Re: Kamasi Washington – The Epic

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vorgarten

Registriert seit: 07.10.2007

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ich bin da ziemlich wehrlos. natürlich kann man an jedem detail herummäkeln, dass es in der richtung besseres gibt, oder dass es das schon mal gab, aber so einen komplettbau, der dazu noch so organisch fließt, gab es eben noch nie – eigentlich ist das genau das album, dass in den 70ern keiner hingekriegt hat (oder für das keiner geld hatte).

zunächst muss man ja anhand der relativ simplen cd-ausstattung sagen: keinerlei texte, keine angeberei, nichts, was programmatisch von der musik ablenkt. dass es flankierende pressetexte gibt, die vom kosmos auf einem album reden, ist ja klar (würde ich auch machen, wenn ich 2015 einem avancierten popmarkt ein jazzalbum verkaufen möchte). aber das ist, glaube ich, nicht der anspruch von THE EPIC.

THE EPIC ist ein zutiefst konservatives album, ein nicht allzuweit ausholendes dokument beherzten und beseelten muckertums, das natürlich die ganze afroamerikanische musikgeschichte einmal durchgekaut hat und natürlich beim lieben malcolm x als reinkarnation von jesus landet. aber diese leute hier haben echt geübt, da gibt es nichts zu meckern. das geht in mehrere richtungen – diese überleichte virtuosität des pianisten cameron graves (das erste solo? holla.) kann nerven, aber seine begleitung ist super. genauso „thundercat“ stepehn bruner. und zuletzt der leader, dessen aufbauarbeit ins überblasregister in JEDEM solo ist furchtbar vorhersehbar, auch seine smoothjazz-phrasierungen manchmal – aber wirklich toll ist, wie er die streicher und den chor aufgreift und in seinen soli einfach noch mitanspielt. daneben gibt es die soundwerker, vor allem der organist brandon coleman – ich finde den echt originell, vom ganzen ansatz her, nicht nur, weil er im ohnehin tollen „leroy and larisha“ auf ein verstimmtes schifferklavier wechselt. ich kann überhaupt an keinem musiker hier was aussetzen, auch wenn es keine wirklich auratischen, individuellen stimmen gibt (gibt es in mindestens 60% aller hardbop-alben ja auch nicht).

toll sind groove (die beiden massiven schlagzeuger, die baumstammgroße oberarme und sehr flexible handgelenke haben müssen; diese ultravirtuosen bassisten) und die verschiedenen lagen, die durch chor und streicher entstehen. wie washington das als ganzes arrangiert, mit einfachen melodielinien, ein bisschen kosmischer verlorenheit darin, großem pathos manchmal, einem mwandishi-moment („seven prayers“) und den formatierteren soul & pop sachen auf der dritten cd, ist wirklich sehr schön. klar, coltrane quartet mit streichern, nix alice (deren streicherplatten haben ein viel irreres material, strawinsky am ganges plus letztes quintet) und nix gospel (eher konservatoriumschor). brav halt irgendwie auch.

man kann das schon verstehen, wenn ein paar leute am ende vielleicht 5 jazzalben aus den 10ern auf festplatte haben und das ist dabei.

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