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The Devil Comes to Bolobyn (Sydney Horler, 1951)
Weil ich mich plötzlich fragte, warum ausgerechnet Edgar Wallace zu meinen liebsten Schriftsteller der britischen detective fiction-Welle wurde, habe ich mir noch mal einige Bücher seiner damaligen Konkurrenten rausgelegt; zuerst dran war Sydney Horler, wie der Meister Schriftsteller und Journalist.
Obwohl zutiefst beeinflusst vom Mann mit der langen Zigarettenspitze – gerüchteweiße erwarb Horler zahlreiche Devotionalien aus der Erbmasse seines Vorbildes, dabei immer auf eine kleine Talentabfärbung hoffend – könnte sein Werk politisch nicht gegensätzlicher sein, einen schärferen Alarmisten und Befürworter des britschen Faschismus muss man mir noch zeigen. Was seine Romane ansonsten etwas schwer goutierbar macht, erweist sich bei diesem Spätwerk kurioserweise als großer Glücksgriff.
Traumatisiert, allem Anschein nach mindestens gleichermaßen von Kriegserfahrungen wie den grauenvollen Perversionen der Nachkriegszeit – der Minimum Wages Act bspw. oder selbstbestimmte weibliche Sexualität – flieht Dick Crundell auf ärztlichen Rat von London in die Abgeschiedenheit des ländlichen Wrexshire, aber, oh Schreck!, auch dort findet er keine Ruhe, sondern diabolische Satanisten vor, die der l’affaire des poisons huldigen und natürlich längst „die da oben“ unterwandert haben. Schwer vorstellbar eigentlich, schildert Horler doch im Grunde alle Schurken als physisch deformierte Halbmenschen, aber der Brite ist eben, wie der Autor nicht müde wird zu betonen, gutgläubig und unfähig hinter die freundliche Fassade ausländischer Übeltäter zu blicken. So weit, so schlecht, aber was hebt das Ganze denn nun von den altbekannten Geschmacklosigkeiten – persönlicher Höhepunkt: Eine Kooperation zwischen Nazis und Juden in „Nighthawk Mops Up“ (1944!), zu schade, dass niemand ihn nach Bekanntwerden des vollen Umfangs des Holocausts darauf angesprochen hat! – des zornigen, kleinen Engländers ab?
Eine für ihn wahrhaft unübliche Ambivalenz im Ton, teilweise direkt zu harschen Widersprüchen übergehend.
Den Frauen gelingt es nahtlos gleichzeitig als wohlgeformtes Sexualobjekt – hier, bei der Beschreibung dieser körperlichen Vorzüge wie bei allen sexuellen Handlungen, später auch bei den kaltschnäuzig eingeworfenen Brutalitäten, droht Horler fast zu hyperventilieren – und starken Individuen; in einem Moment halten sie ein ganze Horde Gangster in Schach, im nächsten werfen sich, ausnahmslos alle, unserem Helden an den Hals. Dieser könnte mal wieder das Musterbild eines stahlharten Draufgängers sein – die an eine Obsession grenzende Betonung der Virilität seiner Helden ist unverkennbarstes Markenzeichen eines jeden Horler-Romans (seine niederträchtigen „Satiren“ mal außen vor) – wäre da nicht diese lähmende Neurose, der erste Zusammenbruch, aus einer harmlos wirkenden Situation heraus, kommt überraschend und prägt das Bild nachhaltig, das man über den Rest hinweg vor Augen hat. Unter Neurosen scheinen hier allerdings alle zu leiden, ist überstürztes, hin und wieder geradezu verwirrendes Handeln doch liebstes Hobby aller Beteiligten.
Zusammen mit einigen eigenartigen Anwandlungen, Crundells eigenes Dasein als „foreigner“ in Wrexshire steht prominent im Vordergründ, wie auch der Fremdenhass der Landeier, in denen sich Horler (unbeabsichtigt?) zu spiegeln scheint, und die Erkenntnis, dass die Schrecken der Vergangenheit auf dem Lande auch nicht so prall sind, ergibt das einen äußerst schizophrenen Gesamteindruck, dem ich mich nicht entziehen konnte. Ein Kleinod des hysterischen Alarmismus, oder eben doch nicht? In jedem Falle mighty strange und eine interessante Einsicht in die Welt eines Menschen, der vor lauter Angst nirgendwo zur Ruhe kommen kann.
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We are all failures, at least the best of us are.