Re: Umfrage: Die besten Filme 2015

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napoleon-dynamite
Moderator

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pinchDa hast du vollkommen recht. Und ähnlich ist es bei CAROL: man muss den Film als Fantasie begreifen, als stilisierte Überzeichnung einer Beziehungsstory zweier Menschen. Es ist doch klar, dass zwischen Pennebaker (und in diesem Fall auch Scorsese) ganze Galaxien liegen, was die Herangehensweise betrifft. Todd Haynes war sicherlich nicht daran gelegen, eine Doku in Form eines Spielfilms zu bringen. Das sollte einem einleuchten.

Ja, „Carol“ lässt sich gut von „I’m Not Here“ her denken. Und vice versa. Wenn man sich von starren, bei beiden Filme so gar nicht passgenauen Schablonen wie Biopic und Arthouse-Drama (whatever that ist, nichts Gutes jedenfalls) löst, entblättern sich dahinter mehr Schichten als bei einer gehäuteten Zwiebel. Haynes‘ Filme sind eben in erster Linie eines: stilisiert. Die Wahl der Einstellung, das Arrangement von fragmentierten Körpern hinter Scheiben, Häusereingängen etc., der Einfluss von (Pop-)Musik auf das Bild – die Story wird eher von ihren visuellen Möglichkeiten her gedacht als umgekehrt. Wer das für sekundäre Kinotugenden hält, wird sich vermutlich schwer tun und eher etwas willkürlich danach urteilen, ob ihn der Ton der Geschichte direkt anspricht oder nicht. Das war aber schon spätestens bei „Safe“ so.

pinchEs geht um Seelenverwandtschaft, nicht in erster Linie um körperliches Verlangen.

Klar, darum ging es ja auch bereits in Highsmiths Vorlage. Trotzdem sollte die lesbische Liebesgeschichte ja auch nicht allzu leichtfertig verabsolutiert werden. Haynes will sicherlich nicht die rigiden Moralvorstellungen vergangener Dekaden filmisch aufarbeiten oder zeitgenössische Diskurse mit Rückprojektionen füttern – es geht um spezifisch ästhetische Codes, darin aber eben auch spezifische Codes der Annäherung. Da ist er Sirk wieder sehr nahe.

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