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soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"
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bullschuetzAlles richtig, natürlich ist das nicht ausgemacht, dass Sam Cooke noch Großes vollbracht hätte. Und dass „die Musik“ eine andere Richtung eingeschlagen hätte, glaube ich auch nicht. Ich wäre schon zufrieden mit ein paar mehr grandiosen Platten von Sam Cooke. Und dass das bei ihm drinlag, finde ich zumindest naheliegend, wenn ich seine Entwicklung betrachte.
Die „Ranschmeiße“ an den Markt stand bei ihm ja am Anfang der Popkarriere, gleich nach der Gospel-Zeit. „You send me“: großartig einerseits, aber andererseits schon heftig in Geigen eingeweicht, ein krasser Weichspülerfall, wenn man es mit der Gospel-Verve von, sagen wir mal, „Were you there?“ vergleicht. Das war ein ganz klar kalkulierter Karriere-Move: den Crossover-Markt öffnen und dabei auch ziemlich radikale Zugeständnisse an Hörgewohnheiten machen, Kanten abschleifen. Genauso generalstabsmäßig geplant war der Einzug ins Weißer-Nachtclub-Ambiente des Copa: personelle Ergänzung der Band, auf Differenziertheit statt emotionale Wucht setzendes Zusammenspiel und Arrangement, grundstürzend veränderte Songauswahl, heftige Dämpfung des Gospel-Furors, Parlieren statt Einpeitschen, Gala statt Gottesdienst, Betonung des Samtigen, Zurücknahme des Rauen, Kehligen, Wuchtigen. Zusammengefasst kann man da schon sagen: Da tut einer alles, um sich neue Publikumsschichten zu erschließen.
Das Faszinierende an Cooke ist aber: Er verliert darüber nicht seine künstlerische Potenz. Er verrät und verkauft sich nicht, sondern gewinnt an Selbstvertrauen. Sein künstlerischer Werdegang lässt sich eben genau nicht als Niedergang beschreiben, sondern erreicht 1963/64 gerade neue Höhen. Der kommerzielle Erfolg verschafft ihm eine Unabhängigkeit, die er in dieser Zeit zu nutzen beginnt, um „freier“ zu musizieren. Er nimmt im Harlem Square auf (auch wenn er diese Soulmese zunächst nicht veröffentlicht, vielleicht, weil ihm die Ausstellung derartiger Erdigkeit nicht als kluger Karriereschachzug erscheint). Schafft mit Night Beat einen ganz, ganz großen Wurf, findet dabei zu einer umwerfenden künstlerischen Abgeklärtheit. Lässt sich von der Entdeckung, dass das Popsong-Format so viel mehr Möglichkeiten als I love you etc pp bietet, infizieren. Hört Dylans Blowing in the Wind und ist derart perplex dass er … nein, eben nicht verstummt, sondern eine Art Antwortsong schreibt, einen Echosong, A change is gonna come. Sein erstes Wagestück in diese Richtung – und gleich ein solch epochaler Treffer. Meine Güte, da muss man sich doch die Frage stellen, was der sich da noch alles aus dem Ärmel hätte schütteln können.
Wenn ein für Zeitstimmungen so feinnerviger Musiker wie Cooke nun erstens bemerken würde, dass Mitte der 60er Jahre Musiker und Bands allerorten plötzlich so viel mehr aus dem Popsetting rauszuholen beginnen, als bislang üblich war; und wenn ein derart marktbewusster Musiker wie Cooke nun zweitens bemerken würde, dass künstlerische Konsequenz und kommerzieller Erfolg kein Widerspruch sind, sondern explizit schwarze, null anbiedernde Musik plötzlich massenkompatibel wird – dann, denke ich mir eben, müssten in einer derart doppelt stimulierenden Zeitgeistumgebung weitere Glanztaten einfach in der Luft liegen.
Klar, nicht beweisbar.
Ja, das hast Du analytisch wiklich fein durch- um nicht zu sagen erleuchtet, jedoch bleiben halt die „was wäre wenn“ Ergebnisse immer…… Annahmen…..
Ich tendiere manchmal dazu hervorragende (reale) Ergebnisse gedanklich dadurch zu optimieren, in dem ich etwaige Schwachstellen begründe/argumentativ ausmerze. Aber Fakt ist, daß die meisten Ergebnisse auf Basis genau dieser Rahmenbedingungen zu einem/diesem Ergebniss geführt haben, womöglich gerade weil es auch Schwachstellen gab……
Wenn ich nun meine Lieblingsmusiker (vieler Genres) überdenke, so fallen mir kaum welche ein, wo aufeinanderfolgend mehrere Produktionen/Produkte immer eine Steigerung zum vorigen Werk dargestellt haben, sogar Aufeinanderfolgendes auf gleich-bzw sehr hohen Niveau kommt relativ selten vor – und so wie (treffend von Dir beschrieben) Sam Cooke schon wie bis zu seinem Ableben die Strippen gezogen hat, war mglw. auch ein auf der Stelle treten oder eine künstlerische Atempause immanent…who knows…..
Während ich hier diese Zeilen schreibe, ist mir Bobby Womack eingefallen, welcher nun wahrlich mit viel Talent, einem perfekten Gospelfundament und einem geschmeidigen „Crossover“ in den Soul- bzw Songwritermarkt ausgezeichnet und einem langen Leben aka langen Karriere gesegnet war…und trotz allem Vorgenannten war die (Karriere) wahrlich ein „bumpy ride“…es gab gar nicht so viel Folgerichtiges darin und es passierte Gutes (The Poet !!), als eigentlich Nichts mehr zu erwarten war….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)