Re: Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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soulpopedie sich verändernden Präferenzen.

gypsy tail windKlar, und die hängen wiederum mit der eigenen Entwicklung zusammen

grünschnabelZu Coltrane: […] ist da wohl in der Tat Schluss mit lustig.

ferryDer Wunsch des Pop- Hörers nach einfachen musikalischen Formen, eingängiger Melodie wird mehr oder weniger nicht erfüllt.

Hörerfahrung ist das Stichwort, jedenfalls, was mich betrifft.

Ich zum Beispiel war ursprünglich ein entschlossener Pop-Hörer mit starker Affinität zu Soul einerseits und Singer/Songwriter-Tradition andererseits. Jazz? Verkopftes Gegniedel, Vielnotengehechel, Wichserei – das wusste ich so genau, dass ich es mir gar nicht erst näher anhören musste. Die Tür in den Jazz war dann für mich Mingus – Ah um war unmittelbar anschlussfähig, in Better Git It In Your Soul habe ich spontan Gospel- und Soul-Energien zu hören geglaubt, die mir vertraut waren, da war nichts von dem, was ich in meinen Klischeevorstellungen mit Jazz verband. Die ganz unmittelbare Botschaft an mein Rückenmark lautete: Wow, Jazz kann ja funky sein! Wenn man aber erst mal durch die Tür getreten ist, tun sich weite Landschaften auf. Schon bei Mingus selbst ist so vieles drin, von jazztraditionellen bis jazzavantgardistischen Anknüpfungspunkten, Ellington und noch Älteres einerseits, Free-Musizierweisen andererseits.

Wenn man sich Schritt für Schritt weitertastet, kommen einem Aufnahmen, die man, unvorbereitet reinhörend, unzugänglich gefunden hätte, plötzlich ganz leicht erreichbar vor, man muss quasi nicht einen Berg erklimmen, sondern nur von Treppenstufe zu Treppenstufe gehen. Miles Smiles, Out to Lunch, Spiritual Unity … Und Coltrane? Den Zugang hat mir da zunächst Elvin Jones erschlossen, das Schlagzeugspiel, der Rhythmus, das war für mich emotional nicht so weltenweit entfernt von James Brown, und wenn dessen Grooves mal zehn Minuten tuckerten, kam mir das nie beliebig oder unfokussiert vor, sondern hineinsaugend. Coltranes solistischen Höhenflüge über Jones‘ Groove habe ich erstmal nur so mitgenommen, bevor sie mich mit der Zeit zu begeistern begannen und ich merkte, dass beide zusammen noch viel größer sind.

Hörerfahrung. Im Prinzip funktioniert das so auch jenseits des Jazz: Vom Singer-/Songwriter-Pop oder vom Americana-Pop aus führen so viele Spuren zurück in Country, Folk und weiter zu Bluegrass oder was auch immer. Und so kann es passieren, dass Du bei Cat Stevens angefangen hast und über Dylan bei den Stanley Brothers gelandet bist.

Insofern glaube ich: Wenn jemand sagt, irgendwo sei für ihn Schluss mit der Nachvollziehbarkeit (ob das nun Coltrane sein mag oder George Jones), muss das nicht das letzte Wort sein, vielleicht ist es nur eine aktuelle Momentaufnahme, eine Beschreibung des derzeitigen Hörgrenzverlaufs.

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