Re: Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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ferryManchmal hört man es aber schon, dass Musik nach einer gewissen ‚Erfolgsformel‘ gestrickt worden ist. Weniger im Jazz, aber schon oft bei kommerzieller Popmusik und am deutlichsten wohl in der Schlagermusik. Da kann man für mein Empfinden die Anbiederung am deutlichsten hören.

Schonschon – aber selbst darauf lässt sich nicht unbedingt ein vernichtendes Qualitätsurteil gründen.

Entschuldigung, wenn ich an dieser Stelle etwas abschweife, mein Jazzwissen ist einfach zu gering – aber ein Seitenblick auf Motown ist in diesem Zusammenhang doch sehr interessant: Die Musiker, die im Studio arbeiteten, verstanden sich teilweise eigentlich eher als Jazzer und spielten nach Feierabend oft in Jazzclubs; was sie tagsüber im Motown-Studio so trieben, nahmen sie künstlerisch oft gar nicht mal sonderlich ernst, es war eher ein berechenbar bezahlter, halbwegs solider musikalischer Brotjob. Und Songwriting, Produktion, Arrangement – das alles richtete sich bei Motown ganz stark nach kommerziellen Überlegungen. Wahwah-Pedal ist grade in und hat schon kommerzielles Potenzial offenbart? Na, dann verpassen wir den Temptations aber mal hurtig ein bisschen Wahwah-Psychedelik … Diese berechnende Haltung ging so weit, dass Singles, die sich als erfolgreich erwiesen hatten, gradenlos, hart an der Grenze zum 1:1-Maßstab plagiiert, nochmal aufgelegt, geringfügig variiert wurden. Seien es Where did our love go und Baby Love von den Supremes, seien es diverse Four-Tops-Nummern, sei es das Groove-Wiederholungs-Bubenstück I want you back/ABC bei den jackson Five – immer wieder wurde da, wenn erst mal eine Erfolgsformel gefunden war, der Schwamm in fast schon ulkiger Weise ausgewrungen. Und erst wenn dann die dritte Single nach demselben Muster in den Charts nicht mehr zündete, bequemte man sich zur Entwicklung einer neuen Blaupause. Man kann zusammengefasst sagen: Motown war ein geradezu schamlos radikalkommerzielles Hitproduktions-Unternehmen.

Und die Musik ist phantastisch, innovativ, abenteuerlustig, maßstabsetzend, Weltkulturerbe. Tja.

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