Re: Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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gypsy-tail-wind
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nail75Ich will Musikfans auch gar nicht dafür kritisieren, dass sie die kommerziellen Aspekte ausblenden, nur müssen Musiker eben auch von etwas leben – und das war zu allen Zeiten sehr schwierig. Wenn dann auch noch jemand, der offensichtlich mit musikalischen Dienstleistungen sein Geld verdient und es daher besser wissen müsste, so einen abstrusen Quatsch erzählt, dann kann man sehen wie verbreitet diese Sichtweise ist.

Was der „abstruse Quatsch“ nun mit dem Ausblenden der kommerziellen Aspekte zu tun hat, begreife ich nicht, denn der „abstruse Quatsch“ ist letztlich doch nur eine persönliche Vorliebe („Urs Leimgruber ist ein tausendmal interessanterer/besserer Saxophonist/Musiker als Jan Garbarek“ – würde ich wohl unterzeichnen, wobei man den Faktor noch ermitteln müsste ;-)).

Es ging auch mir – ich betone das gerne für alle Fälle noch mal – nie darum, die kommerziellen Aspekte auszublenden. Ich denke gerade Musiker aus so randständigen Bereichen wie der freien Improvisation (da ist ja „Jazz“ schon grosser Mainstream im Vergleich) wissen, wie hart es ist, allein von der Musik zu leben. Dennoch wollen sie eben keine grauhaarigen Connoisseurs im Publikum, die nach zehn Minuten im Schlummer versinken, den sie in der Nacht nicht mehr finden, sondern Leute, die mit aufrichtigem Interesse kommen und zuhören. Also: Qualitat statt Quantität, was das Publikum betrifft. Das zumal aus der Sicht der Künstler. Natürlich heisst das, dass man dann vielleicht weniger Geld kriegt, aber je nachdem, wo man auftritt und was man dem Publikum vorsetzt, kommen eh nur die Leute, die man auch haben will. Ich finde eine solche Haltung bewundernswert, wenigstens solange man sie sich leisten kann … aber den Urlaub in Brasilien und den Shopping Trip in New York wird man so nicht kriegen. Das sind halt Fragen der Einstellung, die doch letztlich damit, ob man Kunst macht oder sich in einer Firma verdingt (den „bürgerlichen Beruf“ als erfüllend empfinden? sehr komisch!), wenig zu tun haben.

Abgesehen davon begreife ich bei Jazzkonzerten bis heute nicht, warum welche Konzerte überrant werden und andere praktisch leer bleiben. Beim Convergence Quartet kommen in Zürich überraschend viele (mehrere Dutzend) Leute, wenn Barry Altschul zum ersten Mal seit 15 Jahren oder so spielt, kommen 13 (inkl. die Veranstalter und Irène Schweizer). Klar, es mag an Terminkollisionen liegen, aber eben: planen lässt es sich nie endgültig – aber spekulieren kann man … wenn man das Sun Ra Arkestra holt, wird die Halle voll und sie wird kochen, zu sicher 95% und wenn man Keith Jarrett holt und dann im zweiten Song das Handy zückt, ohne den Blitz auszuschalten … und es gibt natürlich sichere Werte, grosse Namen, diejenigen halt, die immer auf den Covern von Down Beat und JazzTime etc. sind, Dave Holland, Sonny Rollins, Brad Mehldau, was weiss ich … aber interessanter ist die Frage ja im Hinblick auch die „kleineren“ Konzerte.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba