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Bei der Tour ’90 habe ich die Stones das erste mal gesehen. Ich denke oft daran.
Damals war sich so intensiv verschmolzen mit der Musik der Band, es lief bei mir wirklich monatelang nichts anderes als die Stones. Außerdem hatte ich das Buch von Barbara Charone über Keith Richards gelesen, fühlte mich also bestens vorbereitet.
Ich hatte Stehplatz-Tickets für den 23. und den 24. Mai in Hannover. Am ersten Tag bin ich mit meinem Kumpel in seinem scheddrigen Datsun (Schrägheck, mattschwarz mit der Rolle, Stones-Aufkleber) hingefahren, wir waren beide so aufgeregt, dass wir schon morgens losgefahren sind, nein mussten, dementsprechend waren wir schon mittags am Niedersachsenstadion. Es hat uns total überrascht, dass zu der Zeit rund ums Stadion schon richtig Betrieb war. Massenhaft Fans, Leute, die Fotos oder Cassetten mit Aufnahmen der letzten Konzerte verkauften, T-Shirt-Dealer, Bier-Dealer, durchgeknallte Seelenfänger, die einem vor dem Pakt mit dem Teufel bewahren wollten und eng beschriebene Din-A4-Zettel mit skurillen Texten über angebliche „Beweise“ für die Teufelsverehrung der Stones in die Hand drückten und wollten, dass man mit ihnen redet („Keine Zeit!“)…
Vor den Eingängen warteten bei bestem Wetter hunderte Fans, nicht wenige, die damals so alt waren wie ich heute und sich sehr darüber freuten, ihre Geschichten über Stones Gigs aus den Sechzigern und Siebzigern zum besten geben zu können. Aber eben auch viele, die in meinem Alter (19) waren. Ich habe damals in einem Hi-Fi und Tonträgerladen gelernt, TDK war Sponsor der Urban Jungle Tour und vom Vertreter hatte ich ein sehr cooles, aktuelles Tour-Shirt der Stones an, damit war ich genauso gut im Rennen wie die Leute mit einem Shirt der ’76er oder ’82er Tour.
Im Stadion war Soundcheck, „Sympathy For the Devil“, überall außerhalb des Stadions begleiteten Flüsterchöre („Oooooh! Oooooooohh!“) die Stones, dann noch „Mixed Emotions“ („Geil, sie spielen auch die neuen Sachen!“). Ich hatte nie vorher die Gelegenheit, mich mit ausgewiesenen Stones-Fans zu unterhalten. Ob Keith Richards denn vielleicht auch mal sänge. „Klar, eins singt er eigentlich immer!“. Von da an konnte nichts, aber auch rein überhaupt gar nichts mehr schiefgehen. Irgendwann nachmittags (14:00h oder 15:00h) wurden dann die Pforten geöffnet, mein Kumpel und ich sind nach der Einlasskontrolle im Vollsprint durch die Anlage und dann waren wir auf einmal tatsächlich direkt in der Mitte und direkt vor der Bühne. Ein Riesenstadion und wir waren ganz vorn. Absperrung, Bändchen um die Hand, Hi-Five, allergrößte Vorfreude.
Warten. Weiter viele Geschichten, Tenor war bei denen, die schon länger dabei waren meist, dass alle sehr froh waren, dass sich die Stones nach „Dirty Work“ nicht getrennt haben. Jagger und Richards seien sich angeblich mittlerweile Spinnefeind und man könne nicht wissen, wie lange der Burgfrieden anhalte, möglicherweise oder bestimmt sei nach der Tour direkt Schluss, dann aber richtig. Man solle soviele Konzerte wie möglich mitnehmen. Ich hatte Tickets für beide Tage in Hannover, außerdem für’s Olympiastadion in Berlin. Das wurde abgenickt. Allgemein herrschte eine Stimmung wie Heiligabend vor der Bescherung, im Wissen, dass man was ganz ganz Tolles bekommt, aber trotzdem nicht ganz genau weiß, was es wird.
Vorgruppe. Gun. Ich fand sie gar nicht so schlecht. Im Gegenteil, ich war sehr froh, dass es nicht Peter Maffay war, der da spielte. Aber beim Publikum kamen sie nicht so gut an. Egal.
Dann ging’s los. „Continental Drift“, die Hütte komplett voll, das Publikum in Hochstimmung, Feuerwand, „Start Me Up“, „Bitch“, „Sad Sad Sad“, „Hello Hanover, it’s great to see you again“ und „Wie geht’s?“. Am allerbesten war Bill Wyman, der den 60.000 Zuschauern zur Begrüßung zunickte, so wie der Schaffner im Zug, der nicht mehr nach der Karte fragt, weil man seit Jahren im immer selben Zug sitzt. Sehr cool, sehr lässig, außerdem hielt er den Bass immer noch genau so, wie damals, wie auf den alten Schwarzweißbildchen.
Ich war Keith Fan, auf allen Stones Alben waren die von ihm gesungenen Songs immer meine Lieblingslieder. Dass er dann meine beiden damaligen Favoriten „Happy“ und „Can’t Be Seen“ sang, war natürlich ein absolutes Highlight. Eines unter vielen. Die gigantische Stadionshow mit Pyro, Kostümwechseln, aufblasbaren Urban Jungle Monstern und reihenweise Hits, die alle in neuen, energiegeladenen Versionen gebracht wurden, …, das war alles ein einziges Dauerhighlight. Die neue Single, „Almost Hear You Sigh“, „Paint It Black“ mit dem Akustik-Intro von Keith und natürlich kam „You Can’t Always Get What You Want“ als die Sonne unterging… Es gab bereits vor dem Stadion Gerüchte, dass angeblich „2000 Light Years From Home“ gespielt wird, als es dann nach einer viel umjubelten Tai-Chi-Einlage Jagger’s wirklich kam, waren wir umgehauen („Das haben sie noch nie gespielt!“).
Großes Getose, ach was, größtes Getöse nach „Satisfaction“, als die fünf Stones zum Abschied alle Arm in Arm in einer Reihe vorn an der Bühne standen. Das Stadion schien auch bei den Stones in Erinnerung bleiben zu wollen und natürlich waren wir uns sicher, dass es nur bei uns eine Zugabe gab. „Jumpin‘ Jack Flash“, großes Feuerwerk. Tage-, nein wochenlange Elektrisierung. Und ich durfte am nächsten Tag nochmal hin…
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How does it feel to be one of the beautiful people?