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Hal CrovesSofern das harmonisch funktioniert – in dem Sinne, dass der „bürgerliche Beruf“ als ebenso erfüllend empfunden wird wie das Musikmachen -, ist das natürlich ein verwirklichter Idealzustand. Mir fällt jetzt erst mal kein individuelles Beispiel ein, will damit aber nicht behaupten, dass es keines gebe; Du hast da bestimmt jemanden vor Augen.
Allerdings kommt mir dieses „Modell“ tatsächlich wie ein sehr idealistisches Ideal vor, und zwar aus mehr als einem Grund. Zunächst ist da die Liebe zur Musik, die in einer, wie Du schreibst, großen Kunst zum Ausdruck kommt; wenn ein Musiker, der das, was er ausdrücken will, auch wirklich ausdrücken kann, einem „bürgerlichen Beruf“ nachgehen muss, der doch in aller Regel durch Entfremdung von den individuellen Bedürfnissen geprägt ist, dann muss nach meinem Dafürhalten doch wie von selbst der Wunsch entstehen, von der Musik leben zu können. Und dann nimmt der Beruf das Individuum doch sehr in Beschlag. Um heutzutage eine Stelle zu behalten, genügt es ja immer seltener, seine Arbeit anständig zu erledigen; vielmehr wird ein ständiges Streben nach Selbstoptimierung im Interesse der Firma verlangt. Die zunehmende Prekarisierung unter den Vorzeichen einer globalen Wirtschaftskrise tut ihr übriges. Unter diesen Bedingungen erscheint mir ein harmonisches Zusammengehen von kompromissloser L’art-pour-l’art-Musik und Lohnarbeit als äußerst schwierig – und äußerst unwahrscheinlich.
Das Ideal (im Wunschdenken) ist bestimmt der Künstler, der seine grosse Kunst abseits von aller Bürgerlichkeit ausübt.
Das muss man aber bestimmt noch etwas differenzierter betrachten. Selbst der abseitigste Freejazzer wird sich von der Bürgerlichkeit und dem System nicht komplett abkoppeln können. Er kann da noch soviele Notensysteme kaputtblasen wie er will, im Alltag schert er dann doch wieder in irgendeine Reihe ein.
Andererseits erscheint es doch durchaus nicht unmöglich, dass man einen bürgerlichen Beruf ausübt und bereit ist, den künstlerischen ‚Preis‘ dafür zu bezahlen. Im Endeffekt geht es doch um das Bewusstsein zu der von Dir angeführten Entfremdung, Systemoptimierung etc.
Zum Thema Kunst vs. Kommerz: Ich meine schon, dass man unterscheiden kann bzw. sollte zwischen gefälliger, schöner Musik und Musik, die absichtlich als gefällig und schön produziert worden ist um entsprechende Verkaufszahlen und Beifall zu erzielen. Und auch die Massentauglichkeit ist noch kein Kriterium. Wenn man als Beispiel mal „The Sidewinder“ nimmt, ist das kein etwa kein grosser Hardbop? Oder was ist z.B. ist „My Favorite Things“? Kein grosser Jazz ?
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