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  • #4441837  | PERMALINK

    observer

    Registriert seit: 27.03.2003

    Beiträge: 6,709

    @Herbert:
    Empfindest du „Sinking“ wirklich als so düster? Die Vermittlung psychischer Qual fand für mich auf „Pornography“ statt und teilweise kamen sie auf der 2004er Platte wieder in die Nähe dieser tiefen Emotionalität.
    „Sinking“ steht da für mich wirklich in einer Reihe mit „Disintegration“, wo die „dunkle Seite“ auch immer ein hohes Maß an Romantik in sich trägt. Das liegt wohl in der Wahl der musikalischen Mittel (schwere Keyboardflächen) begründet. Dennoch mag ich diese Seite der Band genau so gern.

    @Mista: Danke! :wave:

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    #4441839  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

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    #4441841  | PERMALINK

    observer

    Registriert seit: 27.03.2003

    Beiträge: 6,709

    Sufjan Stevens – Illinois (Come on feel the Illinoise)
    (Asthmatic Kitty Rec. 2005)

    Während meiner Uni-Zeit wurde uns immer die Methode des „mind-mappings“ ans Herz gelegt. Durch eine strukturierte Darstellung von Schlüsselbegriffen sollen in assoziativer Weise das Erinnerungsvermögen und der kreative Umgang mit einem Thema gefördert werden, da (so die These) die linke und rechte Gehirnhälfte gemeinsam genutzt werden. So stelle ich mir Sufjan Stevens vor, wir er anfangs vor einem Blatt Papier sitzt und in die Mitte dick umkreist den Namen „Illinois“ schreibt. Von da aus verzweigen sich dann all die Eindrücke und angelesenen Fakten zu historischen Ereignissen und Persönlichkeiten, die er im Zuge seiner Recherche zu diesem Bundesstaat in sich aufgesaugt hat. Der Rest scheint bei ihm ganz schnell zu gehen, denn insgesamt soll es nur fünf Monate gedauert haben, bis das Album, das mit dem Wort „komplex“ nur unzureichend beschrieben ist, im Kasten war.

    Mit dem zweiten Teil seines „50 States“-Projektes macht er einfach alles richtig und bestätigt mal wieder meine Vermutung, dass Solokünstler oft die aufregenderen Platten veröffentlichen, da sie sich nicht dem Kompromißgesetz eines Bandgefüges unterordnen müssen. Größenwahn und Selbstzweifel sorgen dann schon für die richtige Balance beim Ergebnis. Und Sufjan Stevens macht fast alles allein. Er schreibt die Texte, komponiert und spielt zudem die meisten Instrumente selbst ein. Und das sind in diesem Fall nicht wenige. Schon oft habe ich mich ob seines Talents gefragt, wie er wohl aufgewachsen ist und seine Jugend verbracht hat. Ich stelle mir dann immer einen sehr introvertierten Menschen vor, der Stunden und Tage in seinem Zimmer verbringt und sich die Welt der Musik aneignet, dies aber in so unkonventioneller Weise macht, dass es ihn heute befähigt, solch außergewöhnliche Platten aufzunehmen. Die Einflüsse auf „Illinois“ reichen von Folk über Post-Rock hin zu den Minimalisten a la Philipp Glass und Steve Reich. Die stilistische Spannweite ist einfach zu groß, um sie auch nur annähernd beschreiben zu können. Die fast auf ein Piano reduzierte Eröffnung des Album, das triumphierend Orchestrale bei „Chicago“, die anrührenden Banjo-Balladen und die das Album prägenden Chor-Passagen sind nur einige Eckpunkte in diesem gigantischen Mosaik, dass am Ende den Eindruck eines geschlossenen Ganzen hinterläßt. Die Tracks sind ohne Pausen aneinandergereiht und sorgen so für einen Fluß, der den Hörer auf eine große Reise nimmt und nach 75 Minuten atemlos und mit herunterhängender Kinnlade, aber auch sehr erfüllt, zurückläßt.

    Die musikalische Ebene ist es aber nicht allein, die das Album so herausragen läßt, obwohl Stevens auch da schon zu einer inhaltliche Deutung herausfordert. Nur ein Beispiel: im Instrumental „The Black Hawk War, or, How to demolish an entire civilization and still feel good about yourself in the morning …..“ kommt es zu einer Verschmelzung eines sehr sakral klingenden Chores mit Marschmusik. Der Titel impliziert natürlich einen Bezug zum Indianerkrieg von 1932, aber eine aktuellere Deutung zur Verbindung von Patriotismus und Religion liegt da nicht fern. Und mit der gleichen Mehrdeutigkeit operieren die Texte. Ein Blick in Internetforen, die sich mit der Interpretation seiner Lyrics befassen, offenbart, wie sich Muttersprachler und Ortskundige an seinen Texten abarbeiten. Dennoch sind sie nicht verklausuliert, sie beinhalten nur viele Metaphern und lassen Deutungsfreiräume. Was meint er z.B. in „Casimir Pulaski Day“ mit der Zeile „and the cardinal hits the window“, als seine Freundin an Krebs stirbt. Der Kardinal ist der Wappenvogel von Illinois und ein alter Aberglaube besagt, dass ein durchs Fenster hereinfliegender Vogel Unglück, wenn nicht sogar den Tod ins Haus bringt. Dazu natürlich noch die Doppeldeutigkeit des Wortes „cardinal“, nachdem er im Angesicht des Todes über den Sinn seines Glaubens nachdenkt. Mir scheint überhaupt, das ein wirkliches Durchdringen der Texte auch eine gewisse Bibelkenntnis voraussetzt. Sufjan Stevens ist gläubiger Christ, aber keiner, der an irgendeiner Stelle missioniert.
    Ebenso wie die vielen christlichen Bezüge sind es natürlich auch die vielen historischen Verweise, die (uns Europäern) ein leichtes Verständnis seiner Texte nicht grade erleichtern. Aber dafür gibt es ja u.a. das Internet. Allein die Wikipedia-Einträge zu Illinois verweisen schon auf viele Schlüsselgestalten, die auf dem Album auftauchen. Ich kann nur jedem, der sich tiefergehender mit der Platte auseinandersetzen will, empfehlen, diesen Spuren zu folgen. „Illinois“ wird zu einem Geschenk ..ähm.. Gottes. Für mich ist es bislang das beste, weil berührendste und herausfordernste Album in diesem Jahrzehnt.

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    #4441843  | PERMALINK

    ah-um

    Registriert seit: 24.02.2006

    Beiträge: 1,398

    Sehr schöner Text, das!

    Zufällig habe ich heute die Platte auf meine Wunschliste gesetzt. Jetzt ist sie deutlich weiter nach oben gerückt.

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    There is a crack in everything; that's how the light gets in. (Leonard Cohen)
    #4441845  | PERMALINK

    nikodemus

    Registriert seit: 07.03.2004

    Beiträge: 21,265

    Sehr schön Observer, „Illinoise“ war auf Platz 2 meiner liebsten Alben von 05. Eine wirklich schwer zu beschreibende Platte, das hast du schon gut ausgedrückt, teils sehr schlicht, teils sehr komplex. Mit den Lyrics hab ich mich wohl noch nicht genug auseinandergesetzt (das mit dem Vogel war mir neu).
    Insgesamt keine einfache Platte, da sie sehr schwer zu durchdringen ist, dadurch wohl aber eine längere MHD hat.
    Da ich nur Illinois kenne, wie hörst du sein restliches Output und was würdest du mir als nächstes empfehlen?

    --

    and now we rise and we are everywhere
    #4441847  | PERMALINK

    observer

    Registriert seit: 27.03.2003

    Beiträge: 6,709

    nikodemus
    Da ich nur Illinois kenne, wie hörst du sein restliches Output und was würdest du mir als nächstes empfehlen?

