Re: Soul Anfänger

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bullschuetz

Registriert seit: 16.12.2008

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TarrachLiebe Soulfreunde und RS Foren Nutzer, ich bin in dem einem wie dem anderem blutiger Anfänger, aber neugierig. […] Nun wollen wir zum nächsten Treffen erstmalig unsere Strategie ändern und quasi ein durch entsprechende Musik begleitetes Referat über eine Stilrichtung halten, von der wir keine Ahnung haben aber sehr interessiert sind. Kurzerhand und nicht ganz zufällig habe ich mich für den NORTHERN SOUL entschieden.

Nichts gegen ein Northern-Soul-Referat. Aber eigentlich müsste doch zunächst mal, wenn Ihr das noch nicht gemacht habt, ein Soul-Referat kommen. Denn Northern Soul ist ja überhaupt kein Soul-Subgenre (und keinesfalls sowas wie das Gegenteil von Southern Soul oder so), sondern der Begriff beschreibt eine nachträgliche Aneignungs- und Rezeptionstradition: Unter „Northern Soul“ laufen schlicht alle Soul-Scheiben (ob Southern-Soul, Philly-Sound oder Motown, 60er- oder 70er-Jahre), die bei Soulfans im Norden Englands besonders goutiert und teilweise kanonisiert wurden. Weil das eine sehr kompetente und enthusiastische Szene war und ist, waren die mit den 0815-Klassikern, die jeder kennt und die deshalb in jedem Blues-Brothers- oder Commitments-Film unterkommen, nicht abzuspeisen, sie schürften permanent nach Unbekanntem, Übersehenen, Randständigen, Tanzbaren, kommerziell bislang nicht ganz so Erfolgreichen und verhalfen manch vergessenem oder gar schon mehr oder weniger abgehalfterten Soul-Musiker aus dem zweiten Glied lang nach seiner eigentlichen Blütezeit plötzlich zu einer ungeahnten zweiten Karriere als Kult-Insidertipp.
Wenn man sich Kev Roberts‘ oben genannte Liste anschaut, fällt auf, wie bunt die Mischung der Soul-Subgenres da ist: von Garnet Mimms (Southern Soul) über Dee Dee Sharp (Philly Soul) bis zu den Contours (Motown), dazu Drifters, Coasters, Impressions – ein ganzer Haufen klassischer und bekannter Namen, die für verschiedene Soul-Spielarten stehen. Und dazu jede Menge Acts, die wirklich eher nur unter Freaks bekannt sind (mir sind sie zu einem guten Teil nicht geläufig). Auch das oben genannte Buch „Rare Soul“ zeigt, wenngleich lexikalisch aufgebaut und damit sowas wie „Vollständigkeit“ oder „Objektivität“ andeutend, bei der Auswahl und Weglassung den lässigen Eklektizismus und die souverän eigenwilligen Gewichtungen, die in der Northern-Soul-Szene wirken.
Ein Referat über Soul (mit einigermaßen trennscharfer Vorstellung einschlägiger Spielarten, Firmen, Protagonisten, Motown, Stax, Philadelphia etc.) wäre so gesehen eigentlich Voraussetzung für die Befassung mit Northern Soul. Danach ließe sich dann schauen, welche ganz eigene Club-, Feier-, Sammel-, Kleidungs- und Rosinenpicker-Kultur die Soulafficionados im Norden Englands entwickelt haben. Mit einem Northern-Soul-Referat anzufangen, bevor man sich mit Soul eingehender befasst hat, erschiene mir hingegen, als wolle man Bob Dylans Outtakes und Bootlegs ergründen, bevor man sich Highway 61 Revisited und Blonde on Blonde angehört hat. Kann man machen, ist aber etwas unorthodox.

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