Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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nick-longhetti

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Il giustiziere sfida la città (Umberto Lenzi, 1975)

Der unterschätzte Lenzi: Die Poliziottescovariante von „Red Harvest“/“Yojimbo“/“Per un pugno di dollaro“, jeder wie er es möchte, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung nicht nur als temporeicher, tadellos inszenierter Reißer, sondern als eine der pessimistischsten Reflektionen über Männlichkeitsbilder, die das italienische Kino zu bieten hat.
Tomás Miliáns Rambo – treffend nach dem später berühmtesten traumatisierten Vietnamrückkehrer des Kinos benannt – ruht scheinbar in sich selbst, legt keinen Wert auf Distinktionspielchen und obwohl er fast alles besser kann als die Männer, die ihn umgeben, bedeutet ihm dies nichts.
Seine Jugendfreund Pino wäre gern wie er, von allen bewundert, stark und mit einem PS-starken Motorrad – er muss mit einem kümmerlichen Kleinkraftrad Vorlieb nehmen – unterm Hintern. Als er in seiner Funktion als (eine Art) privater Polizeibeamter – die Sehnsucht des kleinen Mannes nach Sicherheit ist in einer gewalttätigen und unübersichtlich gewordenen Gesellschaft groß – einer Kindesentführung auf die Spur kommt, wittert er seine große Chance und wird prompt umgelegt. Sein Tod ist grausam, ihn mitanzusehen schockiert – Lenzi drehte einen ganzen Haufen expliziterer, leichenhaltigerer Filme, unangenehmer ist aber keiner. Und kurz nach diesem sinnlosen Tod erfahren wir dann auch noch, dass Pino im Grunde schon besaß, was er am meisten begehrte, die Anerkennung seiner Mitmenschen: Sein Vorgesetzter lobt ihn als seinen besten Mann, seiner Familie bleibt das Bild eines mutigen Vaters erhalten – wen schert es da noch, dass sie nun allein sind?
Die Mörder sind ein bunter Haufen, zusammengesetzt aus den Mitgliedern zweier konkurrierender Syndikate, eines eint sie dennoch:
Sei es Joseph Cotten – alt und kränklich, aber damit auch sehr passend besetzt – als erblindender Altgangster, der mit seinem Augenlicht auch die Kontrolle über seine Männer verliert, sein ehrgeiziger Sohn, der Femi Benussi im Verhör erst als Hure verhöhnt, sie dann, bevor er überhaupt etwas erfährt, wie im Rausch totschlägt und es umgehend bereut oder die vielen namenlosen Helfer, die nur in der Gruppe stark zu sein scheinen – sie alle wirken wie kleine Jungs, die die Spiele der Erwachsenen spielen wollen.
Aber auch Rambo ist nicht ohne Schwächen, klüger als die anderen kann er diese zwar meist einschätzen, aber wenn er beim Gespräch mit Sohn und Frau des frisch verschiedenen Freundes still im Abseits steht, den Blick gesenkt, nervös an seinen Fingern spielend, dann ahnt man es: Hinter der harten, nihilistischen Fassade steckt einer, der einmal sehr verletzt worden sein muss und nun niemanden mehr wirklich an sich heranlässt. Und so fährt er dann am Ende auch dorthin, wo er herkam, ins Nirgendwo, die Gesellschaft und die zu ihm aufschauenden Kinder zurücklassend – es ist ein Jammer mit den Kerlen!
Keinen Jammer hat man aber mit diesem Film, der ist superb und lässt, wie auch Lenzis transgressives Behinderungsepos „La banda del gobbo“, seine bekannteren Werke doch etwas im Staub zurück.

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We are all failures, at least the best of us are.