Re: Coleman Hawkins – The Father of the Tenor Saxophone (1904-1969)

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4. Dezember 1946 | New York City | Esquire All American Award Winners / Chubby Jackson and His Jacksonville Seven (RCA Victor) – „This is an odd session that is neither fish nor fowl“, meint Loren Schoenberg in seinem Text zur Mosaic-Box. Was er damit anspricht ist, dass es sich einmal mehr um eine zwischen Swing und Bop situierte Musik handelt. „Indiana Winter“ basiert auf „How High the Moon“, wir hören J.J. Johnson, Charlie Shavers und Coleman Hawkins – das ganze Stück wirkt etwas unruhig, der Groove kommt nie ganz zusammen. Mit Teddy Wilson ist zwar ein Pianist dabei, der harmonisch gewiss alles begriff, was die Bebopper machten – aber im es Gegensatz zu Shavers und Hawkins vermied, dies auch umzusetzen. Die weiteren Anwesenden sind Buck Clayton, Harry Carney, John Collins, Chubby Jackson und der exzellente Shadow Wilson – noch ein Swing-Musiker, der keine Berührungsängste gegenüber dem Bebop kannte. (Das Stück, Leonard Feather zugeschrieben, mag nach Johnson benannt sein, der aus Indianapolis stammte).

„Indian Summer“ (ohne Clayton) ist das zweite Stück der Session (nur die beiden finden sich in der Mosaic-Box, alle fünf Titel im Frémeaux-Set „Summit Meetings“). Nach einem tollen Intro präsentiert Hawkins das Thema der Ballade – und bleibt eng am Thema. Dies sollte er in den kommenden Jahren (ich kenne sie schlecht) so halten. Die Begleitung der anderen Bläser engt ihn nicht ein, aber etwas steif ist das alles schon (auch Wilson, tatsächlich).

„Blow Me Down“ ist das nächste Stück, mitreissender Beat, aufgestellte Stimmung. Buck Clayton an der Trompete, dann Teddy Wilson – der Groove etwas seltsam, irgendwie mag Wilson nicht recht in diese Swing-to-Bop-Umgebung passen. Doch dann übernimmt Harry Carney und alle Sorgen sind weggeblasen. „Buckin‘ the Blues“ ist die vierte Nummer der All Stars, der Titel sagt eigentlich schon alles – ein langsamer Groove mit warmen Riffs und einem satten Bass. Dieses Stück hätte in derselben Zeit auch bei einer der Swing-Sessions von Blue Note eingespielt werden können. John Collins öffnet den Solo-Reigen, dann übernimmt Clayton an der Trompete (kein Beboppper zwar, überhaupt nicht, aber dafür ungleich geschmackvoller als Shavers, auch wenn er – im Solo in „Blow Me Down“ – auch mal in hohe Lagen geht und laut wird). Collins soliert dann gleich nochmal – neben der Hawkins-Ballade mit Sicherheit das gelungenste Stück der Session!

Den Abschluss macht dann der „Moldy Fig Stomp“, der Chubby Jackson und seinen Jacksonville Seven zugeschrieben wurde – eine Art Dixieland-Verarsche mit hupenden Saxophnen, tailgate Klängen von Johnson, barrelhouse Piano von Teddy Wilson, einem geklöppelten Backbeat von Shadow Wilson … und einem tollen Solo von Harry Carney mittendrin. Der Titel nimmt natürlich Bezug auf die „Kriege“, die – kaum war der richtige Krieg endlich zu Ende – zwischen den Jazzfans (mehr als zwischen den Musikern) ausbrachen. Es war ganz offensichtlich nicht unter Leonard Feathers Würde, anzustacheln und vor den Kopf zu stossen …

15. Dezember 1946 | New York City | Metronome All Star Band (Columbia) – Die nächste Session ist, wie Schoenberg zu Recht sagt, „somewhat strange and wonderful“. Frank Sinatra singt zunächst „Sweet Lorraine“ – eigentlich ein Stück, das sich im Besitz von Nat Cole befindet, der hier als Pianist zu hören ist. Die All Star Band ist wirklich eine solche: Charlie Shavers, Lawrence Brown, Johnny Hodges, Coleman Hawkins und Harry Carney sind die Bläser, neben Cole besteht die Rhythmusgruppe aus Buddy Rich sowie den beiden Kentonites Bob Ahern und Eddie Safranski. Sy Oliver hat die beiden Stücke arrangiert der Session arrangiert, die in der Mosaic-Box von Hawkins mit allen break downs und alternate takes komplett zu hören ist. Toll zu hören, wie die Musiker die Feinabstimmung perfektionieren, ohne deshalb ihre Spontanität aufzugeben. Rich bringt Sinatra zunächst mit einem humorvollen, ungewöhnlichen Break ins Stück, entscheidet sich dann beim master take schliesslich für ein einfacheres, eingängigeres. Brown, Hodges, Shavers und Hawkins spielen im zweiten Chorus je acht Takte solo – unter Shavers‘ Bridge fügen die anderen sich zu einer bezaubernd klingenden Section zusammen. Hawkins geht – ganz wie zu erwarten – am weitesten vom Thema fort, sein Solo verändert sich von Take zu Take am stärksten. Sinatra macht seine Sache sehr gut, lässt sich auch von den – teils simultanen – Begleit-Schnörkeln von Carney und Cole nicht aus der Ruhe bringen.

Der zweite Titel der Session präsentiert June Christy, die damalige Kenton-Sängerin, gemeinsam mit Nat Cole: „Nat Meets June“. Das Intro stammt diesmal von Harry Carney – und man hört mal wieder seine Wurzeln bei Hawkins. Dann singt Christy den Blues, begleitet von Browns Posaune und mit gutem Support von Cole, Safranski und Rich. Cole singt dann den näcshten Chorus, antwortet auf Christys Klage. Die Musik beginnt allerdings, wenn Rich für die Soli das Tempo verdoppelt. Hawkins endet sein Solo in allen Takes mit einer boppigen Phrase, es sind aber vor allem Cole und Rich, die gemeinsam Feuerwerke entfachen. Cole streut hinter Hodges einmal auch ein paar Ellington-Momente ein, nach einem kurzen Bass-Solo Safranskis sind Cole und Rich dann auch in ein paar kurzen exchanges (bei fortlaufendem walking bass) zu hören. Zum Abschluss gibt es einen Jam mit ein paar Schlenkern von Brown und Riffs unter der Leitung von Shavers.

In der Frémeaux-Box finden sich zwei Takes von „Lorraine“ und einer von „Nat Meets June“.

Dezember 1946 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (Sonora) – Ebenfalls im Dezember nahm Hawkins für das Label Sonora eine Session auf. Und dieses Mal finden wir uns ganz klar in Bopland wieder. Allein die Besetzung ist zum auf der Zunge zergehen lassen: Fats Navarro, J.J. Johnson, Porter Kilbert, Hawkins, Milt Jackson, Hank Jones, Curly Russell, Max Roach. Von den vier Stücken findet man fünf Takes (von „Bean and the Boys“ sind zwei Takes erhalten) auf der abgebildeten Fantasy-CD. Diese enthält neben zwei bereits besprochenen Sessions (1944-10-11 mit Walter „Foots“ Thomas und 1944-10-19 mit Thelonious Monk, beide für Joe Davis‘ Label) auch noch den Longplayer „Stasch“, eine Jerry Valentine-Session vom Februar 1959 für Prestige. Diese wird an passender Stelle Erwähnung finden.

Den Auftakt macht „I Mean You“ – Monk und Hawkins gemeinsam zugeschrieben. Das anonyme Arrangement klingt, wie Dan Morgenstern zu Recht anmerkt (Liner Notes zu Prestige 7824, im Booklet der erwähnten CD abgedruckt) deutlich nach Tadd Dameron. Jackson scheint hier auszusetzen. Das Stück öffnet mit einem Riff der Rhythmusgruppe, dann folgt die übliche (von Monk bestens bekannte) Routine mit stop time und durchgehendem 4/4-Swing in der bridge. Hank Jones ist exzellent im Thema – er wird noch einiges an Raum kriegen in dieser Session, Hawkins wusste einen guten Pianisten zu schätzen. Die Soli sind kurz, Hawkins spielt acht ruppige Takte, Navarro acht sehr flüssige. Dann Kilbert, sehr hübsch (er hatte wohl einiges von seinem Leader abgeschaut, als er in der Band von Benny Carter spielte), dann Johnson, schon so sichter wie ein Veteran – erstaunlich! Und man beachte Max Roach hinter ihm! Dann gibt es einen tollen shout chorus (man weiss wohl inzwischen, dass ich eine Schwäche dafür habe) mit mehr gutem Jones und Roach. Jones kriegt dann auch noch seine acht, bevor das Thema erneut erklingt. Man wünschte sich natürlich eine ausführliche Performance mit ausgereiften Soli, aber die Herausforderung, in wenigen Takten etwas Bedeutungsvolles zu sagen, ist ja auch nicht ohne. Ein Kleinod.

Hawkins‘ „Bean and the Boys“ beruht auf „Lover, Come Back to Me“, und war eins von Hawkins‘ Lieblingsstücken. Der erste Take ist etwas weniger entspannt und zusammen, das Tempo ist um entscheidende Nuancen zu rasch. Milt Jackson bricht im Thema ein paarmal kurz aus, soliert ein paar Takte zwischen der druckvollen Unisono-Linie der Bläser, die Rhythmusgruppe gestaltet die ganze Performance. Druckvoll ist dann auch Hawkins‘ Solo – er spielt auch hier wieder als erster, gefolgt von Navarro, der sein erstes Solo noch übertrifft. Danach folgt erneut Kilbert, dem das Tempo offensichtlich zu schnell ist, und dann macht Johnson – wieder mit animiertem Roach hinter sich – den Abschluss, souverän und gelassen. Hank Jones ist dann auch noch mit einem Solo zu hören, bevor das Thema, wieder mit Jackson, erklingt. Der Master Take ist nur ein klein wenig langsamer (in Sekunden ausgedrückt: 5), aber das macht den Unterschied, der Groove funktioniert schon im Thema besser, Russell/Roach sind gut zusammen (auch wenn Russell wie üblich mit dünnem Ton und wenig Präsenz spielt). Roach spielt hier schon in Jacksons kurzen Soli zu Beginn sehr lebendig, hinter den tollen Soli von Hawkins und Navarro nimmt er sich eine Spur zurück, Kilbert kommt diesmal besser durch, Johnson erneut sehr souverän und erfindungsreich. Unter Jones hält Roach sich dann wieder etwas zurück, doch im abschliessenden Thema spielt er wieder sehr lebendig.

Hawkins erhält zum Abschluss gleich zwei Balladen, ohne die anderen Bläser. „Cocktails for Two“ im walking-Tempo öffnet mit einem Intro à la Art Tatum von Hank Jones. Dann schöpft Hawkins wieder aus seinem Fundus. Leider ahnt man eher, wie schön sein Ton klingt, als dass man ihn hört (die Metronome-Session im Mosaic-Set macht den Unterschied umso schmerzlicher hörbar, die klingt unglaublich gut). Jackson begleitet sehr schön, die Klangfarbe des Vibraphons war damals noch recht neu und passt gut zu Hawkins (die beiden sollten später auch ein gemeinsames Album aufnehmen). Rhythmis ist Hawkins viel offener unterwegs als früher, spielt mit Pausen und Unterbrüchen. Möglicherweise ist das bereits der Einfluss von Charlie Parker, dem Hawkins in dieser Zeit sehr gerne lauschte. In der Mitte des Stückes übernimmt Hank Jones – Jackson setzt hinter ihm aus und Roach hält sich zurück. Curly Russell klingt nun plötzlich ziemlich gut, wählt auch die Töne recht geschickt, doch Jones bleibt im Zentrum. Bis Hawkins wieder übernimmt und das Stück nach ein paar weiteren phantastischen Takten und einigen Schlenkern um das Thema herum mit einer kurzen Kadenz abschliesst.

„You Go to My Head“ ist das zweite Balladen-Feature, ein Stück mit interessanten changes, wie geschaffen für Hawkins. Doch das Stück öffnet mit einem langen Intro von Jones. Mit Hawkins setzt auch Jackson wieder ein – seine Anwesenheit macht diese beiden Stücke einzigartig im bisherigen Werk von Hawkins, das Vibraphon passt klanglich wirklich hervorragend! Hawkins lässt auch hier viel Raum, spielt unglaublich entspannt und konstruiert erneut ein grossartiges Solo (Jones hat nach dem langen Intro diesmal kein weiteres Solo mehr). Klasse der Schluss des Solos, die leidenschaftlich gespielten hohen Töne! Morgenstern schlägt (in den erwähnten Liner Notes) hier den Bogen zurück zu Louis Armstrong – und meint, vielleicht sei Hawkins am Ende das wahre Bindeglied zwischen Armstrong und Charlie Parker. Ein interessanter und ziemlich einleuchtender Gedanke.


Coleman Hawkins und Miles Davis, NYC, September 1947 (Photo: William P. Gottlieb)

Ende 1946 oder Anfang 1947 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (Ca-Song) – Diese kurze Session findet sich wieder in der Hawkins gewidmeten Mosaic-Box – die Band ist bis auf Hawkins unbekannt. Der old man steht einem intonationsmässig ziemlich schiefen Orchester gegenüber – und macht erneut seine Qualitäten als Begleiter von SängerInnen deutlich. In diesem Fall eine Dolores Martin (bei Bogdanovich heisst später mal eine Filmfigur so – ich kenne den Film nicht, gehe aber bei aller Obskuriät nicht von einem Zufall aus). Hawkins präsentiert „That Old Song“ – einwandfrei in der Intonation natürlich, aber wenig überraschend. Dann folgt Martin (der Trompeter sudelt dahinter herum) und schlägt sich recht gut (auch sie ist in tune). Im zweiten Stück – die Arrangements könnten erneut von Tadd Dameron stammen -, „You Said Goodbye“, gibt es, was die Band betrifft, noch mehr Probleme, Hawkins lässt sich nicht zu sehr irritieren, aber anstrengen mag er sich auch nicht besonders.

Juni 1947 | New York City | Coleman Hawkins All Stars (Aladdin) – Sehr viel besser ist dann die nächste Session, die für Aladdin enstand. Auf CD zu hören ist sie mit den drei Capitol-Sessions, als Bonus auf „Hollywood Stampede“. Die Rhythmusgruppe ist dieselbe wie bei der Sonora-Session: Hank Jones, Curly Russell und Max Roach. Die Bläser sind Miles Davis und Kai Winding. Miles bläst guten Lead („The Way You Look Tonight!“) und spielt in „Bean a Re Bop“ auch ein kurzes Solo. Der Klang des Ensembles ist voll und satt – erneut denkt man ein wenig an Tadd Dameron.

Hawkins ist schon in „Isn’t It Romantic“ in bester Form, einem Balladen-Feature, das ihm ganz allein gehört. Im boppigen „Bean-A-Re-Bop“ hören wir gute, wenngleich kurze Soli von Miles und Winding.

„The Way You Look Tonight“ ist für Hawkins wieder gefundenes Fressen. Das Tempo mittelschnell, die beiden Blechbläser mit interessanter Begleitung, die Rhythmusgruppe sehr solide, Roach im Hintergrund werkelnd und antreibend, ohne je aufdringlich zu werden – und davor der Meister mit seinem grossartigen Ton, der hier wieder recht adäquat eingefangen ist. Gegen Ende entwickelt das Arrangement sich so, dass Hawkins in den Dialog mit dem Ensemble tritt.

Noch schöner kommt Hawkins‘ Ton in der abschliessenden Eigenkomposition „Phantomesque“ zur Geltung. Das chromatische Stück öffnet ihm alle Möglichkeiten, zu glänzen, das Arrangement mit gehaltenen Tönen von Trompete und Posaune und auch ausgearbeiteten Parts für die Rhythmusgruppe, ist erneut sehr effektiv.

Kenneth Kamal ScottLeslie Scott was one who literally got buried before the world could witness all that he had to offer.He did however sing opposite Ms Price in Porgy and Bess and toured all over Europe.
He returned to America where he passed at age forty eight. Broken hearted, with the knowledge that his own country refused to see or hear him.

(vom Blog von Leslie Scotts Sohn Kenneth Kamal Scott)

10. Dezember 1947 | New York City | Leslie Scott with Coleman Hawkins and His Orchestra (RCA Victor) – Im Dezember wirkte Hawkins erneut bei einer Session mit Gesang mit. Doch have no fear! Leslie Scott hat eine phantastische Stimme! Scott war der Schwager von Irving Ashby (der 1946 ein paar JATP/V-Disc-Sessions mit Hawkins bestritt) und folgte vor allem auf William Warfield in „Porgy and Bess“ – mit Leontyne Price als Partnerin. Er wirkte auch in der mir nicht bekannte 1959er Verfilmung mit.

Hawkins ist offensichtlich inspiriert, die Streicher sind gut, Hank Jones sorgt für manch spannende Klavier-Fills. Auch hier ist Dameron einer der möglichen Kandidaten, was die Arrangements betrifft – bei der Hawkins-Session vom nächsten Tag war er dann definitiv dabei. Hawkins spielt schon im ersten Stück, „How Did She Look“, ein grossartiges Solo, auch Hank Jones glänzt am Piano. Roach sitzt am Schlagzeug, agiert sehr zurückhaltend, aber erneut effektiv. In „Under a Blanket of Blue“ leitet Hawkins kurz ein und spielt dann leise Linien unter dem Gesang. Bassist Jack Lesberg macht einen ebenso guten Job wie Roach – wählt seine Töne von A bis Z perfekt (die Gruppe wird von Chuck Waynes Gitarre, vier Violinen und einem Cello vervollständigt). Auch hier klingt Hawkins eindeutig inspiriert – die hervorragende Umgebung trägt dazu wohl viel bei, auch der Klang der Session (in der Mosaic-Box) ist hervorragend.

Weiter geht es mit „Never in a Million Years“, Hawkins erneut mit Intro, sotto voce Linien – und dann einer bridge, die in kurzen acht Takten zeigt, was ein Musiker wie Hawkins mit minimalen Mitteln und auf engstem Raum erreichen konnte. Auch Roach und Jones sind hier wieder klasse. Den Abschluss macht dann „You Were Meant for Me“, Scott präsentiert es mit Vintage-Charme, doch Hawkins bringt es mit seinen sechzehn Takten umgehend in die Gegenwart – mit einem zerklüfteten, von Parker inspirierten Solo.

Den Ausschnitt fand ich ebenso wie das obige Photo in einem zweiten Eintrag auf Kenneth Kamal Scotts Blog mit weiteren Informationen über seinen Vater.

Diese Session ist für mich wohl eine der schönsten – weil unerwartetsten – Überraschungen der grossartigen Hawkins-Box von Mosaic!


Tadd Dameron und Fats Navarro, NYC, 19476-48 (Photo: William P. Gottlieb)

11. Dezember 1947 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (RCA Victor) – Mit dieser RCA-Session endet das Mosaic-Set, das Hawkins‘ Werdegang über zweieinhalb Jahrzehnte (mit ein paar Lücken, v.a. den Jahren in Europa) nachvollziehbar macht. Die Band lässt allerhöchste Erwartungen aufkommen – die jedoch ein wenig enttäuscht werden. Dabei waren erneut Fats Navarro und J.J. Johnson, dazu Budd Johnson (as) und Marion DeVeta (bari) (Maurice DeVertueil? Geht da selbst Mosaic in die Falle?), die Rhythmusgruppe ist dieselbe wie am Vortag: Jones, Wayne, Lesberg, Roach. Es macht den Eindruck, als werde Hawkins hier als „Sänger“ präsentiert, der relativ straight die Themen vorstellt. Gemäss Schoenbergs Liner Notes in der Mosaic-Box mag das durchaus sein Wunsch gewesen sein – doch ein Rezept, ihn zu Höchstform zu bringen, war es nun gerade nicht.

Los geht es mit „April in Paris“, Fats Navarro legt mit sattem Ton eine Linie über das Intro, dann präsentiert Hawkins das Thema – schöner Ton, doch es geschieht nichts. Dann folgt „How Strange“, ein Stück mit einer interessanten Geschichte mit tragischer Note. Eingeführt wurde es durch den Film „Idiot’s Delight“, der Anfang 1939 in die Kinos kam – Hawkins war noch in Europa. Eine Gruppe von Leuten strandet wegen des beginnenden Krieges in einem Hotel in den Bergen. Im März nahm Ted Fio Rito das Stück mit seiner Band auf. Später wurde bekannt, dass der Komponist des Stückes, Boris Prozorovsky, 1937 in einem von Stalins Todeslagern umgebracht worden war. Das Stück ist in Hawkins‘ Interpretation bezaubernd, aber letztlich bleibt es wie das vorangegangene etwas brav (und Navarro erlaubt sich im Ensemble einen Schnitzer, der die Frage aufwift, warum kein zweiter Take eingespielt wurde).

Weiter geht es mit „Half Step Down, Please“, einer boppigen mittelschnellen Nummer von Dameron und Hawkins. Nach dem Thema mit gutem Lead von Navarro und Johnson (in der bridge) sowie cremigen Saxophonen spielen Hawkins und Navarro je einen Chorus. Sehr schön der Moment früh in Hawkins‘ Solo, als man ihn nach eine Phrase kurz seufzen hört. Navarros Solo ist dem von Hawkins ebenbürtig, hervorragende Phrasierung, sehr entspannte Präsentation mit viel Pausen und ganz ohne jegliche Hektik, die dem frühen Bebop so oft innewohnt. Dann spielt J.J. Johnson einen halben Chorus und von der bridge an geht es zurück ins Thema.

Mit „Angel Face“ folgt die nächste Ballade, von Hank Jones für seine Frau Teddi komponiert. Die Melodie ist interessant, Hawkins präsentiert sie über ein schönes Arrangement. Hawkins bleibt wieder ganz eng am Thema, soliert nicht wirklich – schade, aber immerhin ist die Linie wirklich gut! „Jumping for Jane“ ist ist dann Leonard Feathers Widmung an seine Frau – wir hören in dieser Bop-Nummer neben Hawkins (er spielt im Thema die bridge) auch Chuck Wayne, Budd Johnson (er liefert eine passable Parker-Imitation), Hank Jones und Max Roach mit kurzen Soli. Vor Roach sind noch J.J. Johnson, Fats Navarro und Hawkins selbst an der Reihe.

Den Abschluss macht dann die letzte Ballade der Session, „I Love You“, von Hawkins nur mit der Rhythmusgruppe vorgestellt. Wie „Angel Face“ erschien das Stück erst viel später – und warum ist nicht nachvollziehbar, denn es ist hervorragend (und erlaubt der Mosaic-Box damit einen versöhnlichen Abschluss). Hank Jones spielt eine weitere grossartige Einleitung, in der die Atmosphäre des Stückes bestimmt wird. Hawkins präsentiert das Thema, umgarnt es in einfachen Linien, spielt mit einer Grazie und Klarheit – jeder Ton scheint perfekt gesetzt, als müsste alles genau so sein. Jones soliert nach Hawkins und ist diesem ebenbürtig.

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