Re: Coleman Hawkins – The Father of the Tenor Saxophone (1904-1969)

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Das nächste Kapitel von Hawkins‘ Karriere, die Bebop-Band mit Howard McGhee, begann ja bereits am Ende des vorigen Posts. Hawkins ging mit diesem Quintett – die Rhythmusgruppe bestand aus Charles Thompson, Oscar Pettiford und Denzil Best – nach Kalifornien. Dort entstanden drei Studio-Session für das Label Capitol. Sie finden sich – neben einer Aladdin-Session vom Juni 1947 – auf dem Album „Hollywood Stampede“.

Produziert hat die Aufnahmen Dave Dexter, der mit modernem Jazz nicht viel anfangen konnte. Er bestand darauf, der Band den Gitarristen Allen Reuss beizugeben. Er spielt hier elektrisch verstärkte Rhythmusgitarre (er war überhaupt ein fast reiner Rhythmusgitarrist, ein sehr guter übrigens), fügt sich recht gut ein und steuert auch ein paar schöne Effekte bei, doch verdeckt er auch ein wenig das tolle Bass-Spiel Oscar Pettifords. Bei der zweiten Session stiess – wohl auch auf Dexters Wunsch hin – der Swing-Posaunist Vic Dickenson zur Gruppe, ein grossartiger Musiker, dessen Präsenz jedoch das Gewicht auch ein wenig weg vom modernen Jazz verschiebt. Bei der dritten Session spielte dann John Simmons statt Pettiford den Bass. Dexter bestand zudem auch darauf, dass nicht nur Eigenkompositionen gespielt werden sollen, sondern auch bekannte Standards aufgenommen wurden. Kein Fehlentscheid, wenn man sich Hawkins‘ Spiel auf „Stardust“ und anderen Stücken anhört! Insgesamt ist der Eindruck, den die Capitol-Sessions hinterlassen, daher etwas konservativer als bei den Asch-Aufnahmen. Dennoch zählen die drei Capitol-Sessions zusammen mit den Aufnahmen von Dezember 1943 und verschiedenen Sessions von 1944 zu den allerbesten von Hawkins.

Der Trip nach Kalifornien war übrigens Hawkins‘ erster seit den frühen Zwanzigern, noch mit Mamie Smith’s Jazz Hounds – die Distanzen waren damals nicht zu unterschätzen. Geplant war die Reise schon für Ende 1944, doch Billy Berg, der Hawkins in den Westen lockte, musste die Eröffnung seines Clubs verschieben (was, wie es scheint, dann auch der Grund bzw. Vorwand für Monk war, auszusteigen).

Schon am 12. Februar wurde Hawkins erstmals mit Jazz at the Philharmonic mitgeschnitten – doch dazu später mehr in einem separaten Post.

23. Februar 1945 | Los Angeles, CA | Coleman Hawkins and His Orchestra (Capitol) – Hawkins, das wird im Kontrast mit McGhee deutlich, spielte auch in dieser Phase rhythmisch nicht so lebendig wie die jungen Bebopper. In harmonischer Hinsicht jedoch konnte er jedem das Wasser reichen. Zu den besten Stücken gehören die beiden Monk-Kompositionen, die Hawkins unter seinem Namen eintragen liess: „Rifftide“ und „Stuffy“. Beide spielte er bis ans Ende seiner Tage immer wieder. Monk holte sich sich später als „Hackensack“ und „Stuffy Turkey“ wieder zurück – „no hard feelings were involved; Hawk had given MOnk his first big-time job, and the two remained friends for life – when Hawk was dying, Monk was among his last visitors, and even managed to make ‚the old man‘ (as he’d long been known among his musician friends) laugh“, so Dan Morgenstern in den Liner Notes zur abgebildeten CD.

Reuss‘ Gitarre stört vor allem in „Stuffy“ ein wenig – Petiffords Bass hätte allein unter dem Piano im ersten Chorus gewiss besser gewirkt. Hawkins phrasiert in „Rifftide“ zupackend, drängend, aber dennoch mit entspanntem Feeling und rundem Ton. Der Abschluss ist mit einem shout chorus (und einem drängenderen Intermezzo Hawkins, nun mit gepressterem Ton) sehr hübsch arrangiert, lässt Raum für fills von Thompson, der Hawkins‘ Solo – angesichts der Rhythmusgitarre ein guter Entscheid – nur spärlich begleitet hatte. In „Stuffy“ klingt Hawkins – nach gutem Piano von Thompson – zunächst ein wenig wie ein alter Löwe, der etwas zu laut brüllt. Doch nach ein paar Takten findet er den Weg und sein Solo enthält einige sehr gute Ideen. Wieder ist das Stück hübsch arrangiert mit Ensemble-Passagen, die um ein weiteres einfaches Riff gebaut sind – Reuss spielt eine recht gute Bridge … doch am Ende ist dann auch gut mit all dem Geriffe. Dass McGhee nicht stattdessen ein Solo erhielt, ist bedauernswert – dennoch ein gutes Stück.

Die erste Ballade der ersten Session jedoch, „April in Paris“, der Opener der CD, bindet Reuss‘ Gitarre sehr gelungen ins Intro ein, dann übernimmt Hawkins, dem Thompson mit Klavierschnörkeln antwortet – Hawkins lässt Raum, macht Pausen, spielt aber auch seine schier endlosen melodischen Linien. In den Standards, den Balladen, bleibt McGhee aber allgemein recht farblos oder wirkt sogar unangebracht aufdringlich mit seinem spitzen Ton – stellenweise fast wie eine moderne Ausgabe von Charlie Shavers (obwohl auch er am Ende wohl vor allem auf Roy Eldridge gehört haben dürfte). Seine Themenpräsentation in „Stardust“ – nach einem tollen Intro der Rhythmusgruppe mit prominentem Bass – ist gerade noch im Rahmen (Dan Morgenstern launisch aber sehr treffend: „it’s like a John followed by a lover“) und Hawkins liefert darin ein weiteres meisterliches Solo in diesem walking ballad-Tempo, das ihm so lag.

2. März 1945 | Los Angeles, CA | Coleman Hawkins and His Orchestra (Capitol) – Die zweite Session beginnt mit der Rhythmusgruppe, „Hollywood Stampede“ heisst das Stück und baut hörbar auf „Sweet Georgia Brown“ auf. Nach acht Takten setzen die Bläser mit dem Riff ein. McGhee soliert als erster, verspielt, swingend und voller Elan. Hawkins legt mit einem tollen Solo nach, dann folgen Dickenson und Thompson mit je einem halben Chorus. Die Ballade „I’m Through with Love“ (von Matty Malneck) öffnet mit Reuss‘ Gitarre, danach legt Thompson eine perlende Begleitung unter Hawkins, Pettiford streut wieder einen effektvollen pedal point ein. Dickenson übernimmt nach Hawkins‘ Paraphrase des Themas und bleibt zunächst noch näher an der Melodie und legt dann richtig los – toll jedenfalls, ihn in diesem Rahmen zu hören! Er beschleunigt sein Solo gegen Ende ein wenig, rauht seinen Ton noch mehr auf, Hawkins übernimmt dann fliegend und entschleunigt langsam wieder. Eine meisterhafte Performance, bei der man zum Glück McGhee ausgesperrt hat.

