Re: blindfoldtest #18 – vorgarten

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Verwirrender Mix. Schwierig, zu dieser Musik was zu schreiben, wenn man nicht weiß, woher sie kommt und daher den Kontext nicht kennt.

Track 01

Da klöppelt jemand mit anderen als vom Hersteller vorgesehenen Schlägeln auf dem Vibraphon, oder? Keine Ahnung wer das ist. Hört sich für mich in seiner Monotonie mehr nach minimal music an als nach Jazz, auch wenn die Dynamik und Rhythmik doch etwas anders ist. Gefällt mir als kleines Intro recht gut.

Track 02

Hingetupftes Piano, field recording Athmo, gestrichener Bass, ein samtig-herbes Tenorsaxophon. Es gleitet, wogt und wallt, schwillt an und ab. Die Bläser im Hintergrund stimmen mit ein. Schön, wie alle anscheinend auf der gleichen Wellenlänge resonierend mitschwingen und -schweben, wie-von-selbst. Hat eine schöne Leichtigkeit.

Track 03

Wenn Track 2 schön gewogt hat, dann prasseln die Töne hier über mich herein und ich weiß so schnell nicht, wohin damit. Ein völlig anderes Szenario! Post-Parker, würde ich sagen, für mich in dieser rasenden Intensität jedoch als Hörer kaum nachvollziehbar. Aber eine tightly knit spielende Band!

Track 04

Was für ein schön träge schleppender groove! Du sagst, das ist ein Trompeter? Also nicht der Kornettist mit dem mittel-ost-europäischen Nachnamen? Auf jeden Fall spielt er hier ganz wunderbar, gleichzeitig melodisch aber auch verspielt. Die ganze Band ist toll, der Pianist mit seinen kleinen Verzögerungen, auch Drummer und Bassist kriegen was ab, nachdem das Stück sich scheinbar auflöst und eine Wendung nimmt. Wunderbar!

Track 05

Free Jazz trifft Big Band trifft neue Musik? Finde ich in seinen dramatischen Aufbau interessant und könnte mich im Rahmen eines Konzertes fesseln. Hier steht mir das etwas zu unvermittelt rum bleibt mir daher etwas fremd.

Und – Zack! – wieder Kontrastprogramm mit

Track 06

Terence Blanchard? Nein, wohl nicht, aber das war mein erster Gedanke bei diesem klaren vollen und souveränem Ton und der Melodie, die fast von meiner einzigen Terence Blanchard-CD Jazz In Film stammen könnte. Klingt für mich zunächst mal wie Alte Schule, neo-traditionalistisch und sehr schön. Aber dann wird’s orientalisch! Sitarklänge und ein Sopransax als Schlangenbeschwörer. Eigenartige Wendung, die – ohne den Zusammenhang zu kennen – kaum nachvollziehbar ist. Aber die Trompete ist imposant.

Track 07

Das klingt für mich wie Neue Musik-meets-Jazz-Workshop. Repetetiv gezupftes Cello, im Gegensatz dazu ein eigenartig manipuliertes Klavier mit riesigen Pausen und ein Drummer, der damit gar nichts anfangen kann. Eigentlich völlig un-jazzig. Das wäre wieder so was, bei dem ich während eines Konzertes wohl gebannt zuhören würde, hier in diesem Zusammenhang bleibt der Zugang für mich schwierig.

Track 08

Ups, schon vorbei, bevor ich was darüber schreiben kann. ;-)

Track 09

Ich habe zu diesem Stück etwas in die vorhergehenden Posts geschielt. Experimente in Rhythmik und Taktart? Grübel … In meinen Ohren klingt das etwas konstruiert und ambitioniert und erreicht mich auf emotionaler Ebene nicht so recht. Irgendwie erinnert es mich an Steve Coleman, bei dem ich manchmal (ich kenne nicht wirklich viel von ihm) auch den Eindruck habe, da geht das ambitionierte Konzept mit ihm durch.

Track 10

Im Comic Asterix und Kleopatra gibt es die Szene, in der Kleopatra ihre Lieblingsspeise zu sich nimmt, in Essig aufgelöste Perlen. Hier die kleine Szene. Als ich dieses Stück hörte, dachte ich „Mir graut vor Jazz, wenn er zu frei ist!“ Sorry, da kann ich überhaupt nichts erkennen und steige aus. Nächstes Stück, bitte!

Track 11

Kontraste, Kontraste, Kontraste! Wieder etwas völlig anderes. Schönes repetetives Pianomotiv, das variiert wird. Hat wieder so was wogendes, verträumtes, an der Grenze zum Sentimentalen. Ich lasse mich hier gerne mal darauf ein. Der drummer setzt nur Akzente und das ist gut so. Den Bassisten hört man kaum und braucht ihn hier eigentlich auch nicht. Schön!

Track 12

Flott! Der Sänger ist natürlich eigentlich kein Sänger, oder? Ich vermute mal, dass das eigentlich der Saxofonist (und Leader) ist. Schön, wie die auch ohne drummer grooven! Den vermisse ich jedenfalls überhaupt nicht. Klingt auch so schon sehr dicht.

Track 13

Ich verstehe jetzt überhaupt nicht mehr, was für ein Konzept hinter diesem Mix steht. Jetzt Chitlin Circuit? Das Sax ist mehr als bodenständig, die Orgel trommelfellzerfetztend, und – hey! – jetzt auch noch ein Solo auf der Stromgitarre! Wow!

Track 14

Es geht funky weiter, aber schmusiger. Schlafzimmersouljazz. Der Sänger hört sich für mich ein wenig so an, als stamme er eigentlich weder aus dem Jazz noch aus dem Soul, sondern eher so aus dem Entertainer-Fach. Jetzt auch noch Streicher! Harfe! Ich fasse es nicht! ;-) Aber schön anzuhören, während bei mir die Zunge etwas in der Backe spielt. Gut so!

Habe hier auch mal in vorherige Posts geschielt. Aha, das Stück wurde eingesetzt, als Heisenberg kochte? Glück in reinster Form!

Track 15

Das ist Ende 60er oder frühe 70er. Sly Stone hat da wohl ein bisschen Pate gestanden. Funky und politisch. Ah, ich hab’s rausgefunden. Wir alle kennen mindestens ein Stück von ihm als Komponisten, und ich frage mich eigentlich warum nicht als Interpreten. Toller Sänger, toller groove, tolles stück!

Track 16

Und was soll das jetzt? Siehe meinen Kommentar zu Track 10. Okay, im Verlauf wird das sogar ganz witzig und groovy. Vielleicht wollen die erstmal ein bisschen provozieren um danach ihre Botschaft an den Mann zu bringen. Ist ein bisschen dada, oder so, mit dem Geklapper, aber wird dann ja fast gefällig. Müsste mir eigentlich gefallen. ;-)

Track 17

Deutschsprachige Popmusik wie sie besser kaum sein kann. „Kaffeefilter“, „Zementblocklangeweile hockt auf Straßen“, „ich konstatiere 110 zu 80 Blutdruck“ – wer hat solche Worte und Zeilen jemals und überzeugender gesungen? Sie kann ja sogar nur die Uhr ablesen und es klingt großartig. Die Binsenweisheit, dass die K. die beste Sängerin ohne Stimme war, mag ich gar nicht mehr wiederholen. Sie war halt keine Jazzsängerin, sie war eigentlich Schauspielerin und sie konnte einfach großartig mit Sprache umgehen und sie hat auch ein tolle Rhythmik oder besser: Akzentuierung. Für viele Frauen der Nachkriegsgeneration war sie trotz oder wegen ihres eigenwilligen Lebens voller Höhen und Tiefen meines Wissens ein Idol – die Autobiografie Der Geschenkte Gaul steht bei meiner Mutter im Regal – und eigentlich frage mich, ob oder warum eigentlich die K. mit ihren Texten und ihrem Gesang keine Nachfolger gefunden hat. Zu einzigartig? Oder war da ein Generationenbruch mit im Spiel?

Der sehr schön understated bluesig spielende Pianist ist dann vermutlich Hans Hammerschmid.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)