Antwort auf: rob mazurek, chicago & são paulo underground

#9974667  | PERMALINK

vorgarten

Registriert seit: 07.10.2007

Beiträge: 11,975

são paulo underground: cantos invisíveis

rob mazurek – cornet, mellotron, modular synthesizer, moog paraphonic, OP-1, percussion and voice
mauricio takara – drums, cavaquinho, electronics, moog werkstatt, percussion and voice
guilherme granado – keyboards, synthesizers, sampler, percussion and voice
thomas rohrer – rabeca, flutes, soprano saxophone, electronics, percussion and voice.
produced by rob Mazurek. cover design by damon Locks. cuneiform 2016.

da ist es endlich, das fünfte album des brasilianischen underground-ablegers, wenn man die live-dokumente mit pharoah sanders nicht mitzählen mag. und es hat alles, was man man so von ihnen kennt, ist ein bisschen weniger lieb als manches davor, ein bisschen weniger krawallig als anderes. das prinzip ist wieder das des wilden schichtens von sonischem dreck, um darunter allerdings traumhaft schöne melodien zu verstecken, die „unsichtbaren lieder“ des titels, die sich ab und zu selbst freilegen. verschiedene vektoren führen wieder zum neo-tropicalismo, dem psychedelischen einverleiben der sounds dieser welt in einen spezifisch brasilianischen synkretismus, und nach chicago (postrockmomente, arkestra-gesänge, diesmal mit der delany-zeile, die schon motto des letzten exploding-star-orchestra-albums war: „a moon’s beauty is in variation of sameness“). die verspielte lust des musizierens mit den absurdesten klangfarben erinnert stark an das art ensemble und seine schiere freude am musizieren selbst, allerdings gibt es hier keine little instruments, sondern elektronische apparaturen.

zwei suiten rahmen das ganze, beides höhepunkte, gewiss, aber die produktion leuchtet mir nicht ganz ein. da stehen lose zusammenhängende passagen ein einem track herum, dazwischen aber gibt es ganz viele lose zusammenhängende passagen in einzelnen songs. über einander gelagert sind straßenmusiken, märsche, karnevals-drum-patterns, gesänge, folkloristische elemente (der gast, thomas rohrer, ein brasilianisierter schweizer, spielt eine aus dem forro bekannte fidel, die „rabeca“, aber auch die minigitarre cavaquinho kommt wieder zum einsatz), und analoge synthesizer-loops, die ähnlich repetitives veranstalten, aber eben als studioeffekt. zwischendurch wird ein gedicht rezitiert. die musik klingt also irgendwie nach happening, als käme sie aus einer verlassenen garage, mit einer offenen wand zur straße.
mazureks kornett kommt in den zartesten momenten zum einsatz, das cherry-element. besonders toll das finish: ein trancehaft gelooptes folklorestück, dann ein zarter popsong, beides elektronisch verzerrt und gefiltert, schließlich die 16-minütige abschluss-suite, mit einem steve-reich-pattern, einer ambient-klangwand und am ende mit einer melancholischen kornett-improvisation über zarte trance-percussion und gelooptem elektroakustischen fiepen. könnte auch ein amazonischer fiebertraum sein. aber das, was da nach urwaldgeräuschen klingt, kommt nur als rauschen aus verstärkern.

nicht meine liebste sao-paulo-underground-expedition, trotzdem großartig. auf der bandcamp-seite von cuneiform kann man alles durchhören.

--