Re: Umfrage: Die besten Filme 2015

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friedrich

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Sonic JuiceAls jemand, der „Carol“ relativ geringer („nur“ # 13 meiner Jahresfaves), absolut aber wohl höher schätzt als Du, finde ich Deine Aussagen nicht sonderlich provokant. Natürlich ist ein solcher Film aus dem Premium-Arthouse-Segment, der einer klassischen Erzählweise folgt, mit Stars und geschliffenem Drehbuch auf klassisches Schauspielerkino setzt und erlesen bebildert ist, sehr zugänglich und breitenwirksam. Selbstverständlich ist sein Release vom Verleih bewusst auf die Weihnachtszeit gelegt worden. Sicherlich legt der Film es auch nicht darauf an, seinem Publikum weh zu tun, es zu verstören, zu irritieren oder aufzurütteln, sondern es vielmehr auf ästhetisch höchstem Niveau sinnlich anzusprechen. Darauf zielen ja unendlich viele Filme, auch so ein eitel-erzkonservativer Hochglanz-Mumpitz wie Sorrentinos „Youth“. Wenn das aber in dem Maße wie hier Haynes gelingt, dann ist das für mich Grund genug, hierin für mich ein herausragendes Werk zu erkennen. (Ob die von Dir höher geschätzten Filme wie z.B. „Shaun the Sheep“ oder „A Girl walks home alone“ größeres Provokationspotential ihrem jeweiligen Zielpublikum gegenüber haben, sei mal dahin gestellt.)

Ich erwarte von einem Film nicht zwangsläufig Provokation, schon mal gar nicht von Shaun The Sheep. Da vergleicht man Äpfel mit Birnen und das kann kein Kriterium zu Beurteilung von Carol sein. In Shaun The Sheep habe ich mich aber köstlich amüsiert.

Ich finde Deine Beschreibung von Carol sehr gut. Es ist nichts dagegen zu sagen „das Publikum (…) auf ästhetisch höchstem Niveau sinnlich anzusprechen“. Ich wünsche – und wünschen darf man sich alles – mir aber mehr oder was anderes. Der Film lies mich emotional kalt. Ich habe eine Kritik gelesen, in der gerade das überperfekte Styling des Filmes und die kühle Distanz, die die Protagonistinnen zum Publikum aufbauen (kann man das so sagen?), diese schöne und undurchdringliche Schale, als eine besondere Qualität des Filmes gesehen wurden. Könnte man so sehen.

Mir geht es ja fast schon so, das ich dazu neige, in den Film etwas hineinzuinterpretieren, was dort eben gerade nicht zu sehen ist: Der emotionale Konflikt, den Carol und das Objekt ihrer Begierde ausstehen müssen, während sie jederzeit nach außen hin die makellose Form bewahren. Das wäre aber mindestens ein mal um die Ecke gedacht.

Den „eitel-erzkonservativen Hochglanz-Mumpitz von Sorrentinos „Youth““ kenne ich nicht. Klingt aber fast schon wieder gut! ;-)

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)