Re: blindfoldtest #18 – vorgarten

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vorgarten

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lieber kory, tausend dank für deine grandiosen kommentare, habe zum teil tränen gelacht und finde das maß an kritik im einzelnen so auch sehr erträglich. (und natürlich wird klar, dass du ab und zu keinen dunst von gar nichts hast ;-) )
im ernst – toll!

#1

KoryVor meinem geistigen Auge wird mit „einem schönen Gebüsch“ (M.Python) auf ein Tischxylofon gehauen. In einem Hexenhaus. Nachts um halb vier. In Schweden. Nordschweden.

haha. alles falsch. ;-)

#2

KoryIst das eine Liveaufnahme? Mir gefällt der sehr räumliche, natürliche Klang – obwohl es nicht wirklich gut klingt. Wie im Bauch eines großen Schiffes aufgenommen, während der Fahrt. Viel Stimmung, viel Feuchtigkeit, viel Gischt (draußen!) und viele Deckenlampen, die sich mit dem Seegang bewegen und deren Aufhängketten knarzen. Die steten Wechsel zwischen Agonie und totaler Lässigkeit sind weird. Kommt nie so richtig in die Gänge, für den Anfang und als verlängertes Intro goldrichtig gewählt.

sehr schön. agonie würden sich die leute hier verbitten, glaube ich – die sind eher noch etwas verbissen politisch. und die gischt ist auch ein falsches signal, obwohl ein ozean jetzt nicht sooo weit weg ist. aber es liegen doch einige sehr große straßen und hohe häuser dazwischen. liveaufnahme, klar. und stimmung ist auch da, wenn auch vielleicht keine fröhliche.

#3

KoryIn der ersten halben Minute wird eine Funktionsgleichung aus Humorhausen gespielt – erster Gedanke: Jahahahaha, das gefällt dem vorgarten! Der Kompletteinstieg swingt locker wie Frischkäse und der dazu passende Star sitzt strenggenommen hinter dem Piano – was schwierig herauszuhören ist, wenn das Sax auf Wanderschaft geht, weil es so arg im Vordergrund steht. Wirkt insgesamt durch den Rahmen des Sax-Solos zu Beginn und zum Schluss etwas skizzenhaft, aber trotzdem: erfrischendes Arrangement und spritziger Drive.

ich weiß gar nicht, ob dem vorgarten so ein einstieg unbedingt gefällt. spannend wird es (neben der hochachtung, die ich vor dem leader im generellen habe, aber das könnt ihr ja nicht wissen) für mich erst, wenn der ton kratzig wird und bricht und aus der perfektion herausrutscht und selbstbewusst am eigenen risiko scheitert. was anderes als das sax will ich gar nicht hören, ehrlich gesagt, aber schön, dass es komplimente für den mir unbekannten pianisten gibt. ;-)

#4

KoryHm. Ich kenne das, komme aber nicht drauf, wer das ist. Tonal so schmerzlos eingerichtet wie das Wohnzimmer meiner Eltern (1985): dunkelbraune Auslegeware, Mahagoni-Raumteiler von Hülsta, Metaxa im Schnapsschrank, Neil Diamond auf dem Dual-Plattenspieler. Schöner, deeper Ton und stimmungsvoll wäre ein Euphemismus. In der ganzen Ausstrahlung ist mir das persönlich zu reibungsarm. Bestimmt aus den 2010ern, wa?

ich glaube auch, dass du das kennst, zumindest die entsprechende post-rock-peripherie. metaxa hatten meine eltern auch im schnapsschrank, fällt mir gerade wieder ein. aber sowas würden die nie hören (musikstücke, die wenigstens einmal ihren charakter ändern? nicht sehr wirtschaftswunderlich).

#5

KoryVon supersmooth zu windschief in einem Fingerschnips. Grachan Moncur hat mal sinngemäß gesagt, er würde einerseits seine Songs so komponieren, wie er ein Bild malen würde und andererseits wäre ein Song niemals „fertig“ im Sinne von „abgeschlossen“. Das hier ist nicht Moncur, aber es erinnert mich in der Anlage an seine Blue Note-Zeit und auch an die Sachen, die er beispielsweise für McLeans „One Step Beyond“ geschrieben hat. Er hatte immer einen ganz eigenen Zugang zu seinen Kompositionen, der nie fokussiert, aber immer konzentriert war, und wer auch immer das hier ist, er/sie/es hat diesen Zugang ebenfalls.

grachan moncur ist ein super hinweis, der ist nämlich in diesem bft durchaus zu hören – allerdings nicht hier! die betonung auf prozess und nicht auf fertigem bild ist aber sicherlich auch hier goldrichtig eingeschätzt. wer „er“ ist, müsste noch geklärt werden – der solist hier ist nämlich nur ausführende stimme.

#6

KoryDas könnte auf einem Album genau richtig sein, hier kippt’s vor allem zu Beginn in ein arg fluffiges Plüschsofa (hellblau). Kenne den Ton des Saxofonisten, aber auch hier: arrrrrghichkommnichtdraufgnagnagnagnaaaarrrrgh. Mir klebt das zu doll im Klischee fest, vor allem der Mittelteil mit diesem Gedingel hinter demSaxofon. Ist das aus den Neunzigern?

tatsächlich glaube ich nicht, dass du den saxofonisten kennst. 90er stimmt. aber welches klischee könnte hier gemeint sein? das gedingel ist eine tanpura.

#7

KoryKönnte ein Auszug aus einer Aufnahmesession sein, vor der die Necks Opium geraucht haben. Ich mag den hinterrücks angedeuteten Puls und seine Monotonie (tatsächlich kommt mir dazu „Music To Be Born By“ von Mickey Hart in den Sinn – http://dreikommaviernull.blogspot.de/2007/11/rebirthing.html – Sehr künstlerisch, sehr ätherisch, sehr dunkelrot. Wäre total super, wenn die ganze Platte zumindest diese Stimmung aufrecht erhalten würde (und dann auch noch: könnte).

tut sie nicht – das hier ist der sehr introspektive schlusspunkt eines zum teil ziemlich dynamischen erstaufeinandertreffens. dass das auch die necks sein könnten, habe ich ja selbst schon vorgeschlagen. ein bisschen seltsam, dass die z.t. abstrusen ideen nicht gewürdigt werden, die das klavier hier aus scheinbar so kleiner geste hervorzaubert. ich hoffe mal auf clasjaz.

#8

KoryIn diesem Rahmen wirkt es verchromt, glänzend und (zu) glatt. Habe es jetzt bestimmt 20 Mal via Endlosschleife gehört, aber mir fällt dazu wenig ein, außer dass die Idee im Vordergrund gestanden haben muss (und dass sie da keine all zu gute Figur macht).

idee im vordergrund: ja. aber verchromt, glatt? das ist echt ein ganz fragiler geist und jede glätte ist ihm ein greuel…

#9

KoryHat mich im Prinzip nach 4 Sekunden im (und am) Sack. Piano- und Sax-Ton sind umwerfend, rythmisch ist’s auf mehreren Ebenen toll und total zugenagelt. Wenn das Schlagzeug nicht diese Mätzchen machen würde, wäre das sicher weniger gut auszuhalten. Ich mag das in sich versunkene Bassspiel, zumal die ganze Nummer zurückgezogen und sehr intim wirkt. Als würde man versuchen, Golf in einer Telefonzelle zu spielen. Hochverdichtet und trotzdem große Gesten. (Am Wegesrande: Kenne auch hier wieder – vielleicht – den Ton, aber keinen Namen *heul*).

schön beschrieben. beinahe wäre das stück noch rausgeflogen, weil ich es – wie gesagt – selbst erst eine woche vor dem bft kennen gelernt hatte – und weil ich den rest des albums nicht wirklich gelungen finde. aber hier scheinen alle beteiligten so zu glänzen, wie sie es verdienen.

#10

KoryEine erfrischend „indie“ klingende Aufnahme, die man absichtlich (?) nicht auf Hochglanz polierte – was hier auch gar keinen Sinn gemacht hätte, weil der Klang das Bild erst richtig in Szene setzt. Klingt nach jüngeren Musikern und nach einer Aufnahme in einem Keller bei Neonlicht. Was ich merkwürdig finde: hier geht eigentlich niemand so richtig aus sich heraus, obwohl es gleichzeitig expressiv ist – aber das Spiel heißt offenbar: wie gut können wir uns im Zaun halten? Der Drummer versucht es zur Mitte, die Intensität nach oben zu schrauben (Wertmüller ist das nicht, oder?), und da tut sich dann auch interessanterweise für die komplette Anlage tatsächlich mal etwas. Seltsames Stück, das immer auf einem Level bleibt.

super beschrieben, das konzept. aus sich herausgehen fänden sie wohl eher langweilig. aber halte das mal aus, wenn du sowas als zuhörer eine stunde lang vorgebrettert bekommst – ohne den hauch einer auflösung, sei es ausbruch oder entspannung. wertmüller ist natürlich sehr naheliegend, auch vom physischen vermögen her. er ist es aber nicht.

#11

KoryIch hatte hier zunächst „Das klingt sehr gräulich und trostlos“ eingetippt, aber eigentlich stimmt das nicht. Das Piano spielt mit einer sich entwickelnden Monotonie, die mich in seiner Struktur manchmal (i.S.v. „selten“) (i.w.S.v. „nie“) an Nik Bärtsch erinnert, dafür aber viel zu weich ist. Es wäre sehr toll, wenn die ganze Platte in diesem Stil wäre, weil es genug Tiefe hat, um mich nicht zu langweilen. Und nach „Kitsch“ kann ich hier auch nicht rufen. Bon!

sehr schön, dass das zumindest kontrovers aufgenommen wird. der rest des albums ist leider nicht so (ganz). mit nik bärtsch kann ich ja nicht so viel, aber den vergleich verstehe ich hier.

#12

KoryDazu könnte ich jetzt ein paar weniger schöne Zeilen schreiben, ist aber öde. Daher nur: „Means nothing to me.“ (Patsy, Absolutely Fabulous, 2.Staffel).

für mich nicht nachvollziehbar, auch nicht im hinblick auf das, was du danach noch dazu geschrieben hast. das ist hier zutiefst ernstgemeint und bitter melancholisch und sicherlich von einem der heiligsten & unbeachtetsten jazzmusiker überhaupt – kann man natürlich nicht von sowas aus schlussfolgern, aber ich dachte, zumindest die stimme würde in ihrer ernsthaftigkeit deutlich. bei mir ist es nah dran an dem, weswegen ich überhaupt jazz höre, also: means something to me. vielleicht löst sich das missverständnis noch auf – und es war einfach das falsche stück für dich.

#13

KoryHoppala, Deep Funk? Wo kommt der denn jetzt her? Könnte für meinen Geschmack etwas mehr Dampf vertragen, aber ist natürlich trotzdem super. Klingt nach einer längst vergessenen Aufnahme, die es nie aus dem Underground geschafft hat. 1972? Sowas läuft im Hause Kory vor allem im Sommer. Am Abend, zum Kochen. Dazu reicht das Haus frische Mojitos und „Eau d’Orange Vert“ von den Alligatorkillern von Hèrmes. (:-/)

grüne orangen? meinetwegen. deine beschreibung (nie aus dem underground herausgeschafft) triffts haargenau. ich würde dich gerne mal besuchen, wenn gerade sommer ist ;-)

#14

KorySolche Streicher triggern in mir sofort das emotionale Gefühl, das alles in Ordnung ist. Sie erinnern mich auch an eine Zeit, in der ich zu Amerika als Land und Gesellschaft dank der eigenen naiven Minderjährigkeit und dank eigener gesellschaftlicher Prägung noch neidisch aufschaute. Damit kriegt man mich trotz komlett verändertem Leben und Ansicht immer noch – aber eben nur auf der emotionalen Schiene. Und was heißt hier eigentlich „nur“? Ich weiß nicht, ob das Stück „cool“ ist, oder ob da auch noch Angst vor der eigenen Courage drinsteckt. Wirkt ein bisschen schüchtern, ne?!

äh… das hier ist aus england. und ich finde auch, dass es etwas unverschämter sein könnte. gerade so als britischer beitrag. aber irgendwie kriegt es der drummer während des orgelsolos mit der angst zu tun. keep calm and clean up your meth lab.

#15

KoryPuh. Das klingt rockig. Und weiß. Und manchmal nach Woodstock. Im Gesang erkenne ich sogar ab und zu Anflügge von Protopunk und Detroit. Ist bestimmt alles falsch. Muss mich damit mal näher beschäftigen, wenn ich weiß, wer das ist. Vor allem textlich. Habe im Grunde genommen eine große Affinität zu solchen Sounds, aber das ist mir für den Moment zu stiff und zu gerade.

protopunk wäre toll. aber dahin hat es leider nicht gereicht. vielleicht auch ein bisschen angst vor der eigenen courage oder zuviel hochachtung vor den eigenen wurzeln…

#16

KoryDie ersten 5 Minuten sind vorüber und sie zogen an mir vorbei wie ein Staubkorn im OP-Saal (Meniskusriss). Was ganz schlimm ist: hier schwingt für mich so ein Mucker-Humor mit, den ich wirklich unerträglich finde. Da schauen sich die Typen auf der Bühne nach jedem Break so verschmitzt grinsend an, und ich bekomme einen cholerischen Anfall. Ich finde es auch höchst befremdlich, die Intensität immer wieder mit diesem Swingblues-Interludes herauszunehmen. Und besonders originell ist es auch nicht. Viel zu aufgeräumt, Spielen nach Zahlen. Nicht mit mir, Jungs!

oh, das schockiert mich – aber ich kann verstehen, dass man das so hört. mit humor finde ich es im jazz auch immer sehr unbehaglich. ich kann aber versichern, dass das mit dem nicht so ganz hinhaut hier – einer ist verschroben, einer eine tiefe seele und der dritte ist wirklich komplett verrückt. ist natürlich auch nicht swingblues, sondern einmal blues und einmal swing ;-) und gegrinst wird hier nicht – eher geschwitzt vor glück.

#17

KorySchöner Ausklang. Mag ich. Tipps für zu kaufende Alben bitte in meine Richtung, habe nichts von ihr im Schrank.

ich glaube, dieses eine album ist ein absolutes muss. ansonsten alles oder nichts.

danke für’s mitmachen!!

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