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Nicht_vom_ForumKlar, die Anzahl an Übungs- und Auftrittsstunden die jemand braucht, bevor er „professionell“ klingt, hängt auch vom Talent ab und von der Musik, die er machen möchte (und müssen vielleicht auch nicht einige tausend sein). Mir ging es darum, dass jemand, wenn er mehr machen will als in einer Amateur-Band spielen, handwerklich ein Mindest-Niveau braucht, damit er sich beim Spielen nicht selbst im Weg steht und seine Musik umsetzen kann, das für Amateure m. E. im Jazz kaum zu erreichen ist.
(„Amateur“ hier in der Bedeutung, dass jemand auf die Frage „Was machst Du beruflich“ nicht „Musiker mit Nebenjob“ antwortet sondern „Beruf X und in meiner Freizeit mache ich Musik“)
Das wage ich – naiv hoffend vielleicht – zu bezweifeln. Klar ist es wichtig, zu wissen, woher man kommt (aber dafür muss man nicht unbedingt das komplette Bebop-Vokabular kennen) und wie sich das wiederum dazu verhält, wohin man gehen will … aber ich denke wirklich, dass es diese (auf hohem technischen Level) nivellierende Einheitlichkeit eben vor allem dann braucht, wenn man einfach irgendwo einen Job machen will. Das war aber auch früher schon sehr oft der Fall … die Unterhaltungsmusik in Berlin in zwischen den späten Zwanzigern und den frühen Vierzigern, als die Moden aus den USA und sonstwo reinkamen, die neuen Rhythmen, die neue Tänze, heute Polka, morgen Tango, übermorgen Swing – und das stets auf hohem Niveau und möglichst auch gleich ab Blatt … vielleicht ist der technisch mit allen Wassern gewaschene Jazzschul-Abgänger (der dann z.B. heute in einem poppigen Musical in der Band sitzt, morgen bei Stefan Raab in einer Casting Show und übermorgen mit irgendeiner Big Band Klassiker der Swing-Ära zum besten gibt, bevor er an eine Bebop-Jam-Session mit Freunden verschwindeet) von heute quasi der Gebrauchsmusiker von damals, der Alleskönner, der in jedem musikalischen Rahmen zurechtkommen soll und alles auf ansprechendem Niveau absolvieren kann? Davor habe ich durchaus Respekt, es gab diese Art Musiker ja auch in den besten Zeiten des Jazz (den 50ern und 60ern …. und wenn das bei jemandem die 30er und/oder 40er sind, da gab es sie erst recht, manchmal waren es sogar dieselben, bis in die Siebziger hinein, bis die Studios in LA die Bands durch Synthesizer ersetzten) zuhauf und es gab auch stets Leute, die irgendwie heil und wie es scheint integer durch alles hindurch kamen. Aber es braucht halt immer auch die „Arbeiter“, die Befehlsempfänger … ich frage mich halt, wo in der Spanne zwischen diesem Extrem und dem Extrem des Erfolgs als eigenständiger Musiker das „System“ heute so steckt … und ob nicht das Schwergewicht, bologna-pragmatisiert und bis in alle Ecken und Enden von Interessensverbänden der Wirtschaft geprägt wie wir es alle längst sind, der durchaus auch subversive Aufruf zum Kreativen, zum Unordentlichen, zum Anderen manchmal zu kurz kommt. Dagegen kann man auch halten, dass dies nun nicht die Aufgabe des Bildungswesens sei (sondern was denn? die Produktion funktionsfähiger, systemkonformer Mitglieder der Gesellschaft? Hochschulabgänger, die perfekt in die Förmchen passen, die die Wirtschaft grad zu füllen sucht? dann braucht es sie eben erst recht, die Freiräume des Kreativen, der Unordnung) … und auch hier wieder: es gibt Leute, die machen das ganze Programm mit und kommen am Ende raus mit einer ungebrochenen oder gar erhöhten Kreativität – auch da gibt es gewiss keine klare Korrelation.
Aber wie gesagt, vielleicht lebe ich diesbezüglich auch nur in einer naiven Traumwelt … nail wird es mir bestimmt gleich sagen
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