Re: Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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gypsy-tail-wind
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ferryDas Ideal (im Wunschdenken) ist bestimmt der Künstler, der seine grosse Kunst abseits von aller Bürgerlichkeit ausübt.
Das muss man aber bestimmt noch etwas differenzierter betrachten. Selbst der abseitigste Freejazzer wird sich von der Bürgerlichkeit und dem System nicht komplett abkoppeln können. Er kann da noch soviele Notensysteme kaputtblasen wie er will, im Alltag schert er dann doch wieder in irgendeine Reihe ein.
Andererseits erscheint es doch durchaus nicht unmöglich, dass man einen bürgerlichen Beruf ausübt und bereit ist, den künstlerischen ‚Preis‘ dafür zu bezahlen. Im Endeffekt geht es doch um das Bewusstsein zu der von Dir angeführten Entfremdung, Systemoptimierung etc.

Den Preis zahlen, in künstlerischer Hinsicht, muss aber doch eher gerade derjenige, der die Musik zum Beruf macht und eben darauf angewiesen ist, damit auch ein gewisses Einkommen zu generieren?

ferryZum Thema Kunst vs. Kommerz: Ich meine schon, dass man unterscheiden kann bzw. sollte zwischen gefälliger, schöner Musik und Musik, die absichtlich als gefällig und schön produziert worden ist um entsprechende Verkaufszahlen und Beifall zu erzielen. Und auch die Massentauglichkeit ist noch kein Kriterium. Wenn man als Beispiel mal „The Sidewinder“ nimmt, ist das kein etwa kein grosser Hardbop? Oder was ist z.B. ist „My Favorite Things“? Kein grosser Jazz ?

Das sind eben die Platten, die man vielleicht schon mit einem Auge auf den Markt eingespielt (oder von Produzentenseite kompiliert und bebildert) hat – aber auch die Fälle, die sich nicht planen lassen. Warum wurde Kenny Dorhams „Una Mas“ nicht zum Hit, „The Sidewinder“ aber schon? Keine Ahnung, wie es genau mit Singles-Verkaufszahlen in Sachen Jazz aussah damals, wichtiger war wohl eher Airplay und dass die Dinger dann in den Jukeboxen landeten und auch gespielt wurden … ich weiss auch ehrlich gesagt gar nicht, wie das mit dem Verkaufserfolg eines Albums wie „The Sidewinder“ einzuschätzen ist (Wiki nennt Zahlen) – keine Ahung, wie sich das im Vegleich mit z.B. Miles‘ „Porgy & Bess“ darstellt (Wiki sagt nur, was man weiss: „one of Miles Davis‘ best-selling albums“). Im Vergleich mit „Jazz Samba“ (auch da finde ich auf die Schnelle keine Zahlen) war das wohl alles nicht viel … und manch ein Klassiker (auch „Kind of Blue“) verkaufte sich erst im Verlauf der Jahre richtig gut – man muss da wohl ein altes Klischee bemühen: das ist halt Musik, die über ihre Zeit hinaus haltbar ist … ich denke heute sind 5000 oder 10’000 Stück schon ziemlich viel – es würde mich mal interessieren, wie hoch z.B. die Auflagen bei ECM oder ACT sind.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #152: Enja Records 1971-1973 – 14.05., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba