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Nicht_vom_ForumAuch wenn’s hier bisher nicht zum Fremdschämen sondern maximal zur gepflegten Langeweile gereicht hat. (Für die man allerdings auch nicht jung sein muss. Leider war das Irene-Schweizer/Jürg-Wickihalder-Konzert vor ein paar Wochen so ein Fall. Nur als Anmerkung, weil ihr Name oben fiel.)
Davon hielt ich mich bisher fern, kenne Wickihalder gar nicht (und einen anderen regelmässigen Mitmusiker von Schweizer, Omri Ziegele, schätze ich auch nicht sonderlich) … ich ärgere mich zwar über unzähliche verpasste Konzerte von der grossen Dame, aber ich suchte mir halt auch aus, in welchem Rahmen ich sie hören wollte: solo (davon habe ich allerdings dutzende Konzerte verpasst), im Duo mit Pierre Favre, zusammen mit dem Trio 3 … das Where’s Africa Trio (auch mit Ziegele und v.a. Makaya Ntshoko) hätte ich gerne mal gehört, aber auch das habe ich verpasst (und das aktuelle Line-Up – ich glaube auch mit Wickihalder? der taucht auf der ziemlich guten CD, die ich habe, auf ein paar Stücken als Gast auf – ist nicht mehr so reizvoll) .
ferryMan kann bestimmt nicht bestreiten dass aus gut oder sehr gut gemachter handwerklicher Basisarbeit, gepaart mit individueller Klasse der SängerInnen etwas besonderes wird (wie im Fall Motown) Und bei nicht so gut gemachter Arbeit, hört man die kommerziellen Absichten eben schneller raus?
Im Jazz ist es ja bei den Standards nicht unähnlich, aus der guten handwerklichen Basis kann erst mit individueller Klasse etwas besonderes werden. Wobei ja auch bei den nicht so guten Sachen noch keine kommerziellen Absichten zugrunde liegen müssen. Ich meine aber auch im Jazz schon, dass man z.B. auch bei dem einschmeichelnden Sound gewisser Klaviertrios kommerzielle Absichten raushören kann.
Es kommt aber auch darauf an, was man künstlerisch aus der Vorlage macht. Im Fall von z.B. Coverversionen gibt es ja auch etliche Beispiele, bei der die Coverversion das Original übertrifft.
Ich glaube der Vergleich hinkt irgendwie … denn gerade Standards sind zwar sowas wie eine gemeinsame Sprache im Mainstream-Jazz, aber sie sind eben auch IMMER Cover, es gibt natürlich manche Vorlagen, die sich verfestigt haben (diverse Ahmad Jamal-Arrangements aus den Fünfzigern … Jamal hat auch diverse Standards überhaupt erst etabliert) …. z.B. „Star Eyes“ (damit hat Jamal aber nichts zu tun, da braucht es Bläser) wird seit den 50ern immer gleich gespielt – und ist längst tot (aber nicht alle haben das rechtzeitig gemerkt … und wenn einer es wiederbeleben will, gerne doch, aber MIT EINEM NEUEN ARRANGEMENT!) … oder das klassische „Round Midnight“, das fast immer nach der Columbia-Version von Miles gespielt wird … zudem ist das Fundament im Jazz auch bei Standards viel freier, gerade was die Beats und die Basslinien angeht – man spielt natürlich nach gewissen Regeln (die man auch mal etwas freier interpretieren kann, wenn man es hinkriegt, dass es dennch gut klingt … da gab’s ja kürzlich auch diese Story von Herbie Hancock, der sich erinnerte, wie er mit Miles mal einen völlig falschen Ton spielte und innerlich erstarrte – und wie Miles mühelos etwas anschliessen konnte, das den falscen Ton perfekt auffing und nachträglich „richtig“ machte).
Hatte Jamal aber von Beginn an ein kommerzielles Interesse? Er hatte ein Interesse daran, die hippsten Arrangements zu kreieren, die nach Tatum oder Garner kamen, er holte sich zwei Musiker (Israel Crosby und Vernell Fournier), von denen er hoffte, dass sie ihm halfen, in die ihm vorschwebende Richtung zu gehen … das ging auf, das Trio hatte unheimlichen Erfolg und war auch musikalische von allererster Güte – Jamal spielte überdies fast nur Standards … und – das ist wohl eins der Rezepte zum Erfolg – bei aller Hipness und Ausgespaartheit seines Spiels: er spielte sie so, dass die Themen erkennbar blieben. Das ist dann auch eine gemeinsame Sprache mit dem Publikum … aber auch die wurde seit dem Bebop unterlaufen – von den Musikern selbst, von den besten der jüngeren Generation, von denen, die wiederum für unzählige andere Musiker zum Vorbild wurden …
Hal CrovesVollkommen d’accord! Wurde nicht damals schon Thelonious Monk vorgeworfen, er spiele falsch, fehlerhaft, schlecht? Und wäre er nicht längst (zu Recht!) zu einem Jazzgott erhoben worden, könnte man sicher erst recht heute bis ins kleinste Detail sein Spiel niederkritteln; gerade ein so wundervoll verschrobenes Stück wie „In Walked Bud“ wäre vor keiner noch so herablassenden Häme sicher. Und selbst in der klassischen Musik gibt es fundamental gegensätzliche Auffassungen, die in ihrer Schroffheit kaum zu überbieten sind; so wird mir niemand jemals erzählen können, Karajan sei ein besserer Dirigent als Klemperer gewesen, denn letzterer hatte vollkommen Recht, wenn er den Hauptakzent auf die Ausdruckskraft in der Musik legte und nicht auf den perfekten Klang.
Das mit Monk ist in der Tat eine seltsame Geschichte … ich meine, was der Mann spielt, es mag verschroben klingen, aber verdammt nochmal das ist ganz hohe Kunst, das kann kein mittelprächtiger Pianist, mit Schrulle allein hat das gar nichts zu tun! (Ich bleibe dabei, ich finde Schlippenbach in „Monks Casino“ eher überflüssig – auch weil er es nicht auf die Reihe kriegt, relevant zu sein … da und dort ein guter Einfall reicht nicht, Monk-Covern ist etwas vom Unmöglichsten, woran ein Jazzer sich versuchen kann.)
Dass viele Hörer (auch Kritiker, Mitmusiker) lange Zeit nicht merkten, auf welchem Niveau Monk operierte, hängt wohl mit vorgefertigten Hörerwartungen und Einstellungen zusammen – die Monk eben allesamt durchbrach. Seine Stücke gehen auch sonst oft über die Konventionen hinaus, „Criss Cross“ etwa, eins der speziellsten, besteht aus Taktgruppen (ich weiss es nicht auswendig, aber im Gegensatz zu den gängigen 8er-, 12er- oder 16er-Gruppen gibt es Sechser und es gibt längere, 10er oder so, oder 16er, es gibt eine Wiederholung, bei der beim zweiten Mal nochmal ein paar Takte angehängt werden, aber eben nur beim zweiten Mal … das sind Wege, die einer aufgestossen hat – und das haben nicht sehr viele gemerkt … klar, Andrew Hill hat auch sowas gemacht, Max Roach … Brubeck machte ähnliches auf rhythmischer Ebene … aber an sich hielten sich die recht starren Formen (32 Takte AABA in 8er-Gruppen, 12-taktiger Blues, manchmal mit Bridge, also AABA, B ist dann 8-taktig, manchmal auch sowas wie ABAB‘ oder ABAC … manchmal auch nur 16 Takte und manchmal AABA mit 16-Takten B-Teil … es läuft immer auf 4er-Gruppen hinaus und das sind Einheiten, die man einfach „spüren“ kann beim spielen, schon bei 6-Takten wird das merklich schwieriger, bei Musik wie jener von Andrew Hill (oder den Stücken auf Dolphys „Out to Lunch“) ist die Schwierigkeit noch viel grösser … es gibt auch Musik, die nur der Schwierigkeit halber schwierig zu sein scheint, ein solches Konzert durfte ich im Sommer in Willlisau erleben, ich hatte es genannt, man findet es im betreffenden Thread … kam mir vor wie eine Circus-Nummer, die eine Stunde lang dauert … und dass neben mir ein leicht angesäuselter bauchiger und bebrillter Herr sass (aber bartlos) und immer wieder „Rudi!“ rief, passte dazu … mach nochmal Purzelbaum Du langer Lulatsch, soooooo lustig! (Der Herr fand’s wirklich lustig und toll. Ich fand ihn wohl – wenigstens was die Situationskomik betrifft – wesentlich lustiger als die Musik.)
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba