Forums-Anthologie (Lyrisches)

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  • #1360419  | PERMALINK

    aimee
    Moderator

    Registriert seit: 12.07.2002

    Beiträge: 6,563

    Weltende
    von Jakob van Hoddis

    Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
    In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
    Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
    Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

    Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
    An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
    Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
    Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

    …das fand ich schon in der Schule ganz toll!

    Und ich musste auch gleich mein altes Deutschbuch rauskramen, weil es mir irgendwie unvollständig vorkam (was es natürlich nicht ist).

    Aber ich empfinde die Schilderung als.. wie mittendrin abgebrochen. Liegt wohl an formalen Dingen, die erste Strophe ist in sich geschlossen, durch das „Und“ am Anfang des letzten Satzes, und auch weil sie mit einem einsilbigen Wort endet. Nach dem letzten Satz der zweiten Strophe aber erwarte ich immer noch etwas Abschließendes, das nicht kommt. Bleibe beim Lesen irgendwie in der Luft hängen. Die beiden letzten Sätze sind ja gleich aufgebaut, wie der Beginn einer Aufzählung, aber sie bleibt unvollständig.

    Dadurch wirkt es auf mich wie ein Radio-Live-Report, der mittendrin abbricht, weil das Ereignis, das er vorher aus der Beobachterposition beschrieb, nun auch den Sprecher ereilt hat. Wenn das gewollt ist – und davon gehe ich aus – finde ich es genial.

    --

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    #1360421  | PERMALINK

    candycolouredclown
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 19,059

    Hatten wir auch im Deutsch-Kurs behandelt.
    Mochte es.

    --

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    #1360423  | PERMALINK

    dr-nihil

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 15,356

    Weltende
    von Jakob van Hoddis

    Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
    In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
    Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
    Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

    Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
    An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
    Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
    Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

    …das fand ich schon in der Schule ganz toll!

    Und ich musste auch gleich mein altes Deutschbuch rauskramen, weil es mir irgendwie unvollständig vorkam (was es natürlich nicht ist).

    Aber ich empfinde die Schilderung als.. wie mittendrin abgebrochen. Liegt wohl an formalen Dingen, die erste Strophe ist in sich geschlossen, durch das „Und“ am Anfang des letzten Satzes, und auch weil sie mit einem einsilbigen Wort endet. Nach dem letzten Satz der zweiten Strophe aber erwarte ich immer noch etwas Abschließendes, das nicht kommt. Bleibe beim Lesen irgendwie in der Luft hängen. Die beiden letzten Sätze sind ja gleich aufgebaut, wie der Beginn einer Aufzählung, aber sie bleibt unvollständig.

    Dadurch wirkt es auf mich wie ein Radio-Live-Report, der mittendrin abbricht, weil das Ereignis, das er vorher aus der Beobachterposition beschrieb, nun auch den Sprecher ereilt hat. Wenn das gewollt ist – und davon gehe ich aus – finde ich es genial.

    Ja, ich denke schon, dass das so oder so ähnlich gewollt ist. Wir hatten das damals auch im Deutsch-LK gemacht (haben recht intensiv Expressionismus gemacht) und unser Lehrer hat uns dieses Gedicht zunächst in andere Versreihenfolge gegeben mit der Aufgabe zu versuchen, es in die richtige Form zu bringen, womit uns der Lehrer verdeutlichen wollte, dass diese Verse im Grunde untereinander vollkommen austauschbar sind. Sie ergeben ein Gesamtbild und scheinen trotzdem unabhängig voneinander zu sein. Wie eben so eine Erzählsituation, die du, Aimee, beschreibst.

    --

    #1360425  | PERMALINK

    candycolouredclown
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 19,059

    womit uns der Lehrer verdeutlichen wollte, dass diese Verse im Grunde untereinander vollkommen austauschbar sind.

    NEIN! Finde ich absolut nicht!
    Da gibt es schon eine Anstiegskurve innerhalb des Gedichtes.
    Und dass in der vorletzten Zeile noch mal das relativ banale “ Die meisten Menschen haben einen Schnupfen“ vor dem ultimativen Unglück “ Die Eisenbahnen fallen von den Brücken“ kommt, ist auch absolut beabsichtigt, und kann gar nicht an einer anderen Stelle stehen.

    --

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    #1360427  | PERMALINK

    joerg-koenig

    Registriert seit: 09.08.2002

    Beiträge: 4,078

    Und hier und jetzt zwei Zweizeiler.

    Donald schreibt an Daisy:

    Liebe Daisy,
    gülden sind die Äuglein dein,
    leuchten wie die Sternelein.

    Die Neffen fangen das ab und ändern es in:

    Liebe Daisy,
    Saatkartoffeln haben Augen,
    sind wie deine anzuschaugen.

    :lol: :lol: :lol: :lol: :lol: :lol: :lol:

    --

    Wenn wir schon alles falsch machen, dann wenigstens richtig.
    #1360429  | PERMALINK

    aimee
    Moderator

    Registriert seit: 12.07.2002

    Beiträge: 6,563

    *g*

    womit uns der Lehrer verdeutlichen wollte, dass diese Verse im Grunde untereinander vollkommen austauschbar sind.

    NEIN! Finde ich absolut nicht!
    Da gibt es schon eine Anstiegskurve innerhalb des Gedichtes.
    Und dass in der vorletzten Zeile noch mal das relativ banale “ Die meisten Menschen haben einen Schnupfen“ vor dem ultimativen Unglück “ Die Eisenbahnen fallen von den Brücken“ kommt, ist auch absolut beabsichtigt, und kann gar nicht an einer anderen Stelle stehen.
    Sehe ich auch so. Obwohl ich die Aufgabenstellung spannend finde (unser Deutschlehrer wäre nie auf sowas gekommen.)

    Die ersten 6 Zeilen sind überhaupt nicht austauschbar, da ist ein Spannungsbogen. Die 8. würde dahinter passen, aber er unterbricht den Bogen durch die Banalität der 7. Zeile – mit der dann auch noch das Reimschema wechselt.

    Je länger ich darüber nachdenke, desto kunstvoller finde ich es.

    --

    #1360431  | PERMALINK

    dr-nihil

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 15,356

    *g*

    womit uns der Lehrer verdeutlichen wollte, dass diese Verse im Grunde untereinander vollkommen austauschbar sind.

    NEIN! Finde ich absolut nicht!
    Da gibt es schon eine Anstiegskurve innerhalb des Gedichtes.
    Und dass in der vorletzten Zeile noch mal das relativ banale “ Die meisten Menschen haben einen Schnupfen“ vor dem ultimativen Unglück “ Die Eisenbahnen fallen von den Brücken“ kommt, ist auch absolut beabsichtigt, und kann gar nicht an einer anderen Stelle stehen.
    Sehe ich auch so. Obwohl ich die Aufgabenstellung spannend finde (unser Deutschlehrer wäre nie auf sowas gekommen.)

    Die ersten 6 Zeilen sind überhaupt nicht austauschbar, da ist ein Spannungsbogen. Die 8. würde dahinter passen, aber er unterbricht den Bogen durch die Banalität der 7. Zeile – mit der dann auch noch das Reimschema wechselt.

    Nein, sehe ich weiterhin nicht ganz so (ein bisschen von mir aus). So etwas wie ein „ultimatives Unglück“ mag es vielleicht inhaltlich geben, aber ich höre es nicht. Wenn ich von Banalität spreche, meine ich in diesem Fall nicht nur das Banale, was z.B. in einem Vers wie dem vorletzten steckt, sondern auch eine Banalität, die in der Sprache, im Ausdruck von van Hoddis steckt. Menschen sterben bei ihm, sie gehen „entzwei“. Das klingt als ob irgendein unwichtiger Gegenstand kaputt geht. Und auch der letzte Satz (also das angebliche „ultimative Unglück“) hat so etwas leicht desinteressiertes. Es fallen halt Eisenbahnen von den Brücken herunter. Beschreibende Adjektive oder derartiges gibts nicht dafür. Das passiert halt.
    Okay, es besteht insofern ein gewisser dramaturgischer Aufbau, dass in jeweils den ersten beiden Zeilen der Strophen diese Katastrophenstimmung durchaus als eine solche aufgebaut wird, aber diese auch dann auf die Weise, die ich eben darstellte, ich nenne es jetzt einfach mal so: banalisiert und entemotionalisiert wird. Inhaltlich lassen sich die Verse für mich austauschen.

    --

    #1360433  | PERMALINK

    candycolouredclown
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 19,059

    Für mich hört sich das so an, als ob Du das Gegenteil von dem, was wir sagen, mit den gleichen Argumenten belegst. Ich finde auch, dass das gesamte Gedicht aus einer relativ distanzierten, kalten, ja emotionslosen Sicht beschrieben wird.
    Trotzdem besteht innerhalb der Strophen UND innerhalb des gesamten Gedichtes ein Bogen, den man (meiner Meinung nach) durch Umstellen der Verse nicht abändern kann.
    Zu mehr bin ich heut nicht in der Lage.
    Gute Nacht.

    --

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    #1360435  | PERMALINK

    dr-nihil

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 15,356

    Trotzdem besteht innerhalb der Strophen UND innerhalb des gesamten Gedichtes ein Bogen, den man (meiner Meinung nach) durch Umstellen der Verse nicht abändern kann.

    Wenn ich dich richtig verstehe, hast du dich eben falsch ausgedrückt: du meinst, ein Bogen, der sich durchaus durch Umstellen der Verse ändert.
    Wenn du das so meinst:

    gut, ihr habt recht! :D Aber ich denke, was das Inhaltliche angeht – die Art wie er die verschiedenen Verse ausdrückt mal beiseite gelassen -, lässt sich so ein Umstellen zumindest größtenteils durchführen.
    Ist aber jetzt auch nicht soo wichtig, schließlich ist das Gedicht nun mal so wie es ist.

    --

    #1360437  | PERMALINK

    dr-nihil

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 15,356

    Schlaf gut, candy!!!

    --

    #1360439  | PERMALINK

    candycolouredclown
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 19,059

    Trotzdem besteht innerhalb der Strophen UND innerhalb des gesamten Gedichtes ein Bogen, den man (meiner Meinung nach) durch Umstellen der Verse nicht abändern kann.

    Wenn ich dich richtig verstehe, hast du dich eben falsch ausgedrückt: du meinst, ein Bogen, der sich durchaus durch Umstellen der Verse ändert.

    Jetzt weiß ich nicht, ob ich Dich richtig verstehe (ich kann kaum noch klar denken, und wahrscheinlich habe ich mich auch falsch ausgedrückt):
    Ich meine, dass das Gedicht, so, wie es dort steht, einem Spannungsbogen unterliegt. Durch Umstellen der Verse, wäre dieser Bogen (so) nicht mehr vorhanden

    --

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    #1360441  | PERMALINK

    dr-nihil

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 15,356

    Trotzdem besteht innerhalb der Strophen UND innerhalb des gesamten Gedichtes ein Bogen, den man (meiner Meinung nach) durch Umstellen der Verse nicht abändern kann.

    Wenn ich dich richtig verstehe, hast du dich eben falsch ausgedrückt: du meinst, ein Bogen, der sich durchaus durch Umstellen der Verse ändert.

    Jetzt weiß ich nicht, ob ich Dich richtig verstehe (ich kann kaum noch klar denken, und wahrscheinlich habe ich mich auch falsch ausgedrückt):
    Ich meine, dass das Gedicht, so, wie es dort steht, einem Spannungsbogen unterliegt. Durch Umstellen der Verse, wäre dieser Bogen (so) nicht mehr vorhanden

    Ja, du verstehst mich schon richtig, aber du hast dich halt falsch ausgedrückt. Ist ja nicht so wichtig.

    --

    #1360443  | PERMALINK

    candycolouredclown
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 19,059

    Ja, du verstehst mich schon richtig, aber du hast dich halt falsch ausgedrückt.

    Wenn Du das sagst…
    Ich überprüfs morgen. :D

    --

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    #1360445  | PERMALINK

    aimee
    Moderator

    Registriert seit: 12.07.2002

    Beiträge: 6,563

    ich kann kaum noch klar denken

    ja, geht mir auch so. Gut dass Du alles schon gesagt hast. ;-)

    (..aber ich verstehe auch Deinen Standpunkt, Sir.)

    --

    #1360447  | PERMALINK

    dr-nihil

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 15,356

    ich kann kaum noch klar denken

    ja, geht mir auch so. Gut dass Du alles schon gesagt hast. ;-)

    (..aber ich verstehe auch Deinen Standpunkt, Sir.)

    Gut! Aber ich glaube, nächste Woche kommt mal wieder ein Gedicht, das einfach nur schön ist und über welches man nicht so viel nachdenken muss. Mir wird hier viel zu viel widersprochen. :D

    --

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