Re: Ich höre gerade … Electronica

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friedrich

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Guido Möbius – Dishoek (2005)

Zufall. Als ich gestern mit dem Fahrrad durch Kreuzberg fuhr, sah ich an einem Laternenpfahl einen Flyer, auf dem im 33 rpm Store bzw. dem damit in Symbiose existierenden Café Mukkefukk ein samstagnachmittäglicher Auftritt von u.a. Guido Möbius angekündigt wurde. Ich bin also spontan in die Veranstaltung reingeplatzt. Durch ein paar mehr oder weniger dumme Fragen („Wer spielt denn da?“) kam ich erst mit einem Menschen aus dem Publikum, dann mit dem Ladeninhaber und sogar mit Guido Möbius persönlich, der sich als sehr entspannter und freundlicher Mensch erwies, ins Gespräch. Die Grundregel des Konzertes war, dass jeder der drei auftretenden Musiker nur jeweils ein Instrument benutzen durfte: Der erste trat mit einer Resonatorgitarre auf, der zweite mit einem Cello. Guido Möbius spielte auf dem selbsterfundenen und –gebauten Kappaphon, einem metallischen Topfdeckel (?), über den er 2 Saiten gespannt hatte, Welthits von The Girl From Ipanema bis Black Sabbath, die das Publikum erraten musste, was auch meist unter Applaus gelang. Eine lustiger Nachmittag bei eigenartiger Musik, Kaffee, Kuchen, Erdnüssen und Mandarinen in netter Gesellschaft also.


Guido Möbius (hinten rechts) spielt unterstützt vom Inhaber des 33 rpm Stores Welthits auf dem Kappaphon

Aber bis jetzt noch nichts Elektronisches, oder? Wie bekomme ich jetzt noch die Kurve? Ebenso zufällig wie ich in das erwähnte Konzert geriet, ist mir vor vielen Jahren mal Guido Möbius‘ Album Dishoek in die Hände gefallen. Beim Stöbern im Plattenladen fiel mir das Cover auf, ich hörte rein und griff zu. Dishoek hört sich an wie Electronica, die im Hobbykeller oder sogar im Kinderzimmer zusammengebastelt wurde. Gitarre, Bass, eine Trompete, eine Violine, eine human beatbox und – ja – wohl auch etwas elektronisches Gerät, das alles aber anscheinend anders gebraucht als vom Hersteller vorgesehen und zu genial dilettantisch wirkenden musikalischen Miniaturen montiert. Electronica fast ohne Elektronik. Als ich Guido Möbius meinen Eindruck von seinem Album Dishoek schilderte, erwiderte er, dass genau das seine Absicht war. Dishoek hat etwas improvisiertes, unfertiges, schräges, scheint weder einer Songstruktur noch den Klischees elektronischer Musik wie loops und beats zu folgen und gewinnt gerade daraus seine Originalität und seinen Charme. Post Electronica oder Electronica Brut oder so.

Edit: Noch besser ist aber: Do-It Yourself-Unplugged-Electronica, so paradox das auch klingt.

Hier kann man Dishoek anhören und erwerben.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)