Re: Coleman Hawkins – The Father of the Tenor Saxophone (1904-1969)

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Looking east from 6th Avenue, 52nd Street at night, May 1948 (Photo: William P. Gottlieb)

In den Jahren 1947/48 begann der Niedergang der 52nd Street. Der Jazz büsste mehr und mehr von seiner Popularität ein – die Entwicklung war vielleicht paradox: die Combos an der 52nd Street setzten sich anfänglich vor allem aus Big Band-Musikern der Swing-Ära zusammen, die gerne mehr Jazz spielen wollten – das Big Band-Sterben geht damit einher, auch wenn es gewiss viel wichtigere Faktoren gibt. Die gewonnenen Freiräume – und die Konkurrenz auf engem Raum – beförderten die kreative „Explosion“, 1944/45 nahm der Bebop Konturen an. Lokale wie die oben sichtbaren „Onyx“ und „3 Deuces“ und andere wie das „Famous Door“ oder „Kelly’s Stable“ öffneten ihre Tore auch der neuen Musik, während das „Jimmy Ryan’s“ die Heimat der Dixieland-Musiker und Traditionalisten blieb. Hatten schon die Swing-Combos an der Street mehrheitlich nicht mehr zum Tanz aufgespielt, so verschärfte sich diese Entwicklung mit dem Bop noch. Die neue Musik war keine, die man in lockerer Atmosphäre zur Entspannung zu sich nehmen mochte sondern Musik, die aufmerksame Zuhörer verlangte.

Mit dem Schliessen der Clubs (Ende der Fünfziger gab es nur noch das Jimmy Ryan’s, das 1962 umzog aber bis 1983 weiterexistierte) suchten die Musiker andere Auftrittsmöglichkeiten, auch wenn diese sich in all year resorts in den Catskill oder so fanden. Als Bespiel mag Tiny Grimes dienen, über dessen Gang Ira Gitler in den Liner Notes zu „Blues Groove“ (Prestige P-7138) von 1958 berichtet: 1944 verliess er die Gruppe von Art Tatum und stieg in den nächsten drei Jahren an der 52nd Street zum bekannten Musiker auf, leitete Gruppe z.B. mit Trummy Young und John Hardee, tauchte an unzähligen Konzerten und Sessions auf, nahm für Blue Note mit Ike Quebec, Hardee und anderen auf, für Savoy die „Red Cross“-Session mit Charlie Parker – es war eigentlich Grimes‘ Session. Doch 1947 ging es für fast das ganze Jahr nach Cleveland, Grimes leitete dort in Gleason’s Bar eine Combo. 1949 kam er für sechs Monate zurück nach New York. In 1951 stellte er die „Rocking Highlanders“ zusammen, die in Kilts und Tam o’Shanter auftraten. 1953 bis 1955 spielte Grimes‘ Band sich durch Kanada und den mittlerwen Westen. Seither, so Gitler 1958, habe Grimes seine Basis in Philadelphia.

Auch für Coleman Hawkins sollten die folgenden Jahre, vor allem ab 1950, schwierige werden. Doch das Jahr 1948 begann mit einem Meilenstein, einem Meisterwerk, einem Stück, das in der Musik völlig einzigartig dastehnt: „Picasso“.

1948 | New York City | Coleman Hawkins (Clef) – Für Norman Granz’ Prestige-Projekt „The Jazz Scene“, ein Album von 78er-, später 10″-LPs mit Photographien von Gjon Mili (dem Regisseur des Films „Jammin‘ the Blues“ von 1944) steuerte Hawkins ein unbegleitetes Solo bei, benannt nach einem anderen Jahrhundertkünstler. (der Vergleich stammt von Harry Lim, dem Produzenten von Keynote Records, für den Hawkins 1944 eine lange Reihe toller Aufnahmen machte). Andere Beteiligte an „The Jazz Scene“ waren Charlie Parker, Lester Young, Duke Ellington (der zwei Features für Harry Carney mit Streichern komponierte), Willie Smith, Bud Powell, Machito, sowie die Komponisten/Arrangeure Neal Hefti, Ralph Burns und George Handy.

Hawkins‘ Stück ist die pièce de résistance das Albums. Er hatte schon ein paar Jahre davor ein unbegleitetes Solo aufgenommen, aber es war „Picasso“, das unter Saxophonisten für Aufsehen sorgte und zahllose Nachfolger fand – von Sonny Rollins bis Anthony Braxton. Doch es war ein hartes Stück Arbeit:

Norman GranzWhen we recorded this side, Hawkins sat down and for two hours worked it out on the piano. He then recorded it on the tenor for another two hours. Always the perfectionist, he still wasn’t satisfied; so a month later we recorded the piece again, and finally, after another four-hour session, got the take we wanted.

Nach Brian Priestleys „Reissuing The Jazz Scene„, Liner Notes zur abgebildeten 2-CD-Ausgabe von 1994.

Darüber, was Hawkins hier umgetrieben hat, gehen die Ansichten auseinander. So meinte Gunther Schuller, das Stück sei „a free-form, free-association continuity“, während John Chilton schrieb, es sei „unconnected by harmonic progression or tempo“. Was mit Sicherheit gesagt werden kann: Es ist grossartig!

Was über das Solo gesagt werden kann: Es wirkt absolut zwingend. Es swingt. Und Hawkins ist überhaupt, wie einst bei „Body and Soul“ oder „The Man I Love“, in bestechender Form. Er erkundet im Verlauf eine ganze Reihe abgelegener Tonarrten (fis-Moll, Gis-Dur) – es kann durchaus argumentiert werden, dass dieses Stück und nicht die 1949 entstandenen Aufnahmen von Lennie Tristano für Capitol („Intuition“, „Digression“) die ersten „atonalen“ Aufnahmen des Jazz sind.

Ich hörte das Stück – ebenso wie den wilden „Blues“ mit Illinois Jacquet, Nat Cole und Les Paul, der von einem frühen Jazz at the Philharmonic-Konzert (ohne Hawkins) stammt – erstmals in diesem 3-CD-Set, das zum fünfzigsten Geburtstag von Verve erschien und in einer Bibliothek stand, die ich damals frequentierte:

Im Jahr 1948 enstanden keine weiteren offiziellen Aufnahmen. Im Mai wurde Hawkins als Hauptattraktion von Charles Delaunay ans erste Jazzfestival von Paris nach dem Krieg eingeladen. Neben ihm traten auch Erroll Garner, Howard McGhee, John Lewis oder Kenny Clarke (der gleich in Paris bleiben sollte) auf. Hawkins‘ Konzert wurde zum Triumph, es kam auch zu Sessions mit jüngeren französischen Musikern – doch soweit ich weiss sind nur zwei Stücke (eins mit Garner, Percy Heath und Clarke, das zweite mit McGhee, Jimmy Heath, Garner und Slam Stewart) auf zweifelhaften Releases erschienen. Ich kenne sie leider nicht. Im November entstanden dann noch Aufnahmen für ein Just Jazz-Konzert in Hollywood, drei Stücke mit Al Haig, Tommy Potter und J.C. Heard – auch sie kenne ich leider nicht (sie sind auf einer Spotlite-LP zu finden, wie es scheint – oder auch nicht, jazzdisco.org und meine alte Ausgabe von Lord widersprechen sich da).

11. Februar 1949 | Carnegie Hall, New York City | Jazz at the Philharmonic (Clef/Pablo) – 2002 erschien auf Fantasy (das 1987 den Katalog von Pablo inklusive unveröffentlichter Live-Bänder aus Granz‘ Fundus übernahm) eine CD mit Musik, die am 11. Februar 1949 (nicht wie auf der CD angegeben am 2. November – deppertes US-Datenformat!) in der New Yorker Carnegie Hall entstand. Das Konzert bildete den Auftakt zur Frühlingstournee 1949, im All Star-Segment sind Fats Navarro, Tommy Turk, Charlie Parker, Sonny Criss, Flip Phillips, Hank Jones, Ray Brown und Shelly Manne zu hören, vier weitere Stücke präsentieren dann Hawkins und Navarro mit der Rhythmusgruppe. Jeder von ihnen erhält ein Balladenfeature – „Sophisticated Lady“ for Hawkins, „The Things We Did Last Summer“ für Navarro – eingerahmt von zwei Quintett-Titeln, „Rifftide“ und „Stuffy“. Letzteres ist mit zehn Minuten Dauer das weitaus längste Stück, doch Hawkins‘ Balladen-Feature ist wohl das Highlight. Navarros Balladen-Feature ist jedoch auch überaus hörenswert, erst recht da er auf Platte nur selten Gelegenheit bekam, seine Fähigkeiten in Balladen unter Beweis zu stellen. In „Stuffy“ spielt Hawkins wie in den kommenden Aufnahmen ein Solo, das ziemlich nahe beim Rhythm & Blues angesiedelt ist, honkt und repetiert – schlecht macht er das nicht, aber es ist auch nichts, was natürlich wirkt. Navarros schlankes Trompetensolo danach ist jedenfalls eine Wohltat und viel zu kurz und auch Hank Jones glänzt, wie man es inzwischen längst von ihm erwartet. Hawkins‘ zweites Solo öffnet dann ganz so, als sei Flip Phillips oder Illinois Jacquet zugange, es gibt sogar eine Phrase, die schwer an Jacquets klassisches „Flyin‘ Home“-Solo erinnert, bevor – als erster Teil des abschliessenden shout chorus, aber ohne Navarro – das hübsche Thema auftaucht, das Hawkins in der folgenden Studio-Session im Sommer als „Skippy“ aufnehmen sollte.

29. August 1949 | New York City | Coleman Hawkins and His All Stars (Clef) – Für Norman Granz folgte 1949 noch eine Studio-Session, dieses Mal mit einer kleinen Combo. Mit Al Haig, John Collins, Nelson Boyd und Shadow Wilson hat Hawkins die gleichen Musiker an seiner Seite, mit denen er im Sommer im Café Society in New York spielte. Auf „The Big Head“ – Hawkins zieht das Honken auch im Studio durch (siehe nächste Session), doch es wirkt ziemlich aufgesetzt und etwas lahm – und „Skippy“ (zwei Takes, keine Verbindung zu Monks gleichnamigen Stück) stossen J.J. Johnson und Cecil Payne dazu. Auf „Platinum Love“ (zwei Takes) dann Bennie Green, das abschliessende „There’s a Small Hotel“ präsentiert Hawkins nur mit der Rhythmusgruppe.

So nahe wie hier kam Hawkins bisher dem Spiel seiner Blues- und Rhythm & Blues-Schüler (Illinois Jacquet, Arnett Cobb, Al Sears, Hal Singer, Sam „The Man“ Taylor, Jimmy Forrest etc.) selten. „Skippy“ ist ein charmantes kleines Stück, eigentlich nur eine kleine Idee, Johnson spielt ein gutes Solo (mit einer bridge von Payne), Hawkins‘ Ton klingt flüssig und er rockt mit dem Beat … ein paar Wochen später taucht das Stück als Zitat in einem seiner Soli auf und klingt dort noch mehr nach Karibik. Hawkins ist in diesem Stück jedenfalls in guter Form, sein Solo klingt moderner als die Beiträge von Johnson und Payne. Beim zweiten Take handelt es sich um einen alternate take, während beide erhaltenen Takes von „Platinum Love“ auf verschiedenen Alben erschienen sind. Bennie Green erhält hier etwas Raum und nutzt ihn für ein tolles Balladensolo. Den Abschluss macht die obligate Ballade von Hawkins mit Begleitung über „There’s a Small Hotel“. Hawkins flicht auch hier wieder ein paar repetitive Phrasen ein, die gar nicht so weit weg von Rhythm & Blues sind.

18. September 1949 | Carnegie Hall, New York City | Jazz at the Philharmonic (Clef/Verve) – Hawkins trat auch Ende der Vierziger mehrmals mit Norman Granz‘ Jazz at the Philharmonic auf. Hawkins war allerdings im Herbst nicht dabei, stiess aber – wie auch Charlie Parker – für das Konzerte in New York dazu.

Bei diesem Konzert enstanden keine Aufnahmen, die ihn mit einer All Star-Band präsentieren – Charlie Parker, Lester Young, Roy Eldridge, Flip Philips und Tommy Turk spielten mit derselben Rhythmusgruppe, die dann auch Hawkins begleitete, einige lange Stücke ein, die zu den wichtigsten JATP-Aufnahmen gehören. Dafür hören wir von Hawkins ein längeres Set, in dem er von Hank Jones, Ray Brown und Buddy Rich begleitet wurde – direkt nachdem Norman Granz eine unangekündigte Überraschung aus dem Hut gezaubert hatte: den damals noch völlig unbekannten Pianisten aus Montréal, Oscar Peterson.

Hawkins öffnet sein Set mit „Body and Soul“ – eine sehr schöne Version, aber wie sollte er bei diesem Stück denn noch viel erreichen, wo doch mit der Studio-Aufnahme alles gesagt worden war? Weiter geht es boppend mit „Rifftide“. Nach einem Intro von Hank Jones präsentiert Hawkins das Thema, Brown walkt, Rich swingt ziemlich leicht und lässt anmerken, dass der moderne Jazz ihm keineswegs fremd ist. Hawkins bläst kantige, zuweilen schroffe Linien, rauht den Ton auf, streut in ein paar seiner liebsten Phrasen ein (ein Licks-Player war er nicht, aber seine pet licks hatte er schon). Rich legt unter ihm richtig los, und dann übernimmt Jones für ein kürzeres Solo, bevor Hawkins mit einem zweiten zurückkehrt, das erneut sehr zupackend gerät.

Weiter geht es mit dem Original „The Big Head“, das auch ins Repertoire von Al Sears gepasst hätte – doch vom R & B-Shuffle sieht man dann ab und rifft sich durch die Nummer, Rich trägt einiges an fills bei, man fragt sich wie schon bei der Session mit Sinatra, ob das teils als ironischer Kommentar gedacht ist. Doch Hawkins lässt sich, von Jones und Brown weich gebettet, nicht aus der Ruhe bringen, nach Jones‘ Solo lässt er sich in eine Art Schaukel(stuhl)-Rhythmus fallen, von Buddy Richs Backbeat angetrieben – dann legt er mit tiefen honks los, das Stück gewinnt in deren Repetition eine fast dadaistische Qualität, doch Hawkins bricht à la Illinois Jacquet kreischend in die hohe Lage aus – und findet schliesslich den den Weg zurück zum Riff des Themas (lustigerweise war es ja der „lyrische“ Lester Young, der im Rahmen von JATP regelmässig bewies, dass er jazz‘ original honker war, während der robuste Hawkins sich eher zurückhielt). in dieser Phase scheint bei Hawkins übrigens auch rhythmisch einiges zu gehen, er durchbricht den doch oft recht starren flow seiner Achtelnoten immer stärker, nähert sich dem Bebop neben den harmonischen und melodischen Aspekten nun auch rhythmisch zunehmend an.

Dann erklingt „Stuffy“, die zweite Monk/Hawkins-Nummer (siehe oben). Es gerät deutlich leichter, Hawkins spielt mit seiner typischen stark synkopierten Phrasierung, Rich kickt, Jones spielt ein Solo, Hawk fällt dann in eine charmante Calypso-Phrase – dieselbe, die er ein paar Wochen zuvor als „Skippy“ aufgenommen hat. Das Set endet dann mit der Zugabe „Sophisticated Lady“ – hier wirkt Hawkins erneut recht routiniert, doch sein Ton ist spitze und Hank Jones einmal mehr ein feiner Begleiter. (Vom Jones/Brown/Rich-Trio wie auch von denselben mit Ella Fitzgerald exisiteren weitere Aufnahmen von diesem Abend.)

3. Dezember 1949 | Maison du Peuple, Lausanne | Coleman Hawkins and His Orchestra (TCB) – Ende Jahr 1949 zog es Hawkins wieder nach Europa. Dieses Mal für etwas längere Zeit. In Paris stellte er eine Band zusammen, mit der er durch Europa touren sollte: Kenny Clarke sass am Schlagzeug, mit Pierre Michelot war ein exzellenter französischer Bassist dabei, Pianist Jean-Paul Mengeon ist allerdings höchstens adäquat. Dazu kommen die drei Bläser Nat Peck (tb), Hubert Fol (as), James Moody (ts), denen allerdings nicht sehr viel Raum zugestanden wurde. In Lausanne öffnen sie mit Charles Thompsons für Illinois Jacquet geschriebenem „Robbins‘ Nest“, alle drei spielen schöne Soli, doch irgendwie fehlt der Band im ganzen Konzert ein wenig die Spannung. Weiter geht es mit den Hawkins-Bop-Staples „Rifftide“, „Stuffy“ und „Disorder at the Border“, dazwischen Standards und Balladen wie „It’s the Talk of the Town“, „Sophisticated Lady“ (damals für kurze Zeit eine von Hawkins‘ Lieblingsballaden, so scheint es), „The Man I Love“, „Sweet Georgia Brown“, „Body and Soul“, auch „Hawk’s Blues“ darf nicht fehlen, der dem Leader Gelegenheit zum Honken à la Jacquet gibt. Nach Fols „Assy Panassy“ endet der Mitschnitt mit Charlie Parkers „Ornithology“. Leider ist der Klang – gerade im Vergleich mit den anderen, allerdings zumeist später entstandenen Veröffentlichungen von TCBs verdienstvoller „Swiss Radio Days Jazz Series“ deutlich schlechter, wird aber im Verlauf etwas besser und vor allem beständiger. Schlecht ist das Konzert nun gerade nicht, Clarke langt immer wieder zu, aber Hawkins‘ Ton kann man oft eher erahnen als hören. Wir kommen aber gleich zu einer Studio-Session, die das Potenzial zeigt, das diese Band bzw. Hawkins mit dieser Band barg.

In England gab es übrigens wieder Probleme mit der Auftrittsbewilligung. Hawkins reiste offiziell zur Taufe eines Kindes hin, ohne Saxophon. Bei der Ankunft gab er zudem an, ein Jazzkonzert besuchen zu wollen … erstmal ging es ins Pub, wo Hawkins mit einem von Londoner Freunden aufgetriebenen Selmer ein paar Stücke mitspielte, danach zum Konzert im Prince’s Theater. Die Rhythmusgruppe (Mengeon, Michelot, Clarke) war unabhängig von Hakwins nach London gereist und wartete bereits auf ihn – das Konzert wurde ein grosser Erfolg. Die Musiker blieben unbehelligt, aber der Veranstalter wurde später angeklagt und mit einer hohen Geldstrafe belegt.

21. Dezember 1949 | Paris | Coleman Hawkins and His Orchestra (TCB) – Zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen war die Band schon seit fast einem Monat zusammen unterwegs (das erste Konzert fand am 29.11. im Paris Théâtre Édouard VII statt). Moody wirkt an der Studio-Session nicht mit, doch seine Gemeinschaftskomposition mit Hawkins, „Sih-Sah“, steht auf dem Programm, ebenso wie das Hawkins und Tadd Dameron zugeschriebene „Bah-U-Bah“ und Hawkins-Clarkes „Bean’s Talking Again“. Dazu die Standards „It’s Only a Paper Moon“ und „I Surrender Dear“ sowie – erneut – Ellingtons „Sophisticated Lady“, jetzt in einer ordentlichen Studio-Aufnahme, die zugleich eine weitere Hawkins-Sternstunde wird.

Im öffnenden „Paper Moon“ erhalten auch Peck und Fol ihre Solo-Momente, ansonsten sind sie nur Teil der Kulisse. „Sih-Sah“ und „Bean’s Talking Again“ (später als „Bean Stalking“ bekannt) sind Blues-Themen, „Bah-U-Dah“ basiert auf „Sweet Georgia Brown“. Die Session präsentiert Hawkins und die Rhythmusgruppe (Michelot/Clarke – Mengeon bleibt farblos) in guter Form und mit ein paar ungewohnten Schattierungen wie einem Latin-Beat im Thema von „Bah-U-Bah“ – die Mambo-Craze wartete bereits, und Hawkins sollte 1951/52 weitere Aufnahmen für Decca machen, die in diese Richtung gehen (und auch später hie und da Stücke mit Latin-Rhythmen wie „Begin the Beguine“ aufnehmen). Das abschliessende „Sophisticated Lady“ beweist dan einmal mehr Hawkins‘ ungebrochene Kraft. Mit 45 Jahren war er noch immer absolut auf der Höhe seiner Kunst, seine physische Präsenz und emotionale Kraft sind beeindruckend, die Performance perfekt gestaltet über dem starken Bass Pierre Michelots. Hawkins‘ Ton klingt etwas luftiger als sonst – man denkt manchmal an Ben Webster, doch die Gesaltung der Linien ist unverwechselbar Hawkins.

Anfang 1950 ging die Tour weiter – Hawkins kam nun auch nach Deutschland, wo es diesmal für mehr als ein Bier im Bahnhofsrestaurant reichte. In München wurde er am 19. Januar im Deutschen Museum mitgeschnitten. Das einst auf Dime erhältliche Konzert liegt inzwischen auch auf einem Bootleg aus Spanien vor – sollte ich die Aufnahme finden (irgendwo liegt eine CD-R …) gibt es dazu vielleicht später auch noch einen kleinen Nachtrag.

Im Jahr 1950 nahm Hawkins wenig auf. Von Ende Januar gibt es noch vereinzelte Stücke aus Skandinavien, aus den USA vom August eine Session für Roost, die ich leider nicht kenne – sie sollte für einige Zeit seine letzte mit Musikern des modernen Jazz bleiben: Billy Taylor, John Collins, Percy Heath und Art Blakey spielten auf vier Stücken mit Hawkins. Im Herbst nahm dieser wieder an der JATP-Tour teil und drei Stücke wurden in der Carnegie Hall mitgeschnitten, wieder mit Hank Jones, Ray Brown, Buddy Rich (anscheinend routinierter, solider Hawk). Danach pausierte Hawkins bei Granz‘ Truppe, wenn mich nicht alles täuscht bis zur US-Tour vom Herbst 1957, die ihn mit Roy Eldridge zusammen präsentierte („At the Opera House“ – dazu später mehr).

Herbst 1950 | New York City | Jazz at the Philharmonic/Film Soundtrack (Clef) – Charlie Parker und Coleman Hawkins wirkten im Herbst 1950 an Dreharbeiten von Gjon Mili mit, dem Regisseur von „Jammin‘ the Blues“ (1944). Geplant war ein Kurzfilm über Jazz at the Philharmonic, natürlich hatte Norman Granz seine Finger im Spiel. Die Filmaufnahmen entstanden in Milis Studio, doch die Musiker taten nur so, als würden sie spielen (das war auch bei „Jammin‘ the Blues“ der Fall).

Parker, Hank Jones, Ray Brown und Buddy Rich (die Rhythmusgruppe, mit der Hawkins schon so gut harmoniert hatte) spielten „Celebrity“ ein, für „Ballade“ (eine Variation über Ellingtons „I Got It Bad and That Ain’t Good“) stiess Hawkins dazu. Die viereinhalb Minuten Musik (und Filmmaterial) sind leider alles, was von dem Projekt überlebt zu haben scheint. Im ersten Stück, gerade mal 1:33 kurz, hören wird zwischen zwei aufgeräumten Improvisationen Parkers (mit phantastischem Ton!) ein Schlagzeugsolo von Rich. Die „Ballade“ öffent mit einem Intro Hank Jones am Piano, dann übernimmt Hawkins und spielt mit leicht nebligem Ton – Parker fällt ihm fast ins Wort (auf den Filmaufnahmen wirkt der Moment sehr seltsam) und scheint seinen Ton dann dem Meister anzupassen, auch irgendwie mit Belag zu spielen. Hawkins übernimt dann noch einmal (nachdem Parker gegen Ende eine Phrase spielte, die später im Thema von James Moodys „Last Train from Overbrook“ pointierter herausgearbeitet werden sollte).

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