Re: Blind Fold Test #17 – Friedrich

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friedrich

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Nach guter alter Sitte hier die Auflösung des Blind Fold Tests Nummer 17. Das Teilnehmerfeld der Diskutanten war dieses mal sehr übersichtlich. Ich schiebe es mal aufs Sommerloch. Vielleicht gab es aber auch eine paar stille Mithörer. Den Link haben sich jedenfalls einige Forianer abgeholt. Aber egal, hier kommen die einschlägigen Angaben zu den einzelnen Tracks, von mir nur knapp kommentiert, denn vieles ist in der Diskussion schon gesagt worden.

Durchgehendes Thema des BFTs ist, dass alle Tracks von Creed Taylor produziert wurden. Die Auswahl ist jedoch keineswegs repräsentativ. So wird die von Creed Taylor mit ausgelöste Bossa Nova-Welle mit seinem größtem Hit The Girl From Ipanema komplett ausgespart. Mir kam es mehr auf ein schönes Mixtape an. Das Foto, das an den MP3s dranhängt sieht in voller Schönheit so aus:

Creed Taylor mit seinem Händchen im Kontrollraum

Track 01

Oliver Nelson – Stolen Moments
von: The Blues And The Abstract Truth (1961)

Oliver Nelson: as, ts; Eric dolphy: as, fl; Freddie Hubbard: tp; George Barrow: bs; Bill Evans: p; Paul Chambers: b; Roy Haynes: dr

Oliver Nelson, der später als Arrangeur von teilweise etwas verschleimten Tracks (er ist z.B. für das zuckrig vergeigte letzte Monk-Album für Columbia mit-verantwortlich) zu wahrscheinlich nicht unbeträchtlichem Wohlstand kam, hier mit einem echten Jazzalbum. Ein Konzeptalbum zum Thema Blues, das als Klassiker gilt. Stolen Moments ist eigentlich eine einfache Sache: Prägnantes Thema, lässiger groove und Solisten der Premium-Klasse. Vielleicht trägt die Tatsache, dass hier fast ausschließlich Musiker spielen, die quasi selber Markennamen tragen, zum Renommé der Platte bei. Aber hier funktioniert das tatsächlich: Der groove schlendert durch die Nacht und unterwegs trifft man die unterschiedlichsten Charaktere.

Track 02

John Coltrane – Blues Minor
von: The Complete Africa / Brass Sessions (1961)

John Coltrane: ts; Booker Little: tr; Britt Woodman: tb; Carl Bowman: euphonium; Julius Watkins, Donald Corrado, Bob Northern, Robert Swisshelm: frh; Bill Barber: tb; Eric Dolphy: as/bcl; Pat Patrick: bs; McCoy Tyner: p; Reggie Workman: b; Elvin Jones: dr.

Creed Taylor war wohl am Aufbau von Impulse maßgeblich beteiligt. Wie weit sein Einfluss reichte, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, wie weit sein Einfluss auf Coltrane reichte, eine Platte mit Brass Section aufzunehmen. Gibt es noch vergleichbares von Coltrane? Jedenfalls ist The Complette Africa / Brass Sessions mir eins seiner liebsten Alben. Eine unglaublich dichte und druckvolle Kombination von knackigen Bläser-Riffs und Coltranes kontrollierten Chaos.

Track 03

Roland Kirk – Now Please Don’t You Cry, Beautiful Edith
von: Now Please Don’t You Cry, Beautiful Edith (1967)

Roland Kirk: stritch/manzello; Lonnnie Liston Smith: p; Ronald Boykins: b; Gradey Tate: dr

Roland Kirks vielleicht etwas zu wenig beachtetes einziges Album auf Verve. Ein Gemischtwarenladen aus Swing, Bop, Blues, Latin und einem Burt Bacharach Cover, der schon vieles von dem auf einer Platte vereinigt, was RK ausmachte. Noch im gleichen Jahr veröffentlichte er The Inflated Tear auf Atlantic und das war dann wohl ein Hit.

Don’t You Cry … ist eine Ballade der alten Schule mit einem betörend spielenden Roland Kirk – ob auf Manzello oder Stritch kann ich nicht entscheiden. Toll die Stelle mit dem Tempo- und Rhythmuswechsel, wo das Stück auf einmal Biss und ein Stück Bitterkeit bekommt. Roland Kirk hat das Stück wohl seiner Frau Edith gewidmet, die er sitzen gelassen hat. Ob es sie getröstet hat?

Track 04

Anita O’Day – Boogie Blues
von: All The Sad Young Man (1961)

Anita O’Day: voc & The Gary McFarland Orchestra

Die immer keck und lasziv klingende Anita O’Day, 1961 eigentlich schon eine Veteranin der Swing-Ära, hier von Creed Taylor in einem Setting mit den raffinierten Arrangements von Gary McFarland platziert. Die Legende besagt, dass die Bänder mit den Instrumentaltracks von New York nach Los Angeles geschickt wurden und Anita O’Day dort im Studio zum Playback sang. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, aber ich meine zu hören, wie Gesang und Orchestra ein wenig unabhängig von einander laufen. Vermutlich ist dieses Gegeneinandersetzen aber gerade das Kalkül, um Anita O’Day aus der Reserve zu locken und zu modernisieren. Boogie Blues war ein Stück, das sie mit dem Gene Krupa Orchester in den 40ern gespielt hatte. Creed Taylor stellt den alten Gassenhauer mit dem radikalen Neuarrangement komplett auf den Kopf. Hier hört man die Hand des Produzenten.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)