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Anonym
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Auch wenn der tragische Tod seines Sohnes Arthur keinen direkten Einfluss auf Skeleton Tree ausgeübt haben mag, haftet dies traumatische Ereignis doch irgendwie spürbar wie ein dunkler Schatten auf dem Album. Möglicherweise handelt es sich bei Skeleton Tree tatsächlich um das bislang düsterste Album im Schaffen von Nick Cave & The Bad Seeds.
Skeleton Tree ist ein seltsam körperloses Werk, die Songs durchschweben beim Hören mäandernd den Gehörnerv. Im Vorfeld der Veröffentlichung war bereits hier und da von „Drone“ zu lesen und ja… es dröhnt und wabert ordentlich auf der neuen Platte von Nick Cave. Die Bad Seeds nehme ich hier (in ihrer Gesamtheit) nur noch als Randnotiz wahr, der Tonmeister ist mittlerweile Warren Ellis. Vermutlich ist aber genau das der Ansatz der neuen Bad Seeds, Minimalismus gepaart mit akzentuierter Disharmonie.
Jesus Alone ist der denkbar perfekte Opener des Albums und frühes Highlight. Der Song schleicht bedrohlich aus den Lautsprechern, wirkt wie ein verletztes Tier im Halbdunkel, jederzeit bereit Dich anzuspringen und Dir die Augen auszukratzen. Das gespenstische Pfeifen als auch Zeilen wie „You’re a distant memory in the mind of your creator, don’t you see?“ tun ein Übriges, die unheilvolle Stimmung dieses großartigen Auftaktes zu kanalisieren. Rings Of Saturn ist (meiner Wahrnehmung nach) der erste Rap im Gesamtwerk des Künstlers und durchbricht musikalisch die zum Auftakt gebotene Dunkelheit mit ein paar Sonnenstrahlen… vermeintlich, denn die Lyrics sprechen freilich eine andere Sprache.
Dann Girl In Amber. Was soll ich schreiben… eine dieser Balladen, die Nick Cave letztendlich zu dem Künstler gemacht haben, der er heute ist. Eine dieser Balladen, die die geneigte Hörerschaft von Album zu Album sehnlichst aufs Neue von ihrem Lieblingskünstler erhofft und meistens auch geliefert bekommt. „And if you want to bleed, just bleed“… welch Großtat! Magneto setzt die Pein fort und unterstreicht mit behutsamen Pianotupfern den astralen Charakter des Albums. Die Spannung wird hier so dermaßen hochgehalten, dass die gut 5 Minuten des Songs aufgrund erhöhten Pulsschlags beinahe schon ein wenig gesundheitsschädigend auf mich wirken. Im Moment mein definitives Highlight auf Skeleton Tree.
Apropos astral: an „Laughing Stock“ fühle ich mich auch erinnert, mehr aber noch an „Astral Weeks“.
Anthrocene ist der Song auf dem Album, der nach bisher zwei Hördurchgängen erstaunlicherweise den geringsten Erinnerungswert für mich hat. Meist ist dies jedoch ein gutes Zeichen in Sachen Langzeitwirkung bei mir. Auf I Need You hören wir einen von der Trauer getriebenen Nick Cave, der diesen jegliches Raum-Zeit-Kontinuum missachtenden Song mit bemerkenswert gepresster Stimme vorträgt. Der Song fügt sich nahtlos ins Gesamtbild von Skeleton Tree, wabert und fließt still dem bitteren Ende entgegen.
Ungeachtet etwaiger Interpretationsfehler halte ich Distant Sky für Arthur’s Requiem. Else Torp, eine dänische Sopranistin, übernimmt hier mehr oder weniger die Hauptstimme, zumindest thematisch. Ungewöhnlich genug für einen Song auf einem Album von Nick Cave, der auch nicht gerade als klassisches Duett daherkommt, ist mir dieser Umstand sowie der wiederum für meinen Geschmack zu klassische Vortrag ein wenig hinderlich, Distant Sky so richtig großartig zu finden. Skeleton Tree, der Titeltrack, stellt für mich am Ende den perfekten Abschluss dar, erreicht zwar m.E. (ziemlich eindeutig) nicht die Klasse des Rausschmeißers vom letzten Album, ist aber auch ein gediegenes Stück Musik mit versöhnlichem Charakter und bildet insofern einen runden Ausklang.
Fazit: noch bin ich mir ob meiner Bewertung des Albums nicht ganz schlüssig, wird aber wohl auf **** hinauslaufen. Leider können die Songs der zweiten Albumhälfte m.E. mit den ersten vier Songs nicht mithalten, in Summe ist Skeleton Tree aber zweifellos ein famoses Album mehr im Katalog des Künstlers.
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