Re: Umfrage: Die besten Filme 2015

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sonic-juice
Moderator

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Friedrich
Ich finde Deine Beschreibung von Carol sehr gut. Es ist nichts dagegen zu sagen „das Publikum (…) auf ästhetisch höchstem Niveau sinnlich anzusprechen“. Ich wünsche – und wünschen darf man sich alles – mir aber mehr oder was anderes. Der Film lies mich emotional kalt. Ich habe eine Kritik gelesen, in der gerade das überperfekte Styling des Filmes und die kühle Distanz, die die Protagonistinnen zum Publikum aufbauen (kann man das so sagen?), diese schöne und undurchdringliche Schale, als eine besondere Qualität des Filmes gesehen wurden. Könnte man so sehen.

Wenn der Film es bei Dir nicht geschafft hat, die glänzende Aura der beiden Protagonistinnen und die immer intensivere magnetische Anziehung zwischen den beiden zu vermitteln, dann hat er dich tatsächlich nicht erreicht. Ich bin kein Haynes-Experte, „I’m Not There“ fand ich ganz furchtbar effekthascherisch und um Originalität bemüht, weiteres kenne ich noch nicht. Um so erstaunlicher fand ich, mit welcher Sensibilität für Bild, Sprache und Tempo er hier die beiden Frauen ins Licht setzt, wie langsam und doch unaufhaltsam sich die beiden annähern, wie volatil die jeweilige Führungsrolle in dem Verhältnis ist, welche Spannung sich da zwischen Hoffnung, Versprechen und Auflösung ergibt. Und wie Haynes es schafft, dass sich etwa das Bild des Mädchens mit roter Weihnachtsmütze, der zurückgelassenen Lederhandschuhe oder der Spiegelreflexkamera im Schneetreiben so ins emotionale Bildgedächtnis brennt. Das zeugt für mich alles von Haynes Vermögen, Gefühle wie Zärtlichkeit, Begehren, Eifersucht und Zerrissenheit nicht nur einfach zu zeigen, sondern auch losgelöst von einer konkreten (in der Tat ja nicht sonderlich komplexen) Handlung auf nahezu abstrakte Weise in Filmsprache zu übersetzen und erfahrbar zu machen. Große Kunst in meinen Augen.

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