Die Session bleibt bei Standards, es folgt „What Is There to Say“, erneut ohne McGhee und diesmal auch ohne Dickenson – und Hawkins mag die Melodie offensichtlich, er liebkost sie richtiggehend, während die Begleitung von Reuss/Thompson erneut gut funktioniert. Pettiford spielt meist nur auf 1 und 3, setzt seine Töne sehr geschickt, es wirkt tatsächlich so, als würde er Räume öffnen und nichts festlegen. Reuss spielt erneut ein paar Takte, später ist auch Thompson mit einem guten Solo zu hören, bevor Hawkins das Stück abschliesst. Die letzte Nummer der Session ist „Wrap Your Troubles in Dreams“ und dieses Stück ist vielleicht das schönste der Sessions. Mir hat sich von „Wrap Your Troubles in Dreams“ die tolle Version von Mingus mit Eldridge und Jo Jones (Candid, 1960) eingeprägt – und ich fragte mich neulich beim Wiederhören von „Driva‘ Man“ auf Roachs Candid-Album mit Hawkins, warum Hentoff wohl nicht auch noch Hawkins zur Eldridge/Mingus/Jones-Session gesellt hat – das hätte ganz grossartig herauskommen können! (Nicht, dass die Aufnahmen nicht so schon phantastisch wären, klar … aber man stelle sich einfach mal vor, Hawkins wäre auch noch dabei gewesen.) Anyway, Mingus als Referenz ist so übel nicht, denn Pettiford spielt hier sein einziges Solo der beiden Sessions, nachdem Hawkins das Thema mit viel Biss über einem mittelschnellen Swing – mit fills von Thompson – präsentiert und mit einer Art Arpeggio-Passage angereichert hat. Pettiford spielt mit dem Thema, Reuss und Thompson stossen dazu, dann kommt Hawkins wieder dazu und spielt mit Thompson zusammen das Thema – toll, wie die beiden in diesen Sessions immer wieder interagieren. Klar, Thompson ist nicht Monk, aber ein mehr als würdiger Ersatz ist er auf jeden Fall! (Monk bei Capitol kann man sich aber auch wirklich nicht vorstellen – Dexter hätte gewiss auf einem Ersatzpianisten bestanden.)

9. März 1945 | Los Angeles, CA | Coleman Hawkins and His Orchestra (Capitol) – Die dritte Session fand wie erwähnt mit John Simmons am Bass statt (er sprang ein, weil Pettiford anscheinend ein Problem mit der Hand hatte) – man mag ihn heute am ehesten noch als etwas unpassenden Bassiten von „Mating Call“ kennen, dem Dameron/Coltrane-Album, aber der Mann war gut und zu seinen credentials zählte später z.B. auch das Trio von Teddy Wilson. „Too Much of a Good Thing“ von Hawkins öffnet die Session, eine Paraphrase über „Fine and Dandy“ – McGhee spielt ein tolles Solo, wohl sein bestes im Rahmen seiner Aufnahmen mit Hawkins. Mit „Bean Soup“ folgt gleich das zweite Original, das diesmal auf „Tea for Two“ basiert. Man hört hier möglicherweise, dass Ben Webster auf Hawkins zurückgewirkt hat. McGhee spielt ein gutes Solo, das stark an Eldridge erinnert, doch im Outro ist er wieder eher jenseits der Grenze des guten Geschmackes.

Dann folgen erneut zwei Standards, zunächst Gershwins „Someone to Watch Over Me“. Hawkins klingt am Schluss, als hätte er gerne weitergespielt. Nach seiner Präsentation des Themans übernimmt Thompson, danach McGhee mit satterem Ton und wohl seinem besten Balladensolo der Sessions. Den Abschuss der Session macht dann „It’s the Talk of the Town“, das Hawkins bereits ein Jahrzehnt zuvor eingespielt hatte – es war auch 1933 sein Feature bei Fletcher Henderson, in seinem letzten Jahr als Sideman. Hawkins ist in bester Form, besonders herausragend die zweite bridge und wie er daraus in die letzten acht Takte überleitet und dann auch noch eine Kadenz anhängt – grossartig!

30. März 1945 | Los Angeles, CA | Capitol International Jazzmen (Capitol) – Diese All Star-Band vereint Hawkins mit seinen alten Bekannten Bill Coleman und Benny Carter (am Altsax und für die Arrangements zuständig), dazu Buster Bailey, ebenfalls ein Vertrauter noch aus den Tagen mit Fletcher Henderson. Die Rhythumsgruppe bildet sich um Nat „King“ Cole und den Gitarristen seines Trios, Oscar Morre, dazu kommen John Kirby und Max Roach, mit denen Hawkins auch schon aufgenommen hatte. Zwei der vier Stücke präsentieren zudem die tolle Sängerin Kay Starr, die für Capitol ein paar eigene Sessions aufgenommen hat.

Das erste Stück, „You Can Depend on Me“, öffnet mit Nat Cole am Klavier – der Mann hatte verdammt viel drauf und ja, es ist wirklich schade, dass er später das Klavierspiel fast ganz aufgab! Bailey und Carter folgen, letzterer bricht kurz aus der gepflegten Routine aus, die mit Coleman auch gleich wieder zurückkehrt. Ein Tremolo von Cole kündet dann Hawkins an, Coleman rifft hinter ihm und er rotzt seine Phrasen hin, endet sie mit weitem Vibrato – viel mehr als Routine ist auch das nicht, aber Spass macht es schon.

„If I Could Be With You“ öffnet mit Kay Starr, dann folgen Soli von Carter (schön und interessant!), Coleman (routiniert) und Hawkins (sehr entspannt – und was für ein Ton!). Starr ist eher noch besser in „Stormy Weather“ – aufmerksam von Cole begleitet (das konnte er natürlich, auch wenn er üblicherweise sich selbst begleitete, damals). Coleman stösst dazwischen auch noch dazu, mit Dämpfer, danach ein paar Takte von Carter – und Starrs tolle Performance scheint ihn auch hier wieder anzuspornen, aus dem kurzen Solo das meiste herauszuholen. Am Schluss hört man dann ganz leise Begleitlinien von Hawkins hinter Starr.

Das vierte und letzte Stück – wie vom ersten gibt es auch hier einen Alternate Take, den ich nicht kenne (dass ich die vier Stücke überhaupt habe, ist schon ein Glücksfall – von einer von zwei japanischen Capitol-Boxen mit je acht CDs von 1991, die mir einst ein Freund kopiert hat). „Riffmarole“ heisst das Stück und natürlich basiert es auf einem Riff (die Bläser spielen es, Cole antwortet). Bailey spielt ein erstes Solo, leise zunächst, mit Glissandi, dann mit verschlungenen schnellen Linien. Carter übernimmt, melkt eine Idee, bevor er zur nächsten fortfährt. Hinter Coleman kommt die Rhythmusgruppe richtig in Fahrt (Roach! Mop mop!), hinter Cole schaltet sie wieder einen Gang runter, ohne deshalb an Drive zu verlieren. Mit einem rim shot kündet Roach dann den „old man“ an, der ein kurzes aber kraftvolles Solo spielt. Dann ein shout chorus (warum haben die Mainstreamer/Postbopper das seit dem Hard Bop bloss zu 99% vergessen?) und zurück zum Riff. Damit endet sicherlich keine besonders herausragende Session, aber für All Star-Verhältnisse doch eine mehr denn solide – und „Stormy Weather“ ist dank Kay Starr doch so etwas wie ein Ereignis!


Sid Catlett, New York, ca. März 1947 (Photo: William P. Gottlieb)

Oktober 1945 | New York City | Sid Catlett and His All Stars (Super Disc) – Hawkins blieb anscheinend den grösseren Teil des Jahres in Kalifornien. Im Herbst war dann zurück in New York und wirkte bei einer Session von Sid Catlett mit, dem Drummer, der auf ein paar seiner allerbesten Plattensessions dabei gewesen war.

Die Band besteht aus dem mir bisher nur wenig bekannten Trompeter Dick Vance (er spielte mit Chick Webbs Band und nahm später auch mit Ben Webster auf), Tyree Glenn an der Posaune und am Vibraphon (er spielte später u.a. mit Ellington und leitete gemeins mit Don Byas eine Band), Hilton Jefferson am Altsax (er wirkte an einer der Walter „Foots“ Thomas-Sessions mit Hawkins mit), Pianist Billy Taylor, Bassist John Simmons und Leader Catlett an den Drums. Leider wird eine der vier Nummern an einen unsäglichen Balladenkitscher Matthew Meredith verschenkt. Und leider ist der Klang der Überspielung auf der „1945“ Chronological-CD von Hawkins sehr lärmig.

Den Auftakt macht eine Riffnummer, von den Bläsern nur mit Schlagzeugbegleitung präsentiert. Dann setzt die Rhythmusgruppe ein, Glenn spielt die bridge, bevor die ganze Band das Thema zu Ende spielt und Hawkins gleich mit einem heissen Solo einsetzt. Auch hier kann man in mancher Phrase an den äusseresten Rändern seines Tones Ben Webster erahnen – die beiden schätzten sich ja gegenseitig und sollten 1957 für Norman Granz auch eine gemeinsame Platte aufnehmen. Vance übernimmt, solide, irgendwo zwischen Satchmo und Eldridge. Dann Jefferson mit flüssigem aber wenig aufregendem Alt und schliesslich Glenn nochmal mit einer kurzen Überleitung, bevor das Ensemble das Stück zu Ende bringt. Eine hübsche Swing-Nummer mit leisen Bebop-Anklängen, auch was Catletts Beat betrifft (er war ja vier Monate zuvor in der New Yorker Town Hall als Gast beim Konzert von Dizzy Gillespie und Charlie Parker aufgetreten).

„Before Long“ ist dann die Kitschballade – schöne Posaune von Glenn zum Auftakt, man erahnt guten Bass von Simmons (Catlett geht völlig im Rauschen der Überspielung unter), blumig Billy Taylor am Piano. Vance übernimmt, fetter Ton (unadaquat dünn aufgenommen) mit übermässigem Vibrato. Dann Taylor, nicht übel, aber immer noch blumig … und dann, ogottogott, skip (ein weiteres Mal mag ich das nicht mehr anhören und es dauert auch wirklich bis zum Ende der Nummer, man lernst doch mit den Jahren tatsächlich Pancho Hagood schätzen – ich hätte jeden für komplett irre erklärt, der mir sowas vor 15 oder 20 Jahren prophezeit hätte).

Mit „What’s Happenin'“ geht es dann beschwingt weiter, Vance spielt ein erstes Solo, wieder mit zuviel Vibrato für meinen Geschmack, aber solidem Beat, gut begleitet von Catlett. Danach Glenn, der für die zwei letzten Stücke ans Vibraphon wechselt – konnte er wenigstens so gut wie Posaune und war wohl neben Lionel Hampton der wichtigste frühe Solist auf dem Instrument. (Gut Red Norvo, aber der spielte ja nicht Vibraphon). Hawkins folgt, erneut mit gutem Support von der Rhythmusgruppe (auch von Simmons!), zwischendurch werfen die anderne Bläser im Wechsel mit Taylor ein „Mop Mop“-Motiv ein … so ganz kommt hier nicht alles zusammen, auch das abschliessende „Mop De Mop Mop“ (anscheinend hat Catlett vom Text abgesehen alle vier Stücke komponiert) wirkt mit seinen Schlagzeug-Pyrotechnics und dem von seiner eigenen Virtuosität bessoffenen Piano Taylors etwas inkohärent. Hawkins stürmt dann mit seinem Solo los, fetzt durch die Akkorde und die Beats von Catlett. Glenns Vibraphon-Solo ist dann vielleicht der beste Moment hier. Das ist Musik des Umbruchs von Leuten, die wohl nie ganz irgendwo angekommen sind aber auch nicht einfach in ihrer Komfortzone bleiben mochten … aber etwas seltsam ist das alles schon, und Hawkins wirkt in der ganzen Session ziemlich routiniert. Die ganze Band ist aber auch reichlich seltsam zusammengestellt, ohne Vance und vielleicht mit Glenn nur am Vibraphon und einem geeigneteren Pianisten hätte das ganz anders ausgehen können.

(Diese schon weiter oben abgebildete und erwähnte CD enthält die drei letzten Asch-Stücke von Hawkins aus dem Januar, dann die zwölf Capitol-Aufnahmen von Februar/März, die vier mit Catlett vom Oktober, und schliesslich als Nachtrag das tolle „My Ideal“ mit Art Tatum vom Esquire Konzert vom 1. August 1944 – siehe weiter oben.)

27. Februar 1946 | New York City | Coleman Hawkins‘ 52nd Street All Stars (RCA Victor) – Im Februar 1946 nahm Hawkins erstmals seit fünf Jahren für ein grosses Label auf. Leonard Feather stellte ein All Stars-Band zusammen, in der erneut Vertreter des alten wie des neuen Jazz aufeinandertreffen. Charlie Shavers, Altsaxophonist Pete Brown und Pianist Jimmy Jones repräsentieren die alte Generation, Allen Eager, Mary Osborne, Al McKibbon und Shelly Manne die junge.

„Say It Isn’t So“ gehört ganz Hawkins, eine weitere feine Ballade, von Jimmy Jones sehr schön arrangiert. Bei 0:33 spielt Jones ein kleine Phrase, die Hawkins sofort aufgreift und zurückreicht. Die anderen Bläser legen Orgeltöne unter das Saxophon, Al McKibbons Bass erinnert ein wenig an Pettiford, auch wenn sein Beat ein anderer ist. Eine grandiose Performance mit toller Klavierbegleitung und einem frei fliessenden Hawkins, der bei grösster Spontanität auch wieder absolut zwingend wirkt.

In „Spotlite“, der Bop-Paraphrase von „Just You, Just Me“, ist der Ton schon mit den ersten Tönen ein anderer, Jones legt ein paar Akkorde, Osborne spielt eine boppige Linie, dann geht es los mit dem Thema. Shavers übernimmt die Bridge und schlägt sich gut. Dann übernimmt Osborne das erste Solo, spielt mit sehr klarem Ton, streut auch mal einen Akkord ein, bleibt aber fast auf der ganze Länge rein linear – motivisch interessant, aber etwas inkohärent. McKibbon spielt ein paar Takte, fliessend übernimmt Jones mit Block-Akkorden und baut auf, wird lauter, bis Hawkins einsetzt und Manne ihn richtig kickt. Shavers ist trägt dann etwas dick auf, das Thema endet mit einer kurzen Reprise.

Anscheinend entstanden bei derselben Session auch noch „Low Flame“ und „Allen’s Alley (Wee)“, aber sie sind nicht in der Mosaic-Box zu finden. Auf der Chronological-CD „1946-1947“ findet man alle vier. „Low Flame“ ist das Pendant zu „Say It Isn’t So“ – bloss ist hier Allen Eager der Solist im Zentrum (und Shavers ist in der Einleitung für einmal wieder sehr geschmackvoll). Eager ist die Antithese zu Hawkins, klingt streckenweise fast wie ein Altsax (Verwechslungen mit Pete Brown sind jedoch ausgeschlossen), schlanker Ton, ein Mann, der stark von Lester Young beeinfluss war und wohl zu den wichtigsten, originären Bebop-Tenoristen gehört (vielleicht war er gar der einzige?), jedenfalls ein damals genialer Mann, der seine grossen Versprechen nie einlösen konnte (wer mehr hören mag, dem sei die Uptown-CD „Allen Eager – In the Land of Oo-Bla-Dee, 1947-1953“ wärmstens empfohlen, zudem was immer man von den Aufnahmen mit Tadd Dameron halt in die Finger kriegen kann).

In „Allen’s Alley“ hören wir, wie Pete Brown seinen dicken Ton vorübergehend zu zähmen sucht … mit dem Material kommt er bestens zurecht, aber scheint sich dennoch wohler zu fühlen, wenn er gegen Ende des Solos den Ton aufgehen lässt. Dann folgt Eager, beginnt in der tiefen Lage und arbeitet sich allmählich hoch, Shelly Mann begleitet aufmerksam. Osborne ist hier (wie in „Low Flame“ mit einem guten Solo zu hören, danach folgen Fours von Brown und Eager – und weil Hawkins hier wie in „Low Flame“ ebensowenig zu hören ist, wird auch klar, warum die Stücke in der Mosaic-Box und bei Doering fehlen. Auch das, insgesamt irgendwie eine Session des „Zwischen“.

Hawkins‘ Karriere erlitt in den nächsten Jahren einen Knick – doch 1946 und 1947 folgten noch einige Aufnahmen, zu denen ich später kommen werde. Dazwischen aber zunächst ein Exkurs über den ersten Schwung von Aufnahmen, die Hakwins im Rahmen von Jazz at the Philharmonic präsentieren.

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