Re: Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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gypsy-tail-wind
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nail75Das ist korrekt. Die meisten leben nicht von der Musik. ;-)

Der Betroffene lebt von der Musik – davon z.B., dass er Dinge für andere mischt etc. – und das scheint ihm durchaus auch Spass zu machen!

nail75Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele denken, Verkaufszahlen oder Besucherzahlen seien für Musiker eher bedeutungslos. Meiner Erfahrung nach ist das Gegenteil der Fall.

nail75Absolut. Er hätte immer noch viel Kohle, aber nicht alle würden ihn auslachen.

:lol:

… so Dave Sanborn-mässig …

nail75Verstehe ich nicht, das habe ich nicht behauptet und würde es niemals behaupten. Ob ein Album erfolgreich ist, hängt ja keineswegs von seiner Qualität ab.

Eine klare Korrelation gibt es sicher nicht, siehe grünschnabels Beispiel mit „Bitches Brew“ … das war unglaublich „schwierige“, komplexe, abenteuerliche Musik. Vielleicht ist es das, was ich vermisse: dass „grosse“ Künstler (Jarrett, Garbarek, Mehldau, was weiss ich, diejenigen halt, die dauernd auf den Covern der Jazz-Postillen sind) den Raum kriegen – und den Willen haben – etwas „Schwieriges“ zu wagen, auch nur zwischendurch (und nein, wenn Jarrett die Aufnahme aus seinem Geräteschuppen nach 40 Jahren herausgeben lässt, zählt das nicht). Und dass grosse Label sich an „schwierige“ Musik wagen – zuletzt geschah das wohl in den 90ern, als RCA die Sam Rivers Big Band produzierte … Ornette hatte immerhin einen Deal Vertriebs-Deal oder sowas mit … wem eigentlich? Irgendwem aus dem Stammbaum von Vivendi halt … PolyGram oder so, Verve, keine Ahnung …

Aber vielleicht hängt das ja auch alles mit den Musikern zusammen, die sich z.B. in der Loft Szene wegbewegten vom Label-gesteuerten sich zunehmend kommerzialisierenden Markt? Gut, Threadgill und Lacy waren auch mal bei Novus (das zu RCA) gehörte, aber an sich war das Kapitel Jazz bei den Majors so um 1965 abgeschlossen, von Miles mal abgesehen. Beim Revival mitte der 80er war die Ausrichtung zunächst noch recht offen (dieses „Young Lions“ Doppel-Album auf Elektra von 1982 enthält abenteuerliche Musik und neben Wynton gibt es auch James Newton, Abdul Wadud, Hamiet Bluiett, Fred Hopkins zu hören – die man heute niemals mehr den „young lions“ zurechnen würde … und beim Blue Note Revival durfte auch Cecil Taylor mitmachen) … aber bald ging das Türchen wieder zu, Warner (Joshua Redman, Brad Mehldau, Mark Turner, Kenny Garrett) produzierte geschliffene, meist ziemlich gute Alben, die aber wenig überraschendes enthielten, bei Blue Note ging die Tendenz bald in ähnliche Richtungen (ein paar Alte wie Andrew Hill, Jackie McLean oder McCoy Tyner waren inzwischen in Gefilden unterwegs, die sich gut einfügen liessen, ein paar Junge wie Greg Osby – auch bei Hill! – oder Jason Moran wagten ein paar schräge Töne, daneben gab es soliden Post-Bop-Modern-Mainstream ganz wie bei Warner). Impulse entdeckte Diana Krall und während die Läden mit toll designten Hochglanz-Prospekten beliefert wurden, in denen die grosse Geschichte des Labels (Coltrane, Shepp, Sanders, Ayler …) gefeiert wurde, lagen daneben die beiden Alben von Diana Krall, „All for You“ und „Love Scenes“ (hey, ich mag die beiden, v.a. das zweitere immer noch sehr gerne). Das ganze Revival der 80er und 90er (die Tür ging ja dann bald wieder zu, so um 2000 war glaub ich Schluss, die Warner-Leute wurden arbeitslos oder wechselten zu Nonesuch, wo weiterhin tendentiell gepflegte Hochglanzmusik mit ihnen produziert wurde und wird, die Blue Note-Leute mussten sich allesamt neu orientieren, nachdem das Label im Gefolge des Erfolges mit Norah Jones …. was eigentlich? Blut geleckt? Dann haben sie danach aber kapitalst versagt … jedenfalls wurde ein über lange Jahre gepflegter und übers Ganze gesehen doch recht guter Künstler-Mix einfach so in die Wüste gesetzt).

nail75Mir ging es darum, dass irgendein Bekannter von gypsy sagte, wenn Garbarek „etwas Schlaues“ gemacht hätte, dann wäre er den Weg von Urs Leimgruber gegangen. Ich nehme an, dass allein Officium sich häufiger verkauft hat, wie alle Alben von Urs Leimgruber zusammen mal zehn. Rein finanziell hat Garbarek sicher keine schlechte Entscheidung getroffen. Damit will ich die Musik von Leimgruber nicht abwerten, der wusste ja vermutlich auch immer, dass er nie viele Alben verkaufen oder Konzerte vor mehr als 50 Leuten spielen wird, aber man sollte sich nicht täuschen: das ist diesen Musikern sehr wohl bewusst.

Ich glaube da treffen wir uns wieder und sind uns auch völlig einig: „das ist diesen Musikern sehr wohl bewusst“ – mehr als das wollte ich eigentlich gar nicht sagen und darin steckt ja die Tatsache, dass eben ein Urs Leimgruber weiss, dass er mit einer dokumentierten Sternstunde des Trios mit Jacques Demierre und Barre Phillips nur ein paar Promille der Absatzzahlen Garbareks erreichen wird – aber er nimmt das in Kauf, weil das die Musik ist, die er macht, machen will. Zudem sind das dann auch die Musiker – die grosse Mehrheit im Jazz – die mit CDs sowieso keinen Pfennig verdienen, im Gegenteil, wenn der Verkauf (der Editionen, die sich wohl so im Rahmen von 500 bis 5000 bewegen) noch langsamer vonstatten geht als erhofft, legen sie oftmals noch drauf (als Gage kriegen sie einige Kisten der CD, die Studio-Kosten tragen sie selbst, Produzent und Label geben den Namen und das Image her – die CD ist eine Visitenkarte, um an Gigs zu kommen, mit denen sich dann etwas Geld verdienen lässt).

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