Re: Blind Fold Test #17 – Friedrich

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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vorgarten#1
ok, zu dem stück gibt es sogar eine eigene wikipediaseite. ich würde aber mal sagen: zurecht. als ich es zum ersten mal gehört habe (auf einem sampler, übrigens), konnte ich es echt kaum fassen, wie toll das ist. die modale einfachheit ist dabei nur vorgetäuscht. der drummer hängt, wie ich jetzt erst höre, beim thema einen bruchteil hinter dem beat her, der bassist dagegen ist bei der bridge schneller. das trompetensolo ist von so kunstvoller zurückhaltung, dass ich mir wünschen würde, der herr hätte sich das selbst in späteren jahren mal angehört. sobald die flöte einsetzt, rutscht man sofort ein bisschen richtung westcoast, finde ich (dieses quartet hätte so auch gerne mal was aufnehmen können). der eigentliche knaller natürlich das tenorsaxsolo – perfekt strukturiert, mit diesem cry, der aus einfachen ideen kommt, die weiter- und weitergetrieben werden. irgendwo hält sich doch das gerücht, dass er sich das solo so vorher aufgeschrieben hat; aber die zweite idee ist doch das echo eines motivs des pianisten, das er aufgreift, oder höre ich das falsch?

Tja, was soll ich angesichts des überschäumenden Jubels, der bei diesem Stück ausbricht, noch sagen? Ihr könnt das alles viel detaillierter beschreiben als ich.

#2
ist natürlich auch bekannt. hat auch als album des leaders eine besondere schönheit, die ich mir nicht ganz erklären kann. die aufgestockte band hätte es speziell für dieses stück nicht gebraucht. auch in den quartet-momenten ist der sound schon sehr reich und tief und farbig, dazu bringt die brass-wolke durchaus nochmal eine schöne pointe. (…)

Also ich finde die Brass-Sektion in diesem Stück toll! Ich schrieb es schon: das gibt der Sache noch mal so richtig Druck. Ich glaube redbeans schrieb, dass sich die Passagen ohne Brass aber auch so anhören wie eine Big Band. Finde ich auch. Das ist so dicht und intensiv. Dennoch: die wiederkehrenden Big Band Riffs geben dem Stück noch mal extra Struktur und Prägnanz. Vor diesem Hintergrund kann der Solist noch so sehr austicken, die Bläser bringen alles wieder down to earth. Funktioniert auch ein bisschen so wie ein Chor.

#3
das kenne ich auch, aber ich komme nicht auf den saxofonisten. toll, der kleine, dreckige ausbruch. und das thema ist ein traum. das hat, wie die beiden zuvor auch, eine tolle atmosphäre. sowas herzustellen, hat natürlich immer mit dem produzenten zu tun. jetzt muss ich nur noch darauf kommen, wer das hier ist…

Das hast Du inzwischen ja auch raus. Wie sagte gypsy: Bezaubernd? Entzückend? Finde ich auch. Ich weiß bei diesem Stück und den beiden davor nicht, ob der Produzent daran wirklich so großen Anteil hatte. Seine Handschrift kann ich da nicht so heraushören. Aber völlig unabhängig davon, sind das tolle Aufnahmen.

#4
ok, danke, ich glaube platz 23 in meinen top50 hier. nach wie vor für mich das bestarrangierte bigband&vocals-album, das ich kenne. wobei diese showtreppenbläsersätze zwischendurch sehr ausgestellt sind, imitiert, nicht ganz ernstgemeint. total ernstgemeint dagegen dieser permanente wechsel zwischen völlig unterschiedlichen instrumentengruppen mit kleinen motivkürzeln, die immer wieder scharf ins geschehen schneiden. dazu braucht mal natürlich eine sängerin, die damit umgehen kann – und die hier konnte wohl mit allem umgehen. (…)

Bitte, bitte, gern geschehen! ;-) Die Band klingt sowas von ausgedacht und konstruiert und irgendwie scheinen Band und Sängerin auch unabhängig voneinander zu funktionieren. Hört sich ja gar nicht so an, als sei das Vocals + Begleitung. Die Band spielt teilweise ja ganz konträres Zeug, fällt mir jetzt auf. Aber toll!

#5
„afro blue“ habe ich erkannt, der rest war ein kinderspiel. sehr schön sind die beiden gegeneinander laufenden metren. und den trompeter mag ich ja auch sehr (irgendwie auch immer ein bisschen mehr als hubbard, der bestimmt noch kommt…). (…)

Um gegeneinander laufende Metren zu hören bin ich zu unmusikalisch. Den leader hattest Du hier mal ziemlich gedisst. Das hier ist eine seiner weniger populistischen Aufnahmen und auch eine der weniger populistischen Aufnahmen Creed Taylors.

#6
super stück. nicht nur die entspanntheit und der unfassbar schöne gitarrensound (das ist fast schon fetisch), sondern vor allem die durch die streicher langsam aufgebaute spannung: homophone wolke, dann das zittern, und dann das grenzgeniale pianissimo-motiv ab 1:57, das immer lauter wird (wurde das nicht auch irgendwo gesampelt?). für mich eins der tollsten beispiele für jazz+streicher überhaupt (hatte hier nicht kürzlich jemand über ogermann gelästert?). kannte ich natürlich schon.

Freut mich und wundert mich fast, dass das hier so gut ankommt, denn das geht schon recht weit ins Populistische. Aber egal. Was mich daran begeistert, ist die Atmosphäre, die erzeugt wird. Und man höre mal, mit welch stoischer Monotonie die rhythm section da agiert während Gitarre und Streicher ganz großes Kino machen!

#7
das ist jetzt nicht so meins, aber die zurückgenommen glimmende atmosphäre kann ich schon würdigen. klassischer blues mit jesus-anrufung, vielen versatzstücken, diesmal komplett verzichtbaren streichern und einer gitarre, die mit der in #8 nicht viel gemein hat(…). der mir genausowenig liegende saxofonist ist wahrscheinlich turrentine oder so jemand?

Boah! „turrentine oder so jemand?“ kann ich bloß als absichtlich unverschämte Provokation verstehen. ;-) Auch hier geht Gefühl über alles! Und da ist Turrentine einfach mein Mann!

#8
people make the world go round, tollster acid-jazz-klassiker überhaupt, mit der besten verschleppten basslinie ever. kann ich immer und von jedem hören. trompeter ist klar, aber es ist nicht seine version (die es auch im cti-katalog gibt), sondern die des vibraphonisten, mit den straußen im gegenlicht. mein problem hier (wie oft bei cti). warum müssen hier noch soli gespielt werden? hier passiert auch nicht viel darin, finde ich.

Hatte ich nie mit Acid Jazz in Verbindung gebracht, dachte mir aber, wenn ich Massive Attack wäre, hätte ich die ersten paar Takte schon längst gesamplet. Wenn es in diesem Stück keine Soli gäbe, wäre es nach 2,5 Minuten vorbei und ich finde auch hier schafft der durchgehende Groove und die darüber liegenden Soli einen schönen Reiz. Alleine schon, wie sich das ganze auf einmal lockert wenn bei ca. 2:30 das Vibraphon soliert. Und dann wird im Wechsel/Gegenspiel Groove < -> Soli immer wieder Spannung auf- und abgebaut. Auch Freddie Hubbard klingt hier wirklich toll, den wir übrigens auch auf #01 hören. Aber das wisst Ihr ja. Ich habe auf eine Stück von FH als Leader in diesem Mix verzichtet, weil er hier schon ein so schönen Auftritt hat.

#9
das album habe ich ja kürzlich erst über den grünen klee gelobt. der herr konnte die begeisterung für mich in den folgeprojekten leider nicht halten, aber dieses album ist toll, und die gitarre natürlich auch. auf der noch viel tolleren EXTRAPOLATION des gitarristen heißt das stück übrigens noch „arjen’s bag“. in einem anderen forum fragte übrigens mal jemand, wie man als drummer einen 11/8-takt spielen solle und bekam die antwort: „und wo genau liegt dein problem? spiel doch einfach en normalen 4/4 beat und lass beim dritten mal die 4 weg.“ na dann…

Ich glaube, dazu brauche ich nichts mehr zu sagen. Erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. Für mich ein Entdeckung und immer noch das einzige Stück, dass sich von dem Leader kenne.

#10
ah, jetzt kommt der helikopter. der weihnachtssong, im alternate take, wenn ich richtig sehe. ich mag die komposition leider nicht, auch abseits vom religiösen kontext. burrell ist natürlich toll, aber die dopplung mit klavier funktioniert für mich wie üblich nicht. ich bin da nicht dogmatisch, aber ich sehe und höre den sinn darin nicht.

Die religiöse Komponente war mir völlig entgangen. Ist mir auch egal. Auch hier steht für mich das Gefühl, die filigrane Zartheit im Vordergrund. Ich finde auch das Spiel von Gitarre und Piano sehr schön, erst recht, wenn die Gitarre aussetzt und das Piano soliert.

eine schöne zusammenstellung, auf die man auch als produzent sehr stolz sein kann. verstehe jetzt auch besser, was friedrich an dessen output reizt – die atmosphäre und gelassenheit ist schon sehr einzigartig, wenn entsprechende musiker und kompositionen zusammenkommen. vielen dank!

Thx!

Es ist bei mir ja mehr Interesse als Fantum, zumal ich auch vieles von CT produziertes weit weniger mag. Vielleicht ist es aber auch der Reiz, das CT sich mit manchen Sachen ziemlich weit in von der Jazzpolizei als No Go-Zone deklariertes Territorium (Streicher! E-Piano! Grooves!) gewagt hat. Ein bisschen ein Spiel mit dem Verbotenen. Das ist in diesem Mix gar nicht mal so ausgeprägt. Er hat damit aber auch etwas geschaffen, dass ein ganz eigenen Sound hat, da hört man die Handschrift des Produzenten. Vielleicht ist das auch schon ein bisschen ein Tabu im Jazz, wo ja gerne auch die Authentzität des Künstlers bemüht wird. Viele Aufnahmen auf CTI sind jedoch richtige Produktionen, geschäftsmäßig konzipiert und ausgeführt. In meinen Ohren klingt das in vielen Fällen aber toll!

Ich habe es schnell aufgegeben einen repräsentativen CT-Mix zu machen. Zum einen, weil ich dafür überhaupt nicht genug Material habe, zum anderen, weil ich einige overheard Gassenhauer (Bossa Nova! Zarathustra!) wirklich nicht dabeihaben wollte. Und dann liefen mir so ein paar eher untypische Sachen über den Weg und es wurde ein recht vielfältiger Mix draus. Vielleicht ist das dann aber doch schon wieder repräsentativ.

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)