Re: Coleman Hawkins – The Father of the Tenor Saxophone (1904-1969)

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Coleman Hawkins‘ „Body and Soul“ hatte einst eine Schüsserolle darin gespielt, den Sohn russischer Einwanderer Norman Granz für den Jazz zu begeistern – doch aus dem kleinen Exkurs, der diesen nun folgenden Post eröffnen sollte, wuchs gestern der längst überflälige Thread zu Granz, seinen Labeln (der Reihe nach: Clef, Norgran, Verve, später folgte noch Pablo) und zu Jazz at the Philharmonic, das nach einigen im üblichen Rahmen kleinerer Clubs veranstalteter Jam Sessions der Ausgangspunkt zu Granz‘ im Musikbusiness einzigartiger Karriere werden sollte.

Die ganze Geschichte von JATP will ich in den kommenden Wochen doer Monaten dort Stück für Stück erzählen, hier soll es nur um die Aufnahmen gehen, die Hawkins mit JATP machte.

12. Februar 1945 | Philharmonic Auditorium, Los Angeles – Coleman Hawkins trat schon früh mit JATP auf, noch in der Halle, die den Konzerten den Namen gab (und in der Granz ein Jahr später zum letzten Mal ein Konzert durchführen konnte). Die Aufnahmen stammen aus dem Fundus von AFRS (auch dazu mehr im anderen Thread), auch eine Einführung von DJ Al Jarvis ist erhalten und in der 10-CD-Box mit Verves JATP-Aufnahmen der Jahre 1944-1949 zu finden. Er stellt die damals noch mehrheitlich kalifornischen Musiker der Band einzeln vor. Drummer Dave Coleman spielte mit der Big Band von Harry James, Bassist Charles Mingus war ein aufstrebender lokaler recording man, wie Jarvis ihn nennt. Gitarrist Dave Barbour hatte zuvor mit der Big Band Benny Goodmans gespielt, Milt Raskin spielte im Trio von Les Paul und davor in der Big Band von Tommy Dorsey. Von Harry James‘ Band kam auch Corky Corcoran (ts), Shorty Sherock (t) von Horace Heidt (ein lokaler kalifornischer Bandleader, der mir völlig unbekannt ist, ich musste sogar die Schreibweise des Namens nachschauen), Neal Hefti (t) von Woody Herman, und zuletzt wird „the world’s greatest tenor saxophonist“ angekündigt, Coleman Hawkins, „in his very first appearance“.

Dann geht es los mit „Stompin‘ at the Savoy“, wie die beiden folgenden Sütcke „I’ve Found a New Baby“ und „Body and Soul“ zum ersten Mal in der 10-CD-Box veröffentlicht. Sherock, der eher zum Dreckeln neigt, legt mit dem ersten Solo los, zunächst recht geschmackvoll, später mit immer mehr Druck auf der Leitung (gut, nicht halb so übel wie Al Killian). Corcoran folgt mit einemähnlich gearteten (also nicht ausartenden) Solo, dann Neal Hefti, an sich toll, aber leider ist die Aufnahme genau hier von argen Tempo-Schwierigkeiten geprägt (die Art, die sich kaum reparieren lässt, soweit ich weiss. Dave Barbour gefällt mir danach sehr gut – ihn verbindet man nun echt nicht mit Testosteron-Anlässen wie JATP, aber genau darum passt er wohl, als Kontrapunkt gewissermassen, so gut herein. Nach Raskin folgt Hawkins und spielt ein gutes, entspanntes Solo, hinter dem die anderen Bläser zu riffen beginnen.

In „I Found a New Baby“ soliert Corcoran als erster, dann folgt Hefti, wieder sehr gut. Danach ist Barbour zu hören und dann treibt Sherock die Musik näher an den Siedepunkt, von der Rhythmusgruppe angetrieben. Hawkins übernimmt und fetzt gleich weiter – sowas konnte er wohl auf Autopilot, aber er scheint sich doch ordentlich Mühe zu geben und die Rhythmusgruppe ist auch hinter ihm gut, die anderen Bläser kommen dazu, riffen und dann endet das Stück. Hawkins kriegt einen mächtigen Applaus, doch noch grösser wird der, als er gleich danach sein „Body and Soul“ anstimmt – auch 1945 verband man ihn noch stark mit der Hit-Scheibe von 1939. Hawkins‘ Performance davon ist für seine Verhältnisse dann aber recht routiniert.