    „Michigan“, als erster Teil seiner Staaten-Alben, ist sehr toll. „The Avalanche“ als Nachschlag zu „Illinois“ ist auch empfehlenswert, wenn auch mit leichten Einschränkungen hinsichtlich eines ähnlich geschlossenen Gesamteindrucks wie beim Vorgänger. Abraten würde ich von den ersten beiden Alben „A sun came down“ und „Enjoy your rabbit“.

    A sun came down **1/2
    Enjoy your rabbit **
    Michigan ****1/2
    Seven Swans ****
    Illinois *****
    The Avalanche **** – ****1/2

    --

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    #4441849  | PERMALINK

    art-vandelay

    Registriert seit: 07.10.2005

    Beiträge: 3,382

    Tolle Platte, toller Text Observer. Ich habe das Album erst diese Woche bekommen und seitdem läuft es bei mir permanent (die anderen Stevens Alben habe ich sofort nachbestellt…). Mit den Lyrics habe ich mich (wie so oft) noch nicht intensiv beschäftigt, daher auch von mir herzlichen Dank für deine Worte dazu.
    Jetzt ärgere ich mich nur, dass ich nicht früher auf ihn aufmerksam wurde und so schöne Vinylerstauflage von Illinois(e) verpasst habe.

    --

    #4441851  | PERMALINK

    dr-music

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 70,283

    observer“… „The Avalanche“ als Nachschlag zu „Illinois“ ist auch empfehlenswert, wenn auch mit leichten Einschränkungen hinsichtlich eines ähnlich geschlossenen Gesamteindrucks wie beim Vorgänger.

    Da wiederholt sich viel zu viel, was quasi genau so schon bei „Illinois“ drauf ist. Der Sinn und Notwendigkeit für die Veröffentlichung von „The avalanche“ ist mir nicht klar.

    --

    Jetzt schon 62 Jahre Rock 'n' Roll
    #4441853  | PERMALINK

    observer

    Registriert seit: 27.03.2003

    Beiträge: 6,709

    Art Vandelay
    Jetzt ärgere ich mich nur, dass ich nicht früher auf ihn aufmerksam wurde und so schöne Vinylerstauflage von Illinois(e) verpasst habe.

    Die Neuauflage, die nun wieder erhältlich ist, unterscheidet sich nur durch den entfernten Superman. Insofern ist der gezeichnete „Sufjan Superman“ auf dem Avalanche-Cover eine putzige Anspielung darauf.

    @dr.music:
    Dein Vorwurf ist vielleicht nicht ganz unberechtigt. Da die Songs und ein großer Teil der Aufnahmen aber zeitgleich mit „Illinois“ entstanden sind und ursprünglich als Doppel-CD veröffentlicht werden sollten, würde ich da nicht von einem „Abklatsch“ sprechen (wie du es im Sterne-Thread bezeichnet hast). Ich bin aber noch beim Entdecken von Avalanche und habe mir noch kein abschließendes Urteil gebildet.

    --

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    #4441855  | PERMALINK

    dr-music

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 70,283

    @ Observer

    Wobei ich noch darauf hinweisen möchte, dass ich beim Sufjan durchaus „Blut geleckt“ habe: Habe mir noch diese Tage „Michigan“ + die „Seven swans“ bestellt.

    --

    Jetzt schon 62 Jahre Rock 'n' Roll
    #4441857  | PERMALINK

    belle

    Registriert seit: 01.02.2006

    Beiträge: 1,048

    Sufjan Stevens ist der herausragenste Solist dieses Jahrtausends. Es ist ein unglaubliches Gefühl dieses Album zu hören

    --

    Und ich liege im Bett und ich muss gestehen ich habe große Lust mich noch mal umzudrehn
    #4441859  | PERMALINK

    tina-toledo
    Moderator

    Registriert seit: 15.06.2005

    Beiträge: 13,392

    Sehr schöner Text – sehr, sehr schöne Platte. Danke, observer!

    --

    Sir, I'm going to have to ask you to exit the donut!
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