Re: Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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ferry

Registriert seit: 31.10.2010

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gypsy tail wind Im Pop kommen Dinge hinzu, die im Jazz weniger wichtig sind, denke ich: Songwriting etwa … ich wäre sehr froh, wenn mehr Mainstream-Jazzer der letzten zwei Jahrzehnte Standards gespielt hätte und spielen würden, oder ältere Jazz-Originals – es gibt viel gutes, nie „gecovertes“ Material! – statt dass sie jede CD mit ihren eigenen, oft nichtssagenden Stücken füllen würden ….

gypsy tail wind
… denn gerade Standards sind zwar sowas wie eine gemeinsame Sprache im Mainstream-Jazz, aber sie sind eben auch IMMER Cover, es gibt natürlich manche Vorlagen, die sich verfestigt haben (diverse Ahmad Jamal-Arrangements aus den Fünfzigern … Jamal hat auch diverse Standards überhaupt erst etabliert) …. z.B. „Star Eyes“ (damit hat Jamal aber nichts zu tun, da braucht es Bläser) wird seit den 50ern immer gleich gespielt – und ist längst tot (aber nicht alle haben das rechtzeitig gemerkt … und wenn einer es wiederbeleben will, gerne doch, aber MIT EINEM NEUEN ARRANGEMENT!) … oder das klassische „Round Midnight“, das fast immer nach der Columbia-Version von Miles gespielt wird … zudem ist das Fundament im Jazz auch bei Standards viel freier, gerade was die Beats und die Basslinien angeht – man spielt natürlich nach gewissen Regeln (die man auch mal etwas freier interpretieren kann, wenn man es hinkriegt, dass es dennch gut klingt … da gab’s ja kürzlich auch diese Story von Herbie Hancock, der sich erinnerte, wie er mit Miles mal einen völlig falschen Ton spielte und innerlich erstarrte – und wie Miles mühelos etwas anschliessen konnte, das den falscen Ton perfekt auffing und nachträglich „richtig“ machte).

Hatte Jamal aber von Beginn an ein kommerzielles Interesse? Er hatte ein Interesse daran, die hippsten Arrangements zu kreieren, die nach Tatum oder Garner kamen, er holte sich zwei Musiker (Israel Crosby und Vernell Fournier), von denen er hoffte, dass sie ihm halfen, in die ihm vorschwebende Richtung zu gehen … das ging auf, das Trio hatte unheimlichen Erfolg und war auch musikalische von allererster Güte – Jamal spielte überdies fast nur Standards … und – das ist wohl eins der Rezepte zum Erfolg – bei aller Hipness und Ausgespaartheit seines Spiels: er spielte sie so, dass die Themen erkennbar blieben. Das ist dann auch eine gemeinsame Sprache mit dem Publikum … aber auch die wurde seit dem Bebop unterlaufen – von den Musikern selbst, von den besten der jüngeren Generation, von denen, die wiederum für unzählige andere Musiker zum Vorbild wurden …

Ich habe mal einige Zitate von Dir rausgesucht, weil ich Deine Meinung zum Thema Standards auch interessant finde.
Die künstlerische Leistung in der Popmusik besteht ja zu einem guten Teil auch im Songwriting, und in der Jazzmusik ist das nicht der Fall? Mir als Hörer von überwiegend Pop- und Rockmusik ist eigenes wiedererkennbares Songmaterial und Melodie schon sehr wichtig. Deshalb habe da auch manchmal beim Jazz so meine Probleme, wenn bei langen Improvisationen das Thema des Stücks irgendwann in so weite Ferne gerückt ist, dass man gar keinen roten Faden mehr hat.
Wenn also eher das Arrangement und vor allem die Improvisation beim Jazz im Vordergrund stehen, dann kann man wohl auch künstlerische Leistungen von Popmusik und Jazzmusik nur sehr eingeschränkt vergleichen.

Zum Thema Standards müsste hier auch mal ein eigener Thread aufgemacht werden !

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