Neben den drei Band-Nummern ist noch ein kurzes Set von Billie Holiday erhalten, die von anderen Musikern begleiitet wurde, auch da vornehmlich Kalifornier. Dann folgen Illinois Jacquets Feature über „Ghost of a Chance“ (eine Spezialität von Lester Young), ein weiteres Jam-Set und schliesslich Slim Gaillard und Bam Brown mit ihrer „Opera in Vout“. Die Holiday-Stücke erschienen auf Clef und später Verve (auch auf LP, Jazz Recital, eine Split-LP mit Ralph Burns). Vom zweiten Jam-Set erschien ene erste Veröffentlichung auf dem Label von Moses Asch – die abgebildete Veröffentlichung ist eine etwas spätere auf Stinson (auch ein Asch-Label, dort erschien der Mitschnitt nach den 78 rpm-Album auch in 10″ und 12″ Ausgaben).

NG: I’ll tell you, the first time I ever used Coleman Hawkins was in Los Angeles. As faras I know, he had never been out to the West Coast [gtw: doch, in den Zwanzigern mit Mamie Smith], and everybody was wondering what was Hawk going to do – because he finally was booked to play at Billy Berg’s club, and everybody was dying to see the great Coleman Hawkins. And I was giving one of my jazz concerts at the Philharmonic then, and Slim was on it, and I told Slim [how] I wished I could get Hawk before he played his gig. And he said, „Well, let’s call him“ (I think he was working at Kelly’s Stable or one of the clubs on 52nd Street).

And Gaillard called him for me, and introduced me, and I said, „[If] you’re coming out here, I’d be pleased to put together a Jazz at the Phil and have you on it.“ And he said, „What’s it pay?“

NH: [Laughs]

NG: Which is waht I liked about Hawk, because Hawk was always up front.

NH: Yes, yes.

NG: And I, we agreed on something that then, for me, was astronomical [laughs], and I said, „Well, fine.“ And Hawk came out and came backstage when we faced, saw each other for the first time; and I gave him, of course, a solo sot with the rhythm section, and he did his set. And then the finale came, and that meant that I would take the first, second and third sets of whatever [we] had, and put them together, say, to do the blues or something as a finale. And I said, ah, they decided, I guess because of Jacquet, they were going to do „Flying Home“. So I said to Hawk, „Listen, don’t put your horn away; you’re gonna play in the finale.“ And he said, „I don’t play numbers like that.“ (Both laugh)

And I was in such awe of him, I said, „Okay, yes, sir, of course“ (laughts), and I paid him. But we became, of course, very close, because I used him wherever I could. I had great respect for Coleman Hawkins.

NH: He was one of the fascinating, very interesting, and complicated guys.

NG: Oh, he really was, I mean, and to talk to him about things other than music was something special.

(aus: „Interview with Norman Granz by Nat Hentoff“, aus dem Booklet von „The Complete Jazz at the Philharmonic on Verve 1944-1949“, 10 CD, PolyGram, 1998)

22. April 1946 | Embassy Auditorium, Los Angeles – Am nächsten Konzert, von dem Aufnahmen vorliegen, dem letzten im Philharmonic Auditorium am 26. Januar 1946, war Hawkins nicht dabei. Seinen Part übernahm der regelmässig bei JATP mitwirkende Flip Phillips. Ebenfalls dabei waren Lester Young, Dizzy Gillespie und der einstige Star der Big Band von Jimmie Lunceford, Willie Smith. Ein paar Monate später war Hawkins erneut mit von der Partie. Die Band ist eine der tollsten, die Granz je versammelt hat: Buck Clayton, Charlie Parker, Willie Smith, Kenny Kersey, Irving Ashby, Billy Hadnott, Buddy Rich und – wie Norman Granz sagt – „the two grandest tenor saxophonists in the world“, Coleman Hawkins und Lester Young.

Zu hören sind der „JATP Blues“, „I Got Rhythm“, „I Surrender Dear“, „I’ve Found a New Baby“ und ein unvollständiger (und vor der 10-CD-Box unveröffentllichter) „Bugle Call Rag“. Im „JATP Blues“ legt Parker mit einem aufgeräumten Solo vor – und es wird sofort klar, dass die Musik sich hier auf einem anderen Level bewegt denn bei der Session zuvor. Hinter Buck Claytons Trompetensolo – auch er kommt ohne Pyrotechnik aus – beginnen die Saxophone zu riffen. Young übernimmt fliegend und bläst ein tolles Solo, sehr cool, sehr sparsam, langsam seine Linien entfaltend, und dazwischen auch schon mal honkend – der Mann war immerhin jazz‘ original honker, das vergisst man zu gerne. Dann folgt Willie Smith – nach Parker und Young wirkt er mit seinem satten Ton zunächst etwas aus der Zeit gefallen, doch sein Solo ist nicht übel. Hawkins übernimmt, wirkt aber nicht sonderlich motiviert – überhaupt scheinen Young und er den jeweils anderen eher zu ignorieren denn sich anspornen zu lassen. Es folgen Soli von Ashby und Kersey und merkt, wie gut die ganze Rhythumsgruppe hier funktioniert.

„I Got Rhythm“ öffnet mit Smith (besser), dann Clayton (erneut gut), das Tempo schnell, Rich in seinem Element. Dann folgen die anderen drei Saxophone, zunächst Hawkins, dann Parker (unter ihm kriegt die Rhythmusgruppe viel Raum) und schliesslich Young. Hawkins und Young spielen beide sehr kraftvoll, Young war überhaupt wie es scheint in guter Verfassung. Doch es ist auch hier Parker, der das beste Solo beiträgt – er war klar der Star des Abends. Danach folgt wieder die Rhythmusgruppe, mit Soli von Ashby, Kersey und auch Rich, Parker spielt dann im abschliessenden Thema nochmal ein paar Takte über dem Ensemble.

Es folgt die Ballade „I Surrender Dear“ – ohne Parker-Solo. Young präsentiert das Thema, dann folgt Clayton mit Dämpfer – man beachte Hadnott unter ihm! Hawkins übernimmt dann mit robustem Ton, fast etwas zu aggressiv in der ersten Phrase, bever er den Ton etwas öffnet und weicher werden lässt – Hadnott ist weiterhin sehr präsent, tritt in eine Art Dialog mit den Solisten, während Kersey und Ashby sich sehr zurücknehmen. Kersey und Smith folgen mit guten Soli – dass eine solche Ballade bei JATP möglich war, straft eigentlich schon diejenigen Lüge, die das ganze als musikalischen Zirkus ablehnen. Wirklich schön! Schade nur, dass Parker nicht auch noch zu hören ist!

Das vierte und letzte Stück, „I Found a New Baby“, erschien erst auf 12″ LP, die anderen drei auf den Alben JATP Vol. 6 und Vol. 14 (78 rpm, 45 rpm, 10″ LP). Kersey leitet ein, das Tempo ist wieder rasch, die Bläser präsentieren das Thema in charmant unstrukturierter Art mit sich überlappenden Phrasen, dann setzt Young zum ersten Solo an, getragen von Buddy Richs Schlagzeug – Young war definitiv in Form an dem Abend! Clayton folgt wieder an zweiter Stelle, mit offenem Horn und einem Solo, das viel Raum lässt – den Buddy Rich immer stärker zu nutzen beginnt. Als Hawkins übernimmt, ist die Musik schon nah am Siedepunkt – doch er fetzt wieder ziemlich routiniert durch die Musik und die Spannung, die Clayton so schön aufgebaut hatte, sinkt merklich ab. Smiths Solo ist auch eher routiniert, aber nicht übel. Kersey folgt, er hat wohl oft Nat Cole gelauscht, dem ersten regulären JATP-Pianisten, der schon davor an vielen Jam Sessions beteiligt war, die Granz veranstaltet hatte. Rich spielt eins seiner bekloppten steifen Schlagzeugsolos, von überraschend kompletter Uneleganz wie so oft bei ihm – das ist eher Stomp als Swing. Aber egal, es ist rasch vorbei, das Ensemble schliess das Stück ab, Hawkins bläst noch ein paar Takte über dem Ensemble.

Ein fünftes Stück tauchte erstmals in der CD-Box auf, eine nach fünf Minuten abbrechende Version des „Bugle Call Rag“ mit derselben Band sowie Ray Linn (t), Corky Corcoran (ts) und Babe Russin (ts). Ein deppertes Stück, das die Amerikaner damals wohl alle zehn Minuten hören mussten – keine Ahnung, ob das mit Kriegspropaganda zu tun hat, aber für mich gehört es zu den Stücken, bei denen ich stets warte, bis das Thema vorbei ist und die Soli beginnen – und stets hoffe, dass der Drummer nicht auf Idee kommt, die Sache mit den Marschtrommeln zu weit zu treiben. Klar, das Stück stammt aus dem ganz alten Jazz (die New Orleans Rhythm Kings haben es 1922 als „Bugle Call Blues“ erstmals aufgenommen, aber populär wurde es durch Benny Goodman und Glenn Miller in den Dreissigern. Mit Buddy Rich kann so ein Stück also eigentlich gar nicht gut kommen … Young soliert als erster, zu weit vom Mikro weg, dann Linn (spitz), Hawkins (routiniert), Kersey (zunächst singt Young noch kurz was, aber man hört ihn auch da kaum), Corcoran, Smith und Russin folgen. Kein ausgegrabener Schatz, eher Dutzendware.

April 1946 | Hollywood, CA | Jubilee Shows No. 190 & No. 192 – Ebenfalls im April wirkte eine ganz ähnliche Band an den Aufzeichnungen zur Musik mit, die im Rahmen zweier AFRS „Jubilee Shows“ ausgestrahlt wurde. Zielpublikum waren schwarze GIs, das Format 16″ 33 1/2 rpm Scheiben, die mit normalem Equipment abspielbar waren. Clayton, Young, Hawkins, Kersey, Ashby und Hadnott trafen im Studio auf den Drummer Shadow Wilson, aber so richtig in Form waren die beiden Tenorsaxophonisten hier nicht, die Aufnahmen wirken etwas müde (was durchaus zutreffen könnte, denn ein Besuch im Studio nach einer langen Nacht war nicht immer ein Vergnügen.

In „I Got Rhythm“ öffnet Pres den Solo-Reigen, danach folgt Clayton mit einem guten Solo. Als Hawkins übernimmt, scheint er da und dort ein paar Pres-Klischees einzustreuen, den Ton eher flach zu halten, bis er im zweiten Chorus (wie zuvor auch schon Young) etwas aus sich herauskommt. Es folgen gute Soli von Ashby und Kersey – und auch hier ist die Rhythmusgruppe ohne Fehl und Tadel, Hadnott sehr aktiv, Wilson unaufdringlich (im shout chorus kickt er dann doch noch ein wenig), und der Klang vor allem deutlich besser als bei den JATP-Aufnahmen.

Dann folgen die Features für die Gockel – Young spielt seien „D.B. Blues“, den „disciplinary barracks“ gewidmet, in denen er seine traumatische Zeit in der Army absass – das Stück sollte er bis zu seinem Tod 1959 spielen, sein Mitwirken bei Jubilee war nicht frei von Ironie. Young liefert damit seine beste Performance der Session ab. Hawkins stimmt danach seine Paradenummer „Body and Soul“ an. Den famosen Klimax der Originalaufnahme peilt er auch hier an, sein Solo ist insgesamt stimmig, aber keine Sternstunde.

Den Abschluss von Show Nr. 190 macht dann „Lady Be Good“ wieder mit allen drei Bläsern. Hawkins klingt hier, wie im ersten Stück der ganzen Band, etwas besser als Young.

Die zweite Show öffnet mit Claytons Feature über „My Old Flame“, dann folgt Helen Humes mit „Don’t Blame Me“ (mit der Rhythmusgruppe und Clayton) und „Unlucky Woman“ (mit der ganzen Band, und wieder mit Schnörkeln von Clayton) – Pres hat mit ihr in dieser Zeit ein paar schöne Sessions aufgenommen. Den Abschluss macht dann die dritte Jam-Nummer, „Sweet Georgia Brown“, mit der gesamten Band (ohne Humes). Youngs zweiter Chorus ist wohl sein bester der ganzen Sessions, aber auch Hawkins spielt sein bestes Solo

Die abgebildete CD auf dem Storyville PD-Sublabel Jazz Unlimited öffnet mit drei Stücken aus der Jubilee Show No. 153 (Oktober 1945) mit einer Big Band unter Leitung von Murray McEachern (u.a. mit Vic Dickenson, Bobby Hackett, Emmett Berry, Willie Smith, Slim Gaillard, Corky Corcoran und Babe Russin) und endet nach den Pres/Hawk/Buck-Sessions mit drei weiteren Stücken aus der Jubilee Show No. 186 (März/April 1960) mit Willie Smith, Benny Carter und Charlie Parker, dem Nat „King“ Cole Trio (mit Oscar Moore und Johnny Miller) sowie Buddy Rich. Eine durchaus hörenswerte CD, aber essentiell ist sie eigentlich nicht – die abschliessenden Titel sind leider alle drei im Dreiminutenformat, doch Parker glänzt in „Cherokee“ mit einem atemberaubenden Solo, das vermutlich besser – länger, kohärenter, ausgereifter – ist als das berühmte für Savoy … so gesehen also doch was Essentielles mit drauf.


Lester Young, Carnegie Hall, NYC, ca. Mitte der Vierzigerjahre (Mai 1947?) – rechts Buck Clayton und Kai Winding (Photo: Gjon Mili/Time Life)

27. Mai 1946 | Carnegie Hall, New York City – Der nächste Mitschnitt stammt aus New York, wieder mit vorzüglicher Band: statt Parker/Smith hören wir einen dritten Tenorsaxophisten, Illinois Jacquet, neben Kersey besteht die Rhythmusgruppe aus Curly Russell und J.C. Heard. Von dieser Band sind „Philharmonic Blues“ (aka „Carnegie Blues“), „Lady Be Good“, „I Can’t Get Started“ und „Sweet Georgia Brown“ zu hören, dann folgt das Krupa Trio (Ventura, Napoleon) mit einem langen „The Man I Love“ und schliesslich nochmal die Band (ohne Jacquet) mit „Slow Drag“.

Lester Young spielt nach einem Intro von Kersey und dem von Clayton präsentierten Thema das erste Solo im „Carnegie Blues“, Clayton folgt danach, erneut als Barriere zwischen Pres und Hawk. Dieser scheint recht gut in Form, wie zuvor Pres. Heard begleitet die Solisten jeweils unterschiedlich und sehr aufmerksam. Kersey folgt, danach Illinois Jacquet. Er spielt auf halbem Weg die allererste Phrase von seinem Hit „Flying Home“. Danach gibt es einen honk, später in paar Riffs mit aufgerauhtem Ton – ganz die JATP-Schule. Doch wie Jacquet sich in diesem Solo ins Feuer spielt, ist schon ziemlich toll! Die Rhythmusgruppe ist dann zu hören, doch Curly Russell hat weniger zu bieten als zuvor Billy Hadnott.

In „Lady Be Good“ spielt Clayton das Thema, während die Saxophone eine Bebop-Linie spielen, die auf „Lady“ basiert – ich komme gerade nicht auf den Namen des Stückes. Aus dieser Linie steigt Pres direkt in sein Solo ein, sehr lebendig wirkt er, aber auch etwas inkohärent. Clayton gibt wieder den Puffer zwischen Pres und Hawk, bläst ein fines Solo – ein unglaublich verlässlicher Mann, der übrigens ein paar Jahre später für Columbia eine Reihe von Alben produzieren sollte, die allesamt auf Jam Sessions beruhten (bei denen Musiker wie Joe Newman, Joe Thomas, Trummy Young, Benny Powell, Woody Herman, Al Cohn, Charles Thompson, Kenny Kersey, Walter Page, Milt Hinton, Jo Jones … und natürlich Coleman Hawkins mitwirken sollten). Hawkins folgt dann mit einem tollen, zupackenden Solo, danach Kersey und als letztes – die Solo-Reihenfolge ist exakt dieselbe wie im Blues davor – wieder Jacquet.

Auch in diesem Konzert folgt an dritter Stelle eine schöne Ballade, dieses Mal fiel die Wahl auf „I Can’t Get Started“. Young, Clayton, Hawkins und Kersey sind die Solisten, das Outro bestreiten sie alle gemeinsam.

Den Abschluss dieses Segments macht dann wieder einmal „Sweet Georgia Brown“ – und endlich hören wir Pres und Hawkins Seite an Seite. Den Auftakt macht Illinois Jacquet, von Heart angetrieben, es folgt Clayton, danach Hawkins und dann Young. Kersey und – vertiermassen – Heard beschliessen den Reigen. Die erhofften Feuerwerke bleiben aber auch hier eher aus. Doch ist es alleweil interessant, die beiden so unterschiedlichen Auffassungen direkt nebeneinander zu hören.

Nach einer Aufnahme des Gene Krupa Trios – „The Man I Love“, Charlie Ventura orientiert sich klar an Hawkins – folgt ein weiterer Jam, „Slow Drag“, mit derselben Besetzung ohne Jacquet. Hawkins spielt für einmal das erste Solo, gefolgt von Clayton, Young und Kersey. Young ist sehr soulful, die melancholische Blues-Atmosphäre kommt ihm sehr gelegen.

