Re: Coleman Hawkins – The Father of the Tenor Saxophone (1904-1969)

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v.l.n.r.: Denzil Best (d) Al Casey (g), John Levy (b), Pied Piper, New York, ca. 1946-48 (Photo: William P. Gottlieb) (Anm.: falsche Infos zum Bild bei der deutschen Wiki! Das recht ist sicherlich nicht Billy Bauer.)

27. Juli 1944 | New York City | Coleman Hawkins and His All Stars (Manor/Regis) – Denzil Best hatte in den frühen Vierzigern als Trompeter angefangen, aber nach einer Tuberkulose-Erkrankung konnte er nicht mehr spielen. Zwei Jahre später tauchte er bereits bei Ben Webster als Schlagzeuger wieder auf. Die Hawkins-Session ist seine zweite, und er sollte eine Weile mit Hawkins spielen. Ein unaufdringlicher, ja minimalistischer, aber äusserst musikalischer Drummer, ein Meister des Spiels mit den Besen. Die Session findet sich auf der Mosaic-Box „Classic Coleman Hawkins Sessions 1922-1947“ und – ohne „Shivers“, das vielleicht beste Stück – auch auf „Coleman Hawkins 1944-1945″ von Chronological Classics“.

Die Band, die Hawkins Ende Juli ins Studio brachte, ist wieder sehr interessant. Die Session entstand für Manor, das kleine Label von Irving Berman, der vermutlich als Produzent gewirkt hat. Die Independent-Labels, oft Ein-Mann-Betriebe, hatten in der Zeit Hochkonjunktur. Das lag besonders am recordings ban der Musikergewerschaft, der seit August 1942 lief. Es ging dabei um Streitigkeiten, was die Honorare betraf. Musikern, die der „American Foundation of Musicians“ (geleitet vom mächtigen James Petrillo, deshalb spricht man auch vom „Petrillo ban“) angehörten, durften zwar live und im Radio auftreten, ab 1943 auch V-Discs einspielen (Platten für die Truppenunterhaltung, die nicht für die breite Öffentichkeit bestimmt waren), aber sie durften keinen Fuss in ein Studio setzen. Die grossen Labels hatten im Juli noch auf Vorrat Platten aufgenommen, danach war Schluss. Nur das Boston Symphony Orchestra war nicht in der AFM, Sänger konnten allenfalls neue Platten mit Vokal-Begleitung aufnehmen, aber nicht mit Bands. Diejenigen Label, die keinen grossen Vorrat an Aufnahmen hatten, gaben als erste nach und stimmten den neuen Bedingungen zu – und viele kleine Label, die dies ebenfalls tate, entstanden. Der Streik endete effektiv erst im November 1944, als auch RCA Victor und Columbia nachgaben (davor hatte sich auch schon Franklin D. an Petrillo gewandt, doch der blieb stur). Weitere Nebenerscheinungen des bans sind der beschleunigte Niedergang der Big Bands und der relative Mangel an Aufnahmen, die die Entstehung des Bebop dokumentieren (es gibt zwar durchaus Aufnahmen, aber eben auch diverse bekannte und wichtige Bands, die nie ein Studio betraten).

Aber zurück zu Hawkins. Im Studio mit ihm waren Charlie Shavers (der schon bei der Session mit Auld und Webster dabei gewesen war), Edmond Hall (auch er ein alter Bekannter), der überragende Pianist Clyde Hart (der leider schon 1945 an Tuberkulose verstarb), Tiny Grimes an der Gitarre (er leitete im selben Jahr eine tolle Session mit Charlie Parker für Savoy), sowie Oscar Pettiford und Denzil Best. Den Auftakt mach „All the Things You Are“, das innert kurzer Zeit zu einer Lieblingsnummer der Bebopper werden sollte und an der 52nd Street bereits hoch im Kurs stand. Hart und Pettiford leiten ein, dann präsentiert Hawkins das Thema. Im dritten Takt des A-Teils spielt die Rhythmusgruppe übrigens einen umgebauten Akkord mit Tritonus. Wenig später war das üblich, im Sommer 1944 war es bahnbrechend. Hawkins präsentiert das Stück mit grösster Gelassenheit, sein Ton scheint trotz der mittelprächtigen Qualität der Aufnahme schön eingefangen zu sein, das Material bietet für ihn eine perfekte Grundlage. Shavers und Hall setzen aus.

„Shivers“ ist das zweite Stück, erstmals in der Mosaic-Box veröffentlicht und ein sehr toller Fund! Charlie Christian hat es komponiert, Pettiford spielt auf der ganzen Länge einen Kontrapunkt, nachdem er schon im Intro mit einem break zu hören ist, das an Jimmie Blanton erinnert. Auch die bridge gehört Pettiford. Die Tonart ist übrigens dieselbe wie jene von Blantons Feature mit Ellington, „Jack the Bear“. Hawkins spielt einen ganzen Chorus, Shavers einen halbe, dann folgen je acht Takte von Grimes und Hall. Es ist jedoch klar Pettiford, der hier das Geschehen dominiert! Er nahm an dem Tag auch zwei Duos mit Hart auf, die jedoch noch nicht aufgetaucht sind.

„Step on It“ beruht auf den changes des „Tiger Rag“, vor „I Got Rhythm“ wohl das populärste Stück bei Jam Sessions. Nach dem unbegleiteten Intro von Hawkins übernimmt Hart und spielt zunächst eine Art Variation über Basie, bevor er mit eigenen Linien loslegt. Hier hört man Best an den Besen recht deutlich, und auch den gelegentlichen fill der Bass-Drum. Shavers spielt ein gutes Solo, das stellenweise recht modern wirkt. Dann folgt Grimes. In der Mitte seines Solos setzt Pettiford mit einem drop in die tiefe Lage einen Akzent, den Grimes umgehend aufgreift – sehr schön, zu hören, wie spontan diese Musiker reagieren! Hawkins folgt dann mit dem letzten Solo, greift zum Einstieg Grimes‘ letztes Riff auf. Die anderen riffen hinter ihm. Man hört nach fünf Takten, wie (vermutlich) Hart eine Anweisung gibt, die Struktur des Stückes spontan zu ändern.

„Riding on 52nd Street“ ist ein Jam über die changes von „I Found a New Baby“. Die Klangqualität ist etwas besser und man hört mehr von Bests Besen – er leitet das Stück mit acht Takten ein, endet das Intro mit einer bomb der Bass-Drum. Dann setzt Shavers ein, spielt eine quirlige Linie, zunächst nur von Best und Hart begleitet. Grimes und Pettiford setzten ein, Shavers rifft weiter, dann übernimmt Hall – und was folgt ist eine study in contrast. Seine Klarinette mit dem aufgerauhten Ton wirkt beinahe archaisch. Doch das ist kein Clash, eher eine schöne Ergänzung. Hart und Grimes teilen sich einen Chorus, dann übernimmt Hawkins – und hebt das Stück auf ein anderes Level. Keine Licks, keine vorgefertigten Phrasen – ein tolles, spontanes Solo.

Den Abschluss macht dann die Ballade „Memories of You“, das Thema von Shavers mit Bravur, aber auch etwas plärrend vorgestellt (seine eine Schwäche, auch da und dort bei seinen späteren Aufnahmen mit Billie Holiday etwas störend, finde ich). Hall spielt die Bridge, dann scheint Hart die letzten acht zu übernehmen – doch nein, Hawkins schleicth heran und beginnt sein Solo für einmal nicht mit einem Knall sondern behutsam, mit Pausen, zunächst weichem Ton. Grimes spielt schöne Begleitlinien unter ihm, als dieser einfach nicht mehr zu spielen aufhört. Die letzten Takte zurück zum Thema – mit Shavers – wirken ein wenig wie eine ruppige Unterbrechung. Und Hawkins wirkt mal wieder wie von einem anderen Planeten – wunderbar!

Am 18. August nahm Hawkins an der Session teil, die bei CBS als „Music Till Midnight“ lief – Mildred Bailey war die Leaderin, mit dabei waren u.a. Billy Butterfield, Eldridge, Charlie Shavers, Trummy Young, Ernie Caceres, Hank d’Amico, Red Norvo, Wilson, Remo Palmieri, Al Hall, Billy Taylor, Specs Powell, sowie die Gäste Slam Stewart und Coleman Hawkins. Letzterer ist in „The Man I Love“ zu hören – leider kenne ich auch diese Aufnahme nicht.

11. Oktober 1944 | New York City | Coleman Hawkins with Walter Thomas Orchestra/Walter Thomas and His Jump Cats (Joe Davis) – Joe Davis war ein Musikverleger. Er lud Walter „Foots“ Thomas, der einst bei Cab Calloway gespielt hatte, ein, vier Sessions mit Swing-Musikern aufzunehmen. Hawkins nahm an der ersten (und wie es scheint besten, ich kenne die anderen jedoch nicht) von ihnen teil. Das Line-Up: Jonah Jones (t), Eddie Barefield (cl, as), Hilton Jefferson (as), Walter Thomas, Coleman Hawkins (ts), Clyde Hart (p), Milt Hinton (b), Cozy Cole (d). Thomas war auch an der Cozy Cole-Session im Mai beteiligt, die ich leider nicht kenne.

„In the Hush of the Night“ öffnet mit ein paar Girlanden von Hawkins über liegenden Töne der anderen Bläser. Dann präsentiert Jefferson am Alt das Thema (es beruht auf Rimsky-Korsakovs „Sheherazade“). Thomas, Jones und vermutlich erneut Jefferson sind im ersten Chorus im Wechsel mit dem Ensemble zu hören, Hawkins kriegt den zweiten, die bridge spielt wieder Jones, in einem stompenden Armstrong-Mood. Am Ende hören wir wieder Jefferson. Hawkins‘ Beitrag ist der beste, doch allzu viel Futter gibt das Stück nicht. „Out to Lunch“ folgt, aus Thomas‘ Feder. Die Saxophone bilden eine tolle Section, Jones spielt das Thema, punchy und kraftvoll. Nach ein paar Takten der cremigen Sax-Section hören wir ein paar Takte von Hart, vor riffenden Bläsenr spielt Hinton im Dialog mit Hart ein paar Takte (sein Beat ist satter als der von Pettiford, weniger flexibel, anders konturiert, aber ebenfalls toll). Dann ein Klarinettensolo von Barefield, Jefferson am Alt – und dann übernimmt wieder Hawkins, angetrieben von Cozy Cole und Hinton. Erneut das beste Solo des Stückes, klar.

„Every Man for Himself“ ist eine Uptempo-Nummer von Irene Higginbotham, der Nichte von Posaunist J.C. HIgginbotham. Wir hören Jonah Jones in der Bridge und dann mit einem eigenen Chorus, gefolgt von Hawkins mit seinem wohl besten Solo der Session – wieder sind Hinton/Cole klasse, sie sind nach ein paar Takten von Thomas‘ Tenor im Dialog zu hören. In diesem Rahmen hat keiner Hawkins viel entgegenzusetzen – die Rhythmusgruppe ist sehr gut, Jones‘ ein guter Kontrast, aber das war’s dann auch. „Look Out Jack“ stammt wieder von Irene Higginbotham. Die Rhythmusgruppe öffnet das Stück, Hinton mit starkem Beat. Das Stück entwickelt einen „Mop Mop“-Drive – noch nicht Bebop, aber auf dem Weg dahin. Hawkins spielt ein kurzes Solo, dann folgt Barefield, hier sehr gut. Jones swingt und Jefferson spielt seine Kadenzen … eine hübsche Session, die aber im Rahmen der vielen herausragenden Aufnahmen Hawkins‘ aus dieser Zeit doch etwas abfällt.


v.l.n.r.: Ben Webster, Eddie Barefield, Buck Clayton, Benny Morton, Famous Door, NYC, ca. Oktober 1947 (Photo: William P. Gottlieb

17. Oktober 1944 | New York City | Coleman Hawkins Quintet (Keynote) – Ein paar Tage später war Hawkins wieder für Harry Lims Keynote im Studio. Das Coleman Hawkins Quintet bestand aus Buck Clayton (t), Hawkins (ts), Teddy Wilson (p), Slam Stewart (b) und Denzil Best (d). Von den vier Stücken – wieder im 10″-Format, also maximal etwas über drei Minuten – sind insgesamt zehn Takes überliefert. Mit dem ersten Stück, „I’m Yours“, kann Hawkins wohl nicht viel anfangen – er kostet die changes aus, überlässt die Melodie jedoch ganz Buck Clayton. Teddy Wilson spielt in allen drei Takes feine Soli, hat mehr Geduld mit dem Material und ist besonders im dritten Take gut. Die Aufteilung zwischen den dreien macht jedoch Sinn, alle drei Takes sind spitze, Clayton entpuppt sich als idealer Partner für Hawkins und Wilson glänzt wie eigentlich immer. Man kann ihn leicht als „geschmackvoll“ abtun, doch das würde ihm nicht gerecht, der Mann ist unheimlich gut! Eine besondere Klangfarbe bringt natürlich Slam Stewart rein – sein Markenzeichen waren gestrichene Soli, die er – eine Oktave höher – mitsummte. Der Effekt kann ermüdent wirken, aber der Mann war ein äusserst stabiler Bassist und ein Original der Swing-Ära.

Von „Under a Blanket fo Blue“ gibt es dann bloss einen Take. Wilson spielt ein Klavierintro, dann übernimmt Hawkins, stellt das Thema vor, swingt im mittelschnellen Tempo, sein Ton wieder hervorragend eingefangen. Clayton spielt die bridge mit Dämpfer, seinem feinen Ton. Dann übernimmt Wilson, Slam Stewart kriegt die diesmal bridge. „Beyond the Blue Horizon“ ist dann wieder ein schnelles Stück, erneut in drei Takes zu hören. Denzil Best – man beachte sein Ride! – ist hier sehr gut zu hören, die Leute von Keynote hatten das wirklich im Griff! Die drei Takes sind allesamt gut. Slam Stewart spielt ein Intro (im ersten Take zitiert er „Salt Peanuts“) und ist nach Wilson und Clayton auch mit einem Solo zu hören. Hawkins übernimmt – wie so oft – den Schluss und spielt auch als einziger zwei Chorusse (im Thema spielt er sehr diskret hinter Clayton), in den letzten Takten stösst Clayton dazu, um das Stück abzuschliessen. Hawkins öffnet alle drei Takes gleich, doch von da an geht sein Solo stets in eine andere Richtung. Clayton soliert stets mit Dämpfer, im zweiten Take ist er wohl am besten, im dritten spielt er fast nur die Melodie. Wilson war wohl an dem Tag in besonders guter Form, seine Soli sind jedenfalls allesamt spitze.

Den Abschluss machen dann drei Takes von „A Shanty in Old Shanty Town“, ein von Jazzern nur selten gespieltes Stück, das hier aber sehr gut funktioniert. Hawkins spielt ein Intro, das aufhorchen lässt, Wilson soliert dann wieder als erster, gefolgt von Stewart und Clayton (diesmal am offenen Horn). Hawkins soliert auch hier als letzter, es folgt ein kurzer break von Stewart und schliesslich ein kurzer Schluss der beiden Bläser. Clayton ist hervorragend, Best kickt ihn richtiggehend, spielt viel mehr, als man von ihm gewohnt ist, auch hinter Hawkins. Faszinierend, wie so exzellente Musiker immer noch einen drauflegen können, auch wenn die Musik davor schon auf höchstem Niveau war! Und Dan Morgenstern meint im Booklet der Keynote-Box nicht zu unrecht: „Those who claim to be bored by [alternate takes], and that includes some critics, do not understand jazz properly.“

18. Oktober 1944 | New York City | Charlie Shavers‘ All American Five (Keynote) – Am nächsten Tag war Hawkins bereits wieder für Keynote im Studio. Der Leader war dieses Mal Charlie Shavers, inzwischen längst ein vertrauter Partner (aber wohl hinter Clayton, Eldridge und Thomas einzureihen, wenn es um geeignete Trompeten-Partner in dieser Phase von Hawkins geht – und wohl auch hinter Emmett Berry, einem wie Thomas unterschätzten, zu wenig bekannten Musiker, doch seine Aufnahmen mit Hawkins sind mir nicht wirklich vertraut). Mit Shavers und Hawkins im Studio waren erneut Wilson und Best, am Bass kehrt Billy Taylor zurück (wo wir grad bei den unterschätzten Musikern sind). Auch diese Session – acht Takes von vier Stücken – wurde im 10″-Format aufgenommen.

Den Auftakt mach das Chanson „Mon Homme“, das Billie Holiday in den Jazz eingeführt hat. Wilson spielt ein Intro, Shavers präsentiert dann das Thema im Duo mit Wilson – im Rubato und mit Dämpfer, virtuos und zugleich zurückhaltend, mit schönem Ton. Die Rhythmusgruppe fällt in einen swingenden mittelschneller 4/4-Takt, Hawkins übernimmt, bleibt nah an der Melodie. Wilson folgt, wie üblich makellos. Dann schliess Shavers mit einem weiteren tollen Chorus ab, endet mit einer tollen kurzen Kadenz. Der zweite Take ist diesmal – im Hinblick auf die Bläser – deutlich besser, fokussierter.

„El Salon de Gutbucket“ heisst das zweite Stück, ein Riff-Blues aus Shavers‘ Feder, das im Titel auf Aaron Coplands „El Salon Mexico“ anspielt. Wir sind hier in Kansas City-Territorium, nach Latin klingt hier gar nichts. Hawkins leitet den Solo-Reigen ein, Shavers folgt mit offenem Horn, dramatisch, mit leichten Bop-Anklängen aber auch Bravour-Läufen, die an Satchmo gemahnen. Dann demonstriert Wilson seine Blues-Skills – ohne dass er je in funky Klischees fallen würde. Hawkins klingt hier etwas oberflächlich – er wurde ja, so scheint es, erst durch Charlie Parker zum wirklich guten Blues-Spieler. Im zweiten Take – der erster erschien damals, Shavers ist dort besser – spielt er dann jedoch ein sehr tolles Solo. Als nächstes hören wir einen einzelnen Take von „Embraceable You“. Das Thema selbst erklingt nicht, nach einem Intro von Shavers (mit Dämpfer) folgen Wilson und Hawkins je mit einem halben Chorus, dann übernimmt Shavers, ebenfalls mit einem halben. Das bot sich hier einigermassen an, da der Song eine ABAC-Struktur hat. Eine meisterhafte Balladen-Performance von allen dreien!

Den Abschluss macht dann „Undecided“, Shavers‘ bekanntestes Stück. Es sollte in seinem wie auch in Hawkins‘ und Wilsons Repertoire bleiben. Der Ablauf ist in allen drei Takes derselbe: das Ensemble präsentiert das Thema, bridge von Shavers mit Dämpfer, dann Chorusse von Wilson, Shavers und Hawkins, ein neues Riff für den Out-Chorus, in dem Shavers wieder die bridge erhält. Im ersten Take läuft alles gut, bis beim letzten Riff etwas schief geht (Hawkins ist mit einem „Ha!“ zu hören, halb amüsiert, halb verärgert).

Dan Morgenstern (October 1970)“The Old Man“ is what they called him, even before he began to look it. The whole point, in fact, was that he didn’t look it, didn’t act it, and most certainly didn’t sound it. It just seemed as if he’d always been there; after all, he’d started young, and even men his juniors by only a few years called him „old man“ with affectionate respect giving rise to countless put-ons and jokes about age. „I was in kneepants when I first heard you,“ Ben Webster (five years yonger) once told Hawk. „That was my father you saw,“ was the response. „I wasn’t born then.“ And he pulled out his cabaret card, on which his birthday was registered in 1912. When he was 13, he once said, he had a mustache and a mature man’s voice.

(aus den Liner Notes zu Prestige 7824, wieder abgedruckt im Booklet der oben abgebildeten CD „Bean and the Boys“)


19. Oktober 1944 | New York City | Coleman Hawkins Quartet (Joe Davis) – Einen Tag später fand Hawkins sich erneut im Studio ein, um eine weitere Session für Joe Davis einzuspielen. Denzil Best ist erneut mit von der Partie, Bass spielt ein gewisser Edward „Bass“ Robinson, doch bemerkenswert ist die Session vor allem wegen des Herrn am Klavier: Thelonious Monk macht hier sein Plattendebut. Mit diesem Quartett spielte Hawkins in der Zeit im Onyx Club an der 52nd Street. Die Session findet man u.a. in der abgebildeten Box mit Monks kompletten Prestige-Sessions (die Aufnahme gehörte später Fantasy, ich weiss allerdings nicht, ob das für das ganze Joe Davis-Label gilt oder nur für diese Monk-Session), der ebenfalls abgebildeten „Bean and the Boys“ (ebenfalls Prestige bzw. Fantasy) oder auch auf der Chronological Classics „Coleman Hawkins 1944-1945“.

Peter KeepnewsHawkins as much as any jazz musician transcended styles and eras. His willingness to hire a modernist like Monk – whose work here, especially in his dazzling solo on „Flyin‘ Hawk,“ is instantly identifiable and shows more than a hint of the harmonic adventurousness that would come to define his playing – was completely in character. Hawkins embraced Monk’s approach to the piano at a time when many of his contemporaries viewed it with skepticism or even hostility; his stamp of aproval provided many listeners, young [Bob] Weinstock [der 1949 Prestige Records gründete] among them, with an introduction to the music of Monk and many other young practitioners of the new sound that came to be know as bebop.

(aus den Liner Notes zur abgebildeten Monk 3-CD-Box)

Dem ersten Stück der Session, „On the Bean“ (alle vier Stück der Session sind Walter Thomas zugeschrieben – nehme mal an, dass das in diesem Fall nichts mit Komponieren zu tun hat), liegen die changes von „Whispering“ zugrunde (wie zuvor schon Hawkins‘ „Stumpy“). Das Klavier-Intro klingt schon stark nach Monk. Hawk phrasiert ebenmässig, sein Ton klingt zunächst etwas flacher als sonst, aber er legt zu – die Aufnahmequalität reicht nicht an die Keynote-Sessions heran (von Best hört man oft überhaupt nichts, das Rauschen übertönt die Cymbals gänzlich). Monk spielt ein kurzes Solo – „Thelonious“ klingt darin an, und ein paar seiner typischen Läufe sind auch bereits zu hören. Sonst gehört das Stück ganz Hawkins, der im zweiten Solo nochmal zulegt.

Als zweites ist „Recollections“ zu hören, eine Ballade, in der Hawkins‘ Ton wieder unglaublich satt und schön klingt. Meisterhafter Romantizismus, auch wenn Hawkins in double time oder triolische Phrasen ausbricht, leidet sie Stimmung keine Sekunde darunter. „Flyin‘ Hawk“ ist das dritte Stück, ein mittelschneller 4/4-Swing. Hawkins spielt so lange Phrasen, dass man sich wundert, wie er das hinkriegt (das war schon in der Quintett-Session mit Clayton da und dort der Fall). Monk spielt hier einen ganzen Chorus – und man erkennt ihn in der Tat sofort und ganz unmissverständlich. Da sind diese absteigenden Ganztonläufe, die eigenwillige Rhythmik, die harmonische Waghalsigkeit – alles schon da! Hawkins legt auch hier nach dem Klaviersolo nochmal nach, das Stück endet ohne Wiederholung des Themas (so die Melodie, die zu Beginn nach Monks Intro erklingt, überhaupt als Thema zu betrachten ist … es klingt so, als könnten nur gerade die erste Phrase und die changes festgelegt worden sein – letztere klingen vertraut, aber leider weiss ich nicht, auf welchem Stück sie beruhen). Monks Solo ist allerdinsg wirklich bemerkenswert, es lohnt, wie ich es gerade mache, die Session mehrfach zu hören, dieses Stück noch häufiger, um ein Gefühl dafür zu kriegen, wie diese Band geklungen hat (zwölf Minuten sind besser als nichts, aber hört man sie nur einmal, ziehen sich doch viel zu schnell vorüber).

De Abschluss macht „Drifting on a Reed“, eine Ballade mit reifem Hawkins. Monk etabliert auch hier in den paar Takten des Klavier-Intros seine ganze Persönlichkeit – selbst wenn die Begleitung danach vergleichsweise unauffällig abläuft (aber sich doch sehr deutlich z.B. von Teddy Wilson abhebt, der in mehreren Sessions gleich davor zu hören war). Doch das hier ist Hawkins‘ Show und der macht das beste daraus – sein Ton ist leidlich gut eingefangen, übrigens auch der von Bassist Robinson (über den Dan Morgenstern in seinen Liner Notes von 1970 auch nicht mehr zu berichten weiss, als dass er auch noch in der nächsten Band von Hawkins dabeigewesen sei).

Am 20. Oktober stieg der nächste „Music Till Midnight“-Broadcast, wieder mit Mildred Bailey und einer ähnlichen Band. Hawkins gastiert auf „Yesterdays“ – und ich kenne auch diese Aufnahme nicht. Baileys Chronological Classics-CD „1943-1945“ enthält vom Konzert jedoch zwei Stücke ohne Hawkins, die auf V-Disc erschienen sind, „Hold On, Keep Your Hand On the Plow“ und „Summertime“.

14. November 1944 | New York City | Cozy Cole’s All Stars (Continental) – Im November nahm Hawkins drei Sessions für das kleine Label Continental auf, die ersten beiden unter der Leitung von Cozy Cole, die letzte dann unter Leonard Feathers Aufsicht. Chronological Classics hat Coles Sessions von 1944/45 auf zwei CDs versammelt („1944“ enthält die zuvor erwähnten Sessions, auch jene für Savoy, die ich nicht kenne – aber da suche ich eher gelegentlich nach der Arista Doppel-LP aus den Siebzigern, statt 30€ für eine CD auszugeben, auf der dann noch der eine oder andere Alternate Take fehlt). Die drei Sessions finden sich – mit den im Hinblick auf Hawkins wichtigen Stücken zumal – auch in der Mosaic-Box „Classic Coleman Hawkins Sessions 1922-1947“ und komplett auf „The Continental Sessions Volume 2“ (Cole) bzw. „Volume 3“ (Feather) von Storyville. Die Feather-Session ist auch auf der ebenfalls bereits erwähnten und abgebildeten Doppel-CD „Summit Meetings“ von Frémeaux zu finden.

Die Arrangements zur wenig herausragenden Session stammen erneut von Walter „Foots“ Thomas (zu dessen Schülern u.a. Ornette Coleman und Jackie McLean gehörten – und hier ist „Schüler“ bzw. „Lehrer“ wohl wörtlich zu verstehen). Die Band klingt routinierter als man es sich wünschen würde. Grimes/Stewart hatten gerade ein Jahr im Trio von Art Tatum beendet und sind in allen vier Titeln solistisch zu hören. Cole selbst langt v.a. in „Look Here“ zu, streut kleine Riffs aus der maching band Tradition ein, was Charlie Shavers zu einem lauten, zupackenden Solo animiert. Hawkins streut ein Zitat von „Ortnithology“ ein, desses Komponist, der Trompeter Benny Harris, in dieser Zeit immer wieder in Hawks Band spielte.

Hawkins ist gut in „Willow Weep for Me“, es macht den Eindruck, als setzte die Aufnahme mitten in einem längeren Solo ein, so animiert ist er von Beginn an. Schön die Ballade „I Don’t Stand a Ghost of a Chance“ mit ein paar ungewöhnlichen Akkorden im Arrangement. Bemerkenswert ist hier der schöne Ton von Hank d’Amicos Klarinette. „Take It On Back“ (wie „Look Here“ Cole-Thomas-Hart zugeschreiben, letzterer ist der Pianist der Session, Clyde Hart) macht den Abschluss. Thomas selbst spilet auch mit, ist aber nicht solistisch zu hören. Eine sehr routinierte Sache, insgesamt, und damit eine der schwächsten Sessions dieses tollen Jahres.

21. November 1944 | New York City | Cozy Cole’s All Stars (Continental) – Besser ist die zweite Session, in der Don Byas hinzustösst, der die meiste Zeit im Frühling und Sommer neben Monk und Best mit Hawkins‘ Band an der 52n Street zu hören war. Eine richtige Battle mit Byas sucht mal leider auch hier vergeblich, aber in „Memories of You“ hört man die beiden immerhin im Kontrast. Im Thema ist v.a. d’Amicos Klarinette präsent, dann spielt Byas das erste Solo. Wie immer wirkt er kontrollierter, ebenmässiger als Hawkins – aber er überzeugt! Shavers trägt dann leider wieder eine Spur zu dick auf, Grimes spielt ein seltames pentatonisches Solo, und dann folgt Hawkins mit einem schönen Solo.

„Comes the Don“ gehört dann allein Byas – darum fehlt es in der Mosaic-Box konsequenterweise auch. Shavers soliert in diesem mid-up-Stomp seltsamerweise zurückhaltender als in der Ballade zuvor. Das Ensemble wird einmal mehr von Hank d’Amico angeführt, der aber in beiden Sessions ein wenig wie ein Fremdkörper wirkt. Dann erklingt „When Day Is Done“, ein hübsches Arrangement von Thomas mit gestopfter Trompete von Shavers und warmen Holzbläsern, angeführt wieder von d’Amico. Pianist Johnny Guarnieri (der für diese zweite Session Clyde Hart ersetzt) spielt ein paar Takte, darunter Grimes‘ Gitarre, dann ein kurzes Solo von d’Amico – neben dem oben erwähnten „Ghost“ wohl sein bester Beitrag zu diesen Sessions. Hawkins spielt dann ein sehr tolles Solo – leider kam keiner auf die Idee, hier auch Byas etwas Raum zu geben. Stattdessen ein paar Takte von Stewart und dann zurück zum Thema.

Den Abschluss macht „The Beat“, ein seltsames Stück, in dem Cole seine ganzen Tambouren-Künstle präsentiert, das aber streckenweise auch wie eine weitere „Mop Mop“-Nummer klingt. Für kurze Soli (Byas – oder doch Hawkins? -, d’Amico, Shavers wieder eher geschmacklos) wechselt der Beat jeweils in einen swingenden 4/4, doch die Marschmusik kehrt immer wieder zurück. Beim zweiten kurzen Tenorsolo – wohl Hawkins, aber sicher bin ich mir hier nicht – bleibt der Beat eine Weile im 4/4, auch für Grimes und dann Stewart. Den Abschluss machen dann aber wieder Trommelwirbel und das fanfarenartige Thema. Mehr Novelty den Musik.

Für Fans des Tenorsaxophons wie mich enthält die Storyville-CD noch weitere schöne Aufnahmen. Auf die beiden Cole-Sessions folgen drei von Hot Lips Page, eine erste mit Lucky Thompson (sowie Vic Dickenson, Hank Jones u.a.), eine zweite mit grosser Besetzung u.a. mit Buck Clayton, J.C. Higginbotham, Benny Morton, Earl Bostic, Don Byas und Ben Webster, die dritte dann mit Higginbotham, Byas, Bostic und (bis auf Pianist Rufus Webster unbekannter) Rhythmusgruppe. Den Abschluss machen dann Timme Rosenkrantz and His „Barons“ u.a. mit Charlie Venture, Harrey Carney und Red Norvo (die Aufnahmen stammen alle von 1944/45).

1. Dezember 1944 | New York City | Leonard Feather and His All Stars (Continental) – Die dritte Continental-Session ist eine erneute Steigerung, aber an die besten Aufnahmen aus der Zeit reicht sie dennoch nicht heran. Leonard Feathers Regime – es handelt sich auch hier wieder um eine Session mit Siegern des Esquire Polls – mag den Unterschied ausmachen, aber auch die etwas passendere Band: Buck Clayton und Edmond Hall harmonieren wesentlich besser mit Hawkins als Shavers und d’Amico. Feather selbst sitzt am Klavier, Remo Palmieri spielt Gitarre, Oscar Pettiford ist zurück am Bass (auf zwei Stücken ergänzt ihn Carl Powell) und Specs Powell spielt Schlagzeug. Die Mosaic-Box enthält zwei der vier Titel, den „Esquire Jump“ und „Thanks for the Memory“. Alle vier sind auf der abgebildeten Storyville-CD oder der erwähnten Doppel-CD von Frémaux zu hören.

„Scram“ macht den Auftakt und klingt, mit Verlaub, etwas müde. Doch das Stop-and-Go-Thema ist nicht unattraktiv, wenn die Band erst in die Gänge kommt. Clayton verziert (mit Dämpfer), auch die Gitarre von Palmeri ist recht prominent zu hören. Clayton bläst das erste Solo (ohne Dämpfer, aber immer noch sehr lyrisch). Hawkins setzt mit einer Begleitung ein, die Clayton noch mehr anzutreiben scheint – er überzeugt hier sehr (und hat v.a. nicht nötig, in pyrotechnische Geschmacklosigkeiten à la Shavers auszubrechen). Die Rhythmusgruppe unterstützt den einzigen Solisten sehr, zum Schluss erklingt nochmal ein Teil des Themas.

Weiter geht es mit dem „Esquire Stomp“, Palmieri öffnet mit ein paar Tönen, dann spielt das Ensemble das hübsche Riff-Thema, charmant arrangiert. Im „Esquire Jump“ ist Hawkins dann mit einem feinen Chorus zu hören, von Specs Powell aktiv unterstützt. In den zweiten acht Takten entfernt sich Hawkins von den changes und spielt stattdessen mit Skalen. Edmond Hall spielt danach seinerseits ein tolles, überschwängliches Solo. Den Abschluss macht dann das grosse Hawkins-Feature, „Thanks for the Memory“. Die Begleitung ist einengend, aber Hawkins lässt sich nicht beirren und reiht eine schöne Phrase an die andere und sein Ton klingt wieder wie von einem anderen Planeten!

Die dritte Storyville-CD mit CD mit Continental-Aufnahmen öffnet mit einer Session von J.C. Heard (mit Budd Johnson), enthält nach der erwähnten Feather-Session noch Stücke von Feather mit dem Pianisten Dan Burley (und Rhythmusgruppe), Aufnahmen von Sarah Vaughan u.a. mit Dizzy Gillespie und Charlie Parker, Flip Phillips, Tadd Dameron und Max Roach, eine Session des Eddie South Trios sowie eine der Mary Lou Williams Girl Stars (Aufnahmen von 1944-47). Der Vollständigkeit halber: Vol. 1 enthält Aufnahmen aus dem Jahr 1945 von Edmond Hall and His Café Sodiety Orchestra, Clyde Harts All Stars (mit Dizzy Gillespie, Trummy Young, Charlie Parker, Don Byas) und des Slam Stewart Quintet (mit Red Norvo und Johnny Guarnieri)


George Wettling, Museum of Modern Art, NYC, 1947 (Photo: William P. Gottlieb)

12. Dezember 1944 | New York City | George Wettling’s New Yorkers (Keynote) – Im Dezember kam es noch zu einer letzten Session mit Hawkins Beteiligung für Harry Lims Keynote. Zwar kam wieder das 12″-Format zum Einsatz, doch die Stücke bewegen sich zwischen drei und vier Minuten Dauer. Wettling war bekannt als Drummer des Chicago-Jazz – sowohl des orignalen der Zwanzigerjahre wie auch der NYC-Variante um Eddie Condon. Ein grossartiger Drummer mit vielfältigen Erfahrungen in der Swing-Ära: Artie Shaw, Bunny Berigan, Paul Whiteman, Benny Goodman. Hier traf er auf seinen alten Freund Jack Teagarden (tb, voc), neben Hawkins sind auch Trompeter Joe Thomas und Hank d’Amico erneut mit von der Partie. Die Rhythmusgruppe wird von Herman Chittison und Billy Taylor komplettiert.

Teagarden war mit seiner erfolglosen Big Band gerade für zwei Wochen in New York und nahm die Gelegenheit wahr, einige Sessions aufzunehmen. Am selben Tat wie diese Keynote-Session nahm er auch mit Condon für Decca auf. Hawkins kannte er aus dem Roseland Ballroom aus den späten Zwanzigern. Chittison kehrte 1940 aus Europa zurück und dies war danach seine einzige Sideman-Session, sonst nahm er solo oder mit einem eigenen Trio auf. Seine Soli sind gut, aber als Begleiter wirkt er nicht glücklich.

In den zwei Takes von „Home“ steht Teagardens Gesang im Zentrum, wir hören auch ein paar Takte seiner Posaune. Ansonsten sind Hawkins und Thomas in toller Form, aber auch d’Amico und Chittison sind zu hören. Von „Too Marvellous for Words“ hören wir drei Takes, die ziemlich unterschiedlich geraten sind. Die Solo-Reihenfolgte ist stets Teagarden, d’Amico, Thomas, Chittison, Hawkins. Der erste Take ist der schnellste, Wettling spielt ein Intro und im letzten Chorus ein 16-taktiges Solo. Der zweite Take iat weniger schnell, Chittison spielt das Intro und im letzten Chorus ist in der bridge die Rhythmusgruppe mit Taylors Bass prominent zu hören. Im dritten, wieder etwas rascheren Take öffnet das Ensemble mit Stop-Time-Breaks von Teagarden und so endet das Stück dann auch wieder. Die bridge im letzten Chorus gehört erneut der Rhythmusgruppe. Hawkins‘ Solo unterscheidet sich stark. Teagarden wirkt im ersten Take, als sei ihm das Stück nicht vertraut – und das Tempo zu schnell. Thomas soliert in allen drei Takes hervorragend.

In „You Brought a New Kind of Love to Me“ klingt Teagarden dann wieder gut, spielt im ersten Chorus die bridge und singt in seiner typisch entspannten Art (besser im ersten der zwei Takes). Hawkins öffnet das Stück und präsentiert in den ersten sechzehn Takten das Thema. D’Amico soliert flüssig, irgendwo zwischen Goodman und Shaw, und Thomas steuert erneut feine Soli bei. Er ist auch in der ganzen Session sehr gut, was den Lead in den Ensembles anbelangt. Man versteht, warum Harry Lim ihn so schätzte – und bedauert, dass er nicht bekannter geworden ist.

Den Abschluss der Session – und somit von Hawkins‘ Keynote-Aufnahmen – macht ein einzelner Take von „Somebody Loves Me“. D’Amico ist hier abwesend. Das Tempo ist rasch, Chittison (ein Chorus), Teagarden und Hawkins (je zwei Chorusse) spielen gute Soli. Thomas (ein Chorus) ist aber auch hier der glänzendste Solist, für einmal weit weg von der Melodie der Vorlage kommt er mit den changes bestens zurecht. Erwähnt sei auch die feine Begleitarbeit von Leader Wettling, der sich durchaus anpassungsfähig zeigt und die Solisten ganz nach ihrem jeweiligen Geschmack zu bedienen weiss.

Diese Session mag Ende 1944 wie ein Schlusspunkt klingen, doch Hawkins sollte später wieder zu seinen Gefährten aus der Swing-Ära zurückfinden und neben modernen Sessions auch wieder Alben mit Musikern wie Vic Dickenson, Joe Thomas, J.C. Higginbotham, Johnny Hodges oder Tiny Grimes aufnehmen, auch Aufnahmen mit Red Allen sollten weitere entstehen (die habe ich allerdings als reichlich seltsam abgebucht; abwarten, wie sie diesmal auf mich wirken). Wie schon mehrmals erwähnt spielte er auch regelmässig mit Roy Eldridge und trauf auch wieder auf den morderneren Spielarten des Jazz ebenfalls nicht abgeneigten Earl Hines.

15. Dezember 1944 | New York City | Mary Lou Williams and Her Orchestra (Asch) – Die nächsten beiden Sessions nahm Hawkins für das Label von Moses („Moe“) Asch auf. Er nahm in erster Linie Blues auf, sein Label benannte er später in „Folkways“ um. Mary Lou Williams stand damals bei Asch unter Vertrag und die erste Session mit Hawkins fand unter ihrer Leitung statt. Wie Hawkins‘ ging auch Williams Karriere bis in die Zawnzigerjahre zurück, beide wirkten in wesentlichen Big Bands (Williams in der von Andy Kirk) mit, hatten Swing-Sessions aufgenommen und waren am aufkommenden neuen Jazz interessiert. Die Band kam eher zufällig zusammen. Hawkins brachte seine Rhythmusgruppe mit (Edward „Bass“ Robinson und Denzil Best), Williams brachte ihren damaligen Trompeter – und alten Bekannten von Hawkins – Bill Coleman mit. Zufällig waren auch noch Claude Green (tb) und Joe Evans (as) anwesend.

Als erstes nahm Williams ein Stück mit dem seltsamen Titel „Carcinoma“ im Trio mit Coleman und dem Bassisten auf (Anatol Schenker nennt in den Liner Notes zur abgebildeten CD Al Hall, doch die Diskogarpaie nennt Robinson für die ganze Session). Hawkins ist in Williams‘ „Song in My Soul“ der Hauptsolist, liefert ein weiteres beeindruckendes Balladen-Solo ab. „This and That“ folgt, ein Ensemble-Stück mit den Bläsern. Diese und besonders das abschliessende „Lady Be Good“ sind früher Bebop, auch wenn die Bläsersätze in „This and That“ dafür etwas zu fröhlich klingen, fast eher wie eine Jump-Nummer. Coleman schlägt sich auf diesem ungewohnten Territorium wacker aber nur teilweise erfolgreich (hier wäre nun, so man keinen früheen Bebopper wie Idrees Sulieman oder Kenny Dorham auftreiben konnte, Charlie Shavers die bessere Wahl gewesen). Hawkins aber greift in die Vollen und als ganzes funktioniert das Stück schon. Besser ist dann „Lady Be Good“ – das Thema wird gar nicht erst präsentiert, stattdessen erklingt das Motiv, das später als „Rifftide“ in die Bop-Annalen einging. Hawkins spielt es zusammen mit Coleman (die anderen Bläser setzten aus) und übernimmt die Bridge, Williams dann das erste Solo. Sie klingt wie eine Mischung aus Wilson und Monk, mit Anklängen von Earl Hines – oder eben wie: Mary Lou Williams. Robinson ist erneut sehr präsent und Williams tritt in einen Dialog mit ihm, bevor Coleman übernimmt – und sich wesentlich besser schlägt („Lady Be Good“ war ja schon bei Swing-Musikern beliebt, erwähnt sei nur die grossartige Aufnahme von Lester Young und Count Basie 1936). Hawkins wirkt hier dafür etwas sketchy, kommt nicht recht in die Gänge, scheint sich in ein kleines Motiv zu verrennen, bevor er sich etwas fängt, gestützt auch von Williams. Eine seltsame Session des „Zwischen“ – aber Moe Asch war’s zufrieden, vier Wochen später nahm auch Hawkins für ihn auf.

11. Januar 1945 | New York City | Coleman Hawkins and His Orchestra (Asch) – Hawkins‘ eigene Asch-Session ist auf die Chronologicals „1944-1945“ und „1945“ aufgeteilt. Er nahm seine neue Band mit ins Studio: Howard McGhee (t), Charles Thompson (p), Robinson und Best. McGhee gehörte zu den ersten, die den Bebop so richtig begriffen, wie sein Solo im Opener „Sportsmen’s Hop“ beweist. Thompson, der Komponist des Stückes, ist im neuen Stil auch mehr zuhause denn die eigentlich zeitlose Mary Lou Williams, und Hawkins scheint inzwischen auch schon besser damit zurechtzukommen, dass er selbst moderne Impulse geben soll/will (und sie nicht von Sidemen empfangen und aufgreifen kann, wie in früheren Sessions).

Noc boppiger geht es in „Bean Stalking“ zu und her, einem Riff-Tune von Hawkins. Auf die konventionelle Einleitung folgt ein schroffes Thema und „Maggie“ legt sogleich mit einem phantastischen Solo los. Thompson folgt, noch sparsamer als im ersten Stück, dann Hawkins, der sich hier kaum um Stilgrenzen zu scheren scheint und einfach drauflosspielt. Dann eine Ensemblepassage mit sehr leisen Unisono-Linien der Bläsern und prominenten Piano-Arpeggi … Robinson ist prominent im Mix, von Best kann mal leider wieder einmal nur wenig hören, der Klang ist aber sehr viel besser als auf der Williams-Session (kann natürlich sein, dass es bessere Ausgaben als die Chronological-CD gibt, aber das weiss ich nicht).

„Ready for Love“ von McGhee ist ein mittelschnelles Stück mit einem längren Intermezzo von Thompson, der hier noch mehr glänzt als zuvor. Hawkins wird von einer kleinen arrangierten Passage angekündigt und spielt ein tolles Solo – ob das nun Bop ist oder nicht, keine Ahnung (ich sage eher: nein), aber er kommt in diesem Umfeld mühelos zurecht und klingt überhaupt nicht langweilig, auch auf der rhythmischen Ebene nicht, obwohl er wesentlich weniger unregelmässig und zerklüftet phrasiert als McGhee. Die abschliessende Solo-Kadenz hat es jedoch wieder in sich!

Die Session geht mit „Ladies Lullaby“ weiter, dem zweiten Stück aus Thompson Feder, in dem dieser mit einer eigenwilligen Einleitung aufhorchen lässt. Hawkins soliert in der Bridge im Dialog mit dem Pianisten, überlässt McGhee dann das erste Solo (er spielte, das ist längst klargeworden, am liebsten als letzter – das Vorrecht des Leaders, wobei andere lieber als erste solieren). Dann folgt Hawkins, die letzte bridge gestaltet er wieder im Dialog mit Thompson. Auch „The Night Ramble“ ist boppig, es stammt wie die abschliessende Ballade „Leave My Heart Alone“ von Hawkins. In „The Night Ramble“ werden kürzere Soli von Ensemble-Passagen eingebettet, auf Hawkins‘ kurzes Solo folgt eine arrangierte Piano-Passage, dann wieder das Ensemble und nochmal Thompson. Eine raffinierte Sache, auch wenn das thematische Material wenig abwechslungsreich ist. Die obligatorische Ballade zum Abschluss ist vom Tempo her vielleicht eine Spur zu schnell geraten, aber Hawkins spielt wie immer mit Autorität, Thompson hält die Begleitung spannend.

Eigentlcih greife ich bereits vor, wenn ich diese Session hier noch erwähne – sie gehört eher schon zum NàCHSTEN Kapitel, in dem Hawkins mit seiner Band den Bop nach Kalifornien bringt (er war nicht der erste oder einzige, klar, aber sicherlich waren sein Gastspiel und seine Aufnahmen für Capitol einflussreich – doch dazu mehr im nächsten Post). Doch ein Session will hier noch erwähnt sein.

ca. Januar 1945 | New York City | Coleman Hawkins (Baronet/Selmer) – Irgendwann im Januar nahm Hawkins zum ersten Mal unbegleitet auf. Man erinnert sich, dass er früher Cello gespielt hat, dass er Bach liebte, und Pablo Casals … der Vergleich mit den Cello Suiten mag hoch gegriffen sein, aber er liegt zugleich auf der Hand. Hawkins begann wie erwähnt während seiner Zeit in Europa, seine Konzerte mit Solo-Passagen zu öffnen und zu schliessen, es ist möglich, dass er das schon zu seinen Zeiten bei Mamie Smith tat.

In „Hawk’s Variations“ (der Titel ist viel zu bescheiden) benutzt er ein kleines aufsteigendes Riff, um die gut viereinhalbminütige Exkursion zu strukturieren. Das Resulstat ist faszinierend und beeindruckend. Drei Jahre später sollte er für Verve jedoch „Picasso“ nachlegen, seine definitive Solo-Performance, in der Bach als Referenz dann wirklich nicht mehr zu hoch gegriffen ist. Die Aufnahme wurde von Baron Timme Rosenkrantz gemacht, einem Hawkins-Anhänger seit den Dreissigerjahren. Die Aufnahme erschien in Dänemark auf Baronet und in Frankreich auf Selmer und erst viel später in den USA (was zur falschen Annahme geführt haben mag, es handle sich um eine Probe für „Picasso“ – das Hawkins in zwei langen Studio-Sessions minutiös vorbereitet und geprobt hat, aber ausser dem Master ist nie etwas davon erschienen, vermutlich ist auch nichts davon erhalten geblieben).

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