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Die Redaktionsleitung scheint verhindert, meine Review ist immer noch nicht online, deshalb poste ich sie halt hier:
„Neue Besen kehren gut“ ist ein Bonmot, das in dem Song „Sankt Florian“, der auf einem Sammelsurium von Binsenweisheiten und Bauernregeln aufbaut, nicht enthalten ist. Und doch passt es perfekt zu „Lebenslänglich“, dem neuen Album von der Band, die jetzt (wieder?) NIEDECKENS BAP heißt und sich nicht ganz entscheiden kann, ob sie nun eine Band sein will oder die lediglich die temporäre Besetzung von Niedeckens Begleitkapelle. Nichtsdestotrotz will man aber ganz offensiv 2016 das 40ste Jubiläum feiern. Wäre dieses Album nicht so gut geraten, gäbe es reichlich Angriffsfläche um dem letztendlich schlecht kommunizierten Werdegang der Entwicklungen im Hause BAP auf den Zahn zu fühlen. So stellt man fest: Die Umbesetzungen und Umfirmierungen haben letztendlich zu einem spannenden neuen Kapitel in der Geschichte von Wolfgang Niedecken und seinen wechselnden Besetzungen geführt.
Die Ausgangslage war durchaus gefährlich. Niedecken hatte sein geschmeidiges und stilvoll produziertes, aber unterm Strich langweiliges, Soloalbum „Zosamme alt“ als Anlass für eine lang ersehnte und sehr erfolgreiche akustische Tour genommen. Auf dieser war der in den 14 Jahren davor in der Band agierende Leadgitarrist Helmut Krumminga nicht mit von der Partie. Stattdessen übernahm der Mann von BAP-Dauergast (und jetzt Mitglied) Anne de Wolff – Ulrich Rode die Rolle des Leadgitarristen. Angenehmerweise spielt er nicht nur die klassische Leadgitarre, sondern ist ein Meister an allen Saiteninstrumenten und insofern in der Lage auch Steelguitars, Mandolinen, Banjos etc. zu bedienen. Nach der Tour stieg dann das neben Niedecken langjährigste Bandmitglied Jürgen Zöller (von 1987 bis 2014) aus und wurde durch Sönke Reich ersetzt.
So gibt es an zwei zentralen Positionen eine Umbesetzung und da Krumminga auch der Hauptsongwriter von BAP war, entstand ein gewisses Vakuum, das Neuzugang Rode jedoch mit seinen Ideen für dieses Album mehr als ausfüllen konnte. Letztendlich ist es der kreative Input von de Wolff und Rode, die übrigens auch als Produzenten fungierten, der „Lebenslänglich“ zu einem besonderen Hörvergnügen macht.
Das Album beginnt stark mit „Alles relativ“, das aus dem Flussplätschern des Rheins sich immer mehr steigert und dabei Niedecken gekonnt eine Revue seines (Er-)Lebens ziehen lässt. Das folgende „Absurdistan“ war vorab auch schon als digitale Single ausgekoppelt worden und vereint Ohrwurmqualitäten mit spannenden musikalischen Arrangements und einem klaren politischem Statement zur Weltlage, das zwar keine Lösungen anbietet, aber vor Augen führt, dass die aktuellen Probleme alles andere als neu sind und wir sie nur viel zu lange ausgeblendet haben.
Mit „Dä Herrjott meint et joot met mir“ kommt dann die erste klassische Gitarrenrock-Nummer, die unter Beweis stellt, dass die neue Besetzung nicht nur unplugged kann. Der Bandsound hat sich im Vergleich zu dem Vorgänger-Studioalbum „Halv su wild“, das 2011 erschien, massiv verändert. Damals waren die Arrangements stark an der alten fünfköpfigen Bandbesetzung mit der dominanten Gitarre Krummingas orientiert, jetzt ist die Besetzung siebenköpfig, denn auch der fantastische Percussionist Rhani Krija ist ein fester Bestandteil der Band. Da Rode weitaus mehr auf dezente und geschmackvolle Fills setzt denn auf eine dominante Gitarre, öffnen sich Räume für die anderen Instrumente, die von der Band auch wunderbar abwechslungsreich genutzt werden.
Auffallend ist allerdings, dass Niedecken wie auch schon auf seinem „Zosamme alt“-Album fast ausschließlich in tiefen Lagen singt, was sicherlich dem Alter geschuldet ist. Vielleicht haben ihm auch viele Leute zurückgemeldet, wie gut seine Stimme in den tiefen Lagen klingt. Auf Albumlänge fehlen jedoch leider die Momente, wo er mit seiner eigentlich noch immer sehr guten Stimme hoch geht. So wirkt alles mega-entspannt, doch Momente, in denen er durch die Stimme etwas mehr Dramatik erzeugen würde, täten dem Album durchaus gut.
In der zweiten Hälfte der Platte häufen sich dann ruhige, balladenartige Songs, wie sie auch auf sein Soloalbum gepasst hätten, die ein wenig die Spannung nehmen. Während das für Jürgen Zöller geschriebene „Schrääsch hinger mir“ noch klar punkten kann, versinkt die Dylan-Coverversion von „Simple twist of fate“ („Komisch“) leider völlig in Belanglosigkeit. Merkwürdig, dass Niedecken den Song noch einmal aufgenommen hat, denn den hat er vor zwanzig Jahren schon für sein „Leopaardefell“-Album viel besser eingespielt – er erschien zwar nur auf einer Single-B-Seite, aber da war er ein toller Bonus, hier stellt er den Tiefpunkt dar.
Insgesamt überwiegt jedoch klar die Inspiration, die eine solche Umbesetzung mit sich bringt. Ob diese Besetzung auch eine Ära prägen wird, ist ungewiss. Fest steht jedoch, dass die Band, die sich jetzt NIEDECKENS BAP nennt, in sehr vielversprechender Form agiert und die Vorfreude auf die anstehende Tour anheizt.
In Sternen: ****
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Staring at a grey sky, try to paint it blue - Teenage Blue