3. Juni 1946 | Carnegie Hall, New York City – Eine Woche später trat JATP schon wieder in der Carnegie Hall auf. Erschienen sind ursprünglich soweit ich sehe nur ein paar Stücke von Billie Holiday (ein paar andere Stücke erschienen später auf LPs von Phoenix, Jazz Archives und Verve, die Holiday-Stücke natürlich auch in ihrer Verve-CD-Box). Band-Nummern sind keine erhalten, bloss Features. Neben zwei kürzeren Holiday-Sets (vier bzw. drei Songs) sind Lester Young (mit Joe Guy), Coleman Hawkins und Buck Clayton mit je einem Stück zu hören, stets mit dem Kenny Kersey Trio mit Al McKibbon und J.C. Heard, das auch ein Trio-Feature kriegt und das ebenso Holiday begleitet, im zweiten Set wohl mit Curly Russell statt McKibbon, die Bläser sind hinter Holiday auch zu hören, kriegen aber keine Soli, zu den Genannten stossen da auch noch Georgie Auld und Illinois Jacquet sowie die Gitarristen Tiny Grimes und John Collins. Vor dem zweiten Holiday-Set und nach dem Trio-Features von Kersey gibt es von Pres noch ein Mini-Set mit drei Stücken.

Hawkins ist nur mit einem sehr kurzen (unter zwei Minuten), aber ebenso schönen „It’s the Talk of the Town“ vertreten. Er wirkt dann auch in der Band hinter Holiday mit, im zweiten überlieferten Set – aber bei ihren JATP-Auftritten gehörte die Bühne ihr jeweils ganz alleine (was ich schade finde, gerade weil Lester Young öfter zur Stelle war und man doch zu gerne gehört hätte, ob die Chemie zwischen den beiden noch so gestimmt hätte, wie in den späten Dreissigern bei den Small Group-Aufnahmen mit Teddy Wilson und anderen.

5. März 1947 | Syria Mosque, Pittsburgh – Im Dezember 1946 nahm Hawkins wieder an verschiedenen Studio-Sessions teil – dazu im nächsten Post mehr. Wir greifen noch rasch vor zur letzten JATP-Aufnahme vor dem Herbst 1949, derjenigen von „How High the Moon“, die Granz dann auf seinem Label Clef veröffentlichte, weil der Rechtsstreit mit Asch ihn davon abhielt, die frühere vom 1945 neu herauszubringen. Wir hören Hawkins neben Flip Phillips, dem Saxphonisten, der wie kein zweiter mit vulgärem „Geschrei“ im Rahmen von JATP auf sich aufmerksam machen sollte. Doch hier gibt es noch keine sinnfreie Effektharschere sondern zwei bestens gelaunte Solisten – die Konkurrenz scheint gerade Hawkins, der auf den bisherigen JATP-Aufnahmen oft sehr routiniert klingt, anzuspornen.

Kenny Kersey öffnet am Piano, dann präsentiert Buck Clayton über ein Riff der Saxophone die Melodie. Benny Fonville und Buddy Rich leisten solide Begleitarbeit, Posaunist Trummy Young bläst die letzten acht Takte des Themas, dann setzt Clayton zum ersten Solo an, wieder über Riffs der Saxophone und Rich, der langsam in die Gänge kommt. Phillips übernimmt, dann Young und schliesslich Hawkins. Phillips legt die Latte schon mal hoch, doch Trummy Young schert sich nicht darum und spielt gelöst wie immer – schön, ihn auch mal kurz in diesem Rahmen hören zu können! Hawkins folgt dann mit seinem bis anhin wohl besten JATP-Solo. Es mag sein, dass ihm nicht bewusst war, dass diese Konzerte mitgeschnitten wurden, dass er einfach seinen (lästigen?) Job erledigte – doch hier ist für einmal sonnenklar: er kam, um zu spielen! Und wenn Hawkins spielen wollte, wollte er gewinnen – und das tut er hier auch. Kersey und Rich folgen, den Abschluss macht dann Willie Smith am Altsax (auch er wächst bei der guten Stimmung, die hier herrscht, an der Aufgabe!), bevor Hawkins und Clayton mit dem Ensemble achtaktive Phrase wechseln und Clayton das Stück wieder mit dem Thema beendet.

Im zweiten Jam aus der Syria Mosque, dem „Bell Boy Blues“, wirkt Hawkins leider nicht mit, Smith, Young, Phillips und Clayton sind solistisch zu hören. Ansosten sind aus dem Konzert noch zwei Trio-Nummern von Kersey/Fonville/Rich erhalten – die Zuschreibung zu diesem Datum ist allerdings unsicher.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #152: Enja Record, 1971-1973 – 14.05., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba