Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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    talkinghead2

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    Wege zum Ruhm (Paths Of Glory, Stanley Kubrick, 1957)*****

    Immer wieder beeindruckend. Kirk Douglas in einer seiner besten Rollen.

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    Das Leben als Pensionär ist einfach nur geil!
    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #12510337  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Sommerprojekt: Agnès Vardas Filme gucken … heute zum Auftakt der grossartige Erstling La Pointe Courte (FR 1954)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12510733  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Gestern gab es Kurzfilme von Agnès Varda: Ô saisons, ô châteaux, eine eigenwillige Dokumentation über die Loire-Schlösser von 1957 mit Musik von André Hodeir und der Jazz groupe de Paris. Auf der Tonspur werden auch Gedichte gelesen, dazu kommen Geschichten über Schlossherren, die Verwalter, Erzählungen über den Bau, den Zweck der Anlagen … und ein paar Mannequins bewegen sich durch einzelne Einstellungen, an einem Punkt werden sie quasi als Re-Enacterinnen der alten Burgfräulein eingebunden, aber das spielt alles keine Rolle.

    Du côté de la côte über den Tourismus an der frz. Côte d’Azur aus dem Jahr 1958 – eher noch verspielter und auch etwas abgründiger. Es geht um Mode (alle tragen blau, ausser die Engländerinnen tragen, was sie wollen und die Deutschen tragen grün), um Camping, ums Herumliegen am Strand, um Bäume und Pflanzen, um Hotels und Kaps – und um die Friedhöfe. Und natürlich ist das alles noch fast leer, im Vergleich zu heute. („La cocotte d’azur“ fehlt leider so weit ich sehen kann in der grossen Varda-Box – so weit ich verstehe wurde dort um die 10 Minuten Ausschussmaterial zusammenmontiert?)

    Danach der kurze Spielfilm L’opéra-mouffe über die Bewohnerinnen und Clochards an der Rue Mouffetard in Paris. Eher ein Essai eigentlich als ein Spielfilm – Genregrenzen spielen bei Varda schon hier eine unbedeutende Rolle. Die Kamera machte Sacha Verny (im Erstling machte Resnais den Schnitt und war, wie Varda im Bonusmaterial berichtet, nicht unwichtig fürs Entstehen und auch fürs Festhalten am ursprünglichen Plan, den Varda selbst nach dem stummen Dreh zwischen Schnitt und Nachsynchronisation vielleicht verworfen hätte).

    Musik für die zwei Filme übrigens Georges Delerue … die Autodidaktin war sehr schnell sehr gut vernetzt. Das sieht man auch am kleinen Einspieler für „Cléo de 5 à 7“, den ich auch noch guckte – inkl. Kurzdoku mit Varda dazu: Les Fiancés du pont Mac Donald ou (Méfiez-vous des lunettes noires) (1961), ein dreiminütiger Stummfilm mit Anna Karina und Jean-Luc Godard in den Hauptrollen, Jean-Claude Brialy, Sami Frey, Danielle Delorme, Eddie Constantine usw. im restlichen Cast, und das alles über eine rasante Klavierimprovisation von Michel Legrand – der ja auch in Cléo mitspielt. Und der ist natürlich heute Abend an der Reihe … aus dem Bonusmaterial der DVD guckte ich auch schon eine Fahrt mit Motorrädern auf den Spuren von Cléo, in 17 Minuten dauerte das (inkl. Fahrt auf dem Trottoir – gedreht wurde wohl am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang), wurde dann in der Postproduktion ins doppelte Tempo gebracht und mit den entsprechenden Szenen aus dem Film angereichert.

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    #12510873  | PERMALINK

    pfingstluemmel
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    Zuletzt gesehen:

    Kids (Regie: Larry Clark – USA, 1995) [Re-Watch] 7,5/10
    Låt den rätte komma in (Regie: Tomas Alfredson – Schweden, 2008) [Re-Watch] 9/10

    Angst- und Endgegner aller deutschen Synchronstudios ist Soziolekt, mir fällt beim besten Willen keine gelungene Übertragung ins Deutsche ein. Im Falle von Kids ist das besonders tragisch, denn in der deutschen Fassung verliert der Film so stark, dass ich locker drei Punkte abziehen müsste und er schon als unterdurchschnittlich gelten würde, obwohl er im Original eher an höheren Weihen kratzt.
    Schön gepickter Soundtrack zwischen den Beastie Boys und John Coltrane, mit starkem 90er-Feeling, dabei in Themenwahl und Umsetzung nassforsch genug, einen Teil der Gen Z hyperventilieren zu lassen.

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    Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.
    #12511023  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Daily Varda: Cléo de 5 à 7 (1961) – einer der wenigen Varda-Filme, die ich schon kannte … und natürlich ein Meisterwerk.

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    #12511051  | PERMALINK

    latho
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    Zuletzt:

    Shortland – Black Widow

    Schöne Regie von Shortland, vor allem in Dialogen und Florence Pugh reißt es raus.

    Schreier – Thunderbolts*

    Paper Towns war ok, aber hier langweilt Schreier.

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #12511855  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Bei mir ging es die letzten beiden Tage mit Angès Varda weiter:

    Salut les Cubains (1963) – eine kurze Doku, die etwas weniger (aber schon auch) den Mythen und Stilisierungen erliegt, wie das anderswo der Fall ist, wenn Westler zu Besuch waren … schön ist, dass der Film zur halben Musikstunde wird, wenn die drei Quellen der kubanischen Musik (Brasilien/Karibik und Spanien plus Frankreich via Haiti) inkl. Beispiele auf der Tonspur erklärt werden … Benny Moré ist noch zu sehen – er starb kurz danach vor der Veröffentlichung des Films … und es gibt ein paar unglaublich tolle, zu Musik geschnittene Tanzszenen, die nur aus montierten Fotos bestehen.

    Le Bonheur (1965) – bleibt für mich einer der abgründigsten, bösesten Filme aller Zeiten … wirklich atemberaubend!

    La Mélangite (1960) – nur ein paar stumme Probeaufnahmen mit Off-Kommentar von Varda, wieder in Sète gedreht und betörend schön. Das wäre bestimmt ein wunderbarer Film geworden.

    Christmas Carols (1965) – noch ein nicht zustande gekommenes Projet, dieses Mal gibt es aber ein paar kurze Szenen mit Ton, gedreht im Paris der Vorweihnachtszeit 1965; der Typ links im Bild ist Depardieu, ein paar Tage vor seinem 17. Geburtstag … man wünschte sich fast eine alternative Geschichte, in der Varda ihn unter seine Fittiche genommen hätte und er nicht zum gigantischen Arschloch geworden wäre). Die Produzenten mochten die Idee nicht – und die Darsteller auch nicht …

    Les Créatures (1970) – ein nicht wirklich gelungenes Starvehikel für eine stumme Deneuve und Piccoli mit Stirnnarbe (er verschuldet im Vorspann einen Autounfall, nach dem sie nicht mehr sprechen kann), zugleich Film über ein Paar, das sich auf eine Insel zurückzieht und einen entstehenden Roman, an dem er schreibt und für den er Szenen mit der Bevölkerung der Insel imaginiert … das alles fliesst ineinander. Die imaginierten Szenen – später auch Science-Fiction-Szenen, in denen Piccoli und sein Gegenspieler die Menschen der Insel kontrollieren und manipulieren – werden rosa oder rot eingefärbt (was natürlich ein wenig an die Farb-Überblendungen von „Le Bonheur“ erinnert, aber dort sind das ja immer nur kurze Momente von einer Sekunde oder so). Sehenswert, aber wie Varda im eigenen Kommentar zur DVD sagt, nicht konsequent und hart genug in der Umsetzung (und bei der Kritik damals durchgefallen).

    Die Bonusmaterialien auf den DVDs sind teils eh recht toll, zu „Le Bonheur“ gibt es eine ganze Menge, u.a. ein Treffen mit den Leuten aus dem Ort, wo der Film gedreht wurde: sie erinnern sich und sprechen mit Jean-Claude Drouot, dem Hauptdarsteller, während dessen Frau (im Film wie im Leben), Claire Drouot, im Gespräch mit Marie-France Boyer zu sehen ist, die sie im Film nach ihrem vermutlichen Suizid ablöst. Auf der DVD von „Cléo de 5 à 7“ gibt es u.a. die oben erwähnte Motorradfahrt entlang der Route, einen Kommentar von Varda zum Film (der als „schneller, kleiner“ Film entstand, nachdem ihr die Produzenten den versprochenen „La Mélangite“ gestrichen hatten) und zum Stummfilm-Einspieler, aber auch ein Ausschnitt aus einem TV-Interview („Madonna, c’est Madonna“, 1993), in dem Varda und Madonna über ein geplantes Remake mit letzterer in der Hauptrolle sprechen (Madonna hatte sich anscheinend die Rechte gesichtert) und Varda von der Idee sichtlich begeistert wirkt. Allerdings bestand Varda darauf, Regie zu führen, und den Rest kann mensch sich denken …

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    #12512295  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Meine gestrige Varda-Strecke … ich bin echt begeistert von der DVD-Box, auch wenn die Präsentation echt unübersichtlich ist (manche Kurzfilme muss man im Kleingedruckten beim Bonusmaterial suchen, auch wenn es separate DVDs mit Kurzfilmen und Gerettetem und so gibt) … ich habe eine Liste gemacht, ungefähr chronologisch, mit Angabe, was auf welcher DVD zu finden ist. Gestern war Tag 6 und ich war von 1966 bis 1975 unterwegs – ein ziemlicher Trip, inkl. Ausflug nach Hollywood, wo Jacques Demy „Model Shop“ drehte … und Varda gleich drei Filme, zwei kurze Dokus und einen experimentellen Spielfilm mit der grossartigen Shirley Clarke.

    Elsa la rose (1966) – eine Dokumentation über Louis Aragon und Elsa Triolet, Michel Piccoli liest Gedichte, die Aragon für Elsa schrieb.


    Oncle Yanco (1967)  – der erste Film aus den USA dokumentiert einen Besuch – inkl. des unmittelbar nach dem Kennenlernen nachgestellten Kennenlernens (2. Bild) – beim abtrünnigen Bruder von Vardas Vater, dem Künstler Jean Varda, genannt Yanco, der  in Sausalito am Meer lebt und mitten in einer Kommune anderer Aussteiger eine Art Hippie-Patriarch wurde … er fährt mit den jungen Leuten aufs Meer, lässt sie auf dem Dach seines Hausbootes herumsitzen … und zeigt seine von orthodoxer Ikonenmalerei geprägte Kunst (die Familie war griechischer Herkunft, Agnès – die die Sprache nicht kannte – fragt Yanco, wie ihr Name denn auff Griechisch laute: „Agni“, was „rein“ oder „heilig“ heisst, Inês oder Inés sind weitere Varianten aus Westeuropa). Er hatte Henry Miller 1943 zum Umzug nach Big Sur überredet und der revanchierte sich mit „Varda the Master Builder“ … und auch in Anaïs Nins „Collage“ taucht Varda auf. Ein ziemlich witziger Film … und wie alle diese Filme, egal wie kurz, wie ernst, wie lang, wie witzig: verdammt gut gemacht.


    Black Panthers (1968) – dann dreht Varda in Oakland während der Demonstrationen nach der Verhaftung von Huey P. Newton eine kurze Dokumentation über die Black Panthers, in der die üblichen kriegerischen Bilder (Märsche, Versammlungen, Reden) mit Bildern über die anderen – am Ende vielleicht wichtigeren – Aspekte der Panthers vereint werden: die Community-Arbeit der Frauen im Hintergrund. Neben Newton, Carmichael usw. wird auch Kathleen Clever (erste zwei Fotos) ins Bild gerückt.


    Lions Love (1969) – im Zentrum steht hier eine ménage à trois, die in einem Haus in Beverly Hills lebt: Viva, Jerry (Gerome Ragni) und Jim (James Rado): einmal Warhol, zweimal „Hair“. Dazu kommt Shirley Clarke, die aus New York anreist, um einen Film in Hollywood zu drehen – sie wird von Carlos begleitet (Clarens) – und bei den dreien unterkommt. Clarke unternimmt später einen Suizidversuch, nachdem der Studioboss ihr das Recht auf den final cut verweigert … während gleichzeitig – mittels Fernsehgerät im Wohnzimmer – Robert F. Kennedys Kampagne und dann seine Ermordung läuft, während Viva aus New York einen Anruf kriegt und vom Anschlag auf Andy Warhol hört … natürlich während gerade die Ambulanz für Shirley Clarke gerufen wird … ein chaotischer und doch tiefenentspannter Film, in dem Varda auch mal selbst vor die Kamera tritt, nachdem Clarke die Szene, in der sie Schlaftabletten schlucken soll, zunächst nicht spielen will. Es sei schliesse ihre Idee, sie solle die Szene doch selbst drehen, meint Clarke – deren Bluse Varda dann trägt, bevor Clarke einwilligt und der Film weitergehen kann …

    Nausicaa (1970) – ein fast verschwundener, vom französischen Staat ausgelöschter Film, wie es scheint … Varda drehte zurück in Frankreich einen Langfilm, der noch viel stärker Spielfilm-Elemente und Dokumentarisches vereint: sie erkundet die Szene der vor dem Militärputsch aus Griechenland geflohenen Exilanten, es gibt rein dokumentarische Interviews (inkl. eingeblendeter Papier der Sprechenden), dazu aber auch eine Art Liebesgeschichte um einen älteren Griechen, der bei zwei Studentinnen unterkommt und die eine dieser Studentinnen, die Angès heisst – wie Varda – griechischstämmig ist, aber die Sprache nicht kennt. Sie plant eine Reise ins Land, was zu satirischen Einspielern aus der Tourismuswelt inkl. Strassenbefragung in Frankreich (was halten Sie von Griechenland/den Griechen, waren Sie schon dort, würden Sie unter den Umständen wieder hinreise? … aber klar doch, als Tourist*in gehen mich innenpolitische Probleme ja schliesslich nichts an). Der Grieche reist dann auch noch durchs Land, um bei griechischen Fabrikarbeitern Werbung für den Widerstand zu machen … da auf der DVD keine Untertitel vorhanden sind (auf YT schon, aber den Film muss ich jetzt echt nicht gleich nochmal sehen) und die Tonspur qualitativ so bescheiden wie das überlebende Bildmaterial, zog das teils etwas an mir vorbei … Varda ist auch hier wieder selbst zu sehen, im Gespräch mit einem der Griechen, die im Film mitwirken, und Gérard Depardieu hat einen kurzen Auftritt als renitenter Bücherdieb, der der am Seine-Ufer dösenden Agnès ein paar Kunstbände entwendet.

    Gerettet werden musste der Film, weil allem Anschein nach nach einem Screening plötzlich alles Material des fürs frz. Staatsfernsehen gedrehten Films konfisziert war. Varda erhielt nie einer Erklärung, doch dank einer Vorführung in Belgien befindet sich in der belgischen Cinemathek eine Kopie, von der die DVD für die Intégrale erstellt wurde. Die Vermutung ist, dass die kritische Darstellung Griechenlands bei einem geplanten Verkauft von Kampfjets ans Militärregime hinderlich hätten sein können und der Film darum aus dem Verkehr gezogen wurde.


    Daguerréotypes (1975) – das grosse Highlight des langen Heimkino-Tages gestern: Vardas Portrait eines kurzen Stückes ihrer Strasse, der Rue Daguerre im 14. Arrondissement von Paris. Varda und ihre Kamerafrau Nurith Aviv verstecken sich in den Läden  der Händler und Handwerker und warten mit den Inhaber*innen auf Kundschaft, die die Kamera in der Regel vollkommen ignoriert. Aviv erweist sich dabei als wahre Meisterin der spontanen Plansequenz – der Film ist voller unglaublich gut gemachter Szenen – auch das altmodisches, solides Handwerk (solid nicht als müde Metapher für „mittelgut“ wie heute, sondern im Sinn von langlebig – kein Krempel, kein AI-Sludge). Als verbindendes Element wird der Auftritt eines Magiers im Café verwendet, bei dem alle Protagonist*innen dabei sind (überredet von Varda, wie es scheint). Diese werden auch befragt: Woher kommen sie? Wann sind sie an die Strasse gezogen? Weshalb? Wovon träumen sie? Und das alles wird – natürlich – nicht chronologisch zu einem wunderbaren, sehr berührenden Film montiert – der in seinen Bildern eigentlich schon die ganze Wes-Anderson-Welt vorwegnimmt, einfach mit echten Dekors. Grossartig!

    Réponse des femmes (1975) – ein Kurzfilm, der auf der DVD als „ciné-tract“ bezeichnet wird: eine Gruppe von Frauen spricht 1975 über ihre Körper, die Körperwahrnehmung, die Schizophrenie des Patriarchats im Umgang mit der Unterdrückung der Frauen – und ihrer Körper, die sie zugleich einsetzen aber auch verstecken sollen. Sehr treffend, und leider sind wir 50 Jahre später höchstens ein paar Millimeter weitergekommen. Was frisch und frech wirkt, kommt als Bumerang in der Gegenwart mit voller Härte zurück.

    Plaisir d’amour en Iran (1976) – der letzte Kurzfilm von gestern, wie „Réponse…“ beim Bonusmaterial der DVD des nächsten Langfilms zu finden, „L’une chante, l’autre pas“ (1977), aus dem das ev. stammt? Jedenfalls taucht eine Einstellung aus dem Innenhof (linkes Bild) auch im Trailer für den Film auf … dass aus den kurzen und langen Filmen allmählich ein Bezugsnetz entsteht, an dem Varda immer wieder ansetzt, wird zu dem Zeitpunkt sowieso klar. Hier wird Liebe und Erotik mit dem Ornament der sakralen persischen Bauweise zusammengebracht … teils auch etwas plump, aber wenn die Kamera über reicht verzierte Mosaikdecken gleitet, ist die Farbigkeit der Bilder zumindest frappant.

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    #12512379  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Vorhin im Kino: Pooja, Sir (Deepak Rauniyar, NP/USA/NO 2024)

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    gypsy-tail-wind
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    Gestern Tag 7 mit Agnès Varda … ein langer und ein längerer (80 Minuten) Film:


    L’une chante l’autre pas (1976) ist ein feministischer Film über zwei Frauen, Freundinnen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen, die beide ihre Enttäuschungen in der sexistischen Gesellschaft erleben, gegen diese ankämpfen und ihr etwas eigenes entgegenstellen. Ziemlich gut … und einmal mehr ziemlich frustrierend, wie der aktuelle (vermeintliche?) Backlash offenbart, dass wir heute in vielem noch fast am selben Punkt stehen. Der kurze Plaisir d’amour en Iran ist beim Dreh der langen Passage des Films in Iran entstanden, quasi ein kleines Nebenprodukt.

    Documenteur (FR/USA 1981) – „Mur murs“ ist dann heute Abend dran, das hier ist der andere (zweite) der beiden 1979 in Kalifornien gedrehten Filme und die murals  von „Mur murs“ spielen auch hier eine grosse Nebenrolle. Die Hauptrolle spielen Vardas damalige Cutterin Sabine Mamou und ihr Sohn Matthieu Demy als Mutter-und-Sohn-Gespann in der Uneingerichtetheit nach der Trennung vom Vater. Ein trauriger, sehr sehr schöner Film.

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    pfingstluemmel
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    Zuletzt gesehen:

    I ♥ Huckabees (Regie: David O. Russell – USA/Großbritannien, 2004) 8/10
    Hundreds of Beavers (Regie: Mike Cheslik – USA, 2022) 7,5/10
    Overlord (Regie: Julius Avery – USA, 2018) 6/10
    Los otros (Regie: Alejandro Amenábar – Spanien/Frankreich/USA, 2001) [Re-Watch] 7/10
    Psycho (Regie: Alfred Hitchcock – USA, 1960) [Re-Watch] 9,5/10

    Psycho teilt sich mit Halloween eine Besonderheit: Beide Filme, obwohl durch interessante filmische „Neuerungen“ geadelt (die schnellen Schnitte bei Hitchcock, der Steadycam-Einsatz bei Carpenter), würden ohne ihre ikonischen Scores sicher nicht die selbe Durchschlagskraft entwickeln können. In Psycho wird dies im Ermittlungsteil besonders deutlich, weil Bernard Herrmann dort die unverkennbaren Themes fast auf Null zurückfährt und mehr auf atmosphärische Streicherflächen setzt, die geradezu aufreizend unauffällig hinter den Bildern lümmeln. Dies schafft für mich ein atmosphärisches Loch, das erst mit dem Paukenschlag des Finales wieder zum Rest des Films aufschließt.
    Damit sei hier auch noch einmal Psycho Legacy empfohlen, eine Dokumentation, die sich mit Hitchcocks Ausnahmefilm und den Fortsetzungen beschäftigt.

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    #12513067  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Bei mir gestern wieder etwas mehr Varda – Tag #8:


    Mur Murs (FR/USA 1981) ist der erste der zwei 1979 in L.A. gedrehten Filme – Varda dokumentiert die zahlreichen, oft grossartigen Murals, trifft die Künstler*innen (sind tatsächlich ein paar Frauen dabei, auch im kurzen DVD-Bonus aus Paris viele Jahre später spricht sie mit je einem Künstler und einer Künstlerin). Die Murals haben mehr mit der Chicano-Subkultur als der Afro-Amerikanischen zu tun, die aber bei Varda auch nicht zu kurz kommt. So gibt es bei den kurzen Gesprächen mit Künstler*innen oder auch Eigentümern von Häusern, an deren Wänden die Murals zu sehen waren, auch Gespräche über Gang- und Polizeigewalt, natürlich spielen Morde, Drogen, Tod eine Rolle.


    Ulysse (1982) ist eine kurze Dokumentation über ein Foto (oben links), auf dem ein kleiner Junge namens Ulysse zu sehen ist – der danach die Zeichnung von der Szene anfertigte. Ein Tag im Mai 1954 – derselbe Tag, an dem in Paris De Gaulle und all die anderen das Kriegsende feierten und die Medien über das Ende der Schlacht von Dien Bien Phu berichteten. Varda war am Meer mit ihren zwei Modellen, fand die tote Ziege, schoss dieses (und weitere) Fotos … im selben Kontext entstand auch „Une Minute pour une image“ unten. 1982 leitet Ulysse einen Buchladen, hat Frau und zwei Kinder und kann sich an das Shooting mit Varda nicht erinnern, auch daran, dass er danach eine Zeichnung machte, die er aber aus Vardas Atelier kannte, wo sie jahrelang hing. Der Mann beim Shooting in Saint-Aubin-sur-Mer in der Normandie ist Guy Bourdin, ein Freund Vardas, der lange für die Vogue arbeitete und 1982 auch nochmal interviewt wird. Das Bild zeigte Varda 1954 – als sie ihren ersten Film gerade erst vorbereitete – in ihrem Atelier in der Rue Daguerre bei einer Ausstellung.

    Les Dites Cariatides (1984) erkundet Fassadenfiguren in Paris – dazu werden Gedichte von Baudelaire gelesen, die in derselben Zeit (ca. 1860er/70er) entstanden, wie ein Grossteil der teilweise rätselhaften Figuren.



    7 p., cuis., s. de b., … à saisir (1984) – „Sieben Zimmer („pièces“), Küche, Badezimmer … zu vermieten“ ist ein surrealistischer Gedankenfluss von einem Film: eine leerstehende Wohnung wird gezeigt, dabei wird das Leben vorheriger Bewohner*innen imaginiert: ein Arzt mit Familie (die junge Tochter möchte aus dem als Gefängnis empfundenen Familienalltag ausbrechen), die alten Patient*innen, die Bewohnerinnen des danach dort eingerichteten Hospizes. Gedreht hat Varda im Rahmen der Ausstellung „Le vivant et l’artificiel“ im ehemaligen Hospiz von Saint Louis (Avignon). Ein Trip von einem Film!

    Une minute pour une image (1982/83) war eine TV-Serie mit 170 Folgen. In jeder wird ein Foto aus Vardas Sammlung eine knappe Minute lang gezeigt und kommentiert. Darunter auch das, das dann den Film „Ulysse“ auslöste (eine Ausnahme insofern als es von Varda stammt, die meisten Fotos sind nicht von ihr selbst). 14 der Episoden wurden als Bonus auf eine der DVDs in der Box „Agnès Varda – L’intégrale“ gepackt, aus der ich das alles gucke (eine echte Schatztruhe! – leider vergriffen, es gibt derzeit wie es scheint keine annährend so vollständige Ausgabe).

    Heute Abend ist „Sans toit ni loi“ dran, den ich bisher nie gesehen habe – bin gespannt! Yolande Moreau, die darin mitspielt, ist auch in „7 p…“ in einer kleinen Rolle dabei – und die auf Wiki zu sehende Jacke, die Sandrine Bonnaire beim Dreh trug, sah ich im Herbst 2023 auch in der Varda-Ausstellung in der Cinémathèque Française.

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    #12513605  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Varda, Tag #9 gestern – grossartig!


    Sans toit ni loi (1985) – der Film ist wirklich ein Meisterwerk. Die DVD ergänzt den Film mit einer 40minütigen Doku von Erinnerungen und Gesprächen mit Varda, Bonnaire, Marthe Jarnias (siehe unten), diversen der Laiendarsteller usw. Dazu ein kurzes Gespräch über die die Musik der polnischen Filmkomponistin (Joanna Bruzdowicz), deren Musik stets zu hören ist, wenn Bonnaire geht (und nicht gesprochen wird) – die ganzen Travellings, immer von rechts nach links übrigens, gibt es da dann noch am Stück, mit der Musik, die auf einem Satz aus einem Streichquartett von Bruzdowicz stammt, zu dem sie für den Film Variationen schrieb (ich kenne ihre Musik bisher gar nicht, bin auch ihrem Namen noch nicht begegnet … Varda erzählt, wie sie zu einem ihrer Plattenläden ging und sich dort Stücke von Komponistinnen vorspielen liess, weil sie für den Film unbedingt Musik von einer Frau haben wollte, und ihr bei Bruzdowicz schnell klar geworden sei: die ist es).


    Histoire de la vieille dame (1985) ist dann eine kurze Doku über Marthe Jarnias, die 84jährige Laiendarstellerin, die ein Helfer von Varda auf der Strasse in Avignon für „7 p., cuis., s. de b., … à saisir“ aufgetrieben hatte: die Bedingung war „über 80 und bereit, nackt aufzutreten“ (es gibt in der Installation, in der der Film entstand, ein mit Federn ausgekleidetes Bad, und die Figur von Jarnias duscht dort jeden Morgen in Federn – von dem Shoot stammen auch die zwei Bilder links). Varda bot ihr auch eine Rolle in „Sans toit ni loi“ an, diese akzeptierte bedingungslos, meinte aber, sie würde lieber nicht nochmal nackt auftreten. In „Sans toit ni loi“ spielte sie eine reiche Alte, deren Neffe, angetrieben von seiner Ehefrau, auf ihre Wohnung (mit sieben Zimmern natürlich) spekuliert (und einer anderen DVD-Beigabe, einem Auszug aus einer Radiosendung mit Nathalie Sarraute, ist zu entnehmen, dass diese Szene einem Buch von Sarraute entliehen ist, der Varda „Sans toit ni loi“ auch widmete). Jarnias selbst war ihr langes Berufsleben lang hingegen die Dienerin, das Mädchen für alles an unterschiedlichsten Orten … und hatte offensichtlich grossen Spass daran, den Spiess im Film umzudrehen und ihre „bonne“ – Yolande Moreau in derselben Rolle wie schon in „7 p., cuis., s. de b., … à saisir“ – herumzudirigieren. Und dann trinkt sie mit Bonnaires Mona Cognac und die beiden verschwestern sich im Rausch, alt und jung, reich und arm … Varda kommentiert die Szene, dass in dem Moment im Film die echte Marthe Jarnias zum Vorschein komme. Wenn die Bilder von Schimmel zerfressen sind, liegt das daran, dass die Rolle mit dem Film irgendwo in einem Keller vor sich hinschimmelte … und dann so, in dem vorgefundenen Zustand, irgendwie digitalisiert worden ist. Gedreht also 1985, aber veröffentlicht wohl erst viel später (auf der ersten grossen DVD-Box 2014 vielleicht? Oder damals vielleicht auch mal gezeigt, keine Ahnung …)


    T’as de beaux escaliers, tu sais (1986) – in der Halbzeitpause, als für Italien noch Hoffnung bestand, dann noch eine kurze Doku, die Varda für die Cinémathèque (noch am alten Standort, in der neue gibt es nur Beton-Innentreppen und die sind nicht schön) drehte, mit kurzem Cameo von Isabelle Adjani (10 Sekunden von drei Minuten?), einer Parodie auf die Treppenszene von „Panzerkreuzer Potemkin“ inkl. Originalbilder und solche auch aus einem halben dutzend weiterer Filme. Eine charmante Petitesse.

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    pipe-bowl
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    Ein Wiedersehen mit zwei sehr gut gealterten Klassikern (beide ****1/2):

    Serpico (1973 / Sidney Lumet)
    Der Spion, der aus der Kälte kam (1965 / Martin Ritt)

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    pfingstluemmel
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    Außerdem gesehen:

    Little Buddha (Regie: Bernardo Bertolucci – Italien/Frankreich/Großbritannien, 1993) 4,5/10
    The Tattooist (Regie: Peter Burger – Neuseeland/Singapur, 2007) 4/10

    Als gelehrigen Schüler Pasolinis hätte ich Bernardo Bertolucci eher als Marxisten verortet, warum er uns Anfang der 90er diese Hochglanzbroschüre zum Tibetischen Buddhismus um die Ohren schlägt, weiß der Teufel. Vielleicht hat er ja zuviel mit Richard Gere abgehangen, andere Hollywoodprominenz findet sich dann auch in Little Buddha: Chris Isaak, Bridget Fonda plus Keanu Reeves – haltet euch fest! – als Siddharta.
    Hat den Charme von den Zeugen Jehovas angequatscht oder von den Hare Krishnas zum veganen Mittagstisch eingeladen zu werden, da helfen auch die Bilder von Kameramann Vittorio Storaro (L’uccello dalle piume di cristallo, 1900, Apocalypse Now) nicht, diese sind über weite Teile des Films eh mit einem üblen Firnis aus Ethno-Kitsch überzogen. Was ist passiert? Und: Hätte man in Seattle, 1993, Nirvana nicht viel einfacher finden können?

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    Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.
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