen, wenn man sich ganz der Musik hingibt. Er stört sich augenscheinlich nicht daran, wenn Pärchen zur Beziehungsanbahnung oder -vertiefung einander anschmachten und darob den Musikgenuss aus dem Auge oder vielmehr aus dem Ohr verlieren. Gruppen von Männern, die sich akustisch gehen lassen und allzu bollernd mit- oder übereinander lachen, werden hingegen erst deutlich und dann drastisch in den Senkel gestellt. Da wird dann Fukuyama-san auf eine Art laut, wie man sie aus klischeehaften Samurai-Filmen kennt. Sein Ärger über die akustischen Hooligans wird flankiert durch eine Choreographie seiner Mitarbeiter, die sofort herbeieilen, um den Chef von Tätlichkeiten abzuhalten. Oder jedenfalls so tun, als drohten solche. Denn ich bin mir sicher, dass Fukuyama-san seine Aufregung nur spielt, das aber sehr gut. Haben die Rüpel den Laden unter wüsten Beschimpfungen verlassen, kehrt Fukuyama-san unverzüglich breit grinsend hinter seine Plattenteller zurück und scherzt mit den braven Gästen über die jüngste Inszenierung.
Ich habe mir still Fukuyama-sans Anerkennung und die seines Teams erworben. Auch wenn andere Gäste noch Schlange stehen, um platziert zu werden, lotst man mich in der Regel zu einem Barhocker in der Nähe des Plattenauflegers (DJ klingt viel zu sehr nach Dienstleister). Mitunter werde ich recht unvermittelt aufgefordert, einen Platz nach rechts oder links zu rücken. Anfangs fragte ich mich dann regelmäßig, ob ich etwas falsch gemacht hatte oder meinen Nebenleuten mein Duftwasser nicht behagte (auf das man in Japan ohnehin weitgehend verzichten sollte, denn Parfümierung gilt als aufdringlich). Doch dann merkte ich, dass ich durch die Umplatzierung genau in die Mitte zwischen den imposanten Lautsprechern positioniert wurde, um so meinen Hörgenuss zu maximieren. Hach, die Wonnen des japanischen Perfektionismus.
Dass es selbst in Japan ganz anders gehen kann, musste ich in der Listening Bar JBS in Shibuya erfahren. JBS steht für Jazz, Blues und Soul und befindet sich im ersten Obergeschoss (dem japanischen zweiten Stock) eines nichtssagenden Gebäudes in einer Durchgangsstraße etwas abseits des eigentlichen Nachtlebens. Dem Vernehmen nach dienen der Laden dem Betreiber Kobayashi-san, wohl ein ehemaliger Trader, als Lager für große Teile seiner umfangreichen Plattensammlung und die überschaubaren Getränkepreise dem Bezahlen der Miete.
Im Unterschied zu Fukuyama-san, in dessen Läden man nicht fotografieren darf und der Social Media rigoros ablehnt, lässt sich Kobayashi-san gerne von dahergelaufenen Influencern und Instagram-Süchtigen der Millennial-Kohorte vor seinen Platten ablichten und zu ihnen befragen. Nun habe ich den Fehler gemacht, kein Millennial zu sein und kein Smartphone im Anschlag zu haben und/oder aber gerade derjenige zu sein, der Kobayashi-san einmal zu viel die doofe Frage nach der Zahl seiner Platten hören ließ. Dabei hatte ich eben diese Frage eingeleitet mit „I know you hear this stupid question all the time“ und eingebettet in Fragen nach seinen Vinylbezugs- und musikalischen Inspirationsquellen usw. Doch Kobayashi-san ließ sich nicht davon abhalten, auf meine Fragen hin ausschließlich und ausdauernd „I am sick of silly questions“ vor sich hin zu sagen. Auch der Einwand meines Begleiters, ich sei als Mitinhaber eines Plattenladens und pathologischer Plattensammler doch eigentlich ein satisfaktionsfähiger Gesprächspartner, beschwichtigte Kobayashi-san nicht.
Ich zog schwer gekränkt, gedemütigt und einer Illusion beraubt von dannen. Wieso musste ich gerade in einer Listening Bar Opfer von Ruppigkeit werden? Die erfährt man in Japan sonst eigentlich nur von alten, meist buckligen, griesgrämigen Mütterchen, die den ignoranten ausländischen Schmutzfinken nicht die hier sonst übliche Toleranz entgegenbringen und einen mitunter recht unvermittelt anpampen, weil man irgendeinen obskuren Comment nicht beachtet hat.
Ich bin seither nicht mehr in JBS gewesen. Egal, bei Fukuyama-san und seinen zugewandten und kundigen Mitauflegern und Barleuten wohnt und lauscht sich’s ohnehin besser. (Auf Wunsch teile ich gerne einen Link zu meiner Playlist, in der ich meine akustischen Trouvaillen aus Bar Track und Bar Martha sammle.)
zuletzt geändert von peterjoshua